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Der Raum spielt mit
Wenn „Revanche“ ins Rennen um den Oscar geht, haben ein paar Nebendarsteller mitgeholfen: grandios gewählte Drehorte, Projektionsräume der österreichischen Seele.
21. Februar 2009 - Ute Woltron
„Bekannte“, so schrieb der Kunstpsychologe Rudolf Arnheim in seinem Klassiker Kunst und Sehen, „erkennen wir aus großer Ferne schon an den elementarsten Proportionen oder Bewegungen.“
Wir erkennen sie auf einen Blick. Ob wir sie mögen oder nicht.
In Götz Spielmanns wunderbarem Film Revanche begegnen wir gleich einer ganzen Reihe von Bekannten - alten, jungen, hässlichen, schönen. Doch handelt es sich dabei nicht um Menschen, sondern um Räume. Um Häuser und Orte. Um Archetypen der österreichischen Bauseele, die wir so genau kennen, dass es mitunter wehtut.
In Räumen wie diesen sind wir alle irgendwann einmal gewesen, sind gegebenenfalls mit ihnen aufgewachsen, vielleicht sogar vor ihnen geflohen. Sie begrüßen uns auf der Leinwand wie alte Bekannte.
Denn jedem der menschlichen Charaktere, die diesen Film so präzise austariert tragen, ist das entsprechende Ambiente quasi auf den Leib geschneidert - und wie die Personen und ihre unterschiedlichen Lebenswelten miteinander verschmelzen, wie das eine das andere nachgerade bedingt und prägt, ist bis in das kleinste Detail meisterlich umgesetzt.
Wir sehen Alex in seiner schmuddeligen, hilflos kärglichen Junggesellenwohnung in Wien. Wir sehen den alten Bauern in seiner abgewirtschafteten, aber funktionierenden Kate im Waldviertel. Wir begegnen dem jungen Polizisten und seiner Frau in ihrem neuen, grauenhaft kleinbürgerlichen Haus auf dem Land, in dem die Leere des himmelblau ausgemalten Kinderzimmers wie eine Anklage zwischen den beiden steht.
Wir sehen schließlich die blutjunge ukrainische Hure Tamara. Sie ist die Einzige, die nicht in diesem Land aufgewachsen ist, die mit all diesen Räumen, ob in der Stadt oder auf dem Land, scheinbar nichts zu tun hat und der diese Räume deshalb auch nichts anhaben können, weil sie nicht mit ihnen verwurzelt ist, keine gemeinsame Geschichte mit ihnen hat.
Sie bewegt sich durch die plüschig roten Bars, durch die verspiegelten kalt-blauen Gemächer des Freudenhauses und durch die typischen grindigen Billighotelzimmer, in denen man den Lurch unter dem Bett förmlich riechen kann, als ob sie in Wirklichkeit nicht dazugehörte.
Sie ist nur dann ganz in ihrem eigenen, für uns aber nicht sichtbaren Raum, wenn sie nach Hause telefoniert. Irgendwie bleibt Tamara, die Hure, die einzige Unschuldige in diesem Spiel, das schließlich ausgerechnet sie das Leben kostet.
Und alle anderen bleiben dann zurück - festbetoniert in ihren Lebenswelten, die sich untereinander langsam vermengen, wenn die handelnden Personen jeweils in die Räume der anderen eindringen und dort ihre Kreise zu ziehen beginnen.
Die charakteristischen anonymen Architekturen als Archetypen spielen also ausnehmend wichtige Nebenrollen in diesem Film - und Kamera und Schnitt geben uns Betrachtern die Ruhe und das exakt richtige Timing, um in diesen Räumen quasi selbst ein bisschen Aufenthalt einzulegen.
Einen nicht nur räumlichen Fixpunkt nimmt dabei der Bauernhof des Großvaters von Alex ein. Dorthin kehrt er aus der Stadt zurück, nachdem er alles verspielt hat, was ihm wert war.
„In der Stadt“, sagt der alte Bauer, mit einer Härte, die zu der ihn umgebenden Landschaft gehört, „wirst entweder arrogant, oder du wirst ein Lump.“
Doch was das Land seinerseits mit den Menschen macht, das steht im Drehbuch ebenfalls deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.
Dieser abgewirtschaftete alte Hof wird plötzlich zu einem Bindeglied zwischen den handelnden Personen und Zeiten. Er wirkt wie ein gerade noch existierendes Relikt einer eigentlich schon untergegangenen oder gerade verschwindenden Welt. Die ist so österreichisch wie das, was diese verblassende Epoche gerade abzulösen im Begriff ist.
