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Honeckers leeres Schlafzimmer
Der Honecker-Bunker bei Berlin ist ein gespenstisches Denkmal des Kalten Kriegs
Fünfzehn Jahre lang ruhte der Bunker, in dem die DDR-Regierung einen Atomschlag hätte überleben sollen, versiegelt unter der Erde. Nun ist das technisch raffinierte Bauwerk für Führungen geöffnet, allerdings nur für kurze Zeit. Trotz grossem Besucherandrang ist eine dauerhafte Nutzung des Bunkers als Museum nicht finanzierbar.
17. September 2008 - Sieglinde Geisel
Nur gerade eine Viertelstunde lang soll es Erich Honecker 1983 bei den Einweihungsfeierlichkeiten im «Objekt 17/5001» ausgehalten haben. Dann liess er sich anrufen und verschwand. Wahrscheinlich habe ihm vor der Vorstellung gegraut, im Kriegsfall in einem Bunker ausharren zu müssen. Trotzdem hat sich die Bezeichnung «Honecker-Bunker» für dieses Gebäude durchgesetzt, in dem der Nationale Verteidigungsrat samt seinen Mitarbeiterstäben einen Atomschlag von der hundertfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe hätte überleben sollen. Dank einer kühnen Konstruktion hätte der Bunker den enormen Beschleunigungskräften standhalten sollen, denn alle wichtigen Räume befanden sich in Containern, die an einer Aufhängevorrichtung befestigt waren. An den armdicken Stahlseilen hätten diese schwebenden Container bis zu vierzig Zentimeter weit schwingen können.
Bei einem Angriff mit Massenvernichtungswaffen hätten Sensoren überdies dafür gesorgt, dass der Bunker binnen Sekundenbruchteilen in die «hermetisierte» Betriebsweise umgeschaltet worden wäre. Nach 36 Stunden hätte die Anlage wieder in die normale Betriebsweise mit Frischluft- und Wasserzufuhr gewechselt. Nach 14 Tagen hätten die Überlebenden den Bau in Schutzanzügen und gepanzerten Fahrzeugen verlassen müssen.
Von «Bunkertouristen» geplündert
Der Bunker, in dem 400 Personen Platz finden konnten, war jederzeit einsatzfähig. Rund um die Uhr sorgte Bereitschaftspersonal für die Wartung der Anlagen. «Dass man ein Bauwerk, das so vieles kann, einfach unter der Erde sich selbst überlässt, hätte sich damals niemand vorstellen können», meint Siegfried Rose. Er war nach dem Mauerfall der letzte Kommandant der Bunkeranlage und hält nun Vorträge vor den Führungen. Nun erzählt er von den Führungen, die er Anfang der 1990er Jahre in dem noch voll funktionsfähigen Bauwerk gemacht hatte. Manche Besucher hätten Honeckers Pantoffeln als Souvenir mitnehmen wollen – dabei hatte man diese nur zur Dekoration vor das Bett gestellt, in dem Honecker nie gelegen hatte.
Der Mauerfall machte aus dem technisch avanciertesten Gebäude der DDR eine kuriose Immobilie, für die man keine Verwendung mehr hatte. Da der Unterhalt der riesigen Anlage Unsummen verschlang, beschloss die Bundeswehr 1993, das Bauwerk zu versiegeln. Schon damals wurden die meisten Einrichtungsgegenstände entfernt. «Bunkertouristen», die illegal in die unterirdischen Räume eindrangen, bedienten sich in den folgenden Jahren mit Souvenirs, klauten Kupferdraht und zerstörten, was noch da war. Um weiteren Vandalismus zu verhindern, kümmert sich seit drei Jahren das Berliner Bunkernetzwerk um die Sicherung des Bauwerks. Seit August kann man den Bunker im Rahmen von Führungen noch einmal besichtigen, bevor er Ende Oktober endgültig verschlossen wird.
Das Publikumsinteresse ist enorm, und dies trotz den gesalzenen Preisen. Bei der zweistündigen Standardtour ist man zwar schon mit zwanzig Euro dabei, doch die Geschichtstour (mit Vortrag) kostet achtzig Euro, und für die vierstündige «Tough-Guy-Tour», bei der man durch Luken kriecht und richtig dreckig wird, sind stolze hundert Euro fällig. Teilnehmerzahlen will Hannes Hensel vom Berliner Bunkernetzwerk nicht nennen. Doch reich werde niemand, versichert er. Der Verein könne bestenfalls hoffen, die Spesen wieder hereinzuholen. In unzähligen Arbeitsstunden wurde der Bunker gesäubert; für Belüftung und Beleuchtung musste die Elektrik neu installiert werden. Hannes Hensel hat jeden Raum des Bunkers mit dreidimensionalen Panoramafotos festgehalten – eine Dokumentation, die ab 2010 ins Internet gestellt werden soll.
