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Mekka für ein neues Publikum?
Das neue Kulturzentrum Kings Place in London setzt bemerkenswerte Akzente
31. Oktober 2008 - Georges Waser
Erstmals seit der Eröffnung des Barbican Centre, seit über 25 Jahren also, hat London wieder ein zweckgebautes Konzertgebäude erhalten. Mit ihrem Domizil, Kings Place, wurde ein für die Themsestadt neues Konzept realisiert: unter dem Erdgeschoss ein Kulturzentrum und in den oberen sieben Stockwerken ein gigantischer Bürokomplex. Dieser – bereits sind hier die Zeitungen «The Guardian» und «The Observer» sowie die Gesellschaft Network Rail eingezogen – erbringt den finanziellen Rückhalt, erhält das Kulturzentrum doch keine öffentliche Subvention. Neun Jahre Bauzeit und 100 Millionen Pfund hat Kings Place beansprucht, doch das Resultat kann sich sehen lassen: als erster Eindruck für die Eintretenden ein beim Blick nach oben geradezu atemberaubendes Atrium, und in den Untergeschossen ein Layout mit unerwarteten architektonischen Perspektiven. Viel Licht, zum Teil sogar natürliches, sorgt dafür, dass man sich hier schon vor dem musikalischen Auftakt beschwingt statt – wie zum Beispiel im Barbican – erdrückt fühlt. Mit Kings Place haben sich die Architekten Dixon Jones einmal mehr Lob verdient; ihr Gespür für Stätten der Kultur bewiesen sie in London bereits mit baulichen Veränderungen im Royal Opera House, in der National Portrait Gallery sowie der National Gallery.
Quartier im Aufwind
Der Gegend nördlich der Bahnhöfe King's Cross und St Pancras, jahrzehntelang das öde Revier von Tramps und Prostituierten, kann ein Kulturzentrum nur gut anstehen. Schon als neues Domizil der British Library hat das Quartier vor wenigen Jahren einen Aufschwung erfahren; mit der kürzlichen Verlegung des Eurostar-Bahnhofs von Waterloo nach St Pancras ist das Viertel für im Zug von Kontinentaleuropa anreisende Touristen gar zum Eingangstor Grossbritanniens geworden. Zwar ist, was zwischen St Pancras und Kings Place liegt, als Teil eines der grössten urbanen Regenerierungsprojekte in Europa gegenwärtig noch eine Baustelle. Hinter Kings Place allerdings ist diese Regenerierung bereits Tatsache geworden: Hier, im dem Kulturzentrum anliegenden Battlebridge Basin, liegen wunderschöne Kanalboote vor Anker, und ringsum sind aus alten Warenlagern begehrte Mietobjekte geworden. Aus dem Atrium des Kings Place führen Türen auf eine Terrasse dicht am Wasser.
Kings Place soll auch mehr oder weniger zufälligen Besuchern etwas bieten – sei es in der Mittagspause oder am frühen Abend. So beherbergt der Bau zwei Kunstgalerien, wovon sich die eine mit stets wechselnden Ausstellungen als ein Schaufenster sowohl für international bekannte Künstler wie auch für junge Talente versteht. Die Pangolin Gallery gleich beim Eingang hingegen ist ein Zweig der gleichnamigen, unter britischen Bildhauern zum Begriff gewordenen Giesserei in Gloucestershire; sie wird nicht nur Plastiken ausstellen, sondern auch regelmässig einzelnen Bildhauern «Residenz» gewähren – dem Zentrum soll damit wohl die Aura einer «Werkstätte» verliehen werden. Dies dürfte dem Initianten und Direktor Peter Millican im Bereich Musik bereits gelungen sein, haben doch das Orchestra of the Age of Enlightenment und die London Sinfonietta im Kings Place ihr neues permanentes Domizil gefunden. Indem sich beide Klangkörper für erzieherische Projekte in lokalen Schulen und Vereinen zur Verfügung stellen, wird dem viktorianischen Ideal des kulturellen Einbezugs unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen Rechnung getragen.
Zwei Säle, viele Stile
Kings Place beherbergt zwei Konzertsäle, wobei Hall Two mit 220 Sitz- oder 330 Stehplätzen eher als Studio gelten kann. Anders Hall One: Diese, wunderschön mit hellem Eichenholz getäfelt und überraschend hoch bei 420 Sitzen, darf man mit Fug und Recht als Prunkstück bezeichnen. Kantige Pfeiler über einer ringsum laufenden Galerie scheinen die Decke zu tragen, und mit Vorhängen zwischen diesen Pfeilern und den Wänden lässt sich die Akustik je nach Darbietung – man denke an das Rezitieren von Lyrik oder elektronisch verstärkte Musik – modifizieren. Zwar fällt das Beurteilen eines neuen Konzertsaals beim ersten Besuch selten leicht; aber den Zuhörern des Orion String Quartet mochte am Ton die einer Aufnahme auf CD ähnliche Ausgeglichenheit, ja Feinheit auffallen. Während dreier Streichquartette Beethovens, ob langsam oder bei gesteigertem Tempo, ob ruhig oder anschwellend, fehlte es der Musik in diesem tief in den Erdboden versenkten Raum nie an Klarheit und Wärme. Und obgleich in diesen Konzertsälen insbesondere die klassische Musik zu Hause ist, fehlen auch Jazz, Blues, Flamenco und Rock nicht im Programm.