Und das sind eben die Blaue-Lagune-Pseudovillen, wie der Polizist und seine Frau eine gleich nebenan auf die grüne Wiese gestellt haben: Räume von der Stange, völlig charakterlos und austauschbar und zu Tausenden in der zersiedelten Landschaft Niederösterreichs anzutreffen.
Räume, die sich die Menschen gewissermaßen zwanghaft über ihr eigenes Leben stülpen und die irgendwann einmal wichtiger werden, als das Leben selbst. Weil das Haus als in Beton und Ziegel, in Einbauküche und Vorgarten geronnener Lebensentwurf etwas ist, das eingehalten werden muss, koste es, was es wolle.
Gefunden hat all diese perfekten Kulissen die Set-Designerin Maria Gruber. Die Grazerin wurde für die Ausstattung von Revanche zurecht bereits mit Preisen ausgezeichnet.
Sie hat sich wochenlang auf die Suche nach diesen Häusern begeben, ist halb Niederösterreich abgefahren, hat dutzende Protz-Villchen und Bauernhöfe inspiziert, um dann schließlich die gewählten Drehorte gemeinsam mit ihrer Crew zu perfektionieren - vom Kaffeehäferl bis hin zum Sofa, vom Ofen samt Wasserschiff bis zum alten, zerschlissenen Vorhang.
Der Bauernhof beispielsweise ist eine Meisterleistung. Der stand, so sagt Maria Gruber, bereits einige Jahre leer, war aber teilweise noch möbliert.
Was bereits eingebrochen und abgebröckelt war, wurde restauriert, die Schablonenmalerei an den Wänden ergänzt. Die dazugehörigen Kartonscheiben fand sie noch auf dem Dachboden.
Alles passt hier, bis hin zur Resopalplatte des Tisches, deren Kühle diejenigen, die bei ihren Großeltern je an einem solchen saßen, förmlich unter der Handfläche zu spüren vermeinen.
Wie jeder gute Film nimmt Revanche sein Publikum mit auf eine Reise. Manchen wird es passieren, dass sie nach dem Film aus dem Kinosaal hinausgehen und die Stadt, ihre Straßen und ihre Häuser mit anderen, wacheren Augen sehen. Und natürlich auch das Land mit den alten Bauernhäusern und den neu in die Landschaft gestickten Kleinvillen. Für nichtösterreichische Betrachter muss das alles ausgesprochen exotisch wirken. Uns hingegen ist es bekannt bis an die Schmerzgrenze.
Lediglich ein kleiner Einwand zur Schlussszene sei erlaubt: Im Herbst, wenn die Äpfel reif sind, singt die Amsel nicht mehr. Die singt nur bis Juli. Das zumindest wissen die Landmenschen noch.
Wir erkennen sie auf einen Blick. Ob wir sie mögen oder nicht.
In Götz Spielmanns wunderbarem Film Revanche begegnen wir gleich einer ganzen Reihe von Bekannten - alten, jungen, hässlichen, schönen. Doch handelt es sich dabei nicht um Menschen, sondern um Räume. Um Häuser und Orte. Um Archetypen der österreichischen Bauseele, die wir so genau kennen, dass es mitunter wehtut.
In Räumen wie diesen sind wir alle irgendwann einmal gewesen, sind gegebenenfalls mit ihnen aufgewachsen, vielleicht sogar vor ihnen geflohen. Sie begrüßen uns auf der Leinwand wie alte Bekannte.
Denn jedem der menschlichen Charaktere, die diesen Film so präzise austariert tragen, ist das entsprechende Ambiente quasi auf den Leib geschneidert - und wie die Personen und ihre unterschiedlichen Lebenswelten miteinander verschmelzen, wie das eine das andere nachgerade bedingt und prägt, ist bis in das kleinste Detail meisterlich umgesetzt.
Wir sehen Alex in seiner schmuddeligen, hilflos kärglichen Junggesellenwohnung in Wien. Wir sehen den alten Bauern in seiner abgewirtschafteten, aber funktionierenden Kate im Waldviertel. Wir begegnen dem jungen Polizisten und seiner Frau in ihrem neuen, grauenhaft kleinbürgerlichen Haus auf dem Land, in dem die Leere des himmelblau ausgemalten Kinderzimmers wie eine Anklage zwischen den beiden steht.
Wir sehen schließlich die blutjunge ukrainische Hure Tamara. Sie ist die Einzige, die nicht in diesem Land aufgewachsen ist, die mit all diesen Räumen, ob in der Stadt oder auf dem Land, scheinbar nichts zu tun hat und der diese Räume deshalb auch nichts anhaben können, weil sie nicht mit ihnen verwurzelt ist, keine gemeinsame Geschichte mit ihnen hat.
