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Urbane Öko-Utopie in der Wüste
100 Kilometer nördlich von Phoenix wollte Paolo Soleri 1970 seine Vision einer ökologischen Stadt realisieren. Arcosanti ist eine visionäre Baustelle.
27. November 2010 - Colette M. Schmidt
Der Lärm der Stadt - in Arcosanti gibt es ihn nicht. Diese Stadt hat ihren eigenen Klang. Wenn der heiße Wind der Sonora-Wüste sanft durch den Eingangsbereich der futuristischen Siedlung streift, erklingen leise kleine Glocken aus Keramik und Bronze, die überall aus der markanten Architektur baumeln. Die „Soleri Windbells“ geben hier nicht nur den Ton an, sie sind auch Teil der Finanzierung eines Traums: Es ist der Traum des italoamerikanischen Architekten Paolo Soleri, der hier vor 40 Jahren seine Stadt der Zukunft zu bauen begann.
In Soleris Traum dominieren nicht mehr Autos, sondern Menschen mit Respekt vor der Natur die Städteplanung, Menschen, die Urbanität in einem ganz neuen Sinn auferstehen lassen. Und es ist ein Traum, den Soleri, der in den 1940er-Jahren nach seinem Architekturstudium in seiner Heimatstadt Turin in die USA kam und bei Frank Lloyd Wright lernte, bis heute nicht aufgegeben hat.
Soleris Familie musste 1933 vor den Faschisten nach Frankreich fliehen, wo er zur Schule ging. Er schloss später sein Studium in Turin ab, baute aber in Europa nur ein einziges Objekt: eine keramische Fabrik in Vietri sul Mare, wo Soleri die Fertigkeit erlernte, die er später für seine Glocken nutzte.
Mitte der 1950er-Jahre zog er mit Frau und Töchtern nach Scottsdale in Arizona. Anfang Dezember wird dort eine neue Fußgängerbrücke von Soleri eröffnet. In Arizona wurde er auch zum Begründer der „Arcology“ (eine Wortschöpfung aus den Begriffen „architecture“ und „ecology“). Mit dieser frühen Antwort auf das Phänomen des „urban sprawl“, also der flächenverschlingenden Zersiedelung des Umlandes von Städten, die sich an Autos orientiert und Innenstädte sterben lässt, wurde er zu einem Vorreiter des ökologischen Städtebaus. Arcology propagiert Städte, die flächenschonend in die Höhe wachsen, Solar- und Windenergie nutzen und auf Fußgänger ausgerichtet sind.
Zabriskie Point und Arcosanti
1970 kam Michelangelo Antonionis legendärer Film Zabriskie Point, der mit einer gigantischen Explosion in die Filmgeschichte eingehen sollte, in die Kinos - und damit auch ein Haus, das Paolo Soleri entworfen hatte. Im selben Jahr begann der Architekt gemeinsam mit seiner 1982 verstorbenen Frau, Colly Soleri, auf einem Grundstück nahe Cordes Junction seine eigene Utopie in Sichtbetonbauten zu übersetzen.
Am Südhang eines grünen Canyons, 100 Kilometer nördlich von Phoenix, entstanden die ersten Kuppeln von Arcosanti. Die Häuser gehen wie organisch gewachsen, aber in strengen geometrischen Formen ineinander über und schmiegen sich übereinander verschachtelt an den Hang.
Umgeben ist die Siedlung, an der über Jahrzehnte tausende Idealisten aus aller Welt mitbauten, nicht von der für Südarizona typischen Vegetation von Kakteen und Büschen, sondern von Zypressen und Olivenbäumen: ein Gruß aus Soleris Heimat.
Für etwa 8000 Menschen wurde die Stadt, in der Autos keinen Platz haben, die man aber ohne Auto nicht erreichen kann, geplant. Im Herbst 2010 führt noch immer ein kilometerlanger Schotterweg mit Schlaglöchern dorthin. Bevor man sich im Nirgendwo verloren glaubt, ermuntert einen ein rundes Metallschild auf halbem Weg, nicht umzukehren: „Welcome to Arcosanti, An Urban Laboratory“. Etwa 80 Leute leben und arbeiten heute hier: Einerseits Althippies, die hier blieben, andererseits, junge Soziologie- oder Architekturstudierende, die manchmal hier „hängenbleiben“.
