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Der Zweck und sein Apostel
Das Wiener Café Museum wird seinen unglückseligen Loos-Nachbau in diesen Tagen endlich wieder los. Im Original gibt's Loos dafür anderswo: am Semmering. Ein Ausflug zum Looshaus auf dem Kreuzberg.
27. März 2010 - Gabriele Reiterer
Mit der Errichtung der Südbahnstrecke um die Mitte des 19. Jahrhunderts brach in der Wiener Gesellschaft das Semmeringfieber aus. Reichenau, Raxgebiet und die umliegenden Orte wurden zu bevorzugten Aufenthaltsorten von Adel und vermögendem Bürgertum. Bereits 1911 fertigte Adolf Loos einen Entwurf für ein Projekt am Semmering an: Der Plan für einen Internatsbau für Eugenie Schwarzwald, die Grande Dame der Reformpädagogik, wurde nie umgesetzt. Aus dem Jahre 1913 stammt ein Entwurf für ein Hotel am Semmering. 1928 bot sich eine weitere Möglichkeit: Der Wiener Fabrikant Paul Khuner übertrug Adolf Loos die Planung für den Bau eines Landhauses am Semmering. Loos errichtete das Haus in Hanglage mit atemberaubendem Blick auf die umliegenden Bergmassive.
In enger Zusammenarbeit mit Heinrich Kulka griff er am Kreuzberg, auf 900 Meter Höhe, teils auf die traditionelle Bauweise in den Bergen zurück: ein Unterbau aus Bruchstein, braun gebeizte Blockwände und ein zinkblechgedecktes Pfettendach. Denn die überlieferten „Formen“ seien „der urväterweisheit geronnene substanz“, so Loos in seinen Schriften. So zurückhaltend die Hülle, umso radikaler organisierte der Architekt den Raum. Loos konnte im Landhaus Khuner seine Vorstellung der Offenheit räumlicher Dispositionen verwirklichen. Das Zentrum des Hauses bildet eine große, längsförmige Halle, die über zwei Stockwerke, mit einer Fensterfront talwärts, ausgerichtet ist. Die weiteren Räume werden über eine umlaufende Galerie erschlossen.
Loos entwarf die gesamte Innenausstattung des Landhauses. Große Teile des Interieurs sind noch belassen, nahezu alle Räume befinden sich in weitgehendem Originalzustand. Die Einbauten zeugen von einer kultivierten und verfeinerten Funktionsauffassung. Im Haus Khuner zeigt sich Loos' Hingabe an die hochstehende Handwerklichkeit, die Farbe und die Faszination für das ausgeklügelte Detail. Die Stäbe des Galeriegeländers sind ebenso wie die Heizkörper rot lackiert. Zartes Blau bestimmt das kirschholzgetäfelte Schlaf- und Wohnzimmer der Tochter. Das einstige Refugium des Hausherrn verfügt noch über das originale Badezimmer und schlichte Loossche Lampen.
Die Individualität des Loosschen Geistes, auch dessen Selbstständigkeit innerhalb der Moderne, ist oft auf Ursprung und Genese befragt worden. Ein Blick auf Loos' Quellen ist nicht nur in diesem Zusammenhang von Interesse. Die Geschichte der Loosschen Vorbilder ist eine Geschichte für sich, da Loos sich selbst und seine Ideen nur allzu gerne als genuin präsentierte. Doch auch Loos griff auf etliche – und mitunter sehr außergewöhnliche – Vorbilder zurück. So ist der berühmte Raumplan, die Aufhebung der Geschoße und damit die beliebige Erweiterung des Grundrisses in die Höhe, für viele seiner Bauten charakteristisch, mit Sicherheit vom Konzept des englischen Landhauses inspiriert. Wer an jene hallenartigen Entrees und Galerien denkt, erkennt darin nicht unschwer eine Quelle dieser räumlichen Überlegung wieder.
