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Eine Stadt stockt auf
Neue Hochhäuser für Frankfurt
Nach dem Krieg bemühte sich Frankfurt vergeblich, Hauptstadt der Bundesrepublik zu werden. Statt dessen entwickelte sich die Stadt zum wichtigsten Finanzplatz auf dem europäischen Festland. Zum architektonischen Signet wurde das Hochhaus. Nun sollen 18 neue Wolkenkratzer die bisher eher isolierten Einzeltürme zu einer Skyline nach amerikanischem Vorbild verdichten.
4. April 2000 - Johann Christoph Reidemeister
Als Frankfurt 1923 sein erstes Hochhaus bekam, da war es Siegfried Kracauer, der in nicht weniger als sechs Artikeln gegen Bedenken der Öffentlichkeit anschrieb. Der von Fritz Voggenberger im damals gängigen expressionistischen Stil als kantiger Keil konzipierte rote Backsteinbau, der in Hans Kollhoffs Hochhaus am Potsdamer Platz weiterzuleben scheint, wurde in den achtziger Jahren gesprengt. Mit zurückgesetzter, stumpfwinklig geknickter Schaufassade und abgetrepptem Übergang zu den umliegenden Häusern markierte der Turm das Ende einer Sichtachse. Gleichzeitig war er städtebaulich geschickt in die Blockrandbebauung integriert. Einwände gegen die ungewohnten Dimensionen versuchte Kracauer mit dem Hinweis auf diese urbanistischen Qualitäten zu zerstreuen: Ein neues Wahrzeichen sei das, eine künstlerische Bereicherung, ein Gewinn für die Stadt in jeder Hinsicht.
Die Zeiten, in denen ein Hochhaus aus städtebaulichen Gründen ausdrücklich gewünscht wurde, sind am Main schon lange vorbei. Zu laut hallen noch die Sprechchöre feministischer Hochhausgegnerinnen («Da ist schon wieder so ein Pimmel, der verdunkelt unsern Himmel!») in den Ohren der Frankfurter; und zu unangenehm sind noch die Erinnerungen der Stadtväter an Hausbesetzer und Demonstranten im Westend der sechziger Jahre. Die Stadtplanung jedenfalls sieht sich immer noch in Erklärungsnöten, wenn erneut Investoren und Architekten die 200-Meter-Marke im Frankfurter Himmel anpeilen, und das besonders dann, wenn - wie jetzt im Falle des 1957 von Udo von Schauroth entworfenen Zürich-Hochhauses (NZZ 30. 6. 98) - Hochhäuser der ersten Generation für neue Projekte geopfert werden. Mangelndes Geschichtsbewusstsein und kalkulatorische Bedingungslosigkeit der bauenden Privatwirtschaft zeigen sich daran, dass selbst dem Denkmalschutz die Hände gebunden sind.
Öko-Hochhäuser
Mitten hinein in diesen Interessenstreit landete Norman Foster einen Coup, indem er 1997 mit seiner Commerzbank den «ersten ökologischen Wolkenkratzer der Welt» präsentierte. Schlagartig war nun alles anders: Bei Foster bekam jeder ein Fenster, eines, das sich dank doppelter Fassade auch im 60. Stock öffnen lässt. Die Kosten für Licht oder Klimatisierung reduzierte er um 30 Prozent. Solche ökologischen Aspekte des in allen Details aufeinander abgestimmten Hauses veranlassten die Kritik, die Geburt eines neuen Bautypus zu proklamieren: die des europäischen Wolkenkratzers.
Die noch junge Tradition des Öko-Hochhauses schreibt nun die Landesbank Hessen-Thüringen mit ihrem kürzlich eingeweihten «Main Tower» fort. Im runden, 200 Meter oder 55 Geschosse hohen Glaskolben des Hamburger Architekten Peter Schweger sollen alle zu einem Platz mit Panoramablick kommen. Im egalitären Rund verbinden sich Programm und Ästhetik: alle Büros sind gleich geschnitten, die in Amerika zum Sport gewordene Angeberei mit den Eckbüros muss hier genauso entfallen wie die der Grundrissoptimierung geschuldeten fensterlosen Flurbüros. Fast scheint es, als ob hier der Wolkenkratzer als «sozialer Kondensator», wie ihn Alexander Pasternak 1926 visionierte, Wahrheit geworden wäre. Dafür sprechen das öffentlich zugängliche Restaurant im 53. Stock und die Aussichtsplattform darüber. Damit haben die Frankfurter nun endlich das so lang ersehnte «Portal zum Himmel» erhalten. Mit diesem ersten teilöffentlichen Wolkenkratzer Frankfurts beraubt Schweger ganz nebenbei die Hochfinanz eines ihrer Privilegien: den exklusiven Blick auf die weit unten flirrende Stadtkulisse. Der eigentliche Triumph des Architekten aber besteht in der baulichen Innovation der parallel zur Fassade aufklappbaren Fenster. Auch in 200 Meter Höhe kann mit dieser Technik jedes Büro individuell gelüftet werden. Die Nähe zu Natur und Stadt ist hier um eine Glashaut direkter gelungen als bei der Commerzbank.
Durch solche Bemühungen kann das Image des Wolkenkratzers aufpoliert und seine Umweltverträglichkeit vergrössert werden. Die Tatsache, dass das Wort vom Öko-Skyscraper ein Oxymoron der Marke Augenwischerei ist, vermögen sie aber nicht zu kaschieren. Jedes Hochhaus bietet auskühlenden Winden viel Angriffsfläche. Bei der Beheizung der Hochhäuser muss daher mit um 30 Prozent höheren Betriebskosten gerechnet werden. Zudem vergrössert ihr diffiziles Fundament die Aufwendungen um denselben Faktor. Ein Negativsaldo ist jedem Hochhaus somit gewiss. Man muss die Türme also wollen, denn trotz Öko-Label sind sie keine Niedrigenergiehäuser.
Gesinnungswandel
Der sich am Main abzeichnende Gesinnungswandel lässt sich schon an den Namen ablesen, mit denen die Riesen aus Stahl und Beton verniedlichend tituliert werden. Taufte man die verspiegelten Zwillingstürme der Deutschen Bank noch «Soll» und «Haben», so verspricht sich derselbe Konzern nun von «Max» ein lukratives Investment. Verspielt und selbstbewusst kommt dieses jüngste Hochhausprojekt Frankfurts daher. Es soll zwischen Junghofstrasse, Grosser Gallusstrasse und Neuer Mainzer Strasse die Wolken in 200 Meter Höhe kratzen. Der Hochhausentwicklungsplan «Frankfurt 2000», den die Stadt 1998 - angesichts von 18 Bauvorhaben privater Investoren - beim Frankfurter Büro Jourdan & Müller in Auftrag gab, markiert denn auch an der Junghofstrasse «Wolkenkratzerpotential». Das wird die Deutsche Bank nach den Plänen des Büros Murphy Jahn umsetzen. Mit einem öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb wollte man Verantwortungsbewusstsein demonstrieren und dokumentierte doch nur privaten Machtanspruch: In der ersten Runde ausgeschieden, gelangte Jahns Entwurf mit offenkundigem Wohlwollen der Bauherrin doch noch auf das Siegerpodest. In der über organisch geschwungenem Grundriss ondulierenden Glassäule, die vor einem Monat im Modell präsentiert wurde, geht es kosteneffizient und möglicherweise auch «teilöffentlich» zu. Dieses Projekt wird das Seine zum Skyline-Effekt beitragen, der Frankfurts Erscheinungsbild immer mehr in die Nähe des amerikanischen Modells der konkurrierenden Marktteilnehmer rücken lässt.
Der Hochhausentwicklungsplan gibt sich da kryptisch: «Die Skyline muss auch die horizontale Wahrnehmung der Stadt positiv beeinflussen.» Ein Satz, der schwierig zu interpretieren ist. Mit hohlem Wortgeklingel wird versucht, über die Tatsache hinwegzureden, dass der Wolkenkratzer jede Stadtplanung negiert, weil er selber Stadt ist. Da wird nachhaltig Stadtentwicklung und innerstädtische Nachverdichtung betrieben und die Aufgabe darin gesehen, zu bündeln und zu streuen. Sicher, nur was denn und wohin? Mit gutgemeinten Vorschlägen und Appellen soll offensichtlich das Beste für die ohnehin abgeschriebene Stadtplanung herausgeholt werden. Dabei beginnt sich mit den neuen Resultaten privater Bauwut nun etwas einzustellen, das nicht herbeigeplant oder weggeredet werden kann: die Stadt erbaut sich eine Identität, setzt eine urbane Landmarke. Als metropolitanes Aushängeschild gedacht, betonierten die im Stadtraum verstreuten Hochhaussolitäre bisher nur die Lächerlichkeit des Misslingens. Doch mit der an Kontur gewinnenden Skyline über dem Main gibt sich jetzt die Grossstadt eine Fassade, die bald als das wirken könnte, was Alexander Mitscherlich mit Blick auf die von New York als «Psychotop» bezeichnete. Als seelischer Ruhepunkt stellt sie ein Stück der Selbstvergewisserung für den dar, der dieser Stadt mit verdankt, was er ist. Frankfurt ist auf seinem Weg in den Himmel ein gutes Stück weitergekommen.
Die Zeiten, in denen ein Hochhaus aus städtebaulichen Gründen ausdrücklich gewünscht wurde, sind am Main schon lange vorbei. Zu laut hallen noch die Sprechchöre feministischer Hochhausgegnerinnen («Da ist schon wieder so ein Pimmel, der verdunkelt unsern Himmel!») in den Ohren der Frankfurter; und zu unangenehm sind noch die Erinnerungen der Stadtväter an Hausbesetzer und Demonstranten im Westend der sechziger Jahre. Die Stadtplanung jedenfalls sieht sich immer noch in Erklärungsnöten, wenn erneut Investoren und Architekten die 200-Meter-Marke im Frankfurter Himmel anpeilen, und das besonders dann, wenn - wie jetzt im Falle des 1957 von Udo von Schauroth entworfenen Zürich-Hochhauses (NZZ 30. 6. 98) - Hochhäuser der ersten Generation für neue Projekte geopfert werden. Mangelndes Geschichtsbewusstsein und kalkulatorische Bedingungslosigkeit der bauenden Privatwirtschaft zeigen sich daran, dass selbst dem Denkmalschutz die Hände gebunden sind.
Öko-Hochhäuser
Mitten hinein in diesen Interessenstreit landete Norman Foster einen Coup, indem er 1997 mit seiner Commerzbank den «ersten ökologischen Wolkenkratzer der Welt» präsentierte. Schlagartig war nun alles anders: Bei Foster bekam jeder ein Fenster, eines, das sich dank doppelter Fassade auch im 60. Stock öffnen lässt. Die Kosten für Licht oder Klimatisierung reduzierte er um 30 Prozent. Solche ökologischen Aspekte des in allen Details aufeinander abgestimmten Hauses veranlassten die Kritik, die Geburt eines neuen Bautypus zu proklamieren: die des europäischen Wolkenkratzers.
Die noch junge Tradition des Öko-Hochhauses schreibt nun die Landesbank Hessen-Thüringen mit ihrem kürzlich eingeweihten «Main Tower» fort. Im runden, 200 Meter oder 55 Geschosse hohen Glaskolben des Hamburger Architekten Peter Schweger sollen alle zu einem Platz mit Panoramablick kommen. Im egalitären Rund verbinden sich Programm und Ästhetik: alle Büros sind gleich geschnitten, die in Amerika zum Sport gewordene Angeberei mit den Eckbüros muss hier genauso entfallen wie die der Grundrissoptimierung geschuldeten fensterlosen Flurbüros. Fast scheint es, als ob hier der Wolkenkratzer als «sozialer Kondensator», wie ihn Alexander Pasternak 1926 visionierte, Wahrheit geworden wäre. Dafür sprechen das öffentlich zugängliche Restaurant im 53. Stock und die Aussichtsplattform darüber. Damit haben die Frankfurter nun endlich das so lang ersehnte «Portal zum Himmel» erhalten. Mit diesem ersten teilöffentlichen Wolkenkratzer Frankfurts beraubt Schweger ganz nebenbei die Hochfinanz eines ihrer Privilegien: den exklusiven Blick auf die weit unten flirrende Stadtkulisse. Der eigentliche Triumph des Architekten aber besteht in der baulichen Innovation der parallel zur Fassade aufklappbaren Fenster. Auch in 200 Meter Höhe kann mit dieser Technik jedes Büro individuell gelüftet werden. Die Nähe zu Natur und Stadt ist hier um eine Glashaut direkter gelungen als bei der Commerzbank.