Zwar hat Peter Millican dem mächtigen South Bank Centre zwei dort residierende Klangkörper weggenommen – aber gibt das den etablierten Londoner Musikhochburgen Grund zu Eifersucht? Nicht unbedingt. Vor allem nicht, wenn in Kings Place das Programm, bisher ähnlich beeindruckend wie der Bau, weiterhin eklektisch sein sollte; so eben, wie es zum Beispiel in der altehrwürdigen – und exzellenten – Wigmore Hall nicht denkbar wäre. Also könnte Kings Place durchaus zum Mekka für ein neues Publikum werden; damit wäre auch der langen Zeitspanne ein Ende gesetzt, in welcher die Musik im Norden Londons nicht Fuss zu fassen vermochte. So blieb in den sechziger Jahren ein Aufenthalt des Royal Philharmonic Orchestra in der – wohlverstanden: begüterten – Gegend von Swiss Cottage äusserst befristet.
Quartier im Aufwind
Der Gegend nördlich der Bahnhöfe King's Cross und St Pancras, jahrzehntelang das öde Revier von Tramps und Prostituierten, kann ein Kulturzentrum nur gut anstehen. Schon als neues Domizil der British Library hat das Quartier vor wenigen Jahren einen Aufschwung erfahren; mit der kürzlichen Verlegung des Eurostar-Bahnhofs von Waterloo nach St Pancras ist das Viertel für im Zug von Kontinentaleuropa anreisende Touristen gar zum Eingangstor Grossbritanniens geworden. Zwar ist, was zwischen St Pancras und Kings Place liegt, als Teil eines der grössten urbanen Regenerierungsprojekte in Europa gegenwärtig noch eine Baustelle. Hinter Kings Place allerdings ist diese Regenerierung bereits Tatsache geworden: Hier, im dem Kulturzentrum anliegenden Battlebridge Basin, liegen wunderschöne Kanalboote vor Anker, und ringsum sind aus alten Warenlagern begehrte Mietobjekte geworden. Aus dem Atrium des Kings Place führen Türen auf eine Terrasse dicht am Wasser.
Kings Place soll auch mehr oder weniger zufälligen Besuchern etwas bieten – sei es in der Mittagspause oder am frühen Abend. So beherbergt der Bau zwei Kunstgalerien, wovon sich die eine mit stets wechselnden Ausstellungen als ein Schaufenster sowohl für international bekannte Künstler wie auch für junge Talente versteht. Die Pangolin Gallery gleich beim Eingang hingegen ist ein Zweig der gleichnamigen, unter britischen Bildhauern zum Begriff gewordenen Giesserei in Gloucestershire; sie wird nicht nur Plastiken ausstellen, sondern auch regelmässig einzelnen Bildhauern «Residenz» gewähren – dem Zentrum soll damit wohl die Aura einer «Werkstätte» verliehen werden. Dies dürfte dem Initianten und Direktor Peter Millican im Bereich Musik bereits gelungen sein, haben doch das Orchestra of the Age of Enlightenment und die London Sinfonietta im Kings Place ihr neues permanentes Domizil gefunden. Indem sich beide Klangkörper für erzieherische Projekte in lokalen Schulen und Vereinen zur Verfügung stellen, wird dem viktorianischen Ideal des kulturellen Einbezugs unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen Rechnung getragen.
Zwei Säle, viele Stile
Kings Place beherbergt zwei Konzertsäle, wobei Hall Two mit 220 Sitz- oder 330 Stehplätzen eher als Studio gelten kann. Anders Hall One: Diese, wunderschön mit hellem Eichenholz getäfelt und überraschend hoch bei 420 Sitzen, darf man mit Fug und Recht als Prunkstück bezeichnen. Kantige Pfeiler über einer ringsum laufenden Galerie scheinen die Decke zu tragen, und mit Vorhängen zwischen diesen Pfeilern und den Wänden lässt sich die Akustik je nach Darbietung – man denke an das Rezitieren von Lyrik oder elektronisch verstärkte Musik – modifizieren. Zwar fällt das Beurteilen eines neuen Konzertsaals beim ersten Besuch selten leicht; aber den Zuhörern des Orion String Quartet mochte am Ton die einer Aufnahme auf CD ähnliche Ausgeglichenheit, ja Feinheit auffallen. Während dreier Streichquartette Beethovens, ob langsam oder bei gesteigertem Tempo, ob ruhig oder anschwellend, fehlte es der Musik in diesem tief in den Erdboden versenkten Raum nie an Klarheit und Wärme. Und obgleich in diesen Konzertsälen insbesondere die klassische Musik zu Hause ist, fehlen auch Jazz, Blues, Flamenco und Rock nicht im Programm.
Zwar hat Peter Millican dem mächtigen South Bank Centre zwei dort residierende Klangkörper weggenommen – aber gibt das den etablierten Londoner Musikhochburgen Grund zu Eifersucht? Nicht unbedingt. Vor allem nicht, wenn in Kings Place das Programm, bisher ähnlich beeindruckend wie der Bau, weiterhin eklektisch sein sollte; so eben, wie es zum Beispiel in der altehrwürdigen – und exzellenten – Wigmore Hall nicht denkbar wäre. Also könnte Kings Place durchaus zum Mekka für ein neues Publikum werden; damit wäre auch der langen Zeitspanne ein Ende gesetzt, in welcher die Musik im Norden Londons nicht Fuss zu fassen vermochte. So blieb in den sechziger Jahren ein Aufenthalt des Royal Philharmonic Orchestra in der – wohlverstanden: begüterten – Gegend von Swiss Cottage äusserst befristet.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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