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Freiraum, Natur. Aber die Möbel...
Es ist immer das Gleiche: Zuerst wird ein Wettbewerb bemüht. Dann wird – im besten Fall – gemeinschaftlich geplant. Und am Ende schafft plötzlich der an, der zahlt. Anmerkungen zu einem Altersheim in Wien-Atzgersdorf.
8. Juni 2008 - Liesbeth Waechter-Böhm
Altersheime sind eine doppelbödige Angelegenheit. Denn sie fungieren gleichzeitig als Ersatz für die eigene Wohnung, aber auch als eine Art Kurhotel. Vom Kurhotel haben sie die Infrastruktur, die eine allumfassende Versorgung der Bewohner garantiert, einschließlich medizinischer Betreuung, auch ein Angebot an kommunikativen Gemeinschaftsbereichen mit möglichst hoher Aufenthaltsqualität. Dagegen wird der Verlust der eigenen Wohnung nur durch Zimmer wettgemacht, die zwar alle Grundbedürfnisse durchaus komfortabel befriedigen, darüber hinaus aber limitierten Spielraum bieten.
In Vorarlberg gab es vor Jahren den viel beachteten Versuch, eine Reihe recht luxuriöser Alten- und Pflegeheime zu realisieren. Entstanden sind dabei architektonisch bemerkenswerte Lösungen – etwa von Rainer Köberl oder den Noldins –, bei denen speziell darauf geachtet wurde, die Ausgrenzung der Bewohner zu relativieren. Das ist zum Teil durch die Standortwahl, aber vor allem durch die Integration öffentlicher Funktionen geschehen, die so etwas wie die Normalität des Alltagslebens ins Haus bringen. Natürlich hatten diese Versuche ihren Preis.
In Wien haben wir solche Vorzeigeprojekte – immer aus der architektonischen Perspektive betrachtet – vorläufig nicht. Da überformt der „soziale“ Gedanke den konzeptuellen, gestalterischen und finanziellen Einsatz nach wie vor. Das ist, vom Nutzerstandpunkt aus betrachtet, aber nicht unbedingt Versäumnis. Die gute, preiswerte, zwangsläufig weniger spektakuläre Lösung kann bei einer solchen Bauaufgabe durchaus akzeptabel sein.
Ein konkretes Anschauungsbeispiel dafür hat erst jüngst das Wiener Büro von Hermann & Valentiny & Partner realisiert. Es steht in Atzgersdorf, beinahe im Zentrum, an einem illustren Ort. Denn gleich daneben befinden sich aufgelassene Gewerbeanlagen und eine grüne Brache, die ausgesprochen malerisch wirken. Von daher dürfte sich auch der Wunsch des Bauherrn erklären, ein – übertrieben formuliert – „Schlösschen“ für Senioren zu errichten.
Das ist es zwar sicher nicht geworden, aber es ist ein sehr anständiges und in einem engen finanziellen Korsett realisiertes Haus. Anders ausgedrückt: Die Waage des Preis-Leistungs-Verhältnisses schlägt hier deutlich zugunsten eines qualitativen Bonus aus.
Städtebaulich definiert Hubert Hermann mit seinem Gebäude eine Ecke im vorstädtischen Gewebe. Kuriosum eines Teils der Straßenfront mit dem Haupteingang: ein Putz, den man als elegante Variante herkömmlicher Pizzeria-Putze bezeichnen könnte. Er ist nicht glatt, sondern reliefartig gemustert – händisch, geradezu „handschriftlich“ aufgetragen von einem, der so etwas noch kann. Der Kontrast zu den anderen Fassadenteilen – industrielle Metallpaneele aus geprägtem Kupfer, Holzlatten – ist durchaus reizvoll.
Zur grünen Hof- oder Gartenseite hin reagiert Hermann mit Gebäudetrakten, die der Höhe des gängigen Vorstadthauses entsprechen. Dadurch schafft er den Übergang zum Umfeld. Der Neubau hat doch eine gewisse Größe, gemessen am Kontext. Aber er steht jetzt selbstverständlich da, wie gewachsen.
Der Haupteingang ist architektonisch deutlich inszeniert: Ein Einschnitt im Gebäude sagt genau, wo es hineingeht. Wie eine große Klammer sorgen in Fortsetzung der Metallfassade die Kupferpaneele im Attikageschoß für den Zusammenhalt der Straßenfront, an der Ecke wird aber auch schon das Motiv der Holzlatten-Roste vor der Balkonzone sichtbar. Das ist ein durchaus spannender, auch urbaner Beitrag zum Einerlei des heterogenen, sehr vorstädtischen Erscheinungsbildes von Atzgersdorf.
Die hölzerne Balkonschicht an der Gartenseite – übrigens mit Wein bepflanzt, sodass sie sich bald in eine richtige „Laube“ verwandeln wird – drückt dagegen die Privatheit individuellen Wohnens aus. Sie liefertden Bewohnern den Komfort des eigenen Freibereichs, also eine wesentliche Qualität, und sie verleiht dem Haus an der straßenabgewandten Seite ein „privates“ Gesicht.
