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Vom Elend der Kritik
Spectrum

Architektur zu beschreiben setzt voraus, dass man etwas vom Gegenstand verstanden hat und den Umgang mit Sprache beherrscht. Sollte man meinen. Die meisten aber schreiben, was andere schon geschrieben haben. Oder was ihnen gerade einfällt.

22. Juni 2008 - Walter Zschokke
Wie mag wohl ein Gebäude aussehen, das, von oben gesehen, als „futuristische Amöbe“ („Neue Zürcher Zeitung“) bezeichnet wird und im weiteren Verlauf als Wal? Sie wissen es nicht? Kein Wunder. Einen Wal kann man sich noch vorstellen, aber eine futuristische Amöbe? Aus dem Biologieunterricht vermögen wir uns zu erinnern, dass Amöben ständigen Veränderungen unterworfen sind. Wie würde sich jedoch der futuristische Wesenszug auswirken? Mehr nach den Projektionen von Futurologen oder eher nach den Erwartungen von Biologen? Wohl bestenfalls Ersteres.

Ganz fair ist mein Vorgehen zwar nicht, denn ich begann mit Sprachbildern aus einem Text, der mit einem Bild des Gebäudes versehen ist. Im Bildtext wird es als „Tornado an der Autobahn“ benannt. Klingelt es schon? Dann wird der Titel: „Gezähmter Wirbelsturm“ wohl kaum weiterhelfen. Während Tornado und Autobahn wenigstens dynamisch klingen, ist ein gezähmter Wirbelsturm eher etwas Harmloses, so wie jene Drachen in den Soft-Kinderbüchern, die unglücklicherweise nicht Feuer speien können, daher von ihren Artgenossen ausgegrenzt, von kleinen Mädchen oder Knaben getröstet und psychologisch betreut werden, damit sie wenigstens ab und an einen kleinen Funken spucken. Das leitet leider auf die falsche Spur. Dabei waren wir zwischendurch nahe dran.

Halten wir noch fest, dass in den angebotenen Metaphern mehrheitlich ein abschätziger Unterton mitschwingt, der aber nicht, oder kaum begründet wird. Also fast ein Untergriff, ist man geneigt zu sagen. Der Autor hingegen muss sich gesagt haben: „Dem – oder denen – habe ich es aber gegeben, sonst hätte er es beim Durchlesen nicht stehen lassen. Oder genügte ihm das Rechtschreibprogramm zur Kontrolle? Doch kommen wir zum Gegenstand zurück. Es wäre um Architekturkritik gegangen. Doch deren Ziel kann nicht sein, eine vermeintlich griffige Sprachfigur zu finden, die nichts erklärt. Das Gebäude scheint dem Kritiker nicht wirklich gefallen zu haben. Da und dort kommt dies im Text indirekt zum Ausdruck. Das ändert aber nichts an den schwachen Metaphern, die keine architektonische Sachverhalte vermitteln. Von wegen Tornado an der Autobahn: Es handelt sich um den Komplex der BMW-Welt in München von Coop Himmelb(l)au. Christian Kühn hat das Bauwerk – ohne schlechte Metaphern – im „Spectrum“ vom 13. Oktober 2007 eingehend besprochen.

Nun gibt es andere Bauten, deren Übernahme bekannter ist als das Bauwerk selbst. Beispielsweise die Kongresshalle von Hugh Stubbings für Berlin (1957), die der Arena in Raleigh, North Carolina (1950/53), von Nowitzki, Deitrick und Severnd nachempfunden ist. Der von den Medien immer wieder weitergetragene, dem Berliner Volksmund zugeschriebene Spottname „schwangere Auster“ bietet kaum Klärung an – oder weiß wer, wie eine schwangere Auster aussieht? Mit ihrem architektonischen Ausdruck hat dies gar nichts zu tun, dafür deutlich mehr mit unreflektiert weitergetragenen Klischees. Nachdem die Halle teilweise eingestürzt war, wurde man sich in Berlin bewusst, dass man sie eigentlich lieb gewonnen hatte, weshalb sie in gleicher Form wieder aufgebaut wurde. In der Folge legte sich das dumme und populistische Mediengeschwätz.

Ein weiteres Beispiel gefällig? Das Olympiastadion in Peking von Jacques Herzog & Pierre de Meuron und Partnern. Seit Jahren wird es medial als „Vogelnest“ verkauft. Unser bereits erwähnter Kritiker in der „Neuen Zürcher“ versteigt sich sogar dazu, die Chinesen würden dies „liebevoll“ tun. Da ist ihm wohl das Klischee der Wiener Secession dazwischen geraten, das außer den Fremdenführern niemand, und schon gar kein Wiener, und sicher nicht „liebevoll“, „Krauthappl“ nennt. Sie heißt schlicht Secession.

Aber bleiben wir beim sogenannten Vogelnest. Der Begriff entstand offensichtlich in einem frühen Projektstadium im Atelier in Basel. Das Modell im Maßstab 1:1000 oder 1:500 mochte in der Tat von oben so ausgeschaut haben, sodass sich im Büro dieser inoffizielle Projektname ergab. In einem Vortrag in Alpbach erzählte Meinhard von Gerkan (fünf Opernhäuser, vier Großbahnhöfe in China und so weiter), dass die Chinesen gern bildhafte Namen für die Bauwerke hätten und diese so viel leichter durchsetzbar seien. Wie dem auch sein mag, für das eigentliche architektonische Wesen des durchaus interessanten Stadion-Bauwerks sagt die Metapher vom Vogelnest überhaupt nichts aus. Modelle, auch Arbeitsmodelle setzen immer voraus, dass die Betrachtenden sie nicht als Objekt an sich, sondern als Hilfsmittel zur Kontrolle des Entwurfsgedankens interpretieren. Immer ist der gedankliche Schritt vom verkleinerten Maßstab zur Wirklichkeit des 1:1 zu leisten.

Den Architekten und Mitarbeitern im Atelier Herzog & de Meuron will ich nicht unterschieben, dass sie dies nicht könnten. Von allem Anfang war klar, und das lässt sich auch in ihrem parallelen Schaffen erkennen, dass sie ein Tragwerk suchten, das nicht wie ein klassisches Tragwerk hierarchisch oder anderweitig statisch funktional ausschaut, sondern bewusst astatisch wirkt und daher den Sehgewohnheiten widerspricht und aus der Distanz leicht wirkt. Das ist gewiss erstaunlich gut gelungen.

Wer sich vor ein paar Jahren die Ausstellung im Basler „Schaulager“ über die aktuellen Arbeiten des Büros angeschaut hat, erhielt dort die Hinweise, woher die Grundidee kommen könnte. Die Entwerfer befassten sich zu Beginn sehr intensiv mit der sichtbaren Kultur in China. Den Entschluss zur Teilnahme am Stadionwettbewerb fassten sie ziemlich spontan während einer Chinareise. In ihren Analysen und vor allem in ihren Projekten für China kam die Faszination für geregelt ungeregelte Muster zum Ausdruck, wie sie für Gitter, Steinteilungen und anderes Verwendung fanden und finden. Bekannt ist wahrscheinlich „cracked ice“ (gesprungenes Eis), ausgehend von dem Rissemuster, das die Eisfläche in einem Teich nach Tauwetter annimmt. Einen derartigen bildhaften Eindruck wollten die Entwerfer in ihr Bauwerk übertragen, wie sich damals in der genannten Ausstellung gut nachvollziehen ließ.

Dass aber im Inneren des Gitters aus sicher 2,5 mal 2,5 Meter messenden stählernen Kastenträgern räumlich äußerst spannende Konfigurationen des Halb-Drin, Halb-Draußen entstehen würden, ließ sich nur durch intensive Vorstellungsarbeit erahnen. Denn von außen sichtbar ist die luftige Hülle, die den eigentlichen Stadionkern großräumig umfasst. Sie verleiht dem Bauwerk jene Leichtigkeit, die zum Überleben des Vogelnest-Bildes mitgeholfen haben mag, auch wenn angesichts der realen Dimensionen im Bauwerk niemand mehr an ein Nest denken wird. Dies hindert gewisse Journalisten nicht – diesmal von „Spiegel Online“ –, deren Unkenntnis sich auch daran erweist, dass sie Rem Koolhaas als Mitarchitekten nennen, von einem Koloss zu schreiben, was nun wirklich weit daneben ist. Denn selbst wenn „Koloss“ ein klarer Begriff ist, da die architektonische Aussage falsch ist, nützt dies gar nichts.

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