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Wird Wien anders?
Mit der Geschäftsgruppe „Verkehr, Stadtplanung, Klimaschutz und Energie“ übernehmen Wiens Grüne ein zentrales „Zukunftsressort“ - und Altlasten. Um Fehlentwicklungen zu korrigieren, braucht es ein neues Bewusstsein.
20. November 2010 - Reinhard Seiß
Für automobile Wiener mag es wie ein schlechter Scherz geklungen haben: Ausgerechnet eine Grüne übernimmt die Verkehrspolitik in dieser Stadt! Dabei dürfte Planungs- und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou als einzige Vertreterin ihrer Partei in der neuen Stadtregierung kaum etwas gegen den Willen der SPÖ durchsetzen können. Das offenbart schon das Koalitionsabkommen, das unübersehbar eine grüne Handschrift trägt - aber halt doch auf rotem Papier verfasst wurde. Davon zeugt etwa das Beharren auf der Realisierung der geplanten Autobahn- und Schnellstraßenprojekte, obwohl diese weder mit einer kompakten Siedlungsentwicklung noch mit den Zielen des Klimaschutzes vereinbar sind.
Auch im Bereich Stadtplanung erbt Vassilakou Projekte ihrer Amtsvorgänger, die einem grünen Verständnis von Städtebau widersprechen. Problembehaftete Stadtteile wie Donau City, der Bereich um die Gasometer oder das Viertel um den neuen Hauptbahnhof werden kraft rechtsgültiger Bebauungspläne während oder sogar erst nach ihrer (vorläufig ersten) Amtszeit fertig werden, ohne dass sie noch Substanzielles daran ändern können wird.
Insofern gilt es für die neue Stadträtin ihr Hauptaugenmerk darauf zu richten, was in den magistratischen Planungsabteilungen derzeit zu Papier gebracht wird: beginnend bei den Flächenwidmungsplänen für die transdanubischen Stadterweiterungsgebiete, insbesondere für die Seestadt Aspern - hier muss es gelingen, vom monofunktionalen und autogerechten Städtebau auf der grünen Wiese wegzukommen - über die Planungen für innerstädtische Entwicklungszonen wie den Nordwestbahnhof - hier wäre eine Abkehr vom bisher gepflegten Nebeneinander baublockgroßer Wohn-, Büro- und Handelshäuser wie am Nordbahnhofgelände zugunsten einer kleinstrukturierten Nutzungsmischung mit vitalen Erdgeschoßzonen überfällig - bis hin zu Großprojekten wie der Neuüberbauung des Franz Josefs-Bahnhofs, wo Wiens Planer unter Beweis stellen könnten, dass sie über mehr städtebauliche Kompetenz und Sensibilität verfügen, als sie es auf den beschämenden Großbaustellen Wien Mitte oder TownTown zeigen.
Mehr Gewicht auf Freiflächen
Abseits neuer Qualitätskriterien für bestimmte Bauvorhaben bedürfte eine nachhaltige Stadtentwicklung auch eines grundsätzlich anderen Qualitätsbewusstseins in den Planungsämtern. So basierten in den letzten zwei Jahrzehnten viele Flächenwidmungen auf der kurzfristi- gen Rentabilitätserwartung des Grundstückseigentümers oder Projektentwicklers statt auf urbanistischen Zielsetzungen oder dem Interessenausgleich unter allen Akteuren. Auch das, was Planungsbeamte unter einer stadtverträglichen Bebauungsdichte verstehen, hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre massiv nach oben verschoben. Insofern geht das Ziel der Grünen, mehr Gewicht auf Freiflächen zu legen, in die richtige Richtung.
Der überfällige Paradigmenwechsel im Wiener Städtebau wird nicht im Planungsressort allein zu bewältigen sein. Gleich mehrere Stadträte - allen voran der Wohnbaustadtrat, der für die Wiener Bauordnung, die Baupolizei oder auch die Vergabe der Wohnbauförderung zuständig ist - haben stadtplanungsrelevante Kompetenzen inne und können diesen Paradigmenwechsel begünstigen oder verhindern. Genau ist die Bereitschaft von Bauträgern, Unternehmern und Investoren vonnöten, ihr Wirken - stärker als bisher - als Beitrag für eine lebenswerte Stadt zu verstehen. Insofern ist Vassilakou aufgerufen, in einer breiten Öffentlichkeit baukulturelles Bewusstsein zu erzeugen, zumal die Grünen um Unterstützung für gravierende Änderungen im Planungs- und Baurecht werben - etwa für die öffentliche Abschöpfung privater Widmungsgewinne.
