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Ein Testgelände für Raumflüge
Architektur zu studieren bedeutet einen persönlichen Versuch zur Weltverbesserung: Versionen von Raum sehen zu lernen und diesen ureigene Visionen einzuprägen. Die Ausstellung „archdiploma 2000“ zeigt mit prämierten Abschlußarbeiten der TU erste Reifezustände.
22. April 2000 - Walter Chramosta
Moderne Architektur ist das aus der richtigen Erkenntnis einer fehlenden Notwendigkeit erschaffene Überflüssige “,ätzte Karl Kraus. Als ausgewiesener Verbalagitator für die Moderne ist er diesbezüglich in seinem Humor unverdächtig. Und er trifft den Kern des Problems, worauf Alfred Polgar hinwies: „Der echte Satiriker zieht, was er ins Lächerliche zieht, mit einem Griff auch ins Ernsteste.“ Das Kernproblem der Architektur dieser Zeit ist ihre „fehlende Notwendigkeit “. Moderne Architektur ist nicht nur in den Augen einiger Traditionalisten, sondern für eine breite Öffentlichkeit überflüssig, eine gefällige Schönung des Notwendigen.
Die Diagnosen zum latenten Desinteresse an Architektur sind bekannt: das Bildungsdefizit in den Schulen, die Ignoranz der Massenmedien gegenüber jeder Verfeinerung, die Unlust der Architekten, politische Ämter anzunehmen und für die Architektur Lobbying zu betreiben, die Unfähigkeit der Politiker, Architektur als Träger für Inhalte zu verstehen und zu argumentieren, die Isolierung der Architekturausbildung vom öffentlichen Leben, die Sehnsucht, alles in der Welt möge sich einfach lösen und simpel darstellen lassen.
Architektur kann als Weltverbesserungsversuch aber in ihren Anfängen niemals einfach, eindeutig, eingängig sein, vielleicht in ihrer Endaussage. Von Architektur a priori zu erwarten, daß sie simpel sei, daß sie sich am Gewohnten orientiert, daß sie gefällt, daß sie verständlich und gar mehrheitsfähig ist, ist ein Irrtum. Sie kann all das letztlich auch werden, aber es sind keine Entwurfsziele: eindimensionale Anbiederung an Populäres und Spektakuläres schließt qualitative Architektur aus. Was Qualität ist, muß erklärt werden.
Über ganzheitliche Erkenntnis des Themas führt der Weg zur Architektur sowohl für den, der zeichnet, plant und baut, als auch für jene, die sie als Beobachter verstehen wollen. Die Vielschichtigkeit und Vielzahl guter Lösungen verhilft am besten zu tieferer Einsicht. Entwurfsalternativen zu einem Thema, etwa von Wettbewerbseinreichungen oder Produkten der Architekturlehre, sind didaktisch sehr aussagekräftig. Die meisten Wettbewerbe finden faktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Der Kontakt der Universitäten und Akademien mit den Bürgern konzentriert sich auf akademische Feiern und fachintern zugeschnittene Veranstaltungen.
Ein daher umso erfreulicherer, wenn auch intern längst erhoffter Schritt nach außen ist die Ausstellung „archdiploma 2000 “der Fakultät für Raumplanung und Architektur der Technischen Universität Wien: Sie vermittelt eindrücklich, wie man Architektur ernsthaft erringt. Kuratiert von Marlies Breuss und Franz Karner, werden zwar über Pläne und Modelle harte Inhalte, aber in einer sinnlich sehr ansprechenden, in ihrer graphischen Aufbereitung und Knappheit der Textinformation für jeden verkraftbaren Form präsentiert. Unter 33 Diplomprojekten der 1997 bis 1999 erstellen Arbeiten hat die Jury aus den Professoren William Alsop, Cuno Brullmann, Francoise-H élène Jourda, Helmut Richter, Klaus Semsroth, Emmerich Simoncsics und dem Autor drei Haupt-, drei Anerkennungspreise und eine Auszeichnung für ein vorbildliches Forschungsvorhaben vergeben. Zudem hat der Besucher die Möglichkeit, sein Votum für den als Finale gedachten Publikumspreis abzugeben.
Nicht allein das Faktum einer Diplomausstellung ist bemerkenswert, die gibt es in Wien an der Akademie der bildenden Künste und der Universität für angewandte Kunst längst, sondern die dienstbare Art der Vermittlung, die mediale Begleitung. Die größte Architekturausbildungsstätte des Landes hat sich bis jetzt nicht auf diese Art der Öffentlichkeit gestellt. Es ist der Initiative von Cuno Brullmann und von Dekan Klaus Semsroth zu danken, daß nun der Leistungsvergleich zwischen konkurrierenden Hochschulen möglich ist.