Eine weitere Inspiration für Loos' Gedankenwelt liegt versteckter. Bekanntlich hielt sich der junge Loos 1892 bis 1896 in den Vereinigten Staaten auf. In den Ideen der Kreise um Louis H. Sullivan wurzelte nicht nur seine Begeisterung für viele nationalromantisch-kulturtheoretischen Gedanken, sondern auch seine berühmte Ornamentkritik, die immer wieder missverstanden wurde. Das Ornament sei für die Architektur wichtig, meinte Louis H. Sullivan, es solle aber aus dem organischen Prinzip von Form und Funktion erwachsen. Ornament sei das Ergebnis einer architektonischen Logik und dürfe keinesfalls als purer Schmuck gestaltet werden und niemals aufgesetzt erscheinen. Sullivans Worte „Form follows function“ standen ursprünglich in einem komplexen kulturtheoretischen Zusammenhang und wurden später von der Moderne auf eine technoide Bedeutung reduziert. Viel radikaler waren jedoch die Aussagen John Wellborn Roots zum Ornament. Jener verwendete erstmals die Formulierung des „architectural crime“, des „architektonischen Verbrechens“, wie später auch Adolf Loos.
Loos' Ideenwelt entstammte noch einer Quelle, die von der Loosforschung nie berücksichtigt wurde. Loos kam während seiner amerikanischen Zeit mit der Welt der Shaker in Verbindung. Die Shaker waren eine Sekte, die, einst von England ausgewandert, in den Staaten eigene Gemeinden bildete. Obwohl sich die Sekte mit ihrer extremen Lebensform von der Außenwelt abschottete, waren die Shaker ökonomisch sehr erfolgreich. Mit ihren Möbeln und Gebrauchsgegenständen erwarben sie sich den Ruf der Meisterschaft. Die Möbel der Shaker waren schlicht und funktional im Entwurf, in der Ausführung von höchster Qualität. Das Gestaltungsdenken der Shaker entsprang einem strengen, religiösen Funktionalismus. Jeder überflüssige Zierrat musste vermieden werden, Reduktion und Einfachheit wurden zum obersten Prinzip erhoben. Der sogenannte Shaker-Funktionalismus faszinierte damals die Kreise um Root und Sullivan im selben Maße, wie die Lebensform der Sekte als abstoßend empfunden wurde.
Quellen berichten von Berührungen Loos' mit den Shakern, ja angeblich habe er bei ihnen das Maurerhandwerk erlernt. Abgesehen von seiner hohen Affinität zum soliden Handwerk, zur Schlichtheit und Funktionalität von Möbeln und Gebrauchsgegenständen, die auch in seinen Entwürfen zum Ausdruck kommen, deckte sich das extreme, puristische Denken der Sekte durchaus auch mit Loos' Persönlichkeitsstruktur. In Loos' Texten finden sich Passagen, die auf eine Affinität zu dieser Haltung hinweisen. So meinte er, das Ornament habe seinen „Zusammenhang mit der Weltordnung“ verloren.
Loos' Forderung nach Reduktion, Einfachheit, Authentizität entsprang einer puristischen Haltung, die auch orthodoxe Züge trug. Karl Kraus nannte ihn nicht umsonst den „Zweckmäßigkeitsapostel“. Was Loos jedoch bei allen Extremen auszeichnete, war die unvergleichliche Fähigkeit, das Wesentliche, den Kern einer gestalterischen Aufgabe zu erkennen und sie ästhetisch auf höchstem Niveau zu lösen.
Auch das Haus Khuner atmet ein tiefes Verständnis für die spezifische gestalterische Aufgabe, die Sensibilität für die Rahmenbedingungen und die ästhetische Meisterschaft im Entwurf.
