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Denkmal ohne Lobby
Er ist eines der bedeutendsten Beispiele österreichischer 1950er-Jahre-Architektur, ein Symbol der Zweiten Republik: der Plenarsaal des Nationalrats in Wien. Ein geplanter Umbau gefährdet sein authentisches Erscheinungsbild.
2. Mai 2009 - Norbert Mayr
Die Führerin lenkt die internationale Besucherschaft souverändurch die ehrwürdigen Hallen des Wiener Parlaments und erläutert das nächste Bauprojekt. Um stolze 17 Millionen Euro soll der „moderne, funktionale“ Nationalratssitzungssaal der 1950er-Jahre „renoviert“ und dabei „kaum verändert“ werden. Schließlich scheint das Parlament stolz zu sein auf den nach Plänen der renommierten Architekten Max Fellerer (1889– 1957) und Eugen Wörle (1909–1996) „völlig neu und modern“ gestalteten Sitzungssaal: „Eines der besten Beispiele der Architektur der 50er-Jahre“, heißt es in offiziellen Aussendungen.
Auch der planende Architekt spricht von der Wahrung der „Authentizität des Nationalratssitzungssaales durch behutsame Intervention“. Das engagierte Siegerprojekt von Andreas Heidl, hervorgegangen aus einem internationalen Wettbewerbes 2008, stellt auch die Präsidentin des Bundesdenkmalamts (BDA), Barbara Neubauer „durchaus zufrieden“: Vor allem das Raumkonzept der 1950er-Jahre mit den zwei Galerien und dergroßzügigen Foyergestaltung sei nicht hoch genug einzuschätzen. Dieses Konzept gelte es ins 21. Jahrhundert überzuführen.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war mehr als ein Drittel des Hauses durch Bombardierungen vernichtet. An der Stelle des Saals von 1955/1956 hatte sich der total ausgebrannte Herrenhaussaal befunden und mit dem Abgeordnetenhaus (heute Bundesrat) die repräsentativen Brennpunkte des zwischen 1874 und 1884 „im Geist der griechischen Antike“ errichteten Reichsratsgebäudes dargestellt. Die Mitglieder beider „Häuser“ sollten sich in der zentral dazwischen situierten Säulenhalle treffen und austauschen. So hatte es sich der dänische Architekt Theophil Hansen vorgestellt, der damit ein Hauptwerk in seinem beeindruckenden OEuvre geplant hatte. Mit der Gründung der Ersten Republik 1918 wurde der einstige Prachtbau der Donaumonarchie zum Parlament.
Fellerer und Wörle bauten auf Hansens Raumkonzeption auf setzten die Bedürfnisse eines modernen Parlaments auf der Höhe der Zeit um. Sie öffneten den Saal durch Glastüren zum Couloir und schufen mit diesen Foyers offene Kommunikationszonen. Die im Halbrund angeordneten Abgeordnetenplätze des Saals orientieren sich zur „politischen Bühne“ mit Rednerpult, Regierungsbank und dem Präsidium dahinter. Der Balkon dient noch heute Ehrengästen, interessierten Bundesräten und Journalisten mit verglasten Kabinen für Rundfunk und Fernsehen. Die Besuchergalerie für das Publikum erweiterten die Architekten auf 180 Sitz- und 60 Stehplätze.
Fellerer und Wörle optimierten auch die Raumakustik durch die Anordnung der Sitzreihen in Sektoren und die Materialität von Wänden und Fußböden. Die Nussholz-Lamberien, die weißen Marmorverkleidungen, die Sitze in braunem Rindsleder und die Fußbodenbespannung aus mattem Velours tragen zum dezent-noblen Gesamteindruck bei. Der einzige Schmuck des Raums ist der Bundesadler aus getriebenem Stahl von Rudolf Hoflehner.
Bei der Fertigstellung 1956 schien die Bedeutung des Saals noch nicht in dieser Breite klar gewesen zu sein. Architekt Roland Rainer schrieb damals: „Von den Fachleuten leider viel zu wenig beachtet, ist kürzlich im Parlament auch der große Plenarsaal fertiggestellt worden – inmitten der feierlichen Architektur Hansens ein Konzept aus modernem Geist, ein Saal der Arbeit, ernst und klar, fast durchsichtig, sachlich und höchst gediegen.“
Wie die anderen beiden bombenbeschädigten Ringstraßenbauten Burgtheater und Operwurde das Parlament außen in seiner ursprünglichen Formen wiederhergestellt. Wanderten die Architekten bei jenen kulturellen Ikonen am Grat zum Eklektizismus, so setzte der aufgeschlossene Bauherr des Plenarsaals auf zeitgemäße Baukultur.
Die Architekten erzielten in den noch von Armut und Beschränkung geprägten Nachkriegsjahren mit souverän einfachen Mitteln – weißer Marmor, Nussholz, Chrom, Aluminium und Glas – nobel zurückgenommene Eleganz. Im Vergleich sehen jüngere Repräsentationsbauten in Österreich, selbst Neu- und Kulturbauten wie Clemens Holzmeisters Großes Festspielhaus in Salzburg 1956/1960, alt aus.
Die Ausstellung kürzlich im Architekturzentrum Wien, „Eugen Wörle – Facetten einer Wiener Moderne“, hob das Parlament nicht besonders hervor. Ein Grund mehr für den Besuch des Saals mit seiner schlüssigen Gesamtwirkung, schließlich ist mehr als ungewiss, ob diese den geplanten Um- beziehungsweise Neubau überleben wird.
In den Sitzungssaal des Nationalrats wurde über die Jahrzehnte wenig investiert, sodass beispielsweise die Belichtung über die Glasdecke spürbar verringert ist. Ein Austausch der Gläser reicht nun nicht mehr aus, mit einem Paukenschlag sollen viele Bereiche komplett erneuert werden, um – so Nationalratspräsidentin Barbara Prammer – den „Anforderungen eines modernen Sitzungsbetriebs“ zu entsprechen: So sollen Saal und Besuchergalerie behindertengerecht, die Saaltechnik modernisiert und bestehende Sicherheitsmängel behoben werden. Architekt Andreas Heidl plant neue bewegliche, kompaktere Bestuhlungen, die auch etwas Platzgewinn im nur geringfügig vergrößerbaren Plenarsaal bedeuten. Zudem soll der gesamte Saalboden neu errichtet werden. Zurzeit überlegt der Architekt, eine neue Saalbegrenzung aus Stützen und Glas-Holz-Lamberien unter den Balkon – dieser soll erhalten und müsste unterfangen werden – zu rücken, anstatt die originalen Mauerpfeiler und Glastüren an der fast gleichen Stelle zu belassen. Zudem sollen Saal und Couloir auch in Zukunft keine eigenen Brandabschnitte werden. Statt die gesamte Besuchergalerie durch kompletten Neubau rollstuhlgerecht zu machen, bietet sich schon heute der Balkon an, der neben Journalisten auch Besuchern dienen kann.
Diese Beispiele widerlegen die Annahme von Parlamentsdirektor Georg Posch, dass bei einer Sanierung des Bewährten „mit einem verhältnismäßig großen Kostenaufwand eine verhältnismäßig geringere Verbesserung“ erzielt würde, und zeigt Optionen für einen respektvolleren Umgang mit der wertvollen Bausubstanz auf.
Zudem könnte Geld eingespart werden, das in die noch nicht ausfinanzierte Adaptierung der Räumlichkeiten unter dem Plenarsaal fließen könnte. Dort, im Erdgeschoß, schlug Heidl sinnvollerweise ein Besucherfoyer vor, das optimal über die beiden geplanten und längst überfälligen Aufzüge alle Ebenen erschließen könnte.
