Artikel
Fata Morgana der Moderne
Bagdads moderne Architektur in einer Ausstellung in Barcelona
22. August 2008 - Markus Jakob
Wie, wenn nicht mit Bitternis, nimmt man heute zur Kenntnis, welch eine Stadt Bagdad einst aus sich machen wollte? Eine von Pedro Azara kuratierte Ausstellung des katalanischen Architektenverbandes veranschaulicht dies mit präzis gewählten Dokumenten und einem Dutzend eigens dafür gefertigten Modellen, ergänzt durch einen exzellenten Katalog. Dem Vergessen entrissen wird in erster Linie das Wirken des 1950 geschaffenen Development Board, der auf Initiative des irakischen Architekten Rifat Chadirji einige der renommiertesten Baukünstler der Zeit nach Bagdad einlud. Ein dezidiert auf die Symbolkraft der Architektur setzendes Vorhaben, sollten doch sieben Meister der Moderne ebenso vielen Kultur- und Lebensbereichen architektonische Form verleihen: Alvar Aalto der Kunst, Frank Lloyd Wright der Musik, Le Corbusier dem Sport, Walter Gropius dem Wissen, Willem Marinus Dudok der Justiz, Constantino Doxiadis dem Wohnen und Gio Ponti dem Ministerium für Planung und Entwicklung. Pontis aus zwei gegensätzlichen Volumen komponiertes Monument wurde 2003 im Irak-Krieg stark beschädigt.
Die Baugeschichte der sieben Projekte erweist sich als höchst unterschiedlich. Wie ein Fatum erscheint die Tatsache, dass für jeden der sieben Architekten der Bagdader Entwurf der letzte seiner Laufbahn war. Sollte die Moderne ihren Schwanengesang im Irak angestimmt haben? Als der 90-jährige Frank Lloyd Wright 1957 den Auftrag für das Musiktheater erhielt, lieferte er ungebeten – offenbar aus Faszination für eine Stadt, die er zunächst für Babylon hielt – eine ganze Reihe von Plänen für weitere Kulturbauten, Park- und Uferanlagen ab. Sie blieben genauso Papier wie das Opernhaus, das auf einer Insel im Tigris die ihm fast heilig gewordene Zikkuratform abwandelt – wie sein damals im Bau befindliches Guggenheim Museum.
Der Staatsstreich, bei dem 1958 der junge König Faisal II. gestürzt und getötet wurde, vereitelte nicht nur Wrights Projekte. In den Machtkämpfen der folgenden Jahre erlahmte der Erneuerungselan, Verwestlichungstendenzen wurden abgewürgt. Zu Aaltos Museum wurde nie auch nur der Grundstein gelegt. Gropius konnte zu Lebzeiten immerhin das zentrale Hochhaus seines Universitätsviertels vollenden, und in seinen Grundzügen trägt der mittlerweile grösste Campus des Nahen Ostens noch immer seine Handschrift. Hingegen ist unter den Zehntausenden von Wohnungen, die der griechische Urbanist Doxiadis im Irak plante, gerade sein Musterquartier für Bagdad kein Glücksfall: Sadr City wurde zum Inbegriff der Gewalttätigkeit. Und von Le Corbusiers ein 50 000-plätziges Stadion einschliessendem Sportkomplex haben selbst manche Kenner seines Werks noch nie gehört, obwohl Teile davon von seinem Partner George Marc Présenté realisiert wurden – ein Vierteljahrhundert nach Aufnahme der Planung.
Denn um 1980, nun unter dem Regime Saddam Husseins, wurde Bagdad von einer neuen, freilich bald wieder in Kriegswirren sich verlaufenden Welle urbanistischer Ambitionen erfasst, auch diesmal unter Beiziehung schillernder Namen wie Robert Venturi und Ricardo Bofill. Rivalen im Wettbewerb für die bis heute ungebaute grösste Moschee der Welt, führten sie die Postmoderne schliesslich in den irakischen Wohnungs- und Geschäftsbau ein.
Die Ausstellung versäumt es nicht, neben Bofills Projekten ein Werk eines andern einst in den Irak berufenen Sohns Barcelonas zu präsentieren. José Luis Serts 1959 vollendete amerikanische Botschaft ist heute wohl das tristeste architektonische Wahrzeichen Bagdads. Während die USA bereits ihre übernächste, durch keinerlei baukünstlerische Ansprüche sich auszeichnende Botschaftsfestung errichten, ist Serts zwischendurch von Saddam Hussein als Empfangspalais genutztes, später durch amerikanische Bomben beschädigtes Baujuwel eine verlassene Ruine.
Ein merkwürdiges, spiegelverkehrtes Pendant zu Bagdads verlorenen Idealen ist derzeit, nur einige Schritte vom COAC entfernt, im barcelonesischen Stadtgeschichtsmuseum zu entdecken. Denn aus der Erinnerung verdrängt wurden nicht nur die nahöstlichen Architekturvisionen, sondern ebenso das Elend der Einwanderer in Barcelonas Slums, in welchen in denselben fünfziger und sechziger Jahren bis zu 200 000 Menschen hausten. Unter dem Titel «Barraques. La ciutat informal» werden erstmals ihre Lebensbedingungen in den Bidonvilles dokumentiert, die sich den heute von den skulpturalen Körpern der Euro-Jugend überfüllten Stränden entlangzogen und in kaum mehr vorstellbarem Ausmass andere Stadtlücken, selbst den späteren Olympiaberg Montjuïc, überzogen. Ziemlich perplex lässt einen der Vergleich der seitherigen Geschicke und Entwicklungen der beiden Städte zurück.