Die jüdische Familie Khuner konnte ihr Landhaus nur wenige Jahre genießen. Noch vor dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland emigrierte sie nach Amerika. Das Haus wurde beschlagnahmt. Während der Kriegsjahre bewohnten Soldaten der Wehrmacht die Landvilla. Im Jahr 1959 erwarb eine niederösterreichische Wirtin das Haus. Kaum jemand interessierte sich damals für den Bau. So wurde schließlich aus dem Landhaus Khuner der Alpengasthof Kreuzberg. Später kümmerte sich das Denkmalamt um Adolf Loos' einziges realisiertes Semmeringprojekt. In Zusammenarbeit mit den neuen Besitzern wurden schließlich kleine Veränderungen zur Umwandlung in eine Pension und einen Gastbetrieb vorgenommen. Das Ergebnis dieser sanften Metamorphose ist durchaus gelungen.
In enger Zusammenarbeit mit Heinrich Kulka griff er am Kreuzberg, auf 900 Meter Höhe, teils auf die traditionelle Bauweise in den Bergen zurück: ein Unterbau aus Bruchstein, braun gebeizte Blockwände und ein zinkblechgedecktes Pfettendach. Denn die überlieferten „Formen“ seien „der urväterweisheit geronnene substanz“, so Loos in seinen Schriften. So zurückhaltend die Hülle, umso radikaler organisierte der Architekt den Raum. Loos konnte im Landhaus Khuner seine Vorstellung der Offenheit räumlicher Dispositionen verwirklichen. Das Zentrum des Hauses bildet eine große, längsförmige Halle, die über zwei Stockwerke, mit einer Fensterfront talwärts, ausgerichtet ist. Die weiteren Räume werden über eine umlaufende Galerie erschlossen.
Loos entwarf die gesamte Innenausstattung des Landhauses. Große Teile des Interieurs sind noch belassen, nahezu alle Räume befinden sich in weitgehendem Originalzustand. Die Einbauten zeugen von einer kultivierten und verfeinerten Funktionsauffassung. Im Haus Khuner zeigt sich Loos' Hingabe an die hochstehende Handwerklichkeit, die Farbe und die Faszination für das ausgeklügelte Detail. Die Stäbe des Galeriegeländers sind ebenso wie die Heizkörper rot lackiert. Zartes Blau bestimmt das kirschholzgetäfelte Schlaf- und Wohnzimmer der Tochter. Das einstige Refugium des Hausherrn verfügt noch über das originale Badezimmer und schlichte Loossche Lampen.
Die Individualität des Loosschen Geistes, auch dessen Selbstständigkeit innerhalb der Moderne, ist oft auf Ursprung und Genese befragt worden. Ein Blick auf Loos' Quellen ist nicht nur in diesem Zusammenhang von Interesse. Die Geschichte der Loosschen Vorbilder ist eine Geschichte für sich, da Loos sich selbst und seine Ideen nur allzu gerne als genuin präsentierte. Doch auch Loos griff auf etliche – und mitunter sehr außergewöhnliche – Vorbilder zurück. So ist der berühmte Raumplan, die Aufhebung der Geschoße und damit die beliebige Erweiterung des Grundrisses in die Höhe, für viele seiner Bauten charakteristisch, mit Sicherheit vom Konzept des englischen Landhauses inspiriert. Wer an jene hallenartigen Entrees und Galerien denkt, erkennt darin nicht unschwer eine Quelle dieser räumlichen Überlegung wieder.
Eine weitere Inspiration für Loos' Gedankenwelt liegt versteckter. Bekanntlich hielt sich der junge Loos 1892 bis 1896 in den Vereinigten Staaten auf. In den Ideen der Kreise um Louis H. Sullivan wurzelte nicht nur seine Begeisterung für viele nationalromantisch-kulturtheoretischen Gedanken, sondern auch seine berühmte Ornamentkritik, die immer wieder missverstanden wurde. Das Ornament sei für die Architektur wichtig, meinte Louis H. Sullivan, es solle aber aus dem organischen Prinzip von Form und Funktion erwachsen. Ornament sei das Ergebnis einer architektonischen Logik und dürfe keinesfalls als purer Schmuck gestaltet werden und niemals aufgesetzt erscheinen. Sullivans Worte „Form follows function“ standen ursprünglich in einem komplexen kulturtheoretischen Zusammenhang und wurden später von der Moderne auf eine technoide Bedeutung reduziert. Viel radikaler waren jedoch die Aussagen John Wellborn Roots zum Ornament. Jener verwendete erstmals die Formulierung des „architectural crime“, des „architektonischen Verbrechens“, wie später auch Adolf Loos.
