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Wir fahren. Bis ans Ende der Welt
Der Standard

Wenn ein Autobauer wie Audi internationale Architekten nach der Mobilität der Zukunft befragt, darf man sich nicht wundern, wenn nachher wieder nur Autos rauskommen.

5. Juni 2010 - Ute Woltron
Keine Frage, alles ist High Class hier. Alles toll organisiert. Alle sind ganz aufgeregt und aufgekratzt: Audi, eine der Supermarken der deutschen Industrie, hat zur ersten Präsentation des soeben ins Leben gerufenen Audi Urban Future Award nach London geladen. Die Endergebnisse sollen dann im Rahmen der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig gezeigt werden.

Aber erst einmal will man der Medienwelt einen Eindruck der allerersten Überlegungen der sechs aus aller Welt zusammengeklaubten Architektenteams zum Thema Mobilität und Stadt der Zukunft liefern. Die deutschen Organisatoren des Awards, Stylepark, haben Alison Brooks Architects, London, BIG - Bjarke Ingels Group, Kopenhagen, Cloud 9, Barcelona, Diller Scofidio+Renfro, New York, Jürgen Mayer H., Berlin und Standardarchitecture, Peking ausgewählt.

Die von den Architekten zu beantwortenden Fragen lauten laut Hochglanzbooklet so: „Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Erlaubt nachhaltige Mobilität überhaupt noch individuelle Fortbewegung? Werden die Menschen ihre mobilen Ansprüche zurückschrauben?“

Rupert Stadler, der diese Fragen zur Einstimmung formuliert hat, ist als selbstbewusster Audi-Boss von Zweifeln jedweder Art selbstredend verschont. Sein Unternehmen hat im ersten Quartal dieses Jahres einen operativen Gewinn von 478 Millionen Euro erzielt. Der Erfolg gibt ihm also recht, zumindest wenn das Bewertungstool für Erfolg, so wie üblich, die Bilanz ist. Und deshalb gibt Stadler, bevor es eigentlich so richtig losgeht mit dem an die Architekten dekretierten Nachdenken darüber, ob es tatsächlich überhaupt Automobile sein werden, die uns in der Zukunft von A nach B transportieren, sicherheitshalber gleich selbst die Antworten:

„Wir bei Audi sind überzeugt: Das Zeitalter der individuellen Mobilität hat gerade erst begonnen. In vielen aufstrebenden Märkten erfüllen sich immer mehr Menschen erstmals den Traum eines eigenen Automobils. Und in den westlichen Ländern wollen die Menschen auf die gewohnten Freiheiten, die die individuelle Mobilität ihnen schenkt, nicht verzichten.“

Der Wahrheitsgehalt des zweiten Teils dieser Antworten ist unbestritten. Der erste das an Arroganz grenzende Wunschdenken des erfolgsgewohnten Industriekapitäns und zugleich der Albtraum dieser Welt. Der Kfz-Bestand weltweit wird heuer die Milliardengrenze überschreiten, insbesondere in Asien verzeichnet man Wachstumsraten von knapp unter 50 Prozent. Bis 2030, so die für Autobauer wie Audi naturgemäß erfreulichen, für den Rest der Menschheit jedoch eher grimmigen Prognosen, sagen einen Kfz-Bestand von bis zu drei Milliarden voraus. In Indien wird sich der Bestand privater Pkws verdreifachen, in China verzehnfachen.

Worüber, stellt sich also die Frage, reden wir heute hier im schönen London überhaupt? Darüber, wie Städtebau, Architektur, Mobilität künftig ausschauen sollen, wollen wir überleben? Oder darüber, wie Audi in den Hoffnungsmärkten Indien, China, Brasilien künftig noch mehr Autos verkaufen kann?

Denn dass einer der Schlüssel zu einer ökologisch intelligenteren Zukunft die Verbannung des Automobils gerade aus den Städten ist, in denen mittlerweile mehr als 50 Prozent der Menschheit leben, steht in Kreisen derjenigen, die nicht gerade vom Autoverkaufen leben, außer Zweifel. Und die Zunft der Architektur gehört normalerweise zu jenen, die dieses Anliegen propagieren. Warum zitiert denn auch die Hochglanzbroschüre so reichlich aus exakt jenen Fachpublikationen, die diese Thesen wissenschaftlich fundiert aufbereiten? Welch eigenartigen Spagat versucht man hier aufs Parkett zu legen?

Tatsächlich einen, der noch nicht so recht gelingt. Doch bis zur Biennale sind es ja noch drei Monate, und bis dahin werden sich die Architekten noch manch hübsches Rendering, manch elegante Animation einfallen lassen.

Doch jetzt legen sie einem architekturlastigen Publikum im prächtigen Royal Institute of British Architects erste Überlegungen zum Thema dar. Alison Brooks, die zwar offensichtlich besorgt ist über die automobile Zukunft, sich aber doch nicht dazu überwinden konnte, diese Besorgnis in der erforderlichen Radikalität zu formulieren, will die Automobile verkleinern und zu einem Bestandteil der Gebäude machen. Bjarke Ingels, dem der Ehrgeiz wie stets aus jeder Pore trieft, setzt auf „die Stadt des schadstofffreien, geräuschlosen und fahrerlosen Autos“, kann uns aber doch noch nicht so recht sagen, wie er die erreichen will.

Enric Ruiz-Geli von Cloud 9 begibt sich auf die Suche nach dem „einfühlsamen Auto“, einem „Airbag-Auto+Personen“ und befragt heute Achtjährige nach ihren Zukunftsvisionen. Und so weiter und so fort. Die Architekten erfinden das Auto neu. Eigentlich hätten sie sich was über die neuen Städte, die neuen Lebensweisen, die neuen Medien, Netzwerke überlegen sollen. Stattdessen scheitern sie am Problem „Erst Henne oder Ei?“. Denn, wie Stadler süffisant anmerkt: „Wie Autobauen geht, wissen wir selbst.“

Einer der sich darin besonders gut auskennt, ist Audis Chefdesigner Wolfgang Egger. Er spricht viel von Emotion. Sagt Sätze wie: „Wir investieren in die emotionelle Erlebbarkeit der Technologie.“ Keine Frage, wer sich's aussuchen kann, wird lieber einen Audi fahren als einen Tata.

Und darum geht's hier - und um nichts anderes. Wozu aber dann bitte rundherum die Weltverbesserungskarosserie?

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