Auch das Bewusstsein der meisten Abgeordneten im Gemeinderat bedürfte einer Schärfung, insbesondere was die Wahrnehmung der von ihnen selbst beschlossenen übergeordneten Ziele für die Stadtentwicklung betrifft: der Stadtentwicklungspläne, der Verkehrskonzepte, des Grünraum- oder auch des Hochhauskonzepts. Diese wurden - weil rechtlich unverbindlich - in den vergangenen zwei Dekaden oft übergangen, wenn es um den Beschluss parteipolitisch forcierter Flächenwidmungs- und Bebauungspläne ging. Urbanistische Problemfälle wie die Wienerberg City oder Monte Laa zeugen von dieser Praxis.
Darüber hinaus fehlen gesamtstädtische Konzepte für Büro- und Einzelhandelsstandorte, um den - über die reale Nachfrage weit hinausschießenden - Boom an großmaßstäblichen Büro- und Handelskomplexen in geordnete Bahnen zu lenken. Wiens diesbezügliche Laisser-faire-Politik führte zu einer massiven Abwanderung von Arbeitsstätten aus den gut erschlossenen, traditionellen Zentren - und zur Verödung der gewachsenen Geschäftsstraßen. Die Entwicklung in diesen beiden für die Stadt essenziellen Bereichen weiterhin den Marktkräften zu überlassen wäre ein Verbrechen an der Zukunft Wiens.
Immerhin enthält das Koalitionspapier ein klares Bekenntnis zur Revitalisierung der Einkaufsstraßen, wozu es deutlich mehr braucht, als die bisherigen Mittel für Weihnachtsbeleuchtung und Schaufenstergestaltung. Und auch die Wiener Märkte, von denen viele (eine erfreuliche Ausnahme ist der Brunnenmarkt) in den letzten Jahren zu Tode saniert oder fragwürdigen Projekten geopfert wurden (zuletzt der Landstraßer Markt; als Nächstes ist der Meiselmarkt durch ein spekulatives Bauvorhaben bedroht), scheinen von der rot-grünen Regierung - vielleicht zu spät - jene Aufmerksamkeit zu erhalten, die sie als Kristallisationspunkte urbanen Lebens verdienen.
An der Schnittstelle zwischen hochbaulicher und verkehrlicher Entwicklung liegt das Thema des öffentlichen Raums, das zuletzt zwar von Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Kunstszene und Architektenschaft mit viel Verve diskutiert, idealisiert und mit zahlreichen Bedeutungen aufgeladen wurde, aber in seiner faktischen Behandlung nach wie vor im Argen liegt. So lange die in Wien omnipräsenten Autos den städtischen Freiraum besetzen, bleibt dieser anderweitigen Nutzungen vorenthalten. Was bisher als politisches Tabu galt, nämlich oberirdische Parkplätze zu reduzieren und die Fahrzeuge unter die Erde zu verbannen, wird künftig zumindest diskutiert werden. Hilfreich wäre dabei auch die ebenfalls erwogene Ausdehnung der moderaten Parkraumbewirtschaftung auf die Außenbezirke. Der so zu gewinnende Platz soll laut rot-grünen Plänen neuen Fußgängerzonen, prinzipiell breiteren Gehsteigen sowie einem für Radfahrer attraktiveren Straßennetz zugutekommen.