Auch wenn die Art der Preisvergabe mit Rängen an einzelne Arbeiten in der Jury angezweifelt wurde, weil die breite Streuung der Diplomthemen kaum direkte Vergleiche zwischen den Arbeiten zuläßt, sondern eher Einschätzungen, wie weit der Kandidat die Aufgabenstellung nach Kriterien wie Situierung am Bauplatz, Funktionserfüllung, konstruktive Logik, Prägnanz der Gestalt, Schlüssigkeit des theoretischen Ansatzes erfüllt hat: Die Zuerkennung der Preise ist nachvollziehbar und belegt die hohe Variation der architektonischen Sichtweisen an der TU Wien. Die besten Arbeiten repräsentieren gemeinsam eine Bandbreite architektonischer Auffassungen, wie sie aus internationalen Ideenkonkurrenzen und der globalen Publizistik bekannt sind. Jedenfalls wird gestalterisch und technisch weit über das österreichische Baugeschehen hinausgegriffen.
Das auf der Konkurrenz verschiedener Entwurfsauffassungen beruhende Unterrichtsprinzip der Massenuniversität erweist sich – gemessen am besten Drittel der Diplomarbeiten – im Vergleich zu den elitären Meisterschulen und – klassen noch immer als konkurrenzfähig. Allerorten überzeugend wäre das klar erstgereihte Forschungszentrum für die Insel Syros von Ines Wagner-Löffler. Nicht nur die alternative, Ressourcen wahrende Philosophie des Entwurfes besticht.
Die funktional-tektonische Lösung mit dem unterirdischen Forschungs- und dem als gläserne Röhre über den Hang gesetzten Wohnbereich würde als elegante Figur in der Landschaft wirken. Der mobile Turm, ein Medienträger und Regieplatz für Großveranstaltungen,von Christian Formann beeindruckt mit präziser konstruktiver Durchbildung und eindeutiger Formgebung. Er erhält ex aequo mit dem für Jerusalem projektierten, in seinem Umgang mit der Topographie und der strukturellen Auflösung in 48 korrespondierende Elemente überzeugenden Kulturkomplex von Bernhard Schneider einen zweiten Preis.
Anerkennungen erhalten Petra Frimmel für ihr aus Pneus gebildetes temporäres Theater, Hannes Pfau für eine räumlich besonders feinsinnig ausgeteilte Bibliothek in Kansai, Japan, und Rupert Königswieser für vier intelligente Tourismusinterventionen in der Liechtensteinklamm.
Der Forschungspreis geht an Andreas Marth und Friedrich Passler für eine visionäre Sicht der Verschränkung von Verkehr und Stadtarchitektur in hybriden Großstrukturen für Bozen.
Wer sich als angehender Student zu seinem Countdown zur Architektenexistenz, zu seinem Flug in den architektonischen Raum anstiften lassen will, wird hier starke Starthilfen finden. Wer sich als Laie Einsicht erhofft, wird unschwer verstehen können: Architektur ist eine qualitative Macht, auf die die Welt nicht verzichten kann.
Die Diagnosen zum latenten Desinteresse an Architektur sind bekannt: das Bildungsdefizit in den Schulen, die Ignoranz der Massenmedien gegenüber jeder Verfeinerung, die Unlust der Architekten, politische Ämter anzunehmen und für die Architektur Lobbying zu betreiben, die Unfähigkeit der Politiker, Architektur als Träger für Inhalte zu verstehen und zu argumentieren, die Isolierung der Architekturausbildung vom öffentlichen Leben, die Sehnsucht, alles in der Welt möge sich einfach lösen und simpel darstellen lassen.
Architektur kann als Weltverbesserungsversuch aber in ihren Anfängen niemals einfach, eindeutig, eingängig sein, vielleicht in ihrer Endaussage. Von Architektur a priori zu erwarten, daß sie simpel sei, daß sie sich am Gewohnten orientiert, daß sie gefällt, daß sie verständlich und gar mehrheitsfähig ist, ist ein Irrtum. Sie kann all das letztlich auch werden, aber es sind keine Entwurfsziele: eindimensionale Anbiederung an Populäres und Spektakuläres schließt qualitative Architektur aus. Was Qualität ist, muß erklärt werden.
Über ganzheitliche Erkenntnis des Themas führt der Weg zur Architektur sowohl für den, der zeichnet, plant und baut, als auch für jene, die sie als Beobachter verstehen wollen. Die Vielschichtigkeit und Vielzahl guter Lösungen verhilft am besten zu tieferer Einsicht. Entwurfsalternativen zu einem Thema, etwa von Wettbewerbseinreichungen oder Produkten der Architekturlehre, sind didaktisch sehr aussagekräftig. Die meisten Wettbewerbe finden faktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Der Kontakt der Universitäten und Akademien mit den Bürgern konzentriert sich auf akademische Feiern und fachintern zugeschnittene Veranstaltungen.
