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Eine Ökostadt an den Ufern des Ebro
Neue Zürcher Zeitung

Die Expo 2008 in Saragossa setzt das Thema Wasser auch architektonisch um

Der verantwortungsvolle Umgang mit der Ressource Wasser ist von weltweiter Bedeutung. Ein klug gewähltes Thema mithin für die internationale Ausstellung, mit der sich die Ebro-Stadt Saragossa ins Gespräch bringen will. Ihr Erneuerungswille findet auf dem Expo-Gelände in einer Windung von Spaniens wasserreichstem Fluss auch architektonisch Ausdruck.

23. Juni 2008 - Markus Jakob
Wenig mehr als ein Feldlager, am Ebro-Ufer aus strategischen Gründen errichtet, war das römische Caesaraugusta, dessen Name sich zum kastilischen Zaragoza abgeschliffen hat. Und etwas von einer riesigen Kaserne haftet laut bösen Zungen der 660 000 Einwohner zählenden Stadt noch heute an. Oder sollte man in ihr das Gegenbild jener ausgestorbenen Dörfer Aragoniens sehen, deren einstige Bewohner sich hier nun mit Einwanderern aus aller Welt mischen? Reizlos als städtischer Körper, weder anmutig noch herb im Charakter, dumpf eher als beschwingt erscheint Saragossa, in dessen Gassen aufputschende Wirkstoffe schwach dosiert sind. Nicht dass die 1808 durch napoleonische Truppen schwer in Mitleidenschaft gezogene Stadt der architektonischen Pracht oder charmanter Winkel ganz entbehrte; doch eine gewisse Vierschrötigkeit kennzeichnet selbst die in jüngerer Zeit erfolgte Erneuerung so repräsentativer Stadträume wie der Plaza del Pilar und der Avenida de la Independencia.

Profane und pharaonische Pläne

So ist Saragossa unter Spaniens Grossstädten das Aschenbrödel nicht allein deshalb, weil ihm die andern zuvorgekommen sind beim Versuch, sich international zu profilieren. Ob die Expo 2008 daran etwas zu ändern vermag? Wirtschaftlich hat der Aufschwung schon vor längerer Zeit eingesetzt, die Region gehört zu den wohlhabendsten des Landes. Nur scheinbar ein blinder Fleck auf der iberischen Landkarte, nimmt die Stadt heute die einst von den Römern erkannten Vorteile ihrer Lage wahr. Halbwegs zwischen der katalanischen Küste und dem Zentrum der Halbinsel, zwischen der Levante und dem Golf von Biskaya im Fadenkreuz der vier dynamischsten Regionen Spaniens gelegen, ist sie dank neuen, schnellen Verkehrsverbindungen ein attraktiver Standort. Madrid und Barcelona sind per Bahn in anderthalb Stunden erreichbar, Valencia und Bilbao liegen im Umkreis von 300 Kilometern, und jenseits der Grenze sind Toulouse und Bordeaux nicht allzu fern.

Die erste diese Voraussetzungen nutzende Massnahme war der Bau des Logistikzentrums «Plaza», das dereinst mit zwölf Millionen Quadratmetern eine in Europa unübertroffene Grösse erreichen soll und von dem aus jetzt schon Zara, ein weltweit führender Kleiderhersteller, operiert. Ein zweiter, wesentlich publizitätsträchtigerer Schritt war die Ausrichtung der vor wenigen Tagen eröffneten Expo (NZZ 16. 6. 08). Noch während deren Aufbau kündigte die Regionalregierung ein drittes, wahrlich pharaonisches Projekt an. Es klang so märchenhaft, dass man geneigt war, es für einen Scherz zu halten. Und ein solcher ist das «europäische Las Vegas» wohl auch, das eine Investorengruppe namens International Leisure Development in den Monegros – einer der dürrsten, aber auch faszinierendsten Landschaften Spaniens – zu errichten gedenkt. In den auf www.ild-plc.com zu betrachtenden Computeranimationen hat sich die Steppe östlich von Saragossa in ein blühendes Eden mit Dutzenden von Kasinos und Hotels, mehreren Golfplätzen und Erlebniswelten namens «Pharaoland» und «Spyworld» sowie einer Stierkampfarena und einer Galopprennbahn verwandelt: allerhand für eine Gegend, welche die meisten bisher nur durch das Zug- oder Autofenster wie eine Halluzination wahrnahmen.