Eine zentrale Forderung der Grünen ist die Verdichtung und Beschleunigung des Straßenbahn- und Busnetzes. Dies wird im Regierungsprogramm nicht zum ersten Mal proklamiert. Es besteht die Hoffnung, dass es die neue Verkehrsstadträtin ernster meint als ihre Vorgänger. Während Wien beim teuren U-Bahn-Bau eher über das sinnvolle Maß hinausschießt, darbt das Schnellbahnnetz - dem zur Bewältigung der autoabhängigen Pendlerströme große Bedeutung zukäme. Auch das wird im Koalitionspapier thematisiert. Doch zeigt sich hier, wie sehr ein verkehrspolitischer Wandel von der Wandlungsfähigkeit anderer Ressorts abhängt: Die Wiener Linien unterstehen der Finanzstadträtin - und die S-Bahnen den ÖBB respektive der Infrastrukturministerin. Ohne deren Kooperationsbereitschaft dürften viele Strategiepapiere aus dem Büro Vassilakou zu Makulatur werden.
Auch im Bereich Stadtplanung erbt Vassilakou Projekte ihrer Amtsvorgänger, die einem grünen Verständnis von Städtebau widersprechen. Problembehaftete Stadtteile wie Donau City, der Bereich um die Gasometer oder das Viertel um den neuen Hauptbahnhof werden kraft rechtsgültiger Bebauungspläne während oder sogar erst nach ihrer (vorläufig ersten) Amtszeit fertig werden, ohne dass sie noch Substanzielles daran ändern können wird.
Insofern gilt es für die neue Stadträtin ihr Hauptaugenmerk darauf zu richten, was in den magistratischen Planungsabteilungen derzeit zu Papier gebracht wird: beginnend bei den Flächenwidmungsplänen für die transdanubischen Stadterweiterungsgebiete, insbesondere für die Seestadt Aspern - hier muss es gelingen, vom monofunktionalen und autogerechten Städtebau auf der grünen Wiese wegzukommen - über die Planungen für innerstädtische Entwicklungszonen wie den Nordwestbahnhof - hier wäre eine Abkehr vom bisher gepflegten Nebeneinander baublockgroßer Wohn-, Büro- und Handelshäuser wie am Nordbahnhofgelände zugunsten einer kleinstrukturierten Nutzungsmischung mit vitalen Erdgeschoßzonen überfällig - bis hin zu Großprojekten wie der Neuüberbauung des Franz Josefs-Bahnhofs, wo Wiens Planer unter Beweis stellen könnten, dass sie über mehr städtebauliche Kompetenz und Sensibilität verfügen, als sie es auf den beschämenden Großbaustellen Wien Mitte oder TownTown zeigen.
Mehr Gewicht auf Freiflächen
Abseits neuer Qualitätskriterien für bestimmte Bauvorhaben bedürfte eine nachhaltige Stadtentwicklung auch eines grundsätzlich anderen Qualitätsbewusstseins in den Planungsämtern. So basierten in den letzten zwei Jahrzehnten viele Flächenwidmungen auf der kurzfristi- gen Rentabilitätserwartung des Grundstückseigentümers oder Projektentwicklers statt auf urbanistischen Zielsetzungen oder dem Interessenausgleich unter allen Akteuren. Auch das, was Planungsbeamte unter einer stadtverträglichen Bebauungsdichte verstehen, hat sich seit Anfang der 1990er-Jahre massiv nach oben verschoben. Insofern geht das Ziel der Grünen, mehr Gewicht auf Freiflächen zu legen, in die richtige Richtung.
Der überfällige Paradigmenwechsel im Wiener Städtebau wird nicht im Planungsressort allein zu bewältigen sein. Gleich mehrere Stadträte - allen voran der Wohnbaustadtrat, der für die Wiener Bauordnung, die Baupolizei oder auch die Vergabe der Wohnbauförderung zuständig ist - haben stadtplanungsrelevante Kompetenzen inne und können diesen Paradigmenwechsel begünstigen oder verhindern. Genau ist die Bereitschaft von Bauträgern, Unternehmern und Investoren vonnöten, ihr Wirken - stärker als bisher - als Beitrag für eine lebenswerte Stadt zu verstehen. Insofern ist Vassilakou aufgerufen, in einer breiten Öffentlichkeit baukulturelles Bewusstsein zu erzeugen, zumal die Grünen um Unterstützung für gravierende Änderungen im Planungs- und Baurecht werben - etwa für die öffentliche Abschöpfung privater Widmungsgewinne.