Ein daher umso erfreulicherer, wenn auch intern längst erhoffter Schritt nach außen ist die Ausstellung „archdiploma 2000 “der Fakultät für Raumplanung und Architektur der Technischen Universität Wien: Sie vermittelt eindrücklich, wie man Architektur ernsthaft erringt. Kuratiert von Marlies Breuss und Franz Karner, werden zwar über Pläne und Modelle harte Inhalte, aber in einer sinnlich sehr ansprechenden, in ihrer graphischen Aufbereitung und Knappheit der Textinformation für jeden verkraftbaren Form präsentiert. Unter 33 Diplomprojekten der 1997 bis 1999 erstellen Arbeiten hat die Jury aus den Professoren William Alsop, Cuno Brullmann, Francoise-H élène Jourda, Helmut Richter, Klaus Semsroth, Emmerich Simoncsics und dem Autor drei Haupt-, drei Anerkennungspreise und eine Auszeichnung für ein vorbildliches Forschungsvorhaben vergeben. Zudem hat der Besucher die Möglichkeit, sein Votum für den als Finale gedachten Publikumspreis abzugeben.
Nicht allein das Faktum einer Diplomausstellung ist bemerkenswert, die gibt es in Wien an der Akademie der bildenden Künste und der Universität für angewandte Kunst längst, sondern die dienstbare Art der Vermittlung, die mediale Begleitung. Die größte Architekturausbildungsstätte des Landes hat sich bis jetzt nicht auf diese Art der Öffentlichkeit gestellt. Es ist der Initiative von Cuno Brullmann und von Dekan Klaus Semsroth zu danken, daß nun der Leistungsvergleich zwischen konkurrierenden Hochschulen möglich ist.
Auch wenn die Art der Preisvergabe mit Rängen an einzelne Arbeiten in der Jury angezweifelt wurde, weil die breite Streuung der Diplomthemen kaum direkte Vergleiche zwischen den Arbeiten zuläßt, sondern eher Einschätzungen, wie weit der Kandidat die Aufgabenstellung nach Kriterien wie Situierung am Bauplatz, Funktionserfüllung, konstruktive Logik, Prägnanz der Gestalt, Schlüssigkeit des theoretischen Ansatzes erfüllt hat: Die Zuerkennung der Preise ist nachvollziehbar und belegt die hohe Variation der architektonischen Sichtweisen an der TU Wien. Die besten Arbeiten repräsentieren gemeinsam eine Bandbreite architektonischer Auffassungen, wie sie aus internationalen Ideenkonkurrenzen und der globalen Publizistik bekannt sind. Jedenfalls wird gestalterisch und technisch weit über das österreichische Baugeschehen hinausgegriffen.
Das auf der Konkurrenz verschiedener Entwurfsauffassungen beruhende Unterrichtsprinzip der Massenuniversität erweist sich – gemessen am besten Drittel der Diplomarbeiten – im Vergleich zu den elitären Meisterschulen und – klassen noch immer als konkurrenzfähig. Allerorten überzeugend wäre das klar erstgereihte Forschungszentrum für die Insel Syros von Ines Wagner-Löffler. Nicht nur die alternative, Ressourcen wahrende Philosophie des Entwurfes besticht.
Die funktional-tektonische Lösung mit dem unterirdischen Forschungs- und dem als gläserne Röhre über den Hang gesetzten Wohnbereich würde als elegante Figur in der Landschaft wirken. Der mobile Turm, ein Medienträger und Regieplatz für Großveranstaltungen,von Christian Formann beeindruckt mit präziser konstruktiver Durchbildung und eindeutiger Formgebung. Er erhält ex aequo mit dem für Jerusalem projektierten, in seinem Umgang mit der Topographie und der strukturellen Auflösung in 48 korrespondierende Elemente überzeugenden Kulturkomplex von Bernhard Schneider einen zweiten Preis.
Anerkennungen erhalten Petra Frimmel für ihr aus Pneus gebildetes temporäres Theater, Hannes Pfau für eine räumlich besonders feinsinnig ausgeteilte Bibliothek in Kansai, Japan, und Rupert Königswieser für vier intelligente Tourismusinterventionen in der Liechtensteinklamm.
Der Forschungspreis geht an Andreas Marth und Friedrich Passler für eine visionäre Sicht der Verschränkung von Verkehr und Stadtarchitektur in hybriden Großstrukturen für Bozen.
Wer sich als angehender Student zu seinem Countdown zur Architektenexistenz, zu seinem Flug in den architektonischen Raum anstiften lassen will, wird hier starke Starthilfen finden. Wer sich als Laie Einsicht erhofft, wird unschwer verstehen können: Architektur ist eine qualitative Macht, auf die die Welt nicht verzichten kann.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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