Zahlreiche denkmalschutzgerechte Kleinadaptierungen wären möglich. Beispielsweise könnten die eleganten Pulte leicht für die Laptops elektrifiziert und gegebenenfalls mit Augenmaß vergrößert werden, aber auch Ergänzungen wie neue Lifte könnten Rollstuhlfahrern massive Verbesserungen bringen. Die aktuelle Planung sieht anders aus: Im großteils neu errichteten Saal werden nur ein paar originale Elemente integriert sein. Die historischen Nussholzverkleidungen sollen weiß lasiert und durch weiße Marmorverkleidungen ergänzt werden. Die behauptete Authentizität und stimmige Gestaltung der 1950er-Jahre wäre Vergangenheit. Die Erhaltung dieses Gesamtcharakters könnte aber auch eine Zukunft haben: Ergänzungen wie Lifteinbauten und die sinnvolle Neuordnung der politischen Bühne mit Präsidium, Rednerpult und Regierungsbank könnten in zeitgemäß ablesbaren Formen – und der Gesamtwirkung des historischen Saals untergeordnet – implantiert werden. Allerdings gibt es eine Grenze, bei der nicht mehr die originale Materialität den Raum bestimmt, sondern die bauliche Erneuerung. Diese Grenze ist in den aktuellen Planungen weit überschritten.
Zweifel, dass unsere Volksvertreter die 50er-Jahre-Konzeption respektvoll und sparsam renovieren beziehungsweise nachrüsten, bekam die heutige Präsidentin des BDAs, Barbara Neubauer, bereits vor Jahren, als die Parlamentarier 14 Millionen Euro für das Umbaubudget beschlossen. Stetig kulminierten neue Ansprüche der Abgeordneten an den Saal zum als „öffentlich“ deklarierten Interesse. „Öffentliches Interesse“ bildet die Begründung für den substanziellen Schutz von Baudenkmälern, das sich das Denkmalamt von den Parlamentariern entziehen ließ. Präsidentin Neubauer spricht heute von einer „strukturellen Erhaltung“, um „die Geschichte dieses Saals zumindest in Ansätzen weitertransportieren zu können.“
Schließlich gab das Denkmalamt beim Wettbewerb 2007/08 grünes Licht für die Neugestaltung in der Horizontalen – auch mit Grundrissänderungen –, während die Optik der Vertikale erhalten bleiben muss. „Stilbildende Elemente“ wie Form und Material der geschwungenen Rückwand in Sitzungsebene und Balkon, der raumbildenden Brüstungen bei Balkon und Galerie, die Stirnwand hinter dem Präsidium sowie die Deckenblende über der Galerie sollten erhalten bleiben. Architekt Heidls Siegerprojekt behielt die Optik und – verglichen mit den meisten anderen Wettbewerbsprojekten – mehr Bausubstanz. Er bemüht sich redlich um Anknüpfungspunkte am Saal, den er – aus seiner Sicht verständlich – neu mit einem Hauch von Geschichte interpretieren will. Das Ergebnis wird allerdings im Architekturschaffen des beginnenden 21. Jahrhunderts nie jene baukulturelle Bedeutung erlangen, wie es für die Nachkriegsarchitektur der bestehende Saal als eines „der besten Beispiele der Architektur der 50er-Jahre“ darstellt.
Die zeitgemäßen Verbesserungen des Saals und seiner angrenzenden Bereiche wären unter Wahrung des Großteils der Bausubstanz möglich. Zudem sind bei gleichen Gesamtkosten arbeitsintensive Reparaturen wesentlich ressourcenschonender und konjunkturfördernder als materialintensive Erneuerungen.
Nun sind die Hausherrn, die Parlamentarier, gefordert: Nicht zeitgemäße, sondern historische Baukultur gilt es zu fördern. Im Gegensatz zur Generalsanierung mit großem Neubau-Anteil kann durch technische Verbesserungen, Auffrischungen und Reparaturen und Ergänzungen wie Lifte der Saal unter Wahrung seines einzigartigen Charakters aufgerüstet werden. Dabei sind Ansprüche wie Barrierefreiheit besonnen umzusetzen. Eine schlampige oder falsche Verwendung des Begriffs Authentizität schafft keine Denkmalpflege mit Substanz und bietet keine Voraussetzung, dass der Saal als politisches Symbol und Baudenkmal in Zukunft bestehen kann.
Morgen, am 3. Mai, wird in Bonn der nach Plänen von Sep Ruf 1963/64 gebaute „Kanzlerbungalow“ dem Publikum geöffnet. Er hat der Bundesrepublik ein modernes Gesicht gegeben. Der Symbolbau der Nachkriegszeit wurde in den letzten Jahren vorbildlich restauriert, die Bewusstseinsbildung für Denkmäler der Nachkriegszeit ist in Deutschland ungleich weiter als in Österreich.
