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Schallhart mit Glashaut
Raffinesse durch Beschränkung sowie ein klares und präzises Konzept. Heidl Architekten haben einen Friedhof in Linz gestaltet. Ein Mittel der Milieubildung statt L'art pour l'art.
3. Januar 2011 - Liesbeth Waechter-Böhm
Als im Jahr 2008 das Verfahren zur Neugestaltung des Nationalratssitzungssaals entschieden wurde, war die Überraschung groß. Denn der Gewinner war ein Linzer Architekturbüro – Heidl Architekten –, von dem man, speziell in Wien, noch kaum gehört hatte. Tatsächlich gibt Andreas Heidl auch freimütig zu, dass er sich um mediale Präsenz so gut wie gar nicht gekümmert hat. Nun tritt das Nationalratssitzungssaal-Projekt schon seit Langem auf der Stelle. Nicht aus der Perspektive des Architekten, der hat in die Ausarbeitung geradezu selbstmörderisch viele Arbeitsstunden investiert. Andererseits steht aber im Februar eine neue Gesprächsrunde in punkto Nationalratssitzungssaal bevor. Aus diesem Anlass sollte man sich das überarbeitete Projekt wahrscheinlich rechtzeitig genau anschauen, rechtzeitig, bevor auf der parteipolitisch dominierten Ebene möglicherweise Entscheidungen fallen, die nicht auf fachlichen Kriterien allein basieren.
Man wird diesen Februar-Termin nicht aus den Augen verlieren. Aber zuvor ist es wahrscheinlich angebracht, die Arbeiten von Heidl Architekten ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Ich habe mir eine Arbeit des Büros in Linz angesehen, sicher eine etwas ungewöhnliche Arbeit, denn es geht um einen Friedhof und die architektonischen Maßnahmen, die in Zusammenhang mit den heutigen Anforderungen (nicht zuletzt die Möglichkeit, muslimische Begräbnisse adäquat durchzuführen) verbunden sind. Natürlich ging es auch um ganz herkömmliche architektonische Aufgaben. Wie definiert man einen Eingang, wenn drumherum schon allerlei steht? Wie geht man damit um, dass man einen Bestand aus den Neunzigerjahren (Verabschiedungshalle von Architekt Goldner) in das eigene Konzept einbinden muss?
Heidl hat ein einfaches, klares, ziemlich präzises Konzept entwickelt. Und zwar sowohl in Bezug auf die städtebauliche Lösung und räumliche Abwicklung als auch die rigorose Materialkonsequenz. Der Eingang selbst ist durch schlichte Mauern und einen breiten Dachbalken definiert, mehr nicht. Und dann der Friedhof: ein viele Hektar umfassender Waldfriedhof, eigentlich eine fantastische Anlage mit altem Baubestand, die heute bei Weitem nicht voll genutzt wird, sondern auch reichlich Frei- und Naherholungsraum für die Bewohner der umliegenden Ortschaften bietet.
Städtebaulich bestand eine Schwierigkeit darin, dass die Haupterschließungsachse des Geländes und die Erschließung der bestehenden Verabschiedungshalle parallel verliefen. Für die neue Anlage wurde eine Umlenkung um 90 Grad notwendig. Diese Gelenkfunktion übernimmt jetzt der neue Glockenturm. Der Weg zur Verabschiedungshalle mündet zunächst in einen sehr großzügigen, offenen, hohen Versammlungsbereich. Bei winterlichen Temperaturen wird der natürlich kaum genutzt, in der warmen Jahreszeit bietet er aber eine schöne Möglichkeit. In der Halle selbst sind die Raumzellen für die Aufbahrung der Särge schlicht aneinandergereiht, an der Rückwand jeweils mit Licht von oben, was einen sehr stimmungsvollen Effekt ergibt.
Diese Halle ist überhaupt gut gelungen. Sie hat an der höchsten Stelle immerhin acht Meter Raumhöhe und ist zu einem Hof hin verglast, dessen Mauern nur eine gekieste Fläche mit einem einzigen Lebensbaum umschließen. Im Schnee ist das alles nur schwer nachvollziehbar, aber es ist offenkundig eine ziemlich mediterrane, vor allem meditative Maßnahme. Bei der Verglasung zu diesem Hof hin hat sich der Architekt einen gewissen Luxus geleistet: Die Scheiben messen beachtliche sechs mal drei Meter. Aber manchmal lohnt es sich einfach, zu solchen Sondermaßnahmen zu greifen – die Wirkung dieser Glashaut ist unvergleichlich.
