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Von Mies zum Messie
Spectrum

Das Haus – ein Symbol für das Ich? Das Traumhaus als Indika- tor für unbewusste Wünsche? Wie Architektur mit der Psyche eines Bewohners korrespon- diert. Und was passiert, wenn Architekten das ignorieren.

Wenn sich eine Person an einen Architekten oder eine Architektin wendet, um ihr Haus planen zu lassen, so geben deren Wünsche und Vorstellungen bald zu erkennen, dass es meist um mehr geht, als eine solide, funktionale oder ästhetisch nachhaltige Bleibe zu erhalten. Freud meinte, dass die einzige typische, das heißt regelmäßige Darstellung der menschlichen Person als Ganzes die als Haus sei, das Haus steht symbolisch für das „Ich“ oder kann als Metapher für die eigene Person gesehen werden. Wünsche, Vorlieben, Abwehrhaltungen, Sehnsüchte oder Ängste werden oft bildlich in einHaus oder in eine Wohnung projiziert. „Traumhäuser“, die den Planern präsentiert werden, lassen meist Rückschlüsse auf unbewusste Kräfte zu, die die spezifischen Vorstellungen der Bauherrn von Geborgenheit, Autonomie- oder Schutzbedürfnis bestimmen. An der Errichtung des eigenen Hauseshängt also viel dran – nicht nur finanziell. Je sesshafter eine Gesellschaft und je weniger austauschbar das Haus ist, umso gewichtiger wird die Identifikation der Eigenheimbesitzer mit selbigem, und umso genauer sollten die Architektin, der Architekt auf den Entwurf eines passenden Hauses achten.

Aber auch umgekehrt müssen Architekten gewahr sein, dass sie Gefahr laufen können, eigene Projektionen und Wünsche ans Wohnen in ein Konzept zu verpacken, und so am Bedürfnis des Auftraggebers völlig vorbeiplanen – ohne deshalb „schlechte“ Architektur zu machen! Ein Beispiel dafür gibt die Geschichte einer Ikone der modernen Architektur, des Farnsworth House von Ludwig Mies van der Rohe, geplant und erbaut 1945–1950 in der Nähe von Chicago. Die Wiener Architektin und Architekturtheoretikerin Sabine Pollak hat in ihrer Publikation „Leere Räume – Weiblichkeit und Wohnen in der Moderne“ (2004) jene Details der Entstehungsgeschichte erzählt, die in den meisten Mies-Architekturabhandlungen bislang nicht erzählt wurden: Es war die beruflich erfolgreiche, alleinstehende Ärztin Edith Farnsworth, die Mies beauftragt hatte, ein Wochenendhaus mitten in der Natur im Ufergebiet eines Flusses für sie zu konzipieren. Mies van der Rohe plante einen eckigen gläsernen Pavillon, der von acht weiß gestrichenen Stahlsäulen getragen wird und – auchaus Gründen des Hochwasserschutzes – zirkaeineinhalb Meter über Bodenniveau auf einerPlattform ruht. Den Kern des Hauses bildet die Nasszelle, der restliche Raum mit all den determinierten Funktionen des Wohnens im Wochenendhaus wie Herumlungern, Schlafen, Kochen, Essen, Lesen und vieles mehr erlaubte keinen Rückzug.

All diese Details des häuslichen Lebens waren von der Umgebung – die Landstraße ist relativ nahe – lediglich durch eine Glasschicht getrennt und wurden damit automatisch exponiert, so lange, bis die Hausbesitzerin die seidenen Vorhänge zuzog. Bei Dunkelheit wohl rundherum, und nun saß sie zwar nicht mehr in einem Glashaus, aber dafür in einem hermetischen Raum mit Zeltcharakter. Vielleicht hatte Edith Farnsworth im Planungsstadium bereits Bedenken angemeldet, realisiert hat sie es aber zweifellos erst beim Bewohnen, dass in der architektonischen Konzeption ihres Hauses kein Platz für persönliche Befindlichkeiten war. Ganz im Gegenteil: Der Architekt hat wie schon in Barcelona 1929 einen von der Weltöffentlichkeit bewunderten Ausstellungspavillon errichtet und seine Auftraggeberin wie auf dem Präsentierteller hineingesetzt, um nichtzu sagen: bloßgestellt. Die Ärztin konnte sichnach einer anstrengenden Arbeitswoche zwar in die Natur zurückziehen, stand dort aber dann theoretisch unter permanenter Beobachtung von Spaziergängern und ungebetenen Gästen. Wie ein weiteres luxuriöses Möbel von Mies, mit denen das Haus bestücktwar, wurde die Hausherrin in die Auslage gestellt, gesetzt oder gelegt, je nachdem.

