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Sehnsucht nach dem Unvergänglichen
Neue Zürcher Zeitung

Die Bauten des ungarischen Architekten Laszlo Hudec in Schanghai

Die Modernisierung Chinas manifestiert sich besonders auffällig in den Silhouetten der Grossstädte. In Schanghais Finanzdistrikt entstehen immer höhere Wolkenkratzer. Die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts wird nur noch als museale Staffage wahrgenommen. Dabei haben gerade Laszlo Hudecs Bauten nichts von ihrem Charme eingebüsst.

8. Dezember 2008 - Matthias Messmer
«Ehret das Alte» lautet eine von Konfuzius' Lehrmeinungen, und glücklicherweise erlebt diese Aussage des Philosophen auch im Zeitalter des ungebändigten Baubooms eine bescheidene Renaissance. Zumindest bei Leuten, die etwas mehr von der reichen Kunst- und Architekturgeschichte Schanghais verstehen als jene, die ohne Zaudern und Gewissen Baubewilligungen für gesichtslose, dafür umso protzigere Bauprojekte vergeben. Unbarmherzig frisst sich die Moderne durch alte Quartiere und einst liebevoll gepflegte Lebensräume hindurch und macht – wenn überhaupt – erst Stopp vor jenen architektonischen Juwelen, auf die die Stadtregierung wegen ihrer Anziehungskraft auf Besucher aus der ganzen Welt angewiesen ist.

Art-déco-Freilichtmuseum

Eileen Chang, André Malraux, Vicki Baum und andere Schriftsteller haben dem Schanghai der 1930er Jahre literarische Denkmäler gesetzt. Doch der Charme des vorrevolutionären «Paris des Ostens» liegt greifbarer noch in den hinter Mauern und Bäumen versteckten Villen der ehemaligen französischen Konzession oder in kunstvollen Altbauwohnungen, Theatern und Kinopalästen. Zwar sind die Mieter von damals längst ausgezogen, öffentliche Räume sind zweckentfremdet und wertvolle Innendekorationen für immer zerstört oder verloren gegangen. Stehengeblieben sind aber prächtige Hausfassaden, hinter denen sich manchmal neues, manchmal aber auch gar kein Leben mehr breitmacht. Selbst das vielerorts aufgrund der Einwirkungen von Krieg und Revolution verblichene Äussere erinnert mitunter noch an die ebenso eigenwillige wie glanzvolle Vergangenheit.

Der Ungar Laszlo Hudec zählte zusammen mit den Franzosen Leonard, Veysseyre und Kruze oder dem Amerikaner Hazzard zu jenen Architekten, welche Schanghai durch ihr Wirken einen westlichen Stempel aufgedrückt haben. Mit mehr als sechzig innerhalb von knapp drei Jahrzehnten realisierten Gebäuden – darunter Villen, Wohnblöcke, Spitäler, Kirchen, Hotels, Banken, Schulen und sogar eine Brauerei sowie ein Elektrizitätswerk – galt der 1893 in der heutigen Slowakei geborene Hudec als einer der produktivsten Vertreter seiner Zunft. Dabei verlief seine Karriere keineswegs kontinuierlich: Als junger Offizier der Habsburgermonarchie wurde er 1916 von den Russen gefangen genommen und nach Sibirien verbannt. Nach zwei Jahren gelang ihm die Flucht, zuerst nach Wladiwostok, dann nach Harbin. Schliesslich fand er den Weg nach Schanghai.

Arbeitgeber aus Ost und West

Nach einer kurzen Anstellung beim amerikanischen Architekturbüro R. A. Curry gründete Hudec 1925 seine eigene Firma. Fortan zählte er zu den führenden Baukünstlern der Stadt und machte sich vor allem wegen seines ebenso innovativen wie eleganten Stils einen Namen. Als Hudecs Meisterstück gilt das im Art-déco-Stil entworfene und 1934 eröffnete Parkhotel in Schanghai. Es war damals das höchste Gebäude im Fernen Osten und lag in unmittelbarer Nähe der Pferderennbahn, wo sich heute der Volksplatz befindet. Das zeitlose, linienbetonte Design dieses Gebäudes mit dem ausfahrbaren Dach direkt über dem Nachtklub im 22. Stock beeinflusste einst Ieoh Ming Pei, Chinas derzeit berühmtestem Architekten, bei seiner Berufswahl, wie er selbst einmal betonte.

