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Archäologie des Alltags
Der Standard

Ilse Helbich schildert in ihrem Buch „Das Haus“, wie ein altes Gebäude und eine alte Frau, eine Städterin und das Land, zueinanderfinden.

19. Dezember 2009 - Ute Woltron
Sie ist 65 Jahre alt, als sie beginnt, das Land zu erforschen. Allein und im Auto: „Wenn einer dann Zeit zwischen den Fingern hat, leere Stunden, kann man anfangen, herumzufahren.“

Die Zeit zwischen den Fingern. Man kann sie zerbröseln, oder man kann sie in die Hand nehmen. Im besten Fall kann man etwas daraus formen. Etwas für sich. Doch was?

Ilse Helbich hat über diese Formarbeit an der Zeit, an sich selbst - und an einem sehr alten Haus ein wunderbares kleines Buch geschrieben. Das Haus, erschienen im Literaturverlag Droschl, schildert nur vordergründig die anspruchsvollen Renovierungsarbeiten an einem fast schon aufgegebenen Gemäuer.

Denn was ist dieses Haus, das sie auf einem ihrer Streifzüge im Kamptal findet, und das verlassen und halb verfallen mitten im grünen Dschungelfilz eines jahrelang sich selbst überlassenen Gartens steht: Ist es das Kloster, das es einmal war? Ist es die Thurn & Taxis'sche Poststation späterer Jahre? Ist es das umgebaute Wohnhaus samt Wirtschaftsgebäude einer grässlichen neueren Zeit, in der man alte Fenster durch großformatige Glotzscheiben ersetzt und die feinen Proportionen der Innenräume durch Zwischenwände und anderen Unfug verletzt hat? Das Haus trägt die Jahresringe der Jahrhunderte, und sie haben ihm nicht gutgetan. Es steht da mit eingeschlagenen Zähnen und blinden Augen. Aber irgendwo ist da noch eine Persönlichkeit, die sich unter abbröckelndem Putz und zwischen den Wänden verbirgt.

Ilse Helbich lebt in dieser Zeit in Wien, sie fährt immer wieder hinaus aufs Land, zu diesem Haus, merkt, dass sie sich bereits in seinen Mauern und in ihren eigenen Bildern davon verirrt hat: „Am Grunde aller Stunden lag breit und war nicht zu überspringen das ungewisse Bild eines Hauses, das der Zwilling des vernachlässigten war, das sie jetzt immer besser kennenlernte.“

Ein Wrack von einem Haus

Irgendwann beschließt sie wider jede Vernunft, dieses Wrack von einem Haus zu kaufen und zu „retten“. „Wahrscheinlich würde jeder vernünftige Käufer das kranke Gebäude erst abreißen lassen, um es dann durch ein moderneres kleineres Haus zu ersetzen.“

Das wäre deutlich einfacher, doch was wäre dieses neue Haus? Ein Heim oder nur eine Bleibe? Was ist ein Haus überhaupt? Das, als was es uns erscheint, oder das, was wir in ihm sehen wollen? Helbich gibt auf diese scheinbar banalen Fragen gleich zu Beginn ihres unkonventionellen Textes die Antwort, die sie selbst natürlich erst nach vielen Jahren kennt, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, wenn sie längst schon in diesem Haus wohnt.

Sie wollte, so schreibt sie, das Haus aus den „entfremdenden Verstellungen“ herausschälen, zu seiner, wie sie hofft, „reinen Gestalt, die ganz die seine ist“. Doch letztlich wird auch dieser Zustand nur ein flüchtiger, vorübergehender sein, denn das wiederhergestellte Haus ist zuletzt auch das Spiegelbild dessen, was die Bauherrin in ihm gesehen hat, und auch das nur auf gewisse Zeit. Das fertiggestellte Haus, wie es schließlich „da steht, ist ihr Haus gerade so, wie es aus seiner eigenen Macht lebt“.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Es pflastern ihn beispielsweise diverse Architekten und Bauunternehmer, weil als Germanistin, Verlagskauffrau und Publizistin hat man selbstverständlich null Ahnung, wie und wo man überhaupt beginnen soll.

