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Telegenes Geflimmer
Spectrum

Die Euphoriewellen der Eröffnungstage sind abgeebbt. Und was bleibt von der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig? Eine Ernüchterung.

20. September 2008 - Liesbeth Waechter-Böhm
Venedig bei schlechtem Wetter: kalt,windig, Blitz und Donner, und Regen, Regen, Regen. Der Wettergott war wohl nicht einverstanden mit Aaron Betskys Biennale-Motto: „Out there. Architecture beyond Building“. Man kann es ihm auch nicht verübeln, dem Wettergott, denn so eine Kirmes an Pseudo-Kunst, Pseudo-Wissenschaft, Pseudo-Konzepten und Pseudo-Architektur hat es selten auf einem Fleck gegeben. Ist denn an Architektur nur interessant und wichtig, was weit vor dem Bauen abläuft? Das Denken, das Ausdenken, das Konzipieren? Und ist es irrelevant, dass, ob, wie und in welchem Kontext etwas tatsächlich gebaut wird? Wird die Präzision des architektonischen Konzepts durch das Bauen aufgeweicht, wird es belanglos?

And the Winner is: Greg Lynn, der Plastikspielzeug zu irgendwelchen Gebilden verdichtet, die dann als Primitivmöbel recycelt sind. Einfach schauerlich. Ist das Architektur? Was soll man von einer solchen Banalität halten? Witzig ist sie nicht. Ist sie zynisch? Dann wird sie allerdings zum Schwanengesang auf etwas, das wir einmal Kultur genannt haben.

And the Winner is: Hotel Polonia. Das war wenigstens eine Jury-Entscheidung, die eine intelligente Pointe honoriert. Riesengebäude, etwa ein Flughafen, ein Konsumtempel, eine Bibliothek, die es tatsächlich gibt, und dann die Vision, was möglicherweise in 40 oder 50 Jahren damit geschehen sein könnte. Tierherden weiden drinnen, Müllhalden türmen sich zu Gebirgslandschaften auf. Es wuchert – wie in den Szenarien mancher Science-Fiction-Filme à la „Blade Runner“.

Neu ist dieses Szenario also nicht. Aber im polnischen Pavillon wurde es wenigstens auf den Punkt gebracht – eine gekonnte Bewältigung der Aufgabe „Ausstellung“. Andeutungsweise eine Hotel-Inszenierung, brillante Fotos und Fotomontagen. Zwei Doppelbetten im Ausstellungsraum. Brecht hat schon gewusst, wovon er redet: Denn wie man sich bettet, so liegt man... Wenn es nach dieser Architektur-Biennale geht, dann liegen wir ganz schlecht. Dann sind der Saft, die Kraft einfach draußen aus der Architektur. Dann ist zwar alles möglich, aber alles austauschbar, beliebig, unverbindlich.

Ein kurzer Exkurs zur Struktur dieses Mega-Architektur-Events: Es gibt, wie immer, die nationalen Beiträge in den Pavillons auf den Giardini und eine recht verwinkelte Ausstellung im zentralen italienischen Pavillon. Da haben die „Experimentellen“ einen besonderen Stellenwert. Und dann gibt es im Arsenale einen gewaltigen Architektur-Auftritt der „Masters“ und solcher, die es noch werden wollen oder sollen. Daneben, über die Stadt verstreut, zusätzliche Präsentationen – Luxemburg und Irland zum Beispiel, die alle keinen Länderpavillon auf den Giardini haben; Ausstellungen – etwa über den Wiener Wohnbau der letzten Jahre oder die steirische Architektur, aber die sind etwas abgelegen, und man braucht Zeit, um sie alle anschauen zu können.

Womit wir beim österreichischen Auftritt sind: Bettina Götz hat Josef Lackner und das Team Pauhof ausgewählt, ein drittes Element besteht aus Interviews österreichischer Architekten zum Thema Wohnbau.