Zurück ins Parlament: Nach der kurzen Nachdenkpause vor wenigen Monaten wegen der Wirtschaftskrise und dem medial perfekt transportierten Wassereinbruch – der wesentliche Punkt des Gutachtens ist allerdings der fehlende moderne Brandschutz für das ganze (!) Parlament – geht die Planung weiter. Das ist auch gut so, denn es geht nicht um das Ja oder Nein sondern um das Wie.
Auch der planende Architekt spricht von der Wahrung der „Authentizität des Nationalratssitzungssaales durch behutsame Intervention“. Das engagierte Siegerprojekt von Andreas Heidl, hervorgegangen aus einem internationalen Wettbewerbes 2008, stellt auch die Präsidentin des Bundesdenkmalamts (BDA), Barbara Neubauer „durchaus zufrieden“: Vor allem das Raumkonzept der 1950er-Jahre mit den zwei Galerien und dergroßzügigen Foyergestaltung sei nicht hoch genug einzuschätzen. Dieses Konzept gelte es ins 21. Jahrhundert überzuführen.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war mehr als ein Drittel des Hauses durch Bombardierungen vernichtet. An der Stelle des Saals von 1955/1956 hatte sich der total ausgebrannte Herrenhaussaal befunden und mit dem Abgeordnetenhaus (heute Bundesrat) die repräsentativen Brennpunkte des zwischen 1874 und 1884 „im Geist der griechischen Antike“ errichteten Reichsratsgebäudes dargestellt. Die Mitglieder beider „Häuser“ sollten sich in der zentral dazwischen situierten Säulenhalle treffen und austauschen. So hatte es sich der dänische Architekt Theophil Hansen vorgestellt, der damit ein Hauptwerk in seinem beeindruckenden OEuvre geplant hatte. Mit der Gründung der Ersten Republik 1918 wurde der einstige Prachtbau der Donaumonarchie zum Parlament.
Fellerer und Wörle bauten auf Hansens Raumkonzeption auf setzten die Bedürfnisse eines modernen Parlaments auf der Höhe der Zeit um. Sie öffneten den Saal durch Glastüren zum Couloir und schufen mit diesen Foyers offene Kommunikationszonen. Die im Halbrund angeordneten Abgeordnetenplätze des Saals orientieren sich zur „politischen Bühne“ mit Rednerpult, Regierungsbank und dem Präsidium dahinter. Der Balkon dient noch heute Ehrengästen, interessierten Bundesräten und Journalisten mit verglasten Kabinen für Rundfunk und Fernsehen. Die Besuchergalerie für das Publikum erweiterten die Architekten auf 180 Sitz- und 60 Stehplätze.
Fellerer und Wörle optimierten auch die Raumakustik durch die Anordnung der Sitzreihen in Sektoren und die Materialität von Wänden und Fußböden. Die Nussholz-Lamberien, die weißen Marmorverkleidungen, die Sitze in braunem Rindsleder und die Fußbodenbespannung aus mattem Velours tragen zum dezent-noblen Gesamteindruck bei. Der einzige Schmuck des Raums ist der Bundesadler aus getriebenem Stahl von Rudolf Hoflehner.
Bei der Fertigstellung 1956 schien die Bedeutung des Saals noch nicht in dieser Breite klar gewesen zu sein. Architekt Roland Rainer schrieb damals: „Von den Fachleuten leider viel zu wenig beachtet, ist kürzlich im Parlament auch der große Plenarsaal fertiggestellt worden – inmitten der feierlichen Architektur Hansens ein Konzept aus modernem Geist, ein Saal der Arbeit, ernst und klar, fast durchsichtig, sachlich und höchst gediegen.“
Wie die anderen beiden bombenbeschädigten Ringstraßenbauten Burgtheater und Operwurde das Parlament außen in seiner ursprünglichen Formen wiederhergestellt. Wanderten die Architekten bei jenen kulturellen Ikonen am Grat zum Eklektizismus, so setzte der aufgeschlossene Bauherr des Plenarsaals auf zeitgemäße Baukultur.