Vor den Augen geflimmert haben muss es auch Aragoniens Politikern, die sich freudig zur Finanzierung der nötigen Infrastrukturen bereit erklärten: der Erschliessung ebenso wie der Wasserversorgung für die 25 Millionen spielfreudigen Besucher, welche die Promoter bald schon jährlich in die Halbwüste zu locken verheissen. (Zum Vergleich: 2007 lag Saragossa unter Spaniens Flughäfen mit 500 000 Passagieren auf dem dreissigsten Rang.) Rund 17 Milliarden Euro ist das Konsortium mit Sitz in Jersey angeblich in die architektonische Kitschorgie namens «Gran Scala» zu investieren gewillt. Bisher hat es jedoch noch nicht einmal die Bürgschaft von 20 Millionen aufgebracht, und das Ganze dürfte sich über kurz oder lang als Schaumschlägerei erweisen. Peinlicher als ihre Blauäugigkeit den Finanzjongleuren gegenüber ist die Begeisterung, mit der die politisch Verantwortlichen ein Projekt aufnahmen, das allen Grundsätzen Hohn spricht, die sie gerade anlässlich der Expo 2008 zu predigen nicht müde werden. Deren Motto nämlich lautet: «Wasser und nachhaltige Entwicklung».

Neue Ufer – neue Achsen

Wie bei derlei Grossveranstaltungen üblich, verwischt auch bei der Expo in Saragossa der temporäre Tingeltangel die urbanistischen Strategien, auf welche die Planer nebst dem kurzfristigen Imagegewinn für die Stadt gesetzt haben. Es soll ja hier – anders als etwa nach der Weltausstellung 1992 in Sevilla – nicht lediglich ein abgeräumter Rummelplatz zurückbleiben. Vorbild war in dieser Hinsicht eher Barcelona, das die Olympischen Spiele 1992 unter anderem für seine Öffnung zum Meer nutzte und diese Jahre später in der einstigen Schmuddelecke der Stadt mit dem Parc del Fòrum zur Vollendung brachte. Der Anlass dazu – das «Weltkulturforum 2004» – war ein Flop, und die anfänglich skeptische Einwohnerschaft freundete sich mit den neuen, auch neuartigen Stadträumen erst mit der Zeit an.

In Saragossa hingegen dämpft lediglich das manchenorts auch während der Expo anhaltende Bauchaos die durch diese ausgelöste Hochstimmung. Als Schönheitsfehler empfunden wird insbesondere, dass die urbanistische Einbindung des Bahnhofs nicht rechtzeitig zum Abschluss gebracht werden konnte. Dabei wurde die Estación de Delicias schon 2003 eröffnet und bildet den Ausgangspunkt der architektonisch ambitioniertesten Achse, die sich Saragossa seit der klassizistischen, vor 1850 angelegten Avenida de la Independencia zugetraut hat. Der von Carlos Ferrater entworfene Bahnhof darf – Rafael Moneos Atocha-Umbau in Madrid und die nach den Plänen von Cruz & Ortiz in Sevilla realisierte Estación de Santa Justa in Ehren – als das eindrücklichste bisher für Spaniens Hochgeschwindigkeitsnetz AVE angelegte Gebäude bezeichnet werden. Von aussen ein flacher, weisser Quader, der am westlichen Stadtrand vor den Karsthorizont gestellt wurde, empfängt der neue Bahnhof die Reisenden unter einer aus Dreiecken komponierten Lichtgeometrie, die dank der puristischen Ausstattung der Halle fabelhaft zur Geltung kommt.

Chaotisch wirkt hingegen derzeit noch die unmittelbare Umgebung. Doch kann man sich nun über das Baugetümmel, über Autobahnen, Besucherparkplätze und den Ebro hinweg per Gondelbahn direkt zu einem der drei Expo-Eingänge unweit der 76 Meter hohen Torre del Agua befördern lassen. Dieser gläserne Turm bildet den Abschluss der auch zu Fuss leicht zu bewältigenden, zum und durch das Ausstellungsgelände führenden Achse, als deren emblematisches Mittelstück die Pavillonbrücke von Zaha Hadid fungiert: zwiespältiges Wahrzeichen der Expo und der erneuten Zuwendung Saragossas zu seinem Fluss.

Froschkönige im Ebro-Mäander

Der Meandro de Ranillas – zu Deutsch: der Mäander der Frösche – umfliesst eine gut zwei Kilometer westlich des Stadtzentrums gelegene Halbinsel, deren Wahl zum Expo-Gelände nicht unumstritten war. Als eigentliches Ausstellungsareal zur Überbauung freigegeben wurden lediglich 25 Hektaren des stadtnahen Naturraums. Auf rund vier Fünfteln der Fläche schaffen neue Park- und Uferanlagen, sequenzartig gestaltet von bestens ausgewiesenen Landschaftsarchitekten wie Iñaki Alday, Margarita Jover und Christine Dalnoky, dem Grünmanko der Stadt Abhilfe. Darüber hinaus verbinden sie die Stadt mit dem Fluss und klären die auf der Nordseite des Ebro besonders prekäre und verworrene Stadtentwicklung.

Der besseren Anbindung Saragossas an das privilegierte Südufer dienen zunächst drei neue Brücken. Zwischen den zuvor isolierten Stadtteilen La Almozara und El Actur überspannt nun eine Fussgängerpasserelle den Ebro, und weiter westlich erschliesst der Puente del Tercer Milenio – ein spätes Hauptwerk des grossen Brückenbauers Juan José Arenas – die Halbinsel für den Fahrverkehr. Zwischen diesen beiden Übergängen konnte Zaha Hadid ihr Brückenprojekt ausführen. Ihr Puente Pabellón ist zugleich Spaniens erste gedeckte Brücke. Wie blendend sie ihre Bestimmung zum baukünstlerischen Bravourstück der Expo erfüllt, darf diskutiert werden. Auf jeden Fall ist sie das Resultat eines konstruktiven Kraftakts, trägt doch ein einziger Betonpfeiler das 270 Meter lange, zwischen 8 und 30 Meter breite Gehäuse. Südseitig ist dessen «Landnahme» eleganter geglückt als am gegenüberliegenden Ufer, an dem die fliessenden Formen – Hadids obsessives Anliegen – ein etwas abruptes Ende finden. Unterwegs in drei «Kelche» sich verzweigend, evoziert die Struktur aufgrund ihrer schuppenartigen Metallverkleidung einen janusköpfigen Fisch, der seine Mäuler in parabolischen Dreiecken aufsperrt, um die Besuchermassen zu verschlingen. Im Innern der Brücke mutet Hadid den Besuchern zunächst ein ungewohntes Höhlenerlebnis zu, ehe sie ihnen nach dem Gang über die ins Obergeschoss führenden Rampen vereinzelte Ausblicke auf den Fluss gestattet. Introvertiert und die 7000 Tonnen nicht verhehlend, die es wiegt, konnte «Zahas verteufeltes Puzzle», wie es der Expo-Leiter Roque Gistau genannt hat, mit knapper Not termingerecht zu Ende gebracht werden. Als einer der drei Expo-Zugänge nimmt die Pavillonbrücke nun zunächst eine Ausstellung auf, deren Thematik – der verantwortungsvolle Umgang mit der beschränkten Ressource Wasser – den Besuchern in der Folge noch auf tausenderlei Weise nahegebracht wird.

Baulich findet die vom Delicias-Bahnhof über die Hadid-Passerelle führende Achse auf der Halbinsel ihre Fortsetzung im Kongresszentrum der Madrider Architekten Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano. Gleichfalls ein metallverkleideter Körper, spricht er formal doch eine ganz andere Sprache: Während sich bei Hadid das Dreieck als strukturelles Grundelement in sanfte Kurvaturen auflöst, wird hier das unregelmässig gezackte Profil des langgestreckten Volumens trotz seiner bescheidenen Höhe als Skyline lesbar, deren Schlussakkord die schon erwähnte Torre del Agua setzt. Noch harmonischer wirkt diese Architektur bei Nacht, wenn das kunstvolle Gitterwerk der Kongresshaus-Fassade schimmernd zum abschliessenden, rundum verglasten Leuchtturm von Enrique de Teresa überleitet.

Im Innern bildet sich die verspielte Silhouette des Centro de Congresos als bewusst karg ausgestaltete Raumsequenz ab – es sind die Besucher, die diese Bühne beleben sollen. Unter den Expo-Architekten sind Nieto-Sobejano mit dieser Attitüde eine Ausnahme. Sie gehören übrigens auch zu den wenigen, die sich ihr Projekt durch keinerlei vom Ausstellungsthema inspirierte Metaphern verwässern liessen.

Die Gestalt der benachbarten Torre del Agua, die sich aus ihrem tropfenförmigen Grundriss ergab, ist gewiss attraktiv; besonders praktisch aber ist sie leider nicht. Der aus der Ferne scharf konturierte Glasturm erscheint beim Näherkommen zusehends immaterieller; bis sich auch die zwanzig Geschosse, die seine Brisesoleil-Umkränzung vorgaukelt, im Innern als Illusion erweisen. In Wirklichkeit ist es vorläufig ein durch ein einziges Zwischengeschoss unterteilter Hohlraum, beherrscht von zwei entsprechend gigantischen, selbstverständlich aquatischen Motiven verpflichteten künstlerischen Beiträgen. Die umlaufende Rampe, über die man das Aussichtsdach erwandert, soll zwei Kilometer messen. Dennoch wird der Bau – eventuell auf 90 Meter aufgestockt, gewiss aber auch horizontal unterteilt – künftig der Gegenwartskunst Raum bieten, der Saragossa anders als manch kleinere spanische Provinzkapitale bisher die kalte Schulter zeigte.

Cool ist anders

Mit einem Schulterzucken hat die Kritik die Torre del Agua aufgenommen. Und während der Kongressbau von Nieto-Sobejano und Zaha Hadids Brücke von Spaniens Fachwelt eher kühl betrachtet wurden, erkor diese den spanischen Pavillon von Francisco Mangado zur eigentlichen Ikone der Expo. Das Renommee des aus Navarra stammenden Architekten beruhte bisher einzig auf der Vernünftigkeit seiner Bauten. Als unfreiwilliger Gegenspieler von Zaha Hadid triumphiert er nun auf deren ureigenem Feld. Hie eine liegende Gladiole, da ein aus dunklen Teichen aufragender Pappelhain: Jenseits aller Geschmacksfragen ist Mangados Entwurf, eben weil er ein ebenso einprägsames Bild schafft, mit Hadids Pavillonbrücke zu vergleichen. Auch wenn man Mangados hinter einem Wald schlanker, keramikumhüllter Säulen verborgenen Glaspavillon trotz seiner scharfkantigen Form als Kitsch betrachten kann, so führt er doch vor, wie Räume ohne energieverschwenderische Klimaanlagen um etliche Grade gekühlt werden können.

Selbstverständlich findet man an der Expo 2008 ein ganzes Sortiment an Lösungen für dasselbe Problem. So rühmen sich die fünf unter der Regie der Katalanen Batllé-Roig entworfenen «plazas temáticas» genauso ihrer nachhaltigen, auch Aussenräume kühlenden Systeme wie das einem Tonkrug nachempfundene, aber absurderweise «Leuchtturm» genannte Gebilde, in dem über 300 Nichtregierungsorganisationen ihre Anliegen verbreiten. Mit Wasser, das auf ein als Projektionsfläche dienendes Dachsegel plätschert, wird auch der Schweizer Pavillon «natürlich» temperiert. Mit Afghanistan hat die Schweiz übrigens einen interessanten Nachbarn erhalten, weil topografische Verwandtschaften unter den einheitlichen Dächern, unter denen über hundert Staaten und die dreizehn autonomen Regionen Spaniens ihren pfleglichen Umgang mit dem kostbaren Gut inszenieren, den Vorrang vor ihrer geografischen Nähe hatten.

Dass die USA und Grossbritannien auf eine Teilnahme verzichteten, glaubt die Expo dank der starken, als zukunftsträchtiger erachteten asiatischen Präsenz verschmerzen zu können. In technologischer Hinsicht setzt gleichwohl das Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit seinen «digital water walls» das Highlight, während die Schweiz konsequent dem Understatement huldigt. Gewiss nicht die übelste Option in einem Umfeld, in dem sich die aragonesischen Gastgeber in Gestalt eines sechsgeschossigen schwebenden Flechtkörbchens präsentieren (Entwurf: Daniel Olano), auf dem aufblasbare Feigen und Pfirsiche aus Plastic für Stimmung sorgen, bevor auch dieses Bauwerk seinem Endzweck als Sitz einer Lokalbehörde zugeführt wird. Die architektonisch belanglose Hülle der Länderpavillons soll künftig als Business-Park vermarktet werden. An die ewige Wasserproblematik wird man sich dann wohl auch hier nur erinnern, wenn der Ebro – wie eben dieser Tage – über die Ufer zu treten droht oder aber die Stadt als beunruhigend spärliches Rinnsal durchfliesst. Denn Saragossa fühlt sich seit je als Verwalterin der Wasserreserven eines durch sein extremes hydrografisches Ungleichgewicht gekennzeichneten Landes, das gerade in dieser Hinsicht freilich auch ein verkleinertes Abbild der Erde ist.

[ Die Expo Zaragoza 2008 dauert bis 14. September. Informationen zu den rund 3000 programmierten «Spektakeln» und Kolloquien: www.expozaragoza2008.es. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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