Hudec war keineswegs nur dem Art-déco zugetan, jenem Stil, der Schanghai ähnlich wie Miami Beach oder Melbourne nachhaltig prägte. Der bei westlichen wie chinesischen Auftraggebern gleichermassen beliebte Architekt selbst wohnte viele Jahre in einem Haus im englischen Landhausstil mit weitläufiger Grünanlage. Das auf einem Ziegelsteinfundament gebaute Riegelhaus mit dem übergrossen Kamin hatte ihm und seiner Familie vielleicht jenes Heimatgefühl vermittelt, das er hier vermisste. Heute steht es verfallen und verlassen da, inmitten eines verwilderten Gartens. Der Putz fällt von den Wänden, und die Stuckdecke spiegelt lediglich noch die Geschichte einer kulturell glanzvolleren Zeit wider. Leider sind noch immer viele Meisterwerke von Hudec für den Normalbesucher unzugänglich. Immerhin hat das Büro der Schanghaier Denkmalpflege bei der Mehrzahl der von Hudec konzipierten Gebäude Tafeln anbringen lassen, die dem Betrachter Kurzinformationen bieten.

In Hudecs Arbeiten spielten auch die gotisch geformten Fenster immer wieder eine Rolle, wie etwa in der Ende der zwanziger Jahre im spanischen Stile errichteten crèmefarbenen Villa von Sun Fo, dem Sohn des Republikgründers Sun Yat-sen. Heute beherbergt das an der einstigen Columbia Road (Pan Yu Lu) gelegene grosszügige Haus mit der lauschigen Parkanlage und dem chinesisch angehauchten Teich im Innenhof ein Institut für biologische Forschung.

Nach einem einjährigen Studienaufenthalt in den USA kehrte Hudec 1928 nach Schanghai zurück, voll von Eindrücken von Hochhäusern und den Ideen des Modernismus. Diese liess er beispielsweise in seine Entwürfe für den Bau des Grand Theatre an der Nanjing Road einfliessen: Das stromlinienförmige, mit Keramikkacheln verkleidete Kinotheater bot 2400 Zuschauern Platz, wobei jeder von diesen Plätzen mit Kopfhörern zur Simultanübersetzung ausgerüstet war. Nicht weniger modern wirkt auch heute noch die 1938 fertiggestellte Wu-Residenz, die heute unter anderem ein Restaurant beherbergt und wegen ihrer Farbe auch das «Grüne Haus» genannt wird: Der Färbereibesitzer Wu Tongwen hatte Hudec gebeten, das modernste Privathaus in ganz Schanghai zu bauen. Daraus resultierte eine der geräumigsten und luxuriösesten Residenzen in ganz Fernost, die westlichen Luxus, nämlich einen elektrischen Fahrstuhl, mit chinesischen Bedürfnissen – etwa einer Ahnenhalle – ebenso gekonnt wie funktionell kombinierte.

Vielfältiges Schaffen

Hudec trug bis 1947 zum grossartigen architektonischen Erbe des Westens in Schanghai bei. Ab 1941 wirkte er daneben auch noch als ungarischer Honorarkonsul. Angesichts der unsicheren Lage während des Bürgerkriegs emigrierte er, wie die meisten Ausländer, nach Übersee. Anfänglich lebte er eine Zeitlang in Lausanne und in Italien, später in Berkeley, wo er einen Lehrauftrag annahm. 1958 starb er an einer Herzattacke. Zum fünfzigsten Todesjahr ist ihm das «Hudec-Jahr» mit Symposien und Publikationen gewidmet (www.hudec.sh).

Die zum Gedenken an Hudec und sein vielfältiges Schaffen passendste Örtlichkeit befindet sich wohl im Westen Schanghais: Dort, an vergleichsweise ruhigem Ort in unmittelbarer Nähe des Zoos, errichtete der begnadete Baukünstler 1925 mit einer katholischen Begräbniskirche einen anmutigen Andachtsraum im byzantinischen Stil, der wie geschaffen dazu ist, über das vorrevolutionäre Schanghai und seinen kosmopolitischen Hintergrund nachzusinnen. Zahlreiche Geschichten und Schicksale dieser faszinierenden Metropole liegen noch im Dunkeln und werden vermutlich für immer vergessen gehen. Neue Arbeiten über Hudec und sein Wirken haben einige davon ans Licht gebracht. Die Seele seiner eindrucksvollen Bauten lebt weiter.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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