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Vorsehungen und Visionen
Eine Ausstellung zeigt Linz als «Kulturhauptstadt des Führers»
Als «Spiel mit Bauklötzen» hat Albert Speer die NS-Pläne für Linz bezeichnet. Doch Hitler war es mit der monumentalen Neugestaltung der Stadt seiner Jugend ernst, wie eine Linzer Ausstellung zeigt.
3. Dezember 2008 - Paul Jandl
Von Zyankali sei bei Selbstmordgedanken abzusehen, hat der Wiener Satiriker Eduard Bauernfeld im 19. Jahrhundert bissig angemerkt. Sterben könne man auch «vor langer Weile, in der Provinz, zum Beispiel in Linz». Den Makel der Peripherie wird das oberösterreichische Linz als Europäische Kulturhauptstadt 2009 abzustreifen versuchen. Weil aber auch der Makel der Vergangenheit an ihm haftet, geht es schon vor der offiziellen Eröffnung in die Offensive. An die «Kulturhauptstadt des Führers» erinnert eine Ausstellung im Linzer Schloss, die die Geschichtsvergessenheit mancher Jubelmetropolen der letzten Jahre gar nicht erst aufkommen lassen will. Seine Jugend hat Adolf Hitler in Linz verbracht, und das wollte er der Stadt noch lange danken. Das Projekt seines städtebaulichen Grössenwahns sollte Linz zu einer Perle Europas machen. Doch der Aufmarsch der Architektur zur Ehre des Deutschen Reichs blieb bis auf weniges Utopie.
Frühe Pläne
1905 war Hitlers Familie aus dem Vorort Leonding nach Linz gezogen. Hier hat der junge Mann die Musik Richard Wagners und Anton Bruckners gehört und auf Spaziergängen Zeichnungen der Gebäude gemacht. Dass die Idee, aus dem verschlafenen Linz eine glanzvolle Welthauptstadt zu machen, schon damals durch seinen Kopf geisterte, belegt die Ausstellung in Dokumenten seiner Schulkameraden. Pompöse Pläne wie den Bau eines unterirdischen Bahnhofs hat Hitler in seiner Adoleszenz geschmiedet. Unmittelbar nach dem «Anschluss» Österreichs ans Deutsche Reich wurden Architekten wie Roderich Fick und Hermann Giesler beauftragt, um das zur «Führerstadt» avancierte Linz von Grund auf zu verändern. Wo bis ins frühe 20. Jahrhundert beschauliches Mittelalter herrschte, sollte in monumentalem historisierendem Stil die neue Zeit sichtbar werden. An der Donau wollte Hitler ein zwei Kilometer langes Verwaltungszentrum errichten, in dem auch noch sein Alterssitz untergebracht werden sollte. An den durch die Stadt geschlagenen Achsen hätten sich Hotelkomplexe und Kunstbezirke aneinandergereiht. Eine Oper und ein Schauspielhaus waren geplant.
Für das «Linzer Führermuseum» wurden Kunstwerke aus ganz Europa zusammengetragen. Ihren Besitzern abgepresst oder auf undurchsichtigen Wegen in den Fundus der nationalsozialistischen Behörden gelangt, sollten sie die Basis eines Deutschen Nationalmuseums werden. Neben diesem bis 1944 mit einem Einsatz von 99 Millionen Reichsmark betriebenen «Sonderauftrag Linz» galt Hitlers Aufmerksamkeit aber auch der Industrie. 1938 wurden die Hermann-Göring-Werke gegründet, die als Zentrum eines grossen österreichischen Rüstungskomplexes gedacht waren. Dazu kamen noch die Stickstoffwerke Ostmark.
Der Despot und seine Stadt
Zumindest in dieser Hinsicht war Hitlers Strategie erfolgreich. Zwischen 1938 und 1945 hat sich die Einwohnerzahl von Linz nahezu verdoppelt. Vom fernen Berlin aus liess der Reichskanzler die Stadt am Reissbrett neu entwerfen. Die neue Linzer Architektur war Chefsache. Skizzen lieferte Hitler selbst, mit den Architekten geriet er oft in Streit.
Während der Ausbau der übrigen vier deutschen «Führerstädte» während des Krieges ad acta gelegt wurde, blieb Linz bis zuletzt Hitlers grosser Traum. Die Ausstellung zeigt den deutschen Reichskanzler über das detaillierte Modell gebeugt, und sie zeigt die innige Verbindung zwischen ihm und der Donaumetropole. In der Provinzstadt Linz war die bäuerliche Umgebung mit heimattreuer Weltläufigkeit verschmolzen. Das Terrain von Blut und Boden, das dem künstlerischen Autodidakten Adolf Hitler in den Werken der Heimatkunst vor Augen stand, hat seinen Geschmack geprägt. Auch davon ist in der Linzer Ausstellung die Rede. Geächtete Künstler werden den von Hitler hofierten gegenübergestellt. Dass die Austreibung der Kultur durch den Nationalsozialismus allem zuwiderläuft, was mit den für ein Jahr ernannten Europäischen Kulturhauptstädten gefeiert wird, ist damit immerhin angedeutet.
Kurzer Triumph
Hitler in Linz – das ist mehr als nur eine Episode. Als Schulbub ist der spätere Führer auf Fotografien zu sehen. Gespenstisch bleich wirkt das Bild des Mannes, der im März 1938 am Linzer Hauptplatz die Parade der jubelnden Massen abnimmt. Ein monumentaler Wandteppich von «des Führers Heimatgau» bringt Hitler in mythologischen Zusammenhang mit Grössen wie Bruckner oder Adalbert Stifter. Als Zeichen hat er es gesehen, dass ihn die Vorsehung «aus dieser Stadt heraus zur Führung des Reiches berief».
Das Nachsehen hat jetzt das gemeinsam mit Vilnius als Europäische Kulturhauptstadt fungierende Linz. Es wird sich dem Erbe 2009 in der Veranstaltungsreihe «Linz Gedächtnis» stellen und kann sich wenigsten darüber beruhigen, dass aus Hitlers architektonischen Träumen nicht viel geworden ist. Zwei ehemalige NS-Gebäude am Donauufer markieren noch heute den Eingang zum Hauptplatz und zur Altstadt. Auf der 1938 errichteten Nibelungenbrücke dauerte der Triumph der deutschen Heldenmythen nur kurz. 1943 wurden zu Demonstrationszwecken die aus Gips modellierten Statuen von Siegfried und Kriemhild aufgestellt. Während sich Albert Speer, der Leibarchitekt des Führers, laut Tagebuch über den «balkonartigen Busen» Kriemhilds lustig machte, der «ein idealer Nistplatz für Tauben» sein werde, war Adolf Hitler vom Naturalismus des Künstlers Bernhard von Plettenberg begeistert: «Diese Muskulatur – meisterhaft!»
[ Bis 22. März. Katalog: Kulturhauptstadt des Führers. Herausgegeben von Birgit Kirchmayr. 286 S., € 34.–. ]
Frühe Pläne
1905 war Hitlers Familie aus dem Vorort Leonding nach Linz gezogen. Hier hat der junge Mann die Musik Richard Wagners und Anton Bruckners gehört und auf Spaziergängen Zeichnungen der Gebäude gemacht. Dass die Idee, aus dem verschlafenen Linz eine glanzvolle Welthauptstadt zu machen, schon damals durch seinen Kopf geisterte, belegt die Ausstellung in Dokumenten seiner Schulkameraden. Pompöse Pläne wie den Bau eines unterirdischen Bahnhofs hat Hitler in seiner Adoleszenz geschmiedet. Unmittelbar nach dem «Anschluss» Österreichs ans Deutsche Reich wurden Architekten wie Roderich Fick und Hermann Giesler beauftragt, um das zur «Führerstadt» avancierte Linz von Grund auf zu verändern. Wo bis ins frühe 20. Jahrhundert beschauliches Mittelalter herrschte, sollte in monumentalem historisierendem Stil die neue Zeit sichtbar werden. An der Donau wollte Hitler ein zwei Kilometer langes Verwaltungszentrum errichten, in dem auch noch sein Alterssitz untergebracht werden sollte. An den durch die Stadt geschlagenen Achsen hätten sich Hotelkomplexe und Kunstbezirke aneinandergereiht. Eine Oper und ein Schauspielhaus waren geplant.