Die Architekten erzielten in den noch von Armut und Beschränkung geprägten Nachkriegsjahren mit souverän einfachen Mitteln – weißer Marmor, Nussholz, Chrom, Aluminium und Glas – nobel zurückgenommene Eleganz. Im Vergleich sehen jüngere Repräsentationsbauten in Österreich, selbst Neu- und Kulturbauten wie Clemens Holzmeisters Großes Festspielhaus in Salzburg 1956/1960, alt aus.
Die Ausstellung kürzlich im Architekturzentrum Wien, „Eugen Wörle – Facetten einer Wiener Moderne“, hob das Parlament nicht besonders hervor. Ein Grund mehr für den Besuch des Saals mit seiner schlüssigen Gesamtwirkung, schließlich ist mehr als ungewiss, ob diese den geplanten Um- beziehungsweise Neubau überleben wird.
In den Sitzungssaal des Nationalrats wurde über die Jahrzehnte wenig investiert, sodass beispielsweise die Belichtung über die Glasdecke spürbar verringert ist. Ein Austausch der Gläser reicht nun nicht mehr aus, mit einem Paukenschlag sollen viele Bereiche komplett erneuert werden, um – so Nationalratspräsidentin Barbara Prammer – den „Anforderungen eines modernen Sitzungsbetriebs“ zu entsprechen: So sollen Saal und Besuchergalerie behindertengerecht, die Saaltechnik modernisiert und bestehende Sicherheitsmängel behoben werden. Architekt Andreas Heidl plant neue bewegliche, kompaktere Bestuhlungen, die auch etwas Platzgewinn im nur geringfügig vergrößerbaren Plenarsaal bedeuten. Zudem soll der gesamte Saalboden neu errichtet werden. Zurzeit überlegt der Architekt, eine neue Saalbegrenzung aus Stützen und Glas-Holz-Lamberien unter den Balkon – dieser soll erhalten und müsste unterfangen werden – zu rücken, anstatt die originalen Mauerpfeiler und Glastüren an der fast gleichen Stelle zu belassen. Zudem sollen Saal und Couloir auch in Zukunft keine eigenen Brandabschnitte werden. Statt die gesamte Besuchergalerie durch kompletten Neubau rollstuhlgerecht zu machen, bietet sich schon heute der Balkon an, der neben Journalisten auch Besuchern dienen kann.
Diese Beispiele widerlegen die Annahme von Parlamentsdirektor Georg Posch, dass bei einer Sanierung des Bewährten „mit einem verhältnismäßig großen Kostenaufwand eine verhältnismäßig geringere Verbesserung“ erzielt würde, und zeigt Optionen für einen respektvolleren Umgang mit der wertvollen Bausubstanz auf.
Zudem könnte Geld eingespart werden, das in die noch nicht ausfinanzierte Adaptierung der Räumlichkeiten unter dem Plenarsaal fließen könnte. Dort, im Erdgeschoß, schlug Heidl sinnvollerweise ein Besucherfoyer vor, das optimal über die beiden geplanten und längst überfälligen Aufzüge alle Ebenen erschließen könnte.
Zahlreiche denkmalschutzgerechte Kleinadaptierungen wären möglich. Beispielsweise könnten die eleganten Pulte leicht für die Laptops elektrifiziert und gegebenenfalls mit Augenmaß vergrößert werden, aber auch Ergänzungen wie neue Lifte könnten Rollstuhlfahrern massive Verbesserungen bringen. Die aktuelle Planung sieht anders aus: Im großteils neu errichteten Saal werden nur ein paar originale Elemente integriert sein. Die historischen Nussholzverkleidungen sollen weiß lasiert und durch weiße Marmorverkleidungen ergänzt werden. Die behauptete Authentizität und stimmige Gestaltung der 1950er-Jahre wäre Vergangenheit. Die Erhaltung dieses Gesamtcharakters könnte aber auch eine Zukunft haben: Ergänzungen wie Lifteinbauten und die sinnvolle Neuordnung der politischen Bühne mit Präsidium, Rednerpult und Regierungsbank könnten in zeitgemäß ablesbaren Formen – und der Gesamtwirkung des historischen Saals untergeordnet – implantiert werden. Allerdings gibt es eine Grenze, bei der nicht mehr die originale Materialität den Raum bestimmt, sondern die bauliche Erneuerung. Diese Grenze ist in den aktuellen Planungen weit überschritten.