Durch solche Bemühungen kann das Image des Wolkenkratzers aufpoliert und seine Umweltverträglichkeit vergrössert werden. Die Tatsache, dass das Wort vom Öko-Skyscraper ein Oxymoron der Marke Augenwischerei ist, vermögen sie aber nicht zu kaschieren. Jedes Hochhaus bietet auskühlenden Winden viel Angriffsfläche. Bei der Beheizung der Hochhäuser muss daher mit um 30 Prozent höheren Betriebskosten gerechnet werden. Zudem vergrössert ihr diffiziles Fundament die Aufwendungen um denselben Faktor. Ein Negativsaldo ist jedem Hochhaus somit gewiss. Man muss die Türme also wollen, denn trotz Öko-Label sind sie keine Niedrigenergiehäuser.
Gesinnungswandel
Der sich am Main abzeichnende Gesinnungswandel lässt sich schon an den Namen ablesen, mit denen die Riesen aus Stahl und Beton verniedlichend tituliert werden. Taufte man die verspiegelten Zwillingstürme der Deutschen Bank noch «Soll» und «Haben», so verspricht sich derselbe Konzern nun von «Max» ein lukratives Investment. Verspielt und selbstbewusst kommt dieses jüngste Hochhausprojekt Frankfurts daher. Es soll zwischen Junghofstrasse, Grosser Gallusstrasse und Neuer Mainzer Strasse die Wolken in 200 Meter Höhe kratzen. Der Hochhausentwicklungsplan «Frankfurt 2000», den die Stadt 1998 - angesichts von 18 Bauvorhaben privater Investoren - beim Frankfurter Büro Jourdan & Müller in Auftrag gab, markiert denn auch an der Junghofstrasse «Wolkenkratzerpotential». Das wird die Deutsche Bank nach den Plänen des Büros Murphy Jahn umsetzen. Mit einem öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb wollte man Verantwortungsbewusstsein demonstrieren und dokumentierte doch nur privaten Machtanspruch: In der ersten Runde ausgeschieden, gelangte Jahns Entwurf mit offenkundigem Wohlwollen der Bauherrin doch noch auf das Siegerpodest. In der über organisch geschwungenem Grundriss ondulierenden Glassäule, die vor einem Monat im Modell präsentiert wurde, geht es kosteneffizient und möglicherweise auch «teilöffentlich» zu. Dieses Projekt wird das Seine zum Skyline-Effekt beitragen, der Frankfurts Erscheinungsbild immer mehr in die Nähe des amerikanischen Modells der konkurrierenden Marktteilnehmer rücken lässt.
Der Hochhausentwicklungsplan gibt sich da kryptisch: «Die Skyline muss auch die horizontale Wahrnehmung der Stadt positiv beeinflussen.» Ein Satz, der schwierig zu interpretieren ist. Mit hohlem Wortgeklingel wird versucht, über die Tatsache hinwegzureden, dass der Wolkenkratzer jede Stadtplanung negiert, weil er selber Stadt ist. Da wird nachhaltig Stadtentwicklung und innerstädtische Nachverdichtung betrieben und die Aufgabe darin gesehen, zu bündeln und zu streuen. Sicher, nur was denn und wohin? Mit gutgemeinten Vorschlägen und Appellen soll offensichtlich das Beste für die ohnehin abgeschriebene Stadtplanung herausgeholt werden. Dabei beginnt sich mit den neuen Resultaten privater Bauwut nun etwas einzustellen, das nicht herbeigeplant oder weggeredet werden kann: die Stadt erbaut sich eine Identität, setzt eine urbane Landmarke. Als metropolitanes Aushängeschild gedacht, betonierten die im Stadtraum verstreuten Hochhaussolitäre bisher nur die Lächerlichkeit des Misslingens. Doch mit der an Kontur gewinnenden Skyline über dem Main gibt sich jetzt die Grossstadt eine Fassade, die bald als das wirken könnte, was Alexander Mitscherlich mit Blick auf die von New York als «Psychotop» bezeichnete. Als seelischer Ruhepunkt stellt sie ein Stück der Selbstvergewisserung für den dar, der dieser Stadt mit verdankt, was er ist. Frankfurt ist auf seinem Weg in den Himmel ein gutes Stück weitergekommen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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