Für das «Linzer Führermuseum» wurden Kunstwerke aus ganz Europa zusammengetragen. Ihren Besitzern abgepresst oder auf undurchsichtigen Wegen in den Fundus der nationalsozialistischen Behörden gelangt, sollten sie die Basis eines Deutschen Nationalmuseums werden. Neben diesem bis 1944 mit einem Einsatz von 99 Millionen Reichsmark betriebenen «Sonderauftrag Linz» galt Hitlers Aufmerksamkeit aber auch der Industrie. 1938 wurden die Hermann-Göring-Werke gegründet, die als Zentrum eines grossen österreichischen Rüstungskomplexes gedacht waren. Dazu kamen noch die Stickstoffwerke Ostmark.
Der Despot und seine Stadt
Zumindest in dieser Hinsicht war Hitlers Strategie erfolgreich. Zwischen 1938 und 1945 hat sich die Einwohnerzahl von Linz nahezu verdoppelt. Vom fernen Berlin aus liess der Reichskanzler die Stadt am Reissbrett neu entwerfen. Die neue Linzer Architektur war Chefsache. Skizzen lieferte Hitler selbst, mit den Architekten geriet er oft in Streit.
Während der Ausbau der übrigen vier deutschen «Führerstädte» während des Krieges ad acta gelegt wurde, blieb Linz bis zuletzt Hitlers grosser Traum. Die Ausstellung zeigt den deutschen Reichskanzler über das detaillierte Modell gebeugt, und sie zeigt die innige Verbindung zwischen ihm und der Donaumetropole. In der Provinzstadt Linz war die bäuerliche Umgebung mit heimattreuer Weltläufigkeit verschmolzen. Das Terrain von Blut und Boden, das dem künstlerischen Autodidakten Adolf Hitler in den Werken der Heimatkunst vor Augen stand, hat seinen Geschmack geprägt. Auch davon ist in der Linzer Ausstellung die Rede. Geächtete Künstler werden den von Hitler hofierten gegenübergestellt. Dass die Austreibung der Kultur durch den Nationalsozialismus allem zuwiderläuft, was mit den für ein Jahr ernannten Europäischen Kulturhauptstädten gefeiert wird, ist damit immerhin angedeutet.
Kurzer Triumph
Hitler in Linz – das ist mehr als nur eine Episode. Als Schulbub ist der spätere Führer auf Fotografien zu sehen. Gespenstisch bleich wirkt das Bild des Mannes, der im März 1938 am Linzer Hauptplatz die Parade der jubelnden Massen abnimmt. Ein monumentaler Wandteppich von «des Führers Heimatgau» bringt Hitler in mythologischen Zusammenhang mit Grössen wie Bruckner oder Adalbert Stifter. Als Zeichen hat er es gesehen, dass ihn die Vorsehung «aus dieser Stadt heraus zur Führung des Reiches berief».
Das Nachsehen hat jetzt das gemeinsam mit Vilnius als Europäische Kulturhauptstadt fungierende Linz. Es wird sich dem Erbe 2009 in der Veranstaltungsreihe «Linz Gedächtnis» stellen und kann sich wenigsten darüber beruhigen, dass aus Hitlers architektonischen Träumen nicht viel geworden ist. Zwei ehemalige NS-Gebäude am Donauufer markieren noch heute den Eingang zum Hauptplatz und zur Altstadt. Auf der 1938 errichteten Nibelungenbrücke dauerte der Triumph der deutschen Heldenmythen nur kurz. 1943 wurden zu Demonstrationszwecken die aus Gips modellierten Statuen von Siegfried und Kriemhild aufgestellt. Während sich Albert Speer, der Leibarchitekt des Führers, laut Tagebuch über den «balkonartigen Busen» Kriemhilds lustig machte, der «ein idealer Nistplatz für Tauben» sein werde, war Adolf Hitler vom Naturalismus des Künstlers Bernhard von Plettenberg begeistert: «Diese Muskulatur – meisterhaft!»
[ Bis 22. März. Katalog: Kulturhauptstadt des Führers. Herausgegeben von Birgit Kirchmayr. 286 S., € 34.–. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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