Auch das Bewusstsein der meisten Abgeordneten im Gemeinderat bedürfte einer Schärfung, insbesondere was die Wahrnehmung der von ihnen selbst beschlossenen übergeordneten Ziele für die Stadtentwicklung betrifft: der Stadtentwicklungspläne, der Verkehrskonzepte, des Grünraum- oder auch des Hochhauskonzepts. Diese wurden - weil rechtlich unverbindlich - in den vergangenen zwei Dekaden oft übergangen, wenn es um den Beschluss parteipolitisch forcierter Flächenwidmungs- und Bebauungspläne ging. Urbanistische Problemfälle wie die Wienerberg City oder Monte Laa zeugen von dieser Praxis.
Darüber hinaus fehlen gesamtstädtische Konzepte für Büro- und Einzelhandelsstandorte, um den - über die reale Nachfrage weit hinausschießenden - Boom an großmaßstäblichen Büro- und Handelskomplexen in geordnete Bahnen zu lenken. Wiens diesbezügliche Laisser-faire-Politik führte zu einer massiven Abwanderung von Arbeitsstätten aus den gut erschlossenen, traditionellen Zentren - und zur Verödung der gewachsenen Geschäftsstraßen. Die Entwicklung in diesen beiden für die Stadt essenziellen Bereichen weiterhin den Marktkräften zu überlassen wäre ein Verbrechen an der Zukunft Wiens.
Immerhin enthält das Koalitionspapier ein klares Bekenntnis zur Revitalisierung der Einkaufsstraßen, wozu es deutlich mehr braucht, als die bisherigen Mittel für Weihnachtsbeleuchtung und Schaufenstergestaltung. Und auch die Wiener Märkte, von denen viele (eine erfreuliche Ausnahme ist der Brunnenmarkt) in den letzten Jahren zu Tode saniert oder fragwürdigen Projekten geopfert wurden (zuletzt der Landstraßer Markt; als Nächstes ist der Meiselmarkt durch ein spekulatives Bauvorhaben bedroht), scheinen von der rot-grünen Regierung - vielleicht zu spät - jene Aufmerksamkeit zu erhalten, die sie als Kristallisationspunkte urbanen Lebens verdienen.
An der Schnittstelle zwischen hochbaulicher und verkehrlicher Entwicklung liegt das Thema des öffentlichen Raums, das zuletzt zwar von Politik und Verwaltung, Wissenschaft, Kunstszene und Architektenschaft mit viel Verve diskutiert, idealisiert und mit zahlreichen Bedeutungen aufgeladen wurde, aber in seiner faktischen Behandlung nach wie vor im Argen liegt. So lange die in Wien omnipräsenten Autos den städtischen Freiraum besetzen, bleibt dieser anderweitigen Nutzungen vorenthalten. Was bisher als politisches Tabu galt, nämlich oberirdische Parkplätze zu reduzieren und die Fahrzeuge unter die Erde zu verbannen, wird künftig zumindest diskutiert werden. Hilfreich wäre dabei auch die ebenfalls erwogene Ausdehnung der moderaten Parkraumbewirtschaftung auf die Außenbezirke. Der so zu gewinnende Platz soll laut rot-grünen Plänen neuen Fußgängerzonen, prinzipiell breiteren Gehsteigen sowie einem für Radfahrer attraktiveren Straßennetz zugutekommen.
Eine zentrale Forderung der Grünen ist die Verdichtung und Beschleunigung des Straßenbahn- und Busnetzes. Dies wird im Regierungsprogramm nicht zum ersten Mal proklamiert. Es besteht die Hoffnung, dass es die neue Verkehrsstadträtin ernster meint als ihre Vorgänger. Während Wien beim teuren U-Bahn-Bau eher über das sinnvolle Maß hinausschießt, darbt das Schnellbahnnetz - dem zur Bewältigung der autoabhängigen Pendlerströme große Bedeutung zukäme. Auch das wird im Koalitionspapier thematisiert. Doch zeigt sich hier, wie sehr ein verkehrspolitischer Wandel von der Wandlungsfähigkeit anderer Ressorts abhängt: Die Wiener Linien unterstehen der Finanzstadträtin - und die S-Bahnen den ÖBB respektive der Infrastrukturministerin. Ohne deren Kooperationsbereitschaft dürften viele Strategiepapiere aus dem Büro Vassilakou zu Makulatur werden.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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