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Von der Milchbar zur Disco
Die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon in Wien als Teil einer lebendigen Familiengeschichte, die sich seit 60 Jahren verfolgen lässt. Nach dem Umbau nicht nur für Nachtschwärmer sehenswert!
27. August 2011 - Iris Meder
Denkmalgeschützte Diskotheken – das dürfte es nicht so oft geben. Wien hat eine, nämlich im Volksgarten. Sie setzt sich aus Dancing, „Banane“ und Pavillon zusammen, und manchmal braucht es Besuch aus dem Ausland, der einem wieder einmal klar macht, welch unglaublich cooles Ding da mitten in der Touristenzone steht und dabei dennoch recht insidermäßig in seinem Tagesschlummer dem brodelnden Nachtleben entgegendöst.
60 Jahre ist es her, da plante Oswald Haerdtl die „Milchbar“. Der Holzpavillon mit weit auskragendem Pultdach hat sich als Volksgarten-Pavillon weitgehend original bis in die Gegenwart erhalten. Dafür ist maßgeblich die Tatsache verantwortlich, dass die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon heute von zwei Söhnen des damaligen Auftraggebers in zweiter Generation betrieben werden. Die Lokalitäten und ihre Einrichtung sind daher wohl auch Teil einer lebendigen Familiengeschichte. Mit Haerdtl, einem von wenigen nicht durch den Nationalsozialismus korrumpierten und dennoch nicht emigrierten Wiener modernen Architekten, hatte man zweifellos einen Glücksgriff getan. Durch seine italienische Frau Carmela mit der schicken Espresso-Kultur südlich der Alpen vertraut, brachte Haerdtl dem deprimierten, wunden Nachkriegswien Glanzlichter kurzweiligen oder längeren Abhängens in luftiger, heller Umgebung wie das unverzeihlicherweise vor einigen Jahren zerstörte „Arabia“ am Kohlmarkt und das noch bestehende Café Prückel.
Auch im Volksgarten ließ der Erfolg nicht auf sich warten. Bereits 1958 wurde der Komplex vergrößert. Haerdtl erweiterte das kriegsbeschädigte halbrunde „Cortische Kaffeehaus“ mit seiner klassizistischen Säulenhalle rückseitig um zwei Glasquader mit öffenbaren Glasdecken, zwischen denen ein mit Bruchsteinen belegter Gang einen großzügigen neuen Zugang vom Ring ermöglichte. Die originalen rot-grün bezogenen Sessel und Sitzbänke flankieren noch heute asymmetrisch auskragende Tischchen neben den Fensterwänden des „Wintergartens“, dessen Glasdach sich über einer Pflanzeninsel mit tropischen Gewächsen zur Seite fahren lässt.
Öffnen lässt sich auch das Dach des Discoraumes im hinteren Gebäudeteil, dessen Einrichtung mehrmals gewechselt hat und nicht mehr original war. Hier setzte die Tätigkeit der beiden Wiener Büros Artec und BEHF an, die gemeinsam mit einer Adaption des Gebäudes beauftragt wurden. Im Gegensatz zum eleganten „Wintergarten“ war hier eine „Blackbox“ gegeben, die komplett neu gestaltet werden konnte.
Vielleicht inspiriert durch Haerdtls bunte Gartenlämpchen, die an den Tischen des Pavillongartens klemmen, wählte man als Leitmotiv von hinten beleuchtetes Lochblech für die Wände der Disco und des Erschließungsganges, aber auch für die Bars, die im Foyer und den beiden Räumen insgesamt fast 70 Meter lang sind. Robuste Gestaltung war angesichts der Nutzung ein Muss, wozu die metallischen Oberflächen im durchgängig in neutralem Schwarz gehaltenen und nur durch die wechselnden Lichtfarben akzentuierten Raum gut taugen. Sieht man vom Motiv der Lochstruktur ab, sucht die Neugestaltung keine dezente Anpassung an die Spätfünfziger-Formensprache von Haerdtl – anders als dies die letzte Umgestaltung vor zehn Jahren tat. Neue Einbauten sind sofort als solche zu erkennen. Heikel war hier vor allem der in seiner Gesamtheit des Haerdtl-Entwurfs erhaltene Wintergarten. Hier wurde die große Bar, die der ursprünglich hauptsächlich tagsüber genutzte Raum früher nicht brauchte, frei von allen Seiten zugänglich in eine Ecke gestellt. Die gemeinsame schwarze Lochblechfront bildet die formale Spange zu den beiden neuen Bars im Foyer und ihrer Fortsetzung im Tanzflächenraum.
Der wegen ihrer halbrunden Form schwierig zu bespielenden „Banane“, die immer wieder überarbeitet wurde und dadurch besonders heterogen war, gaben die Architekten durch eine den Geländesprung überwindende Rampe eine asymmetrische, nicht axiale Ausrichtung. Wie im Wintergarten wurden nachträglich eingebaute Deckenluster entfernt, sodass der Raum nun nur indirekt beleuchtet ist. Der quer verlaufende Erschließungsgang zwischen Banane und Disco ist nach der Neugestaltung ausschließlich über seine gelochten Wände indirekt belichtet. Die Öffnung des Ganges zum rückwärtigen Gartenteil verbindet diesen Teil des Komplexes nun noch stärker mit den räumlich eigenwilligen Außenbereichen. Hier ist für die Zukunft eine Überarbeitung durch das Landschaftsarchitekturbüro Auböck + Kárász vorgesehen.
In der eigentlichen Diskothek, die bei schönem Wetter zur Open-Air-Tanzfläche mit offenem Dach wird, musste man mit abtrennbaren VIