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Grüne Daumen
Der Standard

Community Gardens sind Werkzeuge der Stadtreparatur von unten und der Integration - und damit zwar bei den Bewohnern gern gesehen, nicht aber bei vielen Stadtverwaltungen.

16. August 2008 - Robert Temel
Loisaida (der puertoricanische Name für Lower East Side) in Manhattan, Anfang der 1970er-Jahre. Wo früher mit „Kleindeutschland“ die erste nichtenglischsprachige ethnische Enklave der USA bestand und sich Ende des 19. Jahrhunderts die jüdisch-osteuropäische Lower East Side entwickelte, leben mittlerweile vor allem Immigranten aus Lateinamerika. Die Steuerkrise führt in New York zum Stadtverfall, der sich hier besonders deutlich bemerkbar macht. Die verlassenen Grundstücke in der Alphabet City, wie das Gebiet wegen der Avenues A, B, C und D auch genannt wird, fallen ins Eigentum der Stadt und werden Anziehungspunkte für Drogen, Prostitution und Verbrechen. Das Viertel liefert den Hintergrund für Martin Scorseses Film „Taxi Driver“. Oder, dieselbe Geschichte aus anderer Perspektive erzählt: Die Politik der „spatial deconcentration“ (Reduktion der Bewohnerdichte in innerstädtischen Armenvierteln) nach den „Rassenunruhen“ der 1960er-Jahre lässt in überbevölkerten Nachbarschaften verlassene Polizeistationen, aufgegebene Banken und zum Versicherungsbetrug abgebrannte Gebäude zurück. Zwischen den bewohnten Häusern gibt es mehr und mehr ungenützte Grundstücke, die zu Müllhalden werden.

Green Guerillas

1973 gründen die Künstlerin Liz Christy und einige ihrer Nachbarn die Gruppe „Green Guerillas“ und starten den ersten „Community Garden“ an der Ecke Bowery und Houston Street, indem sie ein leerstehendes städtisches Grundstück besetzen, reinigen und zu bepflanzen beginnen. Der Garten besteht trotz aller Kämpfe bis heute. Die Initiative fand mittlerweile Nachahmer in ganz Manhattan, in den anderen vier Stadtteilen von New York und in vielen Städten in den USA und in Europa. Die Gärten entstehen meist in Migrantenvierteln, wo der offizielle Gestaltungsdruck durch die Kommunen nicht sehr groß ist. Ziel der Initiatoren ist es einerseits, Treffpunkte in der Nachbarschaft zu bieten, wo man sich erholen und Gemüse anbauen kann - und andererseits geht es darum, die Viertel für ihre Bewohner aufzuwerten, Müllabladeplätze in grüne Oasen zu verwandeln. Die insgesamt mehr als sechzig Gärten der Lower East Side werden von Nachbarschaftsgruppen geführt. Wenn einer der Betreiber anwesend ist, ist der Garten zugänglich, zumeist abends und am Wochenende. Weil es sich hier jedenfalls in der Vergangenheit um ein sehr armes Viertel handelte, wurde viel mit Recycling gearbeitet. Pergolen, Lauben und Zäune entstanden aus vorgefundenem Material, Möbelteile und Plastikspielzeug wurden in die Gestaltungen integriert. Mit dem Zuzug besser verdienender Bewohner ändert sich das nun, die Gärten werden konventioneller und teurer.

