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Wie wir wohnen wollen
Spectrum

Ökonomisch scharf kalkuliert, ökologisch sinnvoll: Mit einem hochkompakten Wohnbaukonzept stellt Carl Pruscha unsere Wohnvorstellungen auf den Kopf.

27. Februar 2010 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Vorarlberger Wohnbau-Spezialisten Baumschlager & Eberle haben vor Jahren ein Buch veröffentlicht, aus dem sich eine wesentliche Einsicht destillieren lässt: Im Wohnbau kann man nichts erfinden, da muss man froh sein, wenn man das Zahnrad der konzeptuellen Umsetzung minimal weiterzudrehen vermag. Daran ist viel Wahres, und zwar nicht nur weil es die Bauvorschriften und die Förderungsbestimmungen so wollen. Wir alle wollen es. Wir haben sehr langfristig gewachsene, tradierte Vorstellungen vom Wohnen.

Unser Ideal ist das Einfamilienhaus. Die frei stehende „Villa“ mit dem Gärtchen drumherum, fein säuberlich eingezäunt und womöglich mit nicht einsehbaren, privaten Bereichen. Da kommen dann die Thujenhecken zum Einsatz. Die Konsequenzen aus dieser Haltung sind seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Analyse. Bodenverbrauch und eine unendlich aufwendige, kostspielige Infrastruktur sind nur die Spitze des Eisberges. Denn was vielleicht am meisten schmerzt, ist einmal diese unsägliche Belästigung durch private Wohnfantasien, die sich aber im öffentlichen Raum abbilden, und es ist, zweitens, dieser entsetzliche Mangel an – im städtebaulichen Sinn – Raum bildenden Maßnahmen.

Genau bei dieser Problematik setzt ein Projekt von Carl Pruscha an. Gemeinsam mit einer jungen Arbeitsgruppe, dem Team Habitat – das sind Franz Loranzi, Julia Nuler und Andreas Pfusterer –, hat Pruscha ein Siedlungskonzept entwickelt, das sicher nicht für den urbanen Raum geeignet ist, aber ideal für jene Orte, an denen wir heute Wohnanlagen bauen: für die städtische Peripherie und für jene Baulandflächen, die heute so gern an Dorf- und Kleinstadträndern gewidmet werden und oft unsäglich in intakte Naturräume ausufern. Sein mit S+B Plan & Bau bis zur Baureife ausgearbeitetes Konzept stellt für genau jene Orte eine ernst zu nehmende Alternative dar.

Pruschas Arbeit ist eine Weiterentwicklung, eine modifizierte Variante seiner Traviatagassen-Bebauung. Es ging dort um sogenannte „Hofhäuser“, die auf geringstem Raum in die Höhe wachsen. Die Dichte dieser Bebauung ist für unsere eingefahrenen Wohnvorstellungen schier unglaublich – sie bedurfte einer gewissen Überzeugungsarbeit, damit sich dafür Nutzer fanden. Die haben teilweise inzwischen auch schon gewechselt. Eine aktuelle Untersuchung der Wohnzufriedenheit zeigt jedoch, dass die Identifikation der heutigen Bewohner mit ihrer Anlage überraschend hoch ist.

Sicher ist es ein „Minimal-Hauskonzept“, das Pruscha vorschlägt. Es ist ja auch für eine Klientel gedacht, die finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen kann und sich oft langfristig verschulden muss, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Beim so genannten „Quadrangle Housing“ hingegen findet man mit Quadratmeterpreisen das Auslangen, wie sie ansonsten nur im Geschoßwohnungsbau üblich sind. Das hat mit dem geringen Bodenverbrauch und einer sehr ökonomischen Technologie zu tun. Schon Adolf Loos hat ja seinerzeit mit seinem „Haus mit einer Mauer“ den Versuch unternommen, eine Typologie zu entwickeln, die Ökonomie und Individualität im Wohnen verbindet. Was man heute daran vielleicht als Nachteil empfindet, ist die simple Aneinanderreihung einer solchen Bebauung. Sie lässt nur Zeilen zu, raumbildend im städtebaulichen, urbanen Sinn wirkt sie nie.