Auf den ruhigen Wegen des Areals ist nicht viel, aber immer etwas los: Es gibt ein Amphitheater, in dem regelmäßig Aufführungen statt finden, ein Café und die Galerie, wo man mit dem Kauf eines Windspiels das Projekt unterstützen kann. Laufend werden Architekturworkshops abgehalten. Eine Gruppe von Studenten macht gerade eine Führung und blickt auf die landwirtschaftlich genutzte Fläche am Fuße eines steilen Hangs hinunter. Bald wird hier die Olivenernte beginnen. Gäste, die nicht mitarbeiten wollen, können ab 30 Dollar pro Nacht bleiben.
Wer in dem Mann, der dies alles initiierte, einen Träumer erwartet, liegt falsch. Ein schneller analytischer Denker sitzt am Schreibtisch in der kleinen Wohnung in Arcosanti, die er einmal pro Woche als Rückzugsort vor Vorlesungen nutzt. Neue Ideen wurden gerade feinsäuberlich in ein Notizbuch eingetragen. Dann führt er mit leiser Stimme präzise aus, warum Autos „mit den tiefen Spuren, die sie im Land hinterlassen haben, unsere Welt zerstören“. Formal fühlt sich Soleri von Le Corbusier, Erich Mendelsohn und Walter Gropius beeinflusst. Von „den jüngeren“ gefällt ihm Frank Gehry.
Manchmal huscht ein Lächeln über seine Lippen, das von Traurigkeit begleitet wird. Ob er sich von den Entwicklungen dieser Welt bestätigt fühlt? „Ich rede jetzt seit 50 Jahren, niemand hört mir zu. Ich habe aufgegeben“, seufzt er. Doch Resignation ist das nicht, denn er setzt nach: „Ich mache einfach weiter meine Arbeit.“ Und schon tippt er energisch auf die Ausgabe einer Reihe von Heften, die er über seine Cosanti Foundation selbst verlegt. „Lean Linear City“ heißt sein neues Projekt.
Lineare Städte
Wenig später erklärt er die Linear City, für die sich chinesische Städte bereits intensiv interessierten, einer Gruppe von Studenten: Bereits bestehende Städte sollen nicht durch Straßen, sondern durch autofreie, energieautarke Siedlungen verbunden werden, also zusammenwachsen. Die Studenten hängen an seinen Lippen, und einer meint: „Ich würde gern einem Gespräch zwischen Ihnen und Steve Jobs beiwohnen.“
Tatsächlich verhinderten bisher fehlende Milliarden und Soleris Radikalität, die keine Kompromisse zulässt, den Vollausbau seiner Stadtvisionen. „Ach“, antwortet da Soleris Assistentin, „Paolo hat schon Bill Gates und jedem Präsidenten geschrieben - ohne Antwort“. Es wird Aufgabe der Studenten sein, seine Ideen in die Welt hinauszutragen.
In Soleris Traum dominieren nicht mehr Autos, sondern Menschen mit Respekt vor der Natur die Städteplanung, Menschen, die Urbanität in einem ganz neuen Sinn auferstehen lassen. Und es ist ein Traum, den Soleri, der in den 1940er-Jahren nach seinem Architekturstudium in seiner Heimatstadt Turin in die USA kam und bei Frank Lloyd Wright lernte, bis heute nicht aufgegeben hat.
Soleris Familie musste 1933 vor den Faschisten nach Frankreich fliehen, wo er zur Schule ging. Er schloss später sein Studium in Turin ab, baute aber in Europa nur ein einziges Objekt: eine keramische Fabrik in Vietri sul Mare, wo Soleri die Fertigkeit erlernte, die er später für seine Glocken nutzte.
Mitte der 1950er-Jahre zog er mit Frau und Töchtern nach Scottsdale in Arizona. Anfang Dezember wird dort eine neue Fußgängerbrücke von Soleri eröffnet. In Arizona wurde er auch zum Begründer der „Arcology“ (eine Wortschöpfung aus den Begriffen „architecture“ und „ecology“). Mit dieser frühen Antwort auf das Phänomen des „urban sprawl“, also der flächenverschlingenden Zersiedelung des Umlandes von Städten, die sich an Autos orientiert und Innenstädte sterben lässt, wurde er zu einem Vorreiter des ökologischen Städtebaus. Arcology propagiert Städte, die flächenschonend in die Höhe wachsen, Solar- und Windenergie nutzen und auf Fußgänger ausgerichtet sind.
