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Der Standard

Ein Zerrbild vormals guter Sitte ist nicht nur im Parlament zu beobachten. Manche Bauherren pfeifen derzeit ebenfalls auf jede Moral

1. Juni 2009 - Ute Woltron
...wenn es um ihre Partner, die Architekten, geht. Drei Beispiele.

Über den Verfall von Sitte und Moral haben bereits die alten Weisen der chinesischen Qin-Dynastie gejammert. Das war vor immerhin mehr als 2000 Jahren, also sollte man sehr vorsichtig mit derlei Begriffen und Wertigkeiten umgehen. Doch ohne ein Mindestmaß guter Sitte und Moral - wie auch immer man die für sich definiert - lebt es sich doch sehr schwer miteinander, so viel steht fest.

Das bemerken derzeit unter anderem gar nicht wenige Architektinnen und Architekten, die mit ihren Bauherrschaften Scherereien haben, wie sie vor einigen Jahren zwar auch schon vorkamen, aber nicht in derartiger Häufung wie jetzt eben.

Das in Mode kommende Prinzip funktioniert folgendermaßen: Ein Bauherr schreibt einen Wettbewerb aus, eine Jury entscheidet über den Gewinner, und der wird in der Folge nach einigen Verhandlungen mit den Planungsleistungen beauftragt. Das Architekturbüro beginnt zu arbeiten, streckt jede Menge Leistung vor, weil naturgemäß in Phasen abgerechnet wird, und die müssen erst einmal vorbeigehen und mit den zuvor definierten Leistungen dokumentiert werden, bevor Architektenhonorare auf Konten wandern.

Während die Architekten also aus einem Wettbewerbsprojekt ein zu bauendes machen, die Planung bis in Details verfeinern und komplettieren, was selbstredend einen enormen Aufwand darstellt, überlegen mitunter die Bauherren insgeheim bereits, wie sie die lästigen I-Tüpferlreiter samt deren Feilens um Perfektion wieder loswerden könnten. Denn die Planungen liegen ja jetzt schon im Groben vor. Und die Baufirma der Wahl wird da schon was draus machen, und zwar ohne zu fackeln und ohne sich mit den Feinheiten lang aufzuhalten.

Hochburg Kärnten

Ähnliches passiert offenbar gerade - neben einigen anderen auch - den Wiener Architekten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs, alias the next ENTERprise. Die hatten das Pech, vor knapp drei Jahren einen Wettbewerb im schönen Bundesland Kärnten zu gewinnen, dem von allen Bundesländern der Ruf vorauseilt, in Sachen Korruption und Selbstherrlichkeit unangefochtener Bundesmeister zu sein.

Nachdem the next ENTERprise den von der Villacher Freibad GmbH. ausgelobten Wettbewerb zur Neuerrichtung der Erlebnistherme Warmbad Villach Neu gewonnen hatten, wurden sie mit der Planung des Projektes beauftragt. Diese erfolgte in steter Absprache mit den Verantwortlichen der Gemeinde, die mit 53,7 Prozent Mehrheitseigentümerin der Gesellschaft ist, aber auch mit Vertretern der Resteigentümer Kärntner Tourismus Holding G.m.b.H. (34 Prozent) sowie Thermenhotel Karawankenhof GesmbH. & Co KG (12,3 Prozent).

Letzteres Hotel liegt gleich neben dem zu errichtenden Frei- und Hallenbad, wodurch synergetische Effekte für die Gäste zu erwarten sind, weil die über eigens zu planende Zugänge das neue Bad selbstverständlich nutzen werden. Denn Public Private Partnership scheint in Villach großgeschrieben. Es herrscht eine muntere gegenseitige Beteiligung diverser Thermen- und Thermenhotelgesellschaften und den Teilgesellschaftern Georg Lukeschitsch und Susanna Mayerhofer sowie der Freibad GmbH. Also reden alle mit. Wahrscheinlich zahlen auch alle ganz vorbildlich anteilig am Projekt mit, doch Genaueres entzieht sich freilich unserer Kenntnis.

Die Architekten vollendeten also den Bauherrenwünschen entsprechend die Planungen des sehr anspruchsvollen und deshalb den Namen Architektur verdienenden Projektes bis hin zur abgeschlossenen Ausführungs- und Detailplanung sowie der Erstellung der Leistungsverzeichnisse. Doch die Bauherrschaft zeigte sich zunehmend unzufrieden, stellte wiederholt Nachforderungen, die die Architekten lieferten. Doch schließlich bekamen sie einen Brief von den Auftraggebern. Darin traten diese vom Vertrag zurück, ohne die noch ausstehenden Honorare zu bezahlen, und gaben als Begründung an, ein nicht näher genannter „allgemein beeidigter gerichtlich zertifizierter Sachverständiger“ habe unter anderem zahlreiche technische Mängel und das Fehlen von Details festgestellt. Weder Gutachten noch Gutachter sind den Architekten bekannt.

Häuser bauen statt streiten

Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle: Die Beschreitung des Rechtsweges ist gewöhnlich etwas, dem man auszuweichen versucht. Vor allem Architekten sind nicht gerade bekannt dafür, ihre Auftraggeber leichtfertig zu verklagen. Schließlich sitzen die meistens auf längeren Ästen, die noch dazu nicht selten von hauseigenen Rechtsabteilungen gut gestützt werden. Außerdem will man weniger streiten als gute Häuser bauen.