Sie bewegt sich durch die plüschig roten Bars, durch die verspiegelten kalt-blauen Gemächer des Freudenhauses und durch die typischen grindigen Billighotelzimmer, in denen man den Lurch unter dem Bett förmlich riechen kann, als ob sie in Wirklichkeit nicht dazugehörte.
Sie ist nur dann ganz in ihrem eigenen, für uns aber nicht sichtbaren Raum, wenn sie nach Hause telefoniert. Irgendwie bleibt Tamara, die Hure, die einzige Unschuldige in diesem Spiel, das schließlich ausgerechnet sie das Leben kostet.
Und alle anderen bleiben dann zurück - festbetoniert in ihren Lebenswelten, die sich untereinander langsam vermengen, wenn die handelnden Personen jeweils in die Räume der anderen eindringen und dort ihre Kreise zu ziehen beginnen.
Die charakteristischen anonymen Architekturen als Archetypen spielen also ausnehmend wichtige Nebenrollen in diesem Film - und Kamera und Schnitt geben uns Betrachtern die Ruhe und das exakt richtige Timing, um in diesen Räumen quasi selbst ein bisschen Aufenthalt einzulegen.
Einen nicht nur räumlichen Fixpunkt nimmt dabei der Bauernhof des Großvaters von Alex ein. Dorthin kehrt er aus der Stadt zurück, nachdem er alles verspielt hat, was ihm wert war.
„In der Stadt“, sagt der alte Bauer, mit einer Härte, die zu der ihn umgebenden Landschaft gehört, „wirst entweder arrogant, oder du wirst ein Lump.“
Doch was das Land seinerseits mit den Menschen macht, das steht im Drehbuch ebenfalls deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.
Dieser abgewirtschaftete alte Hof wird plötzlich zu einem Bindeglied zwischen den handelnden Personen und Zeiten. Er wirkt wie ein gerade noch existierendes Relikt einer eigentlich schon untergegangenen oder gerade verschwindenden Welt. Die ist so österreichisch wie das, was diese verblassende Epoche gerade abzulösen im Begriff ist.
Und das sind eben die Blaue-Lagune-Pseudovillen, wie der Polizist und seine Frau eine gleich nebenan auf die grüne Wiese gestellt haben: Räume von der Stange, völlig charakterlos und austauschbar und zu Tausenden in der zersiedelten Landschaft Niederösterreichs anzutreffen.
Räume, die sich die Menschen gewissermaßen zwanghaft über ihr eigenes Leben stülpen und die irgendwann einmal wichtiger werden, als das Leben selbst. Weil das Haus als in Beton und Ziegel, in Einbauküche und Vorgarten geronnener Lebensentwurf etwas ist, das eingehalten werden muss, koste es, was es wolle.
Gefunden hat all diese perfekten Kulissen die Set-Designerin Maria Gruber. Die Grazerin wurde für die Ausstattung von Revanche zurecht bereits mit Preisen ausgezeichnet.
Sie hat sich wochenlang auf die Suche nach diesen Häusern begeben, ist halb Niederösterreich abgefahren, hat dutzende Protz-Villchen und Bauernhöfe inspiziert, um dann schließlich die gewählten Drehorte gemeinsam mit ihrer Crew zu perfektionieren - vom Kaffeehäferl bis hin zum Sofa, vom Ofen samt Wasserschiff bis zum alten, zerschlissenen Vorhang.
Der Bauernhof beispielsweise ist eine Meisterleistung. Der stand, so sagt Maria Gruber, bereits einige Jahre leer, war aber teilweise noch möbliert.
Was bereits eingebrochen und abgebröckelt war, wurde restauriert, die Schablonenmalerei an den Wänden ergänzt. Die dazugehörigen Kartonscheiben fand sie noch auf dem Dachboden.
Alles passt hier, bis hin zur Resopalplatte des Tisches, deren Kühle diejenigen, die bei ihren Großeltern je an einem solchen saßen, förmlich unter der Handfläche zu spüren vermeinen.
Wie jeder gute Film nimmt Revanche sein Publikum mit auf eine Reise. Manchen wird es passieren, dass sie nach dem Film aus dem Kinosaal hinausgehen und die Stadt, ihre Straßen und ihre Häuser mit anderen, wacheren Augen sehen. Und natürlich auch das Land mit den alten Bauernhäusern und den neu in die Landschaft gestickten Kleinvillen. Für nichtösterreichische Betrachter muss das alles ausgesprochen exotisch wirken. Uns hingegen ist es bekannt bis an die Schmerzgrenze.
Lediglich ein kleiner Einwand zur Schlussszene sei erlaubt: Im Herbst, wenn die Äpfel reif sind, singt die Amsel nicht mehr. Die singt nur bis Juli. Das zumindest wissen die Landmenschen noch.
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