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Pochende Herzen, bescheidene Träume
Heute öffnet in Venedig die 11. Architekturbiennale ihre Tore. Unter dem Motto «Architecture Beyond Building» stellt sie Experimente und Visionen vor, am eindrücklichsten mit klaren Gesten.
13. September 2008 - Gerhard Mack
Was ist unser Raum? Ist es das Universum oder der Körper? Oder sind es die Bilder, die wir uns von der Welt um uns herum machen? Im ersten Saal der Hauptausstellung der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig empfängt eine Passage aus zwei gekurvten Leinwänden die Besucher. Darauf lassen David Rockwell, Casey Jones und Reed Kroloff Lichtpunkte durchs Dunkel sausen. Feine Linien spannen Verbindungen zwischen ihnen auf. Manchmal scheinen darin Kristallformen und Bilder auf. Der Raum, der auf diese Weise entsteht, ist nie fassbar, aber er ist als eine Energie gegenwärtig, die Grenzen setzt und Rahmen bildet, in denen unsere Vorstellung sich bewegt.
Diese virtuelle Welt hat Aaron Betsky, der Leiter der 11. Architekturbiennale von Venedig, wohl gemeint, als er im Vorfeld dekretierte: «Bauten sind nicht genug, sie sind das Grab der Architektur.» Als er statt konkreter Entwürfe und realisierter Gebäude «Architektur-Experimente», «Visionen anderer Welten» und «verführerische Bilder» forderte. Während vor zwei Jahren in Venedig Probleme der Megacitys, Folgen der Globalisierung und Lösungsansätze im Vordergrund standen, sollen nun Impulse, Anregungen und Arbeitsweisen besichtigt werden, mit denen Architekten auf die Fragen der Gegenwart reagieren. Nach der schweren Kost der Stadtplanung in den zusammenbrechenden Riesenstädten durfte man einen Hauch Utopie und Spiel erwarten, einen Tagtraum, aus dem neue Kräfte erwachsen.
Was manche Stars der Szene in solchen Momenten der Freiheit entwickeln, überrascht dann allerdings durch Harmlosigkeit. Die Wiener Coop Himmelb(l)au fordern die Besucher auf, unter eine Haube zu treten und die Hände an zwei Griffe zu legen. Der eigene Herzschlag dröhnt durch den Raum und wird auf Screens in Farbfolgen übersetzt. So raumgreifend war das eigene Herz noch nie zu erfahren. Das ist gewiss eindrücklich, und es ist auch richtig, dass wir unseren Körper zum Ausgangspunkt nehmen sollten, wenn wir bauen. Doch ist diese Erkenntnis angesichts des technischen Aufwands durchaus bescheiden.
Zentral: Nachhaltigkeit
Noch weniger geben Beiträge her, die kaum mehr als gekonntes Design anbieten. Zaha Hadid hat eines ihrer futuristischen Möbel aufgestellt, das Schreibtisch, Bett, Regal und Raumteiler zugleich sein will. UN Studio variiert das Prinzip der Endlosschlaufe zu einem riesigen Objekt für zwei kleine Projektionen. Und der Italiener Massimiliano Fuksas verstellt ein ganzes Kompartiment der langen Halle im ehemaligen Arsenale mit drei grünen Würfeln, aus denen lediglich drei Projektionen mit Alltagsszenen einer Familie hervorleuchten. Dass das, was diese konsumiert, am Ende einen Abfallberg bildet, der Entsorgungsprobleme verursacht, ist im ökologischen Zeitalter keine neue Einsicht.
Gleichwohl ist Nachhaltigkeit ein zentrales Thema dieser Biennale. Und so sinnfällig solche Bilder sein wollen, so unüberschaubar sind die vielen Beiträge, die sich weniger metaphorisch mit Ökologie beschäftigen. Die Dänen machen ihren Pavillon im Vorgriff auf die Weltklimakonferenz der Uno, die 2009 in Kopenhagen stattfindet, zu einem Hightech-Studiensaal in Sachen nachhaltige Entwicklung. Julien de Smedt Architekten entwerfen vertikale Städte, auf deren einzelnen Stockwerken Bäume wachsen. Und Nicola Santi und Pier Paolo Taddei von Avatar wollen «essbare Gebäude» für die Lösung von Ernährungsproblemen nutzen.
Die Sympathie, die man den gut gemeinten Initiativen entgegenbringt, erstickt in einer Flut von Diagrammen, Fotos, Plänen und Texten, die über Wände und Boden wuchern. Wer das lesen soll, droht beim besten Willen zu kapitulieren und auf die Verbesserung der Welt zu verzichten.
So sind denn bei dieser Architekturbiennale auch jene Beiträge am eindrücklichsten, die überschaubare Anliegen mit klaren Gesten vortragen. Die Belgier feiern den 100. Geburtstag ihres Pavillons, indem sie ihn leer räumen und den Boden mit Konfetti bestreuen. So licht war der Bau der einstigen Kolonialmacht noch nie zu sehen. Die Esten legen eine gelbe Röhre durch den Biennale-Park, um daran zu erinnern, dass grosse Infrastrukturen wie die geplante Gaspipeline Nordstream ganze Landschaften und den Alltag der Bewohner verändern. Und die Chinesen zeigen Billigbauprojekte für die Erdbebengebiete in Sichuan.