Und dieses Gesicht ist einer großzügig bemessenen, dabei auch sehr schön bepflanzten Gartenanlage zugekehrt, die durch die niedrigeren Hoftrakte in zwei Bereiche gegliedert wird: einer vorrangig bepflanzt mit Clematis, der andere mit Glyzinien. Da gibt es wirklich Wege, auf denen sich „lustwandeln“ lässt, und einfach auch Situationen des Innehaltens, wo man sich entspannt niederlassen kann. Diese Fähigkeit, nicht nur ein Gebäude und sein Verhältnis zum Umfeld planerisch zu bewältigen, sondern die Außenräume, die Freibereiche selbst mit dem gleichen hohen Anspruch zu bewältigen, zeichnet die Arbeit von Hermann & Valentiny & Partner immer schon aus. Es gibt nicht sehr viele Architekten, die ein dermaßen intensives, aber differenziertes Verhältnis zur Natur, zu den Freiräumen haben. Und die Wert darauf legen, diesen Bezug definitiv zu artikulieren.
Innenräumlich lässt sich zur Lösung von Hubert Hermann nicht ganz so viel sagen. Nicht zuletzt durch das Preislimit gab es nur die Möglichkeit einer relativ konventionellenräumlichen Organisation. Denn billig kann man nur sein, wenn sich gewisse Elemente in großer Zahl wiederholen. Daher sind die Zimmer ordentlich, aber alle gleich und ohne eigenwillige Raffinessen. Und sie sind durch – angenehm breite – Gänge erschlossen. An den Schnittstellen dieser Gänge gibt es räumliche Erweiterungen, die als gemeinschaftliche Aufenthaltsbereiche interpretiert wurden. Natürlich ist da mit großzügigen Verglasungen auch für den notwendigen Außenbezug gesorgt, Aufenthaltsqualität haben diese Räume – bei schlechtem Wetter oder in der kalten Jahreszeit – allemal.
Auch mit den verwendeten Materialien und Farben wurde ein entscheidender atmosphärischer Beitrag zur innenräumlichen Qualität geleistet. Es gibt viel Holz – und es gibt sehr viel gelbe Farbe. Das erzeugt irgendwie die Atmosphäre eines permanenten Sonnenaufgangs. Ich glaube nicht, dass das die schlechtesten Voraussetzungen für das letzte Domizil alter Menschen sind.
Leider hat der Bauherr dem Architekten nicht die Möglichkeit eingeräumt, auch für die Innenausstattung des Hauses zu sorgen. Das ist ein ziemlich großer Verlust, weil man mit einem Mobiliar, das Leiner-Assoziationen auslöst, sehr viel ruinieren kann. Auch die nachträglich geforderten Vorhänge sorgen für eine Verunklärung, eine Banalisierung der an sich räumlich klaren Situation.
Es ist immer wieder das Gleiche. Zuerst wird ein Wettbewerb bemüht. Dann wird – im besten Fall – ein Planungsprozess gemeinschaftlich durchgezogen. Aber irgendwann am Ende, auch dazwischen, schafft plötzlich der an, der auch zahlt. Und das hat der Architektur noch nie gut getan.
In Vorarlberg gab es vor Jahren den viel beachteten Versuch, eine Reihe recht luxuriöser Alten- und Pflegeheime zu realisieren. Entstanden sind dabei architektonisch bemerkenswerte Lösungen – etwa von Rainer Köberl oder den Noldins –, bei denen speziell darauf geachtet wurde, die Ausgrenzung der Bewohner zu relativieren. Das ist zum Teil durch die Standortwahl, aber vor allem durch die Integration öffentlicher Funktionen geschehen, die so etwas wie die Normalität des Alltagslebens ins Haus bringen. Natürlich hatten diese Versuche ihren Preis.
In Wien haben wir solche Vorzeigeprojekte – immer aus der architektonischen Perspektive betrachtet – vorläufig nicht. Da überformt der „soziale“ Gedanke den konzeptuellen, gestalterischen und finanziellen Einsatz nach wie vor. Das ist, vom Nutzerstandpunkt aus betrachtet, aber nicht unbedingt Versäumnis. Die gute, preiswerte, zwangsläufig weniger spektakuläre Lösung kann bei einer solchen Bauaufgabe durchaus akzeptabel sein.
Ein konkretes Anschauungsbeispiel dafür hat erst jüngst das Wiener Büro von Hermann & Valentiny & Partner realisiert. Es steht in Atzgersdorf, beinahe im Zentrum, an einem illustren Ort. Denn gleich daneben befinden sich aufgelassene Gewerbeanlagen und eine grüne Brache, die ausgesprochen malerisch wirken. Von daher dürfte sich auch der Wunsch des Bauherrn erklären, ein – übertrieben formuliert – „Schlösschen“ für Senioren zu errichten.
Das ist es zwar sicher nicht geworden, aber es ist ein sehr anständiges und in einem engen finanziellen Korsett realisiertes Haus. Anders ausgedrückt: Die Waage des Preis-Leistungs-Verhältnisses schlägt hier deutlich zugunsten eines qualitativen Bonus aus.