Man unterstellt dem Architekten hierbei keine böse Absicht, aber doch die Projektiondes eigenen Wunsches nach selbstbewusst männlicher Kontemplation bei der Naturbetrachtung im Lehnstuhl – während ein weibliches Wesen einen Whisky serviert und den Aschenbecher für die Zigarre zum Couchtisch bringt. Edith Farnsworth wurde in diesem Haus, das, weltberühmt, nach wie vor ihren Namen trägt, nicht glücklich. Nachdemsie 20 Jahre lang versucht hatte, sich, ihrer Lebensweise entsprechend, dort einzurichten, verkaufte sie den Glaspavillon an einen Mann, der später, so Pollak, von einem männlichen Architekturkritiker als der „ideale Besitzer“ tituliert wurde. Mies van der Rohe meinte 1959: „The Farnsworth House is a house for a single person; that made the job easier.“ Er machte es sich insofern leicht, als er ein Meisterstück „männlicher“ Architekturkreierte, ohne darüber nachzudenken, dass er für eine Frau hätte bauen sollen.

Bauherrn wie Architekten sollten sich von vornherein der psychodynamischen Prozesse zwischen den einzelnen Personen beim Planen bewusst sein, um auf beiden Seiten keine Enttäuschungen zu erleben. Dazu gehört nicht nur, sich auf das Gegenüber einzulassen, sondern auch Charaktertypen richtig einschätzen zu können und dadurch die Projektabwicklung günstig zu beeinflussen. Der Begriff „Persönlichkeit“ umfasst allgemeine und zeitlich stabile Charaktereigenschaften wie Temperament, persönliche Werte oder Einstellungen eines Menschen, die für den Einzelnen einzigartig und unverwechselbar sind, und Aspekte des Fühlens, Denkens, Wahrnehmens und der Gestaltung sozialer Beziehungen beinhalten. In der Psychologie wurden schon 1923 systematische Typologien beschrieben: Häufige Persönlichkeitszüge sind zwanghaftes, ängstliches, chaotisches, theatralisches oder gewissenloses Verhalten. Beim Bauen für eine bestimmte Person oder auch Personengruppe, wie eine Familie, sind diese Charakterphänomene jedenfalls von Relevanz. Ein auf Extrovertiertheit ausgerichtetes architektonisches Ordnungsprinzip intendiert am ehesten einen theatralischen Raumutzer, denn für die Selbstinszenierung eines Bauherrn ist der Auftritt auf dem Mies'schen Podium zweifellos perfekt. Am anderen Ende der „Strukturiertheitsskala“ findet sich der Chaotiker, der Schwierigkeiten hat, die Dinge des täglichen Lebens in Ordnung zu halten, in der pathologischen Ausformung pejorativ „Messie“ genannt. Hätte Mies womöglich auch den Messie in seinem Bauherrn nicht erkannt und ihn detto in ein Glashaus gesetzt? Vielleicht absichtlich – als Verhaltenstherapie –, um durch die Kontrolle von außen den Bewohner zur Ordnung zu zwingen? Zweifellos wäre er nicht erfreut gewesen, wenn seine „reine“ Architektur von innen her zugemüllt worden wäre. Irgendwann,wenn das Haus dann unbewohnbar geworden wäre, hätte es als Mahnmal herhalten können, für eine klar ersichtliche, gescheiterte Architekten-Bauherrn-Beziehung.

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