Die Wiener beschlossen dennoch, diese Causa erstmals einem guten Anwalt zu überantworten. Denn die saloppe Weigerung, die ausstehenden vereinbarten Honorare zu bezahlen, wäre sowohl moralisch als auch finanziell schwer verdaulich. Zudem müssen sie ein Projekt abschreiben, an dem sie drei Jahre ihres Arbeitslebens verschlissen haben.

Ebenfalls in Kärnten, genauer in Velden, machten auch die Wiener Kollegen András Pálffy und Christian Jabornegg erstaunliche Erfahrungen. Auch sie gewannen im Jahr 2004 einen Wettbewerb, und zwar das Hotel- und Appartementprojekt Schloss Velden. Auf der Homepage der Auftraggeberin, der Kärntner Hypo Alpe-Adria steht heute zu lesen: „Insgesamt wurden in das Projekt Hotel & Residenz Schloss Velden rund 127 Millionen Euro investiert.“

Die Architekten selbst schlossen mit einer Tochtergesellschaft der Bank allerdings einen Vertrag über einen Kostenrahmen von lediglich 37,3 Millionen Euro für das Projekt ohne Inneneinrichtung ab, denn zwischenzeitlich hatten die Auftraggeber beschlossen, die Ausstattung der Innereien einem anderen Team zu übertragen.

Abgesehen von den offenbar undurchsichtigen Finanzfragen, die das Gesamtprojekt aufwirft - etwa wie sich die leicht errechenbare und trotz Abzugs der Grundstückskosten von 22 Millionen immer noch erkleckliche Differenz genau aufschlüsselt - blieb man den Architekten aus dem bestehenden Vertragsverhältnis ein Nettohonorar in der Höhe von rund 93.000 Euro schuldig. Da sich das Architektenhonorar allerdings von der Bausumme ableitet, dürfte es sich, würde man ehrlich rechnen, um wesentlich mehr handeln. Da auch Jabornegg & Pálffy wenig Talent zum Duckmäusertum haben, wurde soeben eine Klage gegen die Auftraggeber eingebracht, um die ausstehenden Honorare einzufordern.

So weit zwei Beispiele aus Kärnten. Doch auch in der Bundeshauptstadt sind ähnliche Spielformen unterschiedlicher Moral- und Sittenauslegungen zu beobachten. So geschehen beispielsweise im Fall eines Verhandlungsverfahrens, das die Stadt Wien vertreten durch das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser zu Jahresbeginn ausgelobt hatte. Titel des Verfahrens: „Generalplanerleistungen für Zubau und Sanierung Pensionistenwohnhaus Liebhartstal II“ im 16. Bezirk.

Eine fachkundige Bewertungskommission befand das Projekt der Architekten Delugan Meissl in einer zweiten Runde und nach einem Hearing als jenes, das den Zuschlag erhalten solle. Doch dies schien den Auslobern nicht so recht zu passen. Es wurden umfangreiche Nachweise von den Architekten gefordert, wie etwa einer über die „Bedienbarkeit von Fensterelementen“. Derlei Nachweis ist zumindest in der Fachwelt bis dato unbekannt. Die Architekten argumentierten in einem Schreiben, dass die genaue Überarbeitung ohnehin im Rahmen der fortschreitenden Planung erfolgen würde. Daraufhin, so Petra Rindler von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Pflaum, Karlberger, Wiener, Opetnik, „wurde das Projekt mit der Begründung ausgeschieden, dass die vom Auftraggeber geforderten Anforderungen nicht erfüllt wurden.“

Diese Vorgangsweise, so die Anwältin, sei allerdings unzulässig und rechtswidrig: „Planer müssen ohnehin schon kosten- und zeitintensive Leistungen im Rahmen eines Wettbewerbes erbringen, es muss daher gewährleistet sein, dass die in den Ausschreibungsbedingungen geforderten Leistungen nicht später ausgeweitet werden können.“ Denn: „Eine solche Vorgangsweise würde die Teilnahme an Wettbewerbsverfahren für Planer noch weniger kalkulierbar machen.“

Architektenausbooten als Mode

Als Nichtjurist ist man versucht zu sagen, dass die Architekten den Auftraggebern aus welchen Gründen auch immer ganz einfach nicht geschmeckt haben. Das Resultat ist jedenfalls der bereits erfolgte Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie ein gerade laufendes Verfahren vor dem Vergabekontrollsenat Wien. Weil auch Delugan Meissl eher zu den Streitbaren als zu den Duckmäusern gehören.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Die Unmoralischen unter den Bauherren - denn selbstverständlich gibt es viele lobenswerte andere - versuchen mit fadenscheinigen Begründungen Architekten auszubooten, und die Mittel zum Zweck sind mannigfaltig. Das Haupttransportmittel ist jedoch stets der Anwurf - das Schlechtmachen von Leistungen. Die Architekten befinden sich plötzlich in der Rolle der Angegriffenen, in der undankbaren Position derjenigen, die sich verteidigen müssen. Die Auftraggeber engagieren in solchen Momenten auch gern Projektsteuerer, scheinbar um zu vermitteln, tatsächlich aber gelegentlich, um die nicht selten dubiosen Geldflüsse in die gewünschten Richtungen zu lenken.

Fazit: Die Architekten haben in diesem Land keine Lobby. Das ist der wahre Jammer. Es hört sie keiner. Sie müssten noch viel lauter schreien. Denn nicht nur sie selbst bleiben unter Umständen auf der Strecke, sondern auch das, was man Baukultur nennt, und was unser aller Umwelt maßgeblich prägen könnte. Wenn alle wollten. Das wäre moralisch. Jetzt und für die folgenden Generationen.

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