[ Die Bagdad-Ausstellung ist bis zum 13. September im COAC Barcelona zu sehen, anschliessend in Madrid. Katalog: Bagdad. Ciudad del espejismo (spanisch, französisch, englisch). Hrsg. Pedro Azara, UPC Barcelona 2008. 368 S., € 30.–. Die Ausstellung «Barraques. La ciutat informal» im Museu d'Història de la Ciutat dauert bis zum 22. Februar 2009. ]
Die Baugeschichte der sieben Projekte erweist sich als höchst unterschiedlich. Wie ein Fatum erscheint die Tatsache, dass für jeden der sieben Architekten der Bagdader Entwurf der letzte seiner Laufbahn war. Sollte die Moderne ihren Schwanengesang im Irak angestimmt haben? Als der 90-jährige Frank Lloyd Wright 1957 den Auftrag für das Musiktheater erhielt, lieferte er ungebeten – offenbar aus Faszination für eine Stadt, die er zunächst für Babylon hielt – eine ganze Reihe von Plänen für weitere Kulturbauten, Park- und Uferanlagen ab. Sie blieben genauso Papier wie das Opernhaus, das auf einer Insel im Tigris die ihm fast heilig gewordene Zikkuratform abwandelt – wie sein damals im Bau befindliches Guggenheim Museum.
Der Staatsstreich, bei dem 1958 der junge König Faisal II. gestürzt und getötet wurde, vereitelte nicht nur Wrights Projekte. In den Machtkämpfen der folgenden Jahre erlahmte der Erneuerungselan, Verwestlichungstendenzen wurden abgewürgt. Zu Aaltos Museum wurde nie auch nur der Grundstein gelegt. Gropius konnte zu Lebzeiten immerhin das zentrale Hochhaus seines Universitätsviertels vollenden, und in seinen Grundzügen trägt der mittlerweile grösste Campus des Nahen Ostens noch immer seine Handschrift. Hingegen ist unter den Zehntausenden von Wohnungen, die der griechische Urbanist Doxiadis im Irak plante, gerade sein Musterquartier für Bagdad kein Glücksfall: Sadr City wurde zum Inbegriff der Gewalttätigkeit. Und von Le Corbusiers ein 50 000-plätziges Stadion einschliessendem Sportkomplex haben selbst manche Kenner seines Werks noch nie gehört, obwohl Teile davon von seinem Partner George Marc Présenté realisiert wurden – ein Vierteljahrhundert nach Aufnahme der Planung.
Denn um 1980, nun unter dem Regime Saddam Husseins, wurde Bagdad von einer neuen, freilich bald wieder in Kriegswirren sich verlaufenden Welle urbanistischer Ambitionen erfasst, auch diesmal unter Beiziehung schillernder Namen wie Robert Venturi und Ricardo Bofill. Rivalen im Wettbewerb für die bis heute ungebaute grösste Moschee der Welt, führten sie die Postmoderne schliesslich in den irakischen Wohnungs- und Geschäftsbau ein.
Die Ausstellung versäumt es nicht, neben Bofills Projekten ein Werk eines andern einst in den Irak berufenen Sohns Barcelonas zu präsentieren. José Luis Serts 1959 vollendete amerikanische Botschaft ist heute wohl das tristeste architektonische Wahrzeichen Bagdads. Während die USA bereits ihre übernächste, durch keinerlei baukünstlerische Ansprüche sich auszeichnende Botschaftsfestung errichten, ist Serts zwischendurch von Saddam Hussein als Empfangspalais genutztes, später durch amerikanische Bomben beschädigtes Baujuwel eine verlassene Ruine.
Ein merkwürdiges, spiegelverkehrtes Pendant zu Bagdads verlorenen Idealen ist derzeit, nur einige Schritte vom COAC entfernt, im barcelonesischen Stadtgeschichtsmuseum zu entdecken. Denn aus der Erinnerung verdrängt wurden nicht nur die nahöstlichen Architekturvisionen, sondern ebenso das Elend der Einwanderer in Barcelonas Slums, in welchen in denselben fünfziger und sechziger Jahren bis zu 200 000 Menschen hausten. Unter dem Titel «Barraques. La ciutat informal» werden erstmals ihre Lebensbedingungen in den Bidonvilles dokumentiert, die sich den heute von den skulpturalen Körpern der Euro-Jugend überfüllten Stränden entlangzogen und in kaum mehr vorstellbarem Ausmass andere Stadtlücken, selbst den späteren Olympiaberg Montjuïc, überzogen. Ziemlich perplex lässt einen der Vergleich der seitherigen Geschicke und Entwicklungen der beiden Städte zurück.
[ Die Bagdad-Ausstellung ist bis zum 13. September im COAC Barcelona zu sehen, anschliessend in Madrid. Katalog: Bagdad. Ciudad del espejismo (spanisch, französisch, englisch). Hrsg. Pedro Azara, UPC Barcelona 2008. 368 S., € 30.–. Die Ausstellung «Barraques. La ciutat informal» im Museu d'Història de la Ciutat dauert bis zum 22. Februar 2009. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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