In dem Bunker ist es feucht und kalt. Der NVA-Offizier, der die Gruppe durch die verschachtelten Gänge führt, gehörte früher zum Bereitschaftspersonal. Wegen der weltweit einmaligen Aufhängevorrichtung steht der Bunker seit 2005 unter Denkmalschutz. Allerdings hat die mächtige Stahlkonstruktion, die auch im schummrigen Bunkerlicht eine gewisse Grandezza verströmt, ihre Funktion eingebüsst. Vor der Versiegelung durch die Bundeswehr wurden die Container aus Sicherheitsgründen abgesenkt, und seither steht das Bauwerk auf Stützen.
Eine Bunkertour ist eine ermüdend technische Angelegenheit, zumal auch im «Objekt 17/5001» vieles dem allgemeinen Standard für Bunkerbauten entspricht: die Dekontaminationsschleusen, die Wasser- und Drucklufttanks, die ferngelenkte Feuerlöschanlage. Kein Wunder, dass die Teilnehmer der Führung es kaum erwarten können, Honeckers Schlafzimmer zu sehen. Eine kleine Treppe führt vom leergeplünderten Lagebesprechungsraum in die beiden Räume, die für den Staatschef reserviert waren. Doch hier gibt es nichts zu sehen: Kein Bett, kein Tisch, nicht einmal mehr die Wandtäfelung ist vorhanden. Die allgemeinen Schlafräume wirken gespenstisch: Eng gestaffelt hängen die Pritschen von der Decke, je drei Betten übereinander. Die Liegeflächen sind dick mit Schimmel überzogen. Nach einiger Zeit kratzt es im Hals, und im Kopf macht sich ein dumpfes Gefühl bemerkbar – gesund ist ein Aufenthalt hier unten nicht.
Schimmel und Asbest
Der bauliche Zustand ist der Hauptgrund dafür, dass man den Bunker trotz dem grossen Publikumsandrang nicht als Museum betreiben kann. Die hohe Luftfeuchtigkeit vermag Schimmelporen und Asbestpartikel bis zu einem gewissen Grad zu binden, deshalb hat das Land Berlin die Genehmigung für eine kurzfristige Nutzung gewährt. Für einen Dauerbetrieb müsste im grossen Stil saniert werden, und dafür hat sich bisher kein Investor gefunden.
Nicht nur die DDR hatte einen vermeintlich atomsicheren Regierungsbunker. Auch in der BRD wollte man für den schlimmsten Fall gewappnet sein. In einem ungenutzten Eisenbahnstollen nahe Bonn wurde von 1960 bis 1972 der geheime Regierungsbunker gebaut, eine unterirdische Kleinstadt für 3000 Menschen, zehnmal so gross wie der Honecker-Bunker. Das mit einer Bausumme von fünf Milliarden D-Mark teuerste Gebäude Westdeutschlands wurde von 2001 bis 2006 abgerissen. Am vergangenen 1. März ist auf einem kleinen Rest der Anlage die «Dokumentationsstätte Regierungsbunker» eröffnet worden – mit grossem Erfolg beim Publikum. Doch die Faszination, die von diesen militärischen Denkmälern des Kalten Kriegs ausgeht, ist zwiespältig: Sie sind ein Symbol des rüstungstechnischen Wettlaufs und der Vergeblichkeit. Denn wer hätte den Bunker nach vierzehn Tagen verlassen wollen, wenn eingetreten wäre, wovor er im Extremfall hätte schützen sollen?
Bei einem Angriff mit Massenvernichtungswaffen hätten Sensoren überdies dafür gesorgt, dass der Bunker binnen Sekundenbruchteilen in die «hermetisierte» Betriebsweise umgeschaltet worden wäre. Nach 36 Stunden hätte die Anlage wieder in die normale Betriebsweise mit Frischluft- und Wasserzufuhr gewechselt. Nach 14 Tagen hätten die Überlebenden den Bau in Schutzanzügen und gepanzerten Fahrzeugen verlassen müssen.
Von «Bunkertouristen» geplündert
Der Bunker, in dem 400 Personen Platz finden konnten, war jederzeit einsatzfähig. Rund um die Uhr sorgte Bereitschaftspersonal für die Wartung der Anlagen. «Dass man ein Bauwerk, das so vieles kann, einfach unter der Erde sich selbst überlässt, hätte sich damals niemand vorstellen können», meint Siegfried Rose. Er war nach dem Mauerfall der letzte Kommandant der Bunkeranlage und hält nun Vorträge vor den Führungen. Nun erzählt er von den Führungen, die er Anfang der 1990er Jahre in dem noch voll funktionsfähigen Bauwerk gemacht hatte. Manche Besucher hätten Honeckers Pantoffeln als Souvenir mitnehmen wollen – dabei hatte man diese nur zur Dekoration vor das Bett gestellt, in dem Honecker nie gelegen hatte.