Dagegen lassen sich mit Pruschas „Haus mit einer Winkelmauer“ Quartiere, Cluster bilden, die zwar sehr dicht beisammen stehen, die sozusagen Wand an Wand aneinander gelehnt sind, die aber zwischen den einzelnen Quartieren Flächen zur Verfügung stellen, die öffentlichen Stellenwert haben, sodass zur individuellen Wohnlandschaft immer auch allgemein nutzbare Flächen hinzukommen.

Natürlich muss man sich mit dem Hofhauskonzept erst einmal anfreunden. Was in außereuropäischen Gegenden – in China etwa oder im islamischen Raum – historisch gewachsen ist, das hat bei uns den Charakter eines Imports. Allerdings sollte das in Zeiten der Globalisierung kein echtes Problem sein – wir wohnen heute doch auch in Hochhäusern, und die sind auf europäischem Boden genauso wenig tradiert. – Pruscha hat einiges an Erkenntnissen aus der Untersuchung zur Traviatagasse in sein neues Projekt einfließen lassen. Vor allem sind die Höfe – bei trotzdem geringem Bodenverbrauch von zwölf mal zwölf Metern pro Haus – etwas größer: je nach Typ sieben oder sechs Meter im Quadrat. Und er hat den Wünschen nach größeren Küchen und Badezimmern Rechnung getragen, ebenso dem Bedürfnis nach mehr Licht.

Das lässt sich heute ökonomisch realisieren. Wie ja überhaupt die ökonomische Komponente bei diesen Häusern ein wesentlicher Faktor ist. Nur die Winkelwand ist aus massivem Stahlbeton (Speichermasse), der weitere Ausbau erfolgt in Leichtbauweise, einer Holzständerkonstruktion, kombiniert mit Holztafelelementen und einer großflächigen Verglasung. Vorfertigung spieltbei diesem Konstruktionsprinzip eine entscheidende Rolle und wirkt sich entsprechend auf die Kosten aus. Auch der ökologischen Frage, dem Energiehaushalt wurde Rechnung getragen. Ein Photovoltaik-Segel auf jedem Haus präsentiert sich als optisch durchaus reizvolles Element, in Kombination mit einer Wärmepumpe trägt es zur Stromversorgung bei. Im Übrigen schlägt Pruscha eine Wand- und Fußbodenheizung vor, die bei winterlichen Temperaturen eine Art Kachelofen-Atmosphäre im Haus schafft. Die Techniker von S+B Plan & Bau haben allerdings errechnet, dass eine solche Technologie auch heute noch relativ kostenintensiv in der Anschaffung ist. Bis sich so etwas amortisiert, das dauert seine Zeit. Kostengünstiger wäre ein dezentrales kleines Blockheizkraftwerk.

Pruscha hat, wie auch schon in der Traviatagasse, die Möglichkeiten der Wohnbauförderung bis an ihre Grenzen genutzt. Zu den rund 140 Quadratmetern reiner Wohnfläche kommt daher ebenerdig praktisch ein ganzes Geschoß dazu, das zwar als „Keller“ ausgewiesen ist, in Wirklichkeit aber einen vielfältig nutzbaren, großzügigen zusätzlichen Raum zur Verfügung stellt.

In Pruschas Hofhäusern sind unsere lokalen Wohnvorstellungen sozusagen auf den Kopf gestellt. Der neutrale, nicht weiter definierte Raum befindet sich unten, die Schlafebene in der Mitte, und das Wohnen im engen Sinn – natürlich in Verbindung mit einer Terrasse – findet ganz oben statt. Das mag gewöhnungsbedürftig erscheinen, ist aber eine logische Konsequenz aus der Kompaktheit dieses Hauskonzepts. Die Freiheit des Ausblicks hat man oben; die abgezirkelte, exakt definierte Intimität des begrünten Innenhofes gibt es unten.

Es wäre interessant, dieses Konzept tatsächlich umgesetzt zu sehen. Aber das geht sicher nicht im Kleinen. Mit fünf Häusern ist nichts getan. Man müsste schon ein paar solcher Cluster in einer Größenordnung von sagen wir: jeweils 27 Häusern realisieren. Erst dann kommen die städtebaulichen Qualitäten eines solchen Projekts zum Tragen. Die Frage ist, ob es hierzulande überhaupt einen Wohnbauträger gibt, der sich auf ein so innovatives Konzept einlässt.

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