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Verpackt für alle Ewigkeit
Der Standard

Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben, heißt es. In exakt diese Richtung drängt auch die Panikmache, alte Häuser mit thermischen Sanierungen umzubringen. Ein Beispiel von Ute Woltron.

19. September 2009 - Ute Woltron
Wir leben in unsicheren Zeiten, und alle fürchten sich. Die einen davor, den Job zu verlieren; die anderen vor dem Moment, in dem sie zugeben müssen, dass sie die Steuern trotzdem erhöhen werden. Alle fürchten sich vor der Klimaveränderung, und die meisten vor dem Ausbleiben der wundervollen Erdgaslieferungen aus dem Osten.

Auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnhaussiedlung in der Wiener Peter-Jordan-Straße 145-149 beobachten das große und das kleine Weltgeschehen mit aufmerksamem Interesse. Vielleicht beobachten sie es sogar noch ein wenig bedachtsamer als manch andere, denn viele von ihnen sind emeritierte oder noch aktive Universitätsprofessoren, und die sind normalerweise auf Zack. Einige leben bereits seit 35 Jahren hier - in einer ruhigen, durchgrünten Wohnanlage in Boku-Nähe, gebaut in den Jahren 1970 bis 1973 für Universitätsangestellte.

Derzeit fürchten sich diese guten Leute allerdings vor ganz anderem: Ihre aus vier gestaffelten Zeilen bestehende Behausung soll demnächst thermisch saniert werden. So will das der krisengeschüttelte Zeitgeist, so will es die Buwog. Sie besitzt nunmehr 51 Prozent der Wohneinheiten. Ihr gegenüber steht eine Phalanx von Hausbewohnern, die nicht sanieren will, und das aus gutem Grund. Sie haben ihre Wohnungen über die Jahre abbezahlt und gekauft. Die Wohnqualität ist gut. Hier will man bleiben. Hier will man alt werden. Und solche Gefühle hegt man nicht, wenn man in schludrig gemachten Wohnställen zu Hause ist.

Die vier Häuser, die vom ehemaligen Wohnbauprofessor der TU-Wien, Reinhard Gieselmann stammen, sollen also eingepackt und mit dicken Schichten expandiertem Polystyrolhartschaumstoff und mit neuen Fenstern dicht gemacht werden. Das, so wurde vom gebäudeverwaltenden Unternehmen Rustler verkündet, würde den Heizwärmebedarf um bis zu 70 Prozent reduzieren und damit einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten. Das hört sich fürs Erste ja gar nicht schlecht an.

Doch Stichwort Beitrag und Leistung: Die Beiträge, welche die Wohnungsbesitzer ihrerseits zur geplanten Sanierung leisten sollen, belaufen sich pro Wohnungseigentümer im Schnitt auf rund 70.000 Euro - trotz der derzeit hohen Förderungen für thermische Wohnhaussanierungen: Geschenktes Förderungsgeld, das nicht abholen zu dürfen gegebenenfalls wiederum die Buwog sowie ihr Gebäudeverwalter schmerzlich befürchten. Damit auch auf dieser Seite ein bisschen Angst herrsche.

Wenn aber Professoren der Wirtschaftsuniversität derart viel Geld für eine Wohnung zusätzlich lockermachen sollen, die sie bereits gekauft haben, wollen sie für gewöhnlich doch recht genau wissen, ob dem Return on Investment eine gewisse Garantie zugrunde liegt. Wenn sie dann mit bauphysikalisch kundigen Professoren der Technischen Universität dieselbe Interessenlage teilen, beginnen alle sogleich ihr Expertenwissen hervorzukramen und ausgesprochen penible Berechnungen anzustellen.

Sicherheitshalber ein paar Mal und von diversen Gutachten unterfüttert, denn das Resultat der privaten Forschungsarbeit brachte folgendes Ergebnis zutage: Bei der Annahme des siebenjährigen Mittels an erforderlichem Heizaufwand, abzüglich Warmwasseraufbereitung und bei Annahme des bis dato scheußlichsten Höchstölpreises ergaben sich, je nach den vorgeschlagenen Sanierungsvarianten, Amortisationszeiten von 100 beziehungsweise 120 Jahren. Die Lebensdauer einer mit EPC-Platten sanierten Fassade wird in der Fachwelt übrigens mit rund 25 Jahren angesetzt. Die ganze Angelegenheit scheint also eine Fehlinvestition, um nicht zu sagen ausgemachter Blödsinn zu sein.

Diesen Wissensstand brachten Wohnungseigentümer sowie Mieter in einer Versammlung der Gebäudeverwaltung freundlich zur Kenntnis. Man bekam ungnädig zur Antwort: Was wirtschaftlich sei und was nicht, das bestimme sie.

Möglicherweise befinden wir uns exakt hier an einem springenden Punkt: Wer „bestimmt“ tatsächlich, was „wirtschaftlich“ ist? Wer, was Sinn macht, im Dienste des Klima- und Umweltschutzes? Häuser einpacken und Heizenergie sparen klingt so herrlich simpel, dass die EU bis 2018 das Null-Energie-Haus gleich zum Standard erklären will. Derlei diktatorischer Schwachsinn kann tatsächlich nur den dumpfen Sitzungskammern der Politik entquellen.

Kein vernünftiger Mensch hat freilich das Geringste gegen optimale Dämmungen und Wärmebedarfsreduktion einzuwenden. Doch wäre es fein, würde die Kirche im Dorf gelassen. Denn Dämmungen und Haustechnik, wie sie derzeit allerorten so eifrig verordnet werden, machen im Hintergrund gerade im großformatigeren Wohnbau exorbitant viele Scherereien. Über den Schimmelbefall in superdichten Innenräumen redet man eben nicht gern, genauso wenig wie über Keime, die nicht penibel gewartete Lüftungssysteme in die Raumluft ventilieren. Schon gar nicht redet man über Wartungskosten und die bei superdichten Häusern anfallenden Kühllasten an sonnigen Tagen.

Was sie hier machten, sagten unlängst gleich drei für ihre Passivhausarchitekturen nicht unbekannte Architekten händeringend zum Standard, sei der dekretierte Schwachsinn. Laut sagt man das aber lieber nicht. Sonst ist man ja gleich ein Öko-Schwein, außerdem gehen dann die Aufträge flöten.

Wer bestimmt also, was „wirtschaftlich“ ist? Sind es tatsächlich kühle Berechnungen, die alle ökologischen Rucksäcke, Primärenergieinhalte und Lebenszykluskosten und auch alle bauphysikalischen Folgewirkungen des Einpackens beinhalten? Oder ist es eine prachtvoll gut organisierte Industrie, die allerhöchstes Interesse daran hat, die gebaute Welt unter Zuhilfenahme öffentlicher Förderungsgelder mit Erdölraffinerieprodukten wie Polystyrol und Co zu einem bewohnten Sondermülldepot für kommende Generationen zu machen. Wer wird denn das alles dereinst entsorgen?

Und wo ist die Anwaltschaft für eine exzellent gemachte Architektur wie die von Reinhard Gieselmann? Die Wohnanlage in der Peter-Jordan-Straße ist nur scheinbar schlicht. Sie hat fein-skulpturale Qualitäten, die sich über die Fassade, ihre Vorsprünge und sehr genau durchdachte Fensterauslassungen nach innen entwickeln. Da geht es um Zentimeter, um Details, um Verblechungen und auf den Millimeter genau eingepasste Loggientüren. Die innere Qualität des Hauses wurde vom Architekten bereits in der Fassade definiert. All das würde durch ihr geplantes Aufdoppeln völlig zunichtegemacht.

Für derlei Eingriff bedarf es keiner Baubewilligung. Es reicht das Förderansuchen, eine Bauanzeige, die Machtposition des 51-Prozent-Mehrheitseigentümers und die Sanierungsmassenhysterie. Mieter und Wohnungsbesitzer, die in überwältigender Mehrheit gegen die geplante Fassadenvernichtung Sturm laufen, überlegen nun, den zivilrechtlichen Weg einzuschlagen. Weil vor Angst gestorben auch tot ist. Gut möglich, dass dieses Projekt zum Präzedenzfall wird.

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