Auch bei der Materialwahl ist da etwas gelungen. In der Beschränkung liegt die Raffinesse. Heidl hat sich für einen hellen, sehr ruhigen bulgarischen Kalksandstein entschieden, den er in besonders großen Platten verarbeitet hat. Wand, Boden, Decke bilden eine Einheit, mit der Ausnahme der Verabschiedungseinheiten an der einen Längswand. Die sind ganz in eine hölzerne Lamellenhaut gekleidet – hinter der sich ein Maximum an Haustechnik verbirgt –, Esche, weiß lasiert, und sie lassen sich nahtlos verschließen. Offen ist immer nur jene Raumeinheit, die gerade in Gebrauch steht.
Eine schöne Besonderheit verdient noch erwähnt zu werden: Heidl hat auf die Türen besonderen Wert gelegt. Sie sind sehr hoch und öffnen und schließen sich automatisch. Und sie sind sozusagen „Kunst am Bau“ – nur dass die Künstler hier Handwerker waren, die auf der Basis der Vorgaben des Architekten (Material: Messing, brüniert) freie Entwürfe einreichen konnten. Heidl: „Wir haben hier noch sehr gute Handwerksbetriebe, und wenn wir sie behalten wollen, dann müssen wir ihnen einfach die entsprechenden Aufgaben stellen.“ Diese Tore sind tatsächlich etwas Besonderes.
Die Anlage umfasst noch eine ganze Reihe dienender Räume, die entlang eines oberlichtverglasten Serviceganges angeordnet sind. Und vor allem den Bereich für die muslimischen Verabschiedungen, bei denen die rituelle Leichenwaschung durch die engste Familie eine wesentliche Rolle spielt. Das wurde räumlich/atmosphärisch bestmöglich gelöst. Aber es gab ein kurioses Detail: Wie geht man akustisch mit diesen Räumen um? Schallweich oder schallhart? Der Architekt entschied: schallhart, damit man die Klagefrauen gut hört. Bei der ersten Besichtigung durch den muslimischen Fachmann hieß es dann aber: „Wir haben keine Klagefrauen.“
Die Anlage ist ausgesprochen sensibel ins Gelände eingebettet – eine erste Böschung endet abrupt an einem Ha-Ha-Graben, dann geht es noch weiter steil hinauf. Leider hat sich dort ein Sicherheitsgitter festgesetzt, das der Architekt keineswegs goutiert. Er hat bei der Besichtigung auf Anhieb eine andere Lösung entwickelt.
Wichtig ist, dass hier Architektur offenbar als Mittel der Milieubildung eingesetzt ist. Der designerische Faktor bleibt ganz im Hintergrund. Es gibt nicht die Gestaltung um der Gestaltung willen, sondern eine Strategie der Schlichtheit – auf höchstem Niveau. Und das darf einen durchaus neugierig machen, wie das Nationalrats-Projekt im Endeffekt ausschauen wird. Aber das erfahren wir im Februar.
Man wird diesen Februar-Termin nicht aus den Augen verlieren. Aber zuvor ist es wahrscheinlich angebracht, die Arbeiten von Heidl Architekten ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Ich habe mir eine Arbeit des Büros in Linz angesehen, sicher eine etwas ungewöhnliche Arbeit, denn es geht um einen Friedhof und die architektonischen Maßnahmen, die in Zusammenhang mit den heutigen Anforderungen (nicht zuletzt die Möglichkeit, muslimische Begräbnisse adäquat durchzuführen) verbunden sind. Natürlich ging es auch um ganz herkömmliche architektonische Aufgaben. Wie definiert man einen Eingang, wenn drumherum schon allerlei steht? Wie geht man damit um, dass man einen Bestand aus den Neunzigerjahren (Verabschiedungshalle von Architekt Goldner) in das eigene Konzept einbinden muss?
Heidl hat ein einfaches, klares, ziemlich präzises Konzept entwickelt. Und zwar sowohl in Bezug auf die städtebauliche Lösung und räumliche Abwicklung als auch die rigorose Materialkonsequenz. Der Eingang selbst ist durch schlichte Mauern und einen breiten Dachbalken definiert, mehr nicht. Und dann der Friedhof: ein viele Hektar umfassender Waldfriedhof, eigentlich eine fantastische Anlage mit altem Baubestand, die heute bei Weitem nicht voll genutzt wird, sondern auch reichlich Frei- und Naherholungsraum für die Bewohner der umliegenden Ortschaften bietet.