Eine ganze Reihe von Architekten gestaltet Gärten. Am schönsten Kathryn Gustafson am Ende des Biennale-Parcours: Da folgen ein üppiger Frucht- und Gemüsegarten und ein geometrisches Stück Park mit Sonnensegel aufeinander als eine Einheit aus fruchtbarer und ästhetisch reduzierter Natur. Das Paradiesgärtlein dient als altneuer Sehnsuchtsort. Hier erholt man sich gerne, aber das ist auch ein bisschen einfach, wenn man an den Anspruch dieser Biennale denkt, die Welt neu anzuschauen.
Klare Gesten
Vielleicht ist es nicht erstaunlich, dass das verwirrendste Bild für die gegenwärtige Situation einer Kooperation von Künstler und Architekten entstammt. Ai Weiwei, der chinesische Star der letzten Documenta, und Herzog & de Meuron haben im Hauptsaal des italienischen Pavillons eine Struktur aus Bambusstangen errichtet. Sie ist Gerüst, Raumgitter, Skulptur. Wo die einzelnen Stangen zusammentreffen, bilden Hocker und Stühle Gelenke.
Das ist jahrhundertealtes Handwerk der Facharbeiter, die aus China angereist sind, und zugleich abstrakteste Form, die den Raum eher andeutet als besetzt. Sie ragt wie ein Fragezeichen auf inmitten der Projekte ringsum, die scheinbar wissen, was zu tun ist. Und sie ist ein Bild dafür, dass für die Gestaltung unserer Zukunft alles gefordert ist, was wir zur Verfügung haben, die Tradition ebenso wie die Moderne und der Dialog zwischen Kulturen.
[ Die Architekturbiennale Venedig dauert bis 23. 11. ]
Diese virtuelle Welt hat Aaron Betsky, der Leiter der 11. Architekturbiennale von Venedig, wohl gemeint, als er im Vorfeld dekretierte: «Bauten sind nicht genug, sie sind das Grab der Architektur.» Als er statt konkreter Entwürfe und realisierter Gebäude «Architektur-Experimente», «Visionen anderer Welten» und «verführerische Bilder» forderte. Während vor zwei Jahren in Venedig Probleme der Megacitys, Folgen der Globalisierung und Lösungsansätze im Vordergrund standen, sollen nun Impulse, Anregungen und Arbeitsweisen besichtigt werden, mit denen Architekten auf die Fragen der Gegenwart reagieren. Nach der schweren Kost der Stadtplanung in den zusammenbrechenden Riesenstädten durfte man einen Hauch Utopie und Spiel erwarten, einen Tagtraum, aus dem neue Kräfte erwachsen.
Was manche Stars der Szene in solchen Momenten der Freiheit entwickeln, überrascht dann allerdings durch Harmlosigkeit. Die Wiener Coop Himmelb(l)au fordern die Besucher auf, unter eine Haube zu treten und die Hände an zwei Griffe zu legen. Der eigene Herzschlag dröhnt durch den Raum und wird auf Screens in Farbfolgen übersetzt. So raumgreifend war das eigene Herz noch nie zu erfahren. Das ist gewiss eindrücklich, und es ist auch richtig, dass wir unseren Körper zum Ausgangspunkt nehmen sollten, wenn wir bauen. Doch ist diese Erkenntnis angesichts des technischen Aufwands durchaus bescheiden.
Zentral: Nachhaltigkeit
Noch weniger geben Beiträge her, die kaum mehr als gekonntes Design anbieten. Zaha Hadid hat eines ihrer futuristischen Möbel aufgestellt, das Schreibtisch, Bett, Regal und Raumteiler zugleich sein will. UN Studio variiert das Prinzip der Endlosschlaufe zu einem riesigen Objekt für zwei kleine Projektionen. Und der Italiener Massimiliano Fuksas verstellt ein ganzes Kompartiment der langen Halle im ehemaligen Arsenale mit drei grünen Würfeln, aus denen lediglich drei Projektionen mit Alltagsszenen einer Familie hervorleuchten. Dass das, was diese konsumiert, am Ende einen Abfallberg bildet, der Entsorgungsprobleme verursacht, ist im ökologischen Zeitalter keine neue Einsicht.
Gleichwohl ist Nachhaltigkeit ein zentrales Thema dieser Biennale. Und so sinnfällig solche Bilder sein wollen, so unüberschaubar sind die vielen Beiträge, die sich weniger metaphorisch mit Ökologie beschäftigen. Die Dänen machen ihren Pavillon im Vorgriff auf die Weltklimakonferenz der Uno, die 2009 in Kopenhagen stattfindet, zu einem Hightech-Studiensaal in Sachen nachhaltige Entwicklung. Julien de Smedt Architekten entwerfen vertikale Städte, auf deren einzelnen Stockwerken Bäume wachsen. Und Nicola Santi und Pier Paolo Taddei von Avatar wollen «essbare Gebäude» für die Lösung von Ernährungsproblemen nutzen.
Die Sympathie, die man den gut gemeinten Initiativen entgegenbringt, erstickt in einer Flut von Diagrammen, Fotos, Plänen und Texten, die über Wände und Boden wuchern. Wer das lesen soll, droht beim besten Willen zu kapitulieren und auf die Verbesserung der Welt zu verzichten.
So sind denn bei dieser Architekturbiennale auch jene Beiträge am eindrücklichsten, die überschaubare Anliegen mit klaren Gesten vortragen. Die Belgier feiern den 100. Geburtstag ihres Pavillons, indem sie ihn leer räumen und den Boden mit Konfetti bestreuen. So licht war der Bau der einstigen Kolonialmacht noch nie zu sehen. Die Esten legen eine gelbe Röhre durch den Biennale-Park, um daran zu erinnern, dass grosse Infrastrukturen wie die geplante Gaspipeline Nordstream ganze Landschaften und den Alltag der Bewohner verändern. Und die Chinesen zeigen Billigbauprojekte für die Erdbebengebiete in Sichuan.
Eine ganze Reihe von Architekten gestaltet Gärten. Am schönsten Kathryn Gustafson am Ende des Biennale-Parcours: Da folgen ein üppiger Frucht- und Gemüsegarten und ein geometrisches Stück Park mit Sonnensegel aufeinander als eine Einheit aus fruchtbarer und ästhetisch reduzierter Natur. Das Paradiesgärtlein dient als altneuer Sehnsuchtsort. Hier erholt man sich gerne, aber das ist auch ein bisschen einfach, wenn man an den Anspruch dieser Biennale denkt, die Welt neu anzuschauen.
Klare Gesten
Vielleicht ist es nicht erstaunlich, dass das verwirrendste Bild für die gegenwärtige Situation einer Kooperation von Künstler und Architekten entstammt. Ai Weiwei, der chinesische Star der letzten Documenta, und Herzog & de Meuron haben im Hauptsaal des italienischen Pavillons eine Struktur aus Bambusstangen errichtet. Sie ist Gerüst, Raumgitter, Skulptur. Wo die einzelnen Stangen zusammentreffen, bilden Hocker und Stühle Gelenke.
Das ist jahrhundertealtes Handwerk der Facharbeiter, die aus China angereist sind, und zugleich abstrakteste Form, die den Raum eher andeutet als besetzt. Sie ragt wie ein Fragezeichen auf inmitten der Projekte ringsum, die scheinbar wissen, was zu tun ist. Und sie ist ein Bild dafür, dass für die Gestaltung unserer Zukunft alles gefordert ist, was wir zur Verfügung haben, die Tradition ebenso wie die Moderne und der Dialog zwischen Kulturen.
[ Die Architekturbiennale Venedig dauert bis 23. 11. ]
Textbox: Schweizer Auftritt in Venedig
Die Schweiz überrascht mit einem hintergründigen Beitrag. Die ETH-Lehrer Fabio Gramazio und Matthias Kohler lassen eine 100 Meter lange Wand durch den nüchternen Pavillon schwingen, deren Backsteine ein mobiler Roboter geklebt hat. Sinnigerweise muss dieser Stein für Stein von Menschenhand bestückt werden. In den Kurven sind jeweils zwei Projekte der ETH in Lausanne und in Zürich vorgestellt, die irritierte Besucher mit der gewohnten Schweizer Gründlichkeit beruhigen. Der Anspruch der Biennale, hinter den konkreten Bau zurückzutreten, ist als Blick auf die universitäre Lehre formuliert. Wie Forschung und Entwurf sich verbinden, zeigen neben dem Ziegelstein-Projekt die Studenten anhand von Havanna, Addis Abeba und einem Pavillon für die Themse. (gm.)
Die Schweiz überrascht mit einem hintergründigen Beitrag. Die ETH-Lehrer Fabio Gramazio und Matthias Kohler lassen eine 100 Meter lange Wand durch den nüchternen Pavillon schwingen, deren Backsteine ein mobiler Roboter geklebt hat. Sinnigerweise muss dieser Stein für Stein von Menschenhand bestückt werden. In den Kurven sind jeweils zwei Projekte der ETH in Lausanne und in Zürich vorgestellt, die irritierte Besucher mit der gewohnten Schweizer Gründlichkeit beruhigen. Der Anspruch der Biennale, hinter den konkreten Bau zurückzutreten, ist als Blick auf die universitäre Lehre formuliert. Wie Forschung und Entwurf sich verbinden, zeigen neben dem Ziegelstein-Projekt die Studenten anhand von Havanna, Addis Abeba und einem Pavillon für die Themse. (gm.)
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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