Loos' Ideenwelt entstammte noch einer Quelle, die von der Loosforschung nie berücksichtigt wurde. Loos kam während seiner amerikanischen Zeit mit der Welt der Shaker in Verbindung. Die Shaker waren eine Sekte, die, einst von England ausgewandert, in den Staaten eigene Gemeinden bildete. Obwohl sich die Sekte mit ihrer extremen Lebensform von der Außenwelt abschottete, waren die Shaker ökonomisch sehr erfolgreich. Mit ihren Möbeln und Gebrauchsgegenständen erwarben sie sich den Ruf der Meisterschaft. Die Möbel der Shaker waren schlicht und funktional im Entwurf, in der Ausführung von höchster Qualität. Das Gestaltungsdenken der Shaker entsprang einem strengen, religiösen Funktionalismus. Jeder überflüssige Zierrat musste vermieden werden, Reduktion und Einfachheit wurden zum obersten Prinzip erhoben. Der sogenannte Shaker-Funktionalismus faszinierte damals die Kreise um Root und Sullivan im selben Maße, wie die Lebensform der Sekte als abstoßend empfunden wurde.
Quellen berichten von Berührungen Loos' mit den Shakern, ja angeblich habe er bei ihnen das Maurerhandwerk erlernt. Abgesehen von seiner hohen Affinität zum soliden Handwerk, zur Schlichtheit und Funktionalität von Möbeln und Gebrauchsgegenständen, die auch in seinen Entwürfen zum Ausdruck kommen, deckte sich das extreme, puristische Denken der Sekte durchaus auch mit Loos' Persönlichkeitsstruktur. In Loos' Texten finden sich Passagen, die auf eine Affinität zu dieser Haltung hinweisen. So meinte er, das Ornament habe seinen „Zusammenhang mit der Weltordnung“ verloren.
Loos' Forderung nach Reduktion, Einfachheit, Authentizität entsprang einer puristischen Haltung, die auch orthodoxe Züge trug. Karl Kraus nannte ihn nicht umsonst den „Zweckmäßigkeitsapostel“. Was Loos jedoch bei allen Extremen auszeichnete, war die unvergleichliche Fähigkeit, das Wesentliche, den Kern einer gestalterischen Aufgabe zu erkennen und sie ästhetisch auf höchstem Niveau zu lösen.
Auch das Haus Khuner atmet ein tiefes Verständnis für die spezifische gestalterische Aufgabe, die Sensibilität für die Rahmenbedingungen und die ästhetische Meisterschaft im Entwurf.
Die jüdische Familie Khuner konnte ihr Landhaus nur wenige Jahre genießen. Noch vor dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland emigrierte sie nach Amerika. Das Haus wurde beschlagnahmt. Während der Kriegsjahre bewohnten Soldaten der Wehrmacht die Landvilla. Im Jahr 1959 erwarb eine niederösterreichische Wirtin das Haus. Kaum jemand interessierte sich damals für den Bau. So wurde schließlich aus dem Landhaus Khuner der Alpengasthof Kreuzberg. Später kümmerte sich das Denkmalamt um Adolf Loos' einziges realisiertes Semmeringprojekt. In Zusammenarbeit mit den neuen Besitzern wurden schließlich kleine Veränderungen zur Umwandlung in eine Pension und einen Gastbetrieb vorgenommen. Das Ergebnis dieser sanften Metamorphose ist durchaus gelungen.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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