Zabriskie Point und Arcosanti
1970 kam Michelangelo Antonionis legendärer Film Zabriskie Point, der mit einer gigantischen Explosion in die Filmgeschichte eingehen sollte, in die Kinos - und damit auch ein Haus, das Paolo Soleri entworfen hatte. Im selben Jahr begann der Architekt gemeinsam mit seiner 1982 verstorbenen Frau, Colly Soleri, auf einem Grundstück nahe Cordes Junction seine eigene Utopie in Sichtbetonbauten zu übersetzen.
Am Südhang eines grünen Canyons, 100 Kilometer nördlich von Phoenix, entstanden die ersten Kuppeln von Arcosanti. Die Häuser gehen wie organisch gewachsen, aber in strengen geometrischen Formen ineinander über und schmiegen sich übereinander verschachtelt an den Hang.
Umgeben ist die Siedlung, an der über Jahrzehnte tausende Idealisten aus aller Welt mitbauten, nicht von der für Südarizona typischen Vegetation von Kakteen und Büschen, sondern von Zypressen und Olivenbäumen: ein Gruß aus Soleris Heimat.
Für etwa 8000 Menschen wurde die Stadt, in der Autos keinen Platz haben, die man aber ohne Auto nicht erreichen kann, geplant. Im Herbst 2010 führt noch immer ein kilometerlanger Schotterweg mit Schlaglöchern dorthin. Bevor man sich im Nirgendwo verloren glaubt, ermuntert einen ein rundes Metallschild auf halbem Weg, nicht umzukehren: „Welcome to Arcosanti, An Urban Laboratory“. Etwa 80 Leute leben und arbeiten heute hier: Einerseits Althippies, die hier blieben, andererseits, junge Soziologie- oder Architekturstudierende, die manchmal hier „hängenbleiben“.
Auf den ruhigen Wegen des Areals ist nicht viel, aber immer etwas los: Es gibt ein Amphitheater, in dem regelmäßig Aufführungen statt finden, ein Café und die Galerie, wo man mit dem Kauf eines Windspiels das Projekt unterstützen kann. Laufend werden Architekturworkshops abgehalten. Eine Gruppe von Studenten macht gerade eine Führung und blickt auf die landwirtschaftlich genutzte Fläche am Fuße eines steilen Hangs hinunter. Bald wird hier die Olivenernte beginnen. Gäste, die nicht mitarbeiten wollen, können ab 30 Dollar pro Nacht bleiben.
Wer in dem Mann, der dies alles initiierte, einen Träumer erwartet, liegt falsch. Ein schneller analytischer Denker sitzt am Schreibtisch in der kleinen Wohnung in Arcosanti, die er einmal pro Woche als Rückzugsort vor Vorlesungen nutzt. Neue Ideen wurden gerade feinsäuberlich in ein Notizbuch eingetragen. Dann führt er mit leiser Stimme präzise aus, warum Autos „mit den tiefen Spuren, die sie im Land hinterlassen haben, unsere Welt zerstören“. Formal fühlt sich Soleri von Le Corbusier, Erich Mendelsohn und Walter Gropius beeinflusst. Von „den jüngeren“ gefällt ihm Frank Gehry.
Manchmal huscht ein Lächeln über seine Lippen, das von Traurigkeit begleitet wird. Ob er sich von den Entwicklungen dieser Welt bestätigt fühlt? „Ich rede jetzt seit 50 Jahren, niemand hört mir zu. Ich habe aufgegeben“, seufzt er. Doch Resignation ist das nicht, denn er setzt nach: „Ich mache einfach weiter meine Arbeit.“ Und schon tippt er energisch auf die Ausgabe einer Reihe von Heften, die er über seine Cosanti Foundation selbst verlegt. „Lean Linear City“ heißt sein neues Projekt.
Lineare Städte
Wenig später erklärt er die Linear City, für die sich chinesische Städte bereits intensiv interessierten, einer Gruppe von Studenten: Bereits bestehende Städte sollen nicht durch Straßen, sondern durch autofreie, energieautarke Siedlungen verbunden werden, also zusammenwachsen. Die Studenten hängen an seinen Lippen, und einer meint: „Ich würde gern einem Gespräch zwischen Ihnen und Steve Jobs beiwohnen.“
Tatsächlich verhinderten bisher fehlende Milliarden und Soleris Radikalität, die keine Kompromisse zulässt, den Vollausbau seiner Stadtvisionen. „Ach“, antwortet da Soleris Assistentin, „Paolo hat schon Bill Gates und jedem Präsidenten geschrieben - ohne Antwort“. Es wird Aufgabe der Studenten sein, seine Ideen in die Welt hinauszutragen.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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