Der Mauerfall machte aus dem technisch avanciertesten Gebäude der DDR eine kuriose Immobilie, für die man keine Verwendung mehr hatte. Da der Unterhalt der riesigen Anlage Unsummen verschlang, beschloss die Bundeswehr 1993, das Bauwerk zu versiegeln. Schon damals wurden die meisten Einrichtungsgegenstände entfernt. «Bunkertouristen», die illegal in die unterirdischen Räume eindrangen, bedienten sich in den folgenden Jahren mit Souvenirs, klauten Kupferdraht und zerstörten, was noch da war. Um weiteren Vandalismus zu verhindern, kümmert sich seit drei Jahren das Berliner Bunkernetzwerk um die Sicherung des Bauwerks. Seit August kann man den Bunker im Rahmen von Führungen noch einmal besichtigen, bevor er Ende Oktober endgültig verschlossen wird.
Das Publikumsinteresse ist enorm, und dies trotz den gesalzenen Preisen. Bei der zweistündigen Standardtour ist man zwar schon mit zwanzig Euro dabei, doch die Geschichtstour (mit Vortrag) kostet achtzig Euro, und für die vierstündige «Tough-Guy-Tour», bei der man durch Luken kriecht und richtig dreckig wird, sind stolze hundert Euro fällig. Teilnehmerzahlen will Hannes Hensel vom Berliner Bunkernetzwerk nicht nennen. Doch reich werde niemand, versichert er. Der Verein könne bestenfalls hoffen, die Spesen wieder hereinzuholen. In unzähligen Arbeitsstunden wurde der Bunker gesäubert; für Belüftung und Beleuchtung musste die Elektrik neu installiert werden. Hannes Hensel hat jeden Raum des Bunkers mit dreidimensionalen Panoramafotos festgehalten – eine Dokumentation, die ab 2010 ins Internet gestellt werden soll.
In dem Bunker ist es feucht und kalt. Der NVA-Offizier, der die Gruppe durch die verschachtelten Gänge führt, gehörte früher zum Bereitschaftspersonal. Wegen der weltweit einmaligen Aufhängevorrichtung steht der Bunker seit 2005 unter Denkmalschutz. Allerdings hat die mächtige Stahlkonstruktion, die auch im schummrigen Bunkerlicht eine gewisse Grandezza verströmt, ihre Funktion eingebüsst. Vor der Versiegelung durch die Bundeswehr wurden die Container aus Sicherheitsgründen abgesenkt, und seither steht das Bauwerk auf Stützen.
Eine Bunkertour ist eine ermüdend technische Angelegenheit, zumal auch im «Objekt 17/5001» vieles dem allgemeinen Standard für Bunkerbauten entspricht: die Dekontaminationsschleusen, die Wasser- und Drucklufttanks, die ferngelenkte Feuerlöschanlage. Kein Wunder, dass die Teilnehmer der Führung es kaum erwarten können, Honeckers Schlafzimmer zu sehen. Eine kleine Treppe führt vom leergeplünderten Lagebesprechungsraum in die beiden Räume, die für den Staatschef reserviert waren. Doch hier gibt es nichts zu sehen: Kein Bett, kein Tisch, nicht einmal mehr die Wandtäfelung ist vorhanden. Die allgemeinen Schlafräume wirken gespenstisch: Eng gestaffelt hängen die Pritschen von der Decke, je drei Betten übereinander. Die Liegeflächen sind dick mit Schimmel überzogen. Nach einiger Zeit kratzt es im Hals, und im Kopf macht sich ein dumpfes Gefühl bemerkbar – gesund ist ein Aufenthalt hier unten nicht.
Schimmel und Asbest
Der bauliche Zustand ist der Hauptgrund dafür, dass man den Bunker trotz dem grossen Publikumsandrang nicht als Museum betreiben kann. Die hohe Luftfeuchtigkeit vermag Schimmelporen und Asbestpartikel bis zu einem gewissen Grad zu binden, deshalb hat das Land Berlin die Genehmigung für eine kurzfristige Nutzung gewährt. Für einen Dauerbetrieb müsste im grossen Stil saniert werden, und dafür hat sich bisher kein Investor gefunden.
Nicht nur die DDR hatte einen vermeintlich atomsicheren Regierungsbunker. Auch in der BRD wollte man für den schlimmsten Fall gewappnet sein. In einem ungenutzten Eisenbahnstollen nahe Bonn wurde von 1960 bis 1972 der geheime Regierungsbunker gebaut, eine unterirdische Kleinstadt für 3000 Menschen, zehnmal so gross wie der Honecker-Bunker. Das mit einer Bausumme von fünf Milliarden D-Mark teuerste Gebäude Westdeutschlands wurde von 2001 bis 2006 abgerissen. Am vergangenen 1. März ist auf einem kleinen Rest der Anlage die «Dokumentationsstätte Regierungsbunker» eröffnet worden – mit grossem Erfolg beim Publikum. Doch die Faszination, die von diesen militärischen Denkmälern des Kalten Kriegs ausgeht, ist zwiespältig: Sie sind ein Symbol des rüstungstechnischen Wettlaufs und der Vergeblichkeit. Denn wer hätte den Bunker nach vierzehn Tagen verlassen wollen, wenn eingetreten wäre, wovor er im Extremfall hätte schützen sollen?
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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