Städtebaulich definiert Hubert Hermann mit seinem Gebäude eine Ecke im vorstädtischen Gewebe. Kuriosum eines Teils der Straßenfront mit dem Haupteingang: ein Putz, den man als elegante Variante herkömmlicher Pizzeria-Putze bezeichnen könnte. Er ist nicht glatt, sondern reliefartig gemustert – händisch, geradezu „handschriftlich“ aufgetragen von einem, der so etwas noch kann. Der Kontrast zu den anderen Fassadenteilen – industrielle Metallpaneele aus geprägtem Kupfer, Holzlatten – ist durchaus reizvoll.
Zur grünen Hof- oder Gartenseite hin reagiert Hermann mit Gebäudetrakten, die der Höhe des gängigen Vorstadthauses entsprechen. Dadurch schafft er den Übergang zum Umfeld. Der Neubau hat doch eine gewisse Größe, gemessen am Kontext. Aber er steht jetzt selbstverständlich da, wie gewachsen.
Der Haupteingang ist architektonisch deutlich inszeniert: Ein Einschnitt im Gebäude sagt genau, wo es hineingeht. Wie eine große Klammer sorgen in Fortsetzung der Metallfassade die Kupferpaneele im Attikageschoß für den Zusammenhalt der Straßenfront, an der Ecke wird aber auch schon das Motiv der Holzlatten-Roste vor der Balkonzone sichtbar. Das ist ein durchaus spannender, auch urbaner Beitrag zum Einerlei des heterogenen, sehr vorstädtischen Erscheinungsbildes von Atzgersdorf.
Die hölzerne Balkonschicht an der Gartenseite – übrigens mit Wein bepflanzt, sodass sie sich bald in eine richtige „Laube“ verwandeln wird – drückt dagegen die Privatheit individuellen Wohnens aus. Sie liefertden Bewohnern den Komfort des eigenen Freibereichs, also eine wesentliche Qualität, und sie verleiht dem Haus an der straßenabgewandten Seite ein „privates“ Gesicht.
Und dieses Gesicht ist einer großzügig bemessenen, dabei auch sehr schön bepflanzten Gartenanlage zugekehrt, die durch die niedrigeren Hoftrakte in zwei Bereiche gegliedert wird: einer vorrangig bepflanzt mit Clematis, der andere mit Glyzinien. Da gibt es wirklich Wege, auf denen sich „lustwandeln“ lässt, und einfach auch Situationen des Innehaltens, wo man sich entspannt niederlassen kann. Diese Fähigkeit, nicht nur ein Gebäude und sein Verhältnis zum Umfeld planerisch zu bewältigen, sondern die Außenräume, die Freibereiche selbst mit dem gleichen hohen Anspruch zu bewältigen, zeichnet die Arbeit von Hermann & Valentiny & Partner immer schon aus. Es gibt nicht sehr viele Architekten, die ein dermaßen intensives, aber differenziertes Verhältnis zur Natur, zu den Freiräumen haben. Und die Wert darauf legen, diesen Bezug definitiv zu artikulieren.
Innenräumlich lässt sich zur Lösung von Hubert Hermann nicht ganz so viel sagen. Nicht zuletzt durch das Preislimit gab es nur die Möglichkeit einer relativ konventionellenräumlichen Organisation. Denn billig kann man nur sein, wenn sich gewisse Elemente in großer Zahl wiederholen. Daher sind die Zimmer ordentlich, aber alle gleich und ohne eigenwillige Raffinessen. Und sie sind durch – angenehm breite – Gänge erschlossen. An den Schnittstellen dieser Gänge gibt es räumliche Erweiterungen, die als gemeinschaftliche Aufenthaltsbereiche interpretiert wurden. Natürlich ist da mit großzügigen Verglasungen auch für den notwendigen Außenbezug gesorgt, Aufenthaltsqualität haben diese Räume – bei schlechtem Wetter oder in der kalten Jahreszeit – allemal.
Auch mit den verwendeten Materialien und Farben wurde ein entscheidender atmosphärischer Beitrag zur innenräumlichen Qualität geleistet. Es gibt viel Holz – und es gibt sehr viel gelbe Farbe. Das erzeugt irgendwie die Atmosphäre eines permanenten Sonnenaufgangs. Ich glaube nicht, dass das die schlechtesten Voraussetzungen für das letzte Domizil alter Menschen sind.
Leider hat der Bauherr dem Architekten nicht die Möglichkeit eingeräumt, auch für die Innenausstattung des Hauses zu sorgen. Das ist ein ziemlich großer Verlust, weil man mit einem Mobiliar, das Leiner-Assoziationen auslöst, sehr viel ruinieren kann. Auch die nachträglich geforderten Vorhänge sorgen für eine Verunklärung, eine Banalisierung der an sich räumlich klaren Situation.
Es ist immer wieder das Gleiche. Zuerst wird ein Wettbewerb bemüht. Dann wird – im besten Fall – ein Planungsprozess gemeinschaftlich durchgezogen. Aber irgendwann am Ende, auch dazwischen, schafft plötzlich der an, der auch zahlt. Und das hat der Architektur noch nie gut getan.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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