Zweifel, dass unsere Volksvertreter die 50er-Jahre-Konzeption respektvoll und sparsam renovieren beziehungsweise nachrüsten, bekam die heutige Präsidentin des BDAs, Barbara Neubauer, bereits vor Jahren, als die Parlamentarier 14 Millionen Euro für das Umbaubudget beschlossen. Stetig kulminierten neue Ansprüche der Abgeordneten an den Saal zum als „öffentlich“ deklarierten Interesse. „Öffentliches Interesse“ bildet die Begründung für den substanziellen Schutz von Baudenkmälern, das sich das Denkmalamt von den Parlamentariern entziehen ließ. Präsidentin Neubauer spricht heute von einer „strukturellen Erhaltung“, um „die Geschichte dieses Saals zumindest in Ansätzen weitertransportieren zu können.“
Schließlich gab das Denkmalamt beim Wettbewerb 2007/08 grünes Licht für die Neugestaltung in der Horizontalen – auch mit Grundrissänderungen –, während die Optik der Vertikale erhalten bleiben muss. „Stilbildende Elemente“ wie Form und Material der geschwungenen Rückwand in Sitzungsebene und Balkon, der raumbildenden Brüstungen bei Balkon und Galerie, die Stirnwand hinter dem Präsidium sowie die Deckenblende über der Galerie sollten erhalten bleiben. Architekt Heidls Siegerprojekt behielt die Optik und – verglichen mit den meisten anderen Wettbewerbsprojekten – mehr Bausubstanz. Er bemüht sich redlich um Anknüpfungspunkte am Saal, den er – aus seiner Sicht verständlich – neu mit einem Hauch von Geschichte interpretieren will. Das Ergebnis wird allerdings im Architekturschaffen des beginnenden 21. Jahrhunderts nie jene baukulturelle Bedeutung erlangen, wie es für die Nachkriegsarchitektur der bestehende Saal als eines „der besten Beispiele der Architektur der 50er-Jahre“ darstellt.
Die zeitgemäßen Verbesserungen des Saals und seiner angrenzenden Bereiche wären unter Wahrung des Großteils der Bausubstanz möglich. Zudem sind bei gleichen Gesamtkosten arbeitsintensive Reparaturen wesentlich ressourcenschonender und konjunkturfördernder als materialintensive Erneuerungen.
Nun sind die Hausherrn, die Parlamentarier, gefordert: Nicht zeitgemäße, sondern historische Baukultur gilt es zu fördern. Im Gegensatz zur Generalsanierung mit großem Neubau-Anteil kann durch technische Verbesserungen, Auffrischungen und Reparaturen und Ergänzungen wie Lifte der Saal unter Wahrung seines einzigartigen Charakters aufgerüstet werden. Dabei sind Ansprüche wie Barrierefreiheit besonnen umzusetzen. Eine schlampige oder falsche Verwendung des Begriffs Authentizität schafft keine Denkmalpflege mit Substanz und bietet keine Voraussetzung, dass der Saal als politisches Symbol und Baudenkmal in Zukunft bestehen kann.
Morgen, am 3. Mai, wird in Bonn der nach Plänen von Sep Ruf 1963/64 gebaute „Kanzlerbungalow“ dem Publikum geöffnet. Er hat der Bundesrepublik ein modernes Gesicht gegeben. Der Symbolbau der Nachkriegszeit wurde in den letzten Jahren vorbildlich restauriert, die Bewusstseinsbildung für Denkmäler der Nachkriegszeit ist in Deutschland ungleich weiter als in Österreich.
Zurück ins Parlament: Nach der kurzen Nachdenkpause vor wenigen Monaten wegen der Wirtschaftskrise und dem medial perfekt transportierten Wassereinbruch – der wesentliche Punkt des Gutachtens ist allerdings der fehlende moderne Brandschutz für das ganze (!) Parlament – geht die Planung weiter. Das ist auch gut so, denn es geht nicht um das Ja oder Nein sondern um das Wie.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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