Städtebaulich bestand eine Schwierigkeit darin, dass die Haupterschließungsachse des Geländes und die Erschließung der bestehenden Verabschiedungshalle parallel verliefen. Für die neue Anlage wurde eine Umlenkung um 90 Grad notwendig. Diese Gelenkfunktion übernimmt jetzt der neue Glockenturm. Der Weg zur Verabschiedungshalle mündet zunächst in einen sehr großzügigen, offenen, hohen Versammlungsbereich. Bei winterlichen Temperaturen wird der natürlich kaum genutzt, in der warmen Jahreszeit bietet er aber eine schöne Möglichkeit. In der Halle selbst sind die Raumzellen für die Aufbahrung der Särge schlicht aneinandergereiht, an der Rückwand jeweils mit Licht von oben, was einen sehr stimmungsvollen Effekt ergibt.
Diese Halle ist überhaupt gut gelungen. Sie hat an der höchsten Stelle immerhin acht Meter Raumhöhe und ist zu einem Hof hin verglast, dessen Mauern nur eine gekieste Fläche mit einem einzigen Lebensbaum umschließen. Im Schnee ist das alles nur schwer nachvollziehbar, aber es ist offenkundig eine ziemlich mediterrane, vor allem meditative Maßnahme. Bei der Verglasung zu diesem Hof hin hat sich der Architekt einen gewissen Luxus geleistet: Die Scheiben messen beachtliche sechs mal drei Meter. Aber manchmal lohnt es sich einfach, zu solchen Sondermaßnahmen zu greifen – die Wirkung dieser Glashaut ist unvergleichlich.
Auch bei der Materialwahl ist da etwas gelungen. In der Beschränkung liegt die Raffinesse. Heidl hat sich für einen hellen, sehr ruhigen bulgarischen Kalksandstein entschieden, den er in besonders großen Platten verarbeitet hat. Wand, Boden, Decke bilden eine Einheit, mit der Ausnahme der Verabschiedungseinheiten an der einen Längswand. Die sind ganz in eine hölzerne Lamellenhaut gekleidet – hinter der sich ein Maximum an Haustechnik verbirgt –, Esche, weiß lasiert, und sie lassen sich nahtlos verschließen. Offen ist immer nur jene Raumeinheit, die gerade in Gebrauch steht.
Eine schöne Besonderheit verdient noch erwähnt zu werden: Heidl hat auf die Türen besonderen Wert gelegt. Sie sind sehr hoch und öffnen und schließen sich automatisch. Und sie sind sozusagen „Kunst am Bau“ – nur dass die Künstler hier Handwerker waren, die auf der Basis der Vorgaben des Architekten (Material: Messing, brüniert) freie Entwürfe einreichen konnten. Heidl: „Wir haben hier noch sehr gute Handwerksbetriebe, und wenn wir sie behalten wollen, dann müssen wir ihnen einfach die entsprechenden Aufgaben stellen.“ Diese Tore sind tatsächlich etwas Besonderes.
Die Anlage umfasst noch eine ganze Reihe dienender Räume, die entlang eines oberlichtverglasten Serviceganges angeordnet sind. Und vor allem den Bereich für die muslimischen Verabschiedungen, bei denen die rituelle Leichenwaschung durch die engste Familie eine wesentliche Rolle spielt. Das wurde räumlich/atmosphärisch bestmöglich gelöst. Aber es gab ein kurioses Detail: Wie geht man akustisch mit diesen Räumen um? Schallweich oder schallhart? Der Architekt entschied: schallhart, damit man die Klagefrauen gut hört. Bei der ersten Besichtigung durch den muslimischen Fachmann hieß es dann aber: „Wir haben keine Klagefrauen.“
Die Anlage ist ausgesprochen sensibel ins Gelände eingebettet – eine erste Böschung endet abrupt an einem Ha-Ha-Graben, dann geht es noch weiter steil hinauf. Leider hat sich dort ein Sicherheitsgitter festgesetzt, das der Architekt keineswegs goutiert. Er hat bei der Besichtigung auf Anhieb eine andere Lösung entwickelt.
Wichtig ist, dass hier Architektur offenbar als Mittel der Milieubildung eingesetzt ist. Der designerische Faktor bleibt ganz im Hintergrund. Es gibt nicht die Gestaltung um der Gestaltung willen, sondern eine Strategie der Schlichtheit – auf höchstem Niveau. Und das darf einen durchaus neugierig machen, wie das Nationalrats-Projekt im Endeffekt ausschauen wird. Aber das erfahren wir im Februar.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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