Der Beitrag ist so schlecht nicht. Immerhin ist Lackner konzeptuell an seine Aufgaben herangegangen; was auch für Pauhof gilt, die meistens sogar die Aufgabe selbst in Frage stellen. Andererseits: Wer Lackner nicht kennt – und das trifft sicher auf die Mehrzahl der Biennale-Besucher zu –, der wird sich schwer tun, seine Arbeit in der aktuellen Situation zu verorten. Außerdem war Lackner nie so elegant, so glatt, wie er hier gezeigt wird. Irgendwie bleibt die Authentizität auf der Strecke. Und Pauhof sind Randfiguren der österreichischen Szene, sie haben keine besondere Strahlkraft entwickelt und in der hiesigen Szene nichts bewirkt. In der Hauptsache sind es relativ alte Projekte, die präsentiert werden; aber so, dass kein Mensch, der die Arbeiten nicht ohnehin kennt, wissen kann, was er da sieht.

Die Wohnbau-Interviews mit sieben österreichischen Architekten sind ebenfalls „gegen den Strich“ angelegt, da kommen zum Teil Leute zu Wort, die nie Wohnbau gemacht haben. Als könnte man diejenigen, die sich ernsthaft und typologisch mit Wohnbau befasst haben, einfach ignorieren, weil ihre Arbeit bedeutungslos ist. Dass sie es nicht ist, dass wir die besten Wohnbauer weit und breit haben, lässt sich auf den Giardini aber ganz unmittelbar überprüfen. Auch die Briten zeigen Wohnbau – fünf Architekten, die sowohl in England als auch im Ausland als Wohnbauer tätig sind. Denen müsste man eigentlich eine Exkursion durch Österreich empfehlen.

Im Übrigen spielt sich der erfreulichere Teil der Ausstellungsbeiträge diesmal in den Länderpavillons ab. Die Spanier zum Beispiel präsentieren wirklich die Architektur ihres Landes in einer überzeugenden Auswahl. Was für eine Wohltat! Von den Franzosen kann man das nicht im gleichen Maß sagen. Auch hier gibt es zwar einen Massenauftritt mit unzähligen Projekten sehr unterschiedlicher Qualität, dabei wahnsinnig kostspielig präsentiert. Mir kommt aber vor, dass sie krampfhaft versuchen, den Erfolg, den sie vor Jahren mit ihrem Beitrag „40 Architekten unter 40“ hatten (damals beste nationale Show), wiederholen wollen. So etwas geht nie auf. Berührend ist der japanische Beitrag – Pflanzungen in Glashäusern und bester Ikebana-Manier und ein Pavillon, der hauchzart das Thema in handgestrichelten, sehr blassen, ästhetischen Bildern weiterführt.

Ein harter Schnitt: Die Russen. Da fühlt man sich als „Westler“ gar nicht gut. Denn das Schachspiel zwischen russischer und importierter, protziger, internationaler Architektur ist geradezu peinlich. Da werden wir als das hingestellt, was wir wahrscheinlich auch sind: die neuen Eroberer, die ökonomischen Usurpatoren von einem Terrain, das uns ganz sicher nicht gehört.

In den nationalen Pavillons gab es diesmal etwas zu entdecken: ganz unterschiedliche Ansätze – von sozialen über ökologische bis zu regelrecht didaktischen Aspekten oder schlichtweg Architektur –, das brachte Vielfalt, Lebendigkeit, Authentizität. Hingegen lassen die zentralen Ausstellungen, im Arsenale und im italienischen Pavillon, ein unangenehmes Gefühl zurück. Es ist eine Architektur-Mafia, die sich hier manifestiert. Im Arsenale erlebt man das vielleicht am besten. Da hat unser Prix den großen Auftritt, mit der ich-weiß-nicht-wievielten Replik von „Brain“, einer Arbeit aus der Frühzeit der Coop. Gleich danach ein unsägliches Objekt von Zaha Hadid, das jeder Beschreibung spottet. Und dann Gehry, der den Ehrenpreis für sein Lebenswerk bekommen hat. Das ist allerdings wirklich etwas, ein Objekt aus Holz und Lehm, um die Eröffnungstage noch im Zustand des Entstehens, aber voller Kraft. Und um Klassen besser als alle anderen Objekte dieser spezifischen Seilschaft.

Aaron Betsky hat der heutigen Architektur einen Bärendienst erwiesen. Mit seinem theoretischen Ansatz und dessen Umsetzung hat er sie zum Gschnas degradiert. Wer soll das ernst nehmen? Ein bisschen formaler Firlefanz hier, ein bisschen scheinbare wissenschaftliche Zettelwirtschaft dort – natürlich von Leuten, die nie gebaut haben. Überall telegenes Geflimmere, das soll Architektur sein?

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