Kampf ums Grün

Ende der 1970er-Jahre versucht die Stadt New York, die Bewegung in geordnete Bahnen zu lenken und gründet die „Operation Green Thumb“ zur Vermittlung. Die Gartengruppen erhalten Pachtverträge für jeweils ein Jahr um einen Dollar, müssen aber anerkennen, dass die Grundstücke im städtischen Besitz stehen und anders genutzt werden könnten. Das sollte sich rächen: Mitte der 1990er-Jahre kommt der Immobilienboom. Es wird wieder interessant, in heruntergekommenen, innenstadtnahen Vierteln wie Loisaida zu bauen. Der neue Bürgermeister Rudolph Giuliani steht aufseiten der Immobilienindustrie. Jahrzehntealte Community Gardens werden an Private verkauft und vernichtet, obwohl es viele tausend ungenützte Grundstücke im Eigentum der Stadt gibt - nur um die Gartenbewegung zu treffen. Wie Giuliani sagt: „Nur wenn man in einer unrealistischen Welt lebt, kann man sagen, überall sollen Community Gardens sein.“ In Loisaida werden es jedenfalls weniger. Das Viertel wird „gentrifiziert“, das heißt die Mieten steigen, die arme Bevölkerung zieht aus und wird durch reichere Schichten ersetzt, die vom Pittoresken der Alphabet City angezogen werden, das nun nach und nach verschwindet. Die neue Bevölkerung bildet den Anreiz, neue Wohnhäuser zu bauen. Doch Widerstand gegen die Gartenzerstörung formiert sich, unter anderem mithilfe der Schauspielerin Bette Midler, deren „New York Restoration Project“ hundert Grundstücke von der Stadt kauft, um sie als Community Gardens erhalten zu können. Unter Giulianis Nachfolger Michael Bloomberg kann schließlich 2002 eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung gefunden werden: Mehr als 500 der New Yorker Gärten werden geschützt, während etwa 150 von ihnen sozialem Wohnbau Platz machen müssen.

Hartz-IV-Mallorca

Bereits lange zuvor beginnen ähnliche Initiativen, auch in Europa aktiv zu werden. Am Alten Kontinent gibt es bisher weder das Ausmaß von Stadtverfall wie in den USA noch die große Zahl verlassener Grundstücke. Doch auch hier entwickeln sich Garteninitiativen in Migrantenvierteln. Eines der ältesten Projekte ist „Park Fiction“ im Hamburger Viertel St. Pauli: Eine Gruppe von Bewohnern, darunter etliche Künstler, will 1995 die Bebauung eines Grünbereichs am Elbufer verhindern, stattdessen soll dort ein Park entstehen. Die Gruppe startet einen „parallelen Planungsprozess“ zusätzlich zum offiziellen Bebauungsplan, der Wohn- und Bürobauten vorsieht. Geschickt werden der Kunstbetrieb ebenso wie die Stadtpolitik genützt, um das Projekt eines öffentlichen Parks voranzutreiben, sogar eine Präsentation bei der Documenta in Kassel findet statt. 2005, nach zehn Jahren Kampf, ist es schließlich so weit: Park Fiction ist nicht mehr Fiktion, sondern als Antonipark Realität.

Auch in Europa gibt es Garteninitiativen, die von Bewohnern selbst umgesetzt werden, etwa in London, Paris und Berlin. Ein Modell, das in vielen Städten Nachahmer findet, sind die „interkulturellen Gärten“, gestartet in Göttingen Mitte der 1990er-Jahre, zur Zeit des Bosnienkriegs. Die Gärten bestehen eher aus Gemüsebeeten als aus Erholungsflächen, und sie befinden sich nicht unbedingt in innerstädtischen Lagen. Sie sollen Kriegsflüchtlingen ein gewisses Maß an Selbstversorgung erlauben, ihnen die Möglichkeit bieten, aktiv zu werden, und als Begegnungsstätte zwischen Einheimischen und Migranten dienen. Das Konzept breitet sich über ganz Deutschland und Österreich aus, heute gibt es viele Dutzend solcher Gärten. Mittlerweile sind auch Gruppen in Graz und in Wien tätig. In Wien besteht der sogenannte Yppengarten in Ottakring - kein besetzter Privatgrund, sondern in einem städtischen Park angelegt. Und mit den Gärten werden auch die Kämpfe nach Europa exportiert: In Friedrichshain, einem der dichtesten Berliner Bezirke, wandelten Bewohner vor vier Jahren einige langjährig ungenützte, vermüllte Grundstücke in den Nachbarschaftsgarten „Rosa Rose“ um, der im vergangenen März geräumt wurde, weil dort jetzt gebaut werden soll. Die Gärten helfen, Stadtviertel aufzuwerten, in denen dadurch der Bebauungsdruck steigt und die begrünten, halblegal der Öffentlichkeit zugänglichen Grundstücke somit wieder dem privaten Immobilienmarkt zugeführt werden.

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