Die zu Hilfe gerufenen Architekten entwerfen stets kühner werdende Wohntürme, Balkone und Verbindungsbrücken. Die Baufirmen legen unverständliche Anbote und demonstrieren auch ein wenig Überheblichkeit. Die Bauherrin kommt sich neben den Fachleuten meist dumm und unbeholfen vor. „Das gefällt ihr nicht.“ Ilse Helbich beschreibt diese totale Verlorenheit und Unsicherheit der Laiin vor den nicht selten arroganten Fach-Männern auf eine Art und Weise, wie sie jeder angehende Architekt, jede angehende Architektin nachlesen sollte.

Denn Bauen ist nicht zuletzt Übersetzungsarbeit zwischen den Disziplinen und Menschen - ein schwieriges Stück Arbeit für alle Beteiligten. Helbich beschließt nach langer Suche, mit ein paar ausgewählten Profis, die schließlich ihr Vertrauen gewonnen haben, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Die Pläne sind weniger die Architektenzeichnungen als zuallererst die alten Fotos vom Haus, die gefunden wurden.

Dann der Startschuss: Es fallen die Zwischenwände, die Fenster werden ausgebrochen, es kracht und staubt. Im vormals stillen Haus bricht laute Hektik los. Die Autorin beschreibt ihr einigermaßen hilfloses Umherirren zwischen all den Bau-Männern, schließlich ihren Entschluss, eigenhändig zumindest den Garten in Angriff zu nehmen, um ebenfalls Aktivität demonstrieren zu können. Sicherheitshalber im allerhintersten Winkel des Areals, weil da kann ihr keiner zuschauen:

„Dort stand sie mit den neuen Geräten hilflos in all dem Schlingenden und Stechenden, das ihr bis zu den Hüften reichte. (...) Sie fing irgendwo an, sie riss, geschützt durch schwere Handschuhe, alles aus, was ihr in den Weg kam, Haufen von bösartigem Grünzeug lagen bald hinter ihr; als sie sich umschaute, waren jedoch von ihrer Rodungsarbeit kaum Spuren zu sehen.“

Helbich muss einen sehr guten Polier gehabt haben, einen, der alte Häuser mag. Der legt in einem Nebengebäude ein „Böhmisches Platzl“ frei, freut sich daran, lässt die Maurer tagelang Ziegel bürsten und Fugen verschmieren. Hebt für diese für die Arbeiter zermürbende Zeit sogar das strikte Bier-Verbot auf der Baustelle auf.

Verborgene Schächte

Viele dieser Geschichten vom im wahrsten Sinne liebevollen Umgang mit zum Teil störrischer und erst zu erkundender alter Bausubstanz erzählt die Autorin. Sie tut es aus der Sicht eines völligen Nicht-Bau-Menschen, der sich aber hingebungsvoll in das Werk hineinspürt, nichts falsch machen will, viel recherchiert, viel selbst dabei lernt - und das macht einen Teil des Reizes dieses Buches aus.

Wenn etwa scheinbar sinnlose Löcher in Kellerwänden zugemauert werden, der Keller aber wenig später zu muffeln und zu feuchteln beginnt und die Erkenntnis reift, dass mit diesen Löchern ein kluges, von keinem erkanntes Luftschachtsystem verschlossen wurde, dann hat das Haus eben wieder eines seiner unzähligen Geheimnisse preisgegeben.

Andere bleiben rätselhaft, aber auch das ist Teil der Geschichte, dass man eben nicht immer alles wissen oder erklären kann.

Genau so zäh und zurückhaltend ist allerdings auch die Landbevölkerung. Die ist tatsächlich noch schwieriger zu erkunden als das Haus. Es dauert Jahre, bis der Stadtfrau von manchen Landmenschen gestattet wird, hinter die Fassade zu blicken. Trotz alledem bleibt sie eine Zugezogene, eine Fremde. Auch als die große Überschwemmung das Dorf heimsucht, ihres sowie die Häuser der Nachbarn überschwemmt, und sie tatsächlich mehr Hilfe empfängt, als sie geben kann. Sie ist gern gemocht hier, aber sie wird nie ganz dazugehören.

Ilse Helbich ist heute 86 Jahre alt, sie lebt nach wie vor in diesem schönen, eigenwilligen Haus, das ihr gehört und von dem sie weiß, dass es „ein Haus von eigenen Gnaden“ ist: „Was sie wohl anderswo nicht ausleben konnte, hat sie ins Haus gegeben, und den Garten zu einem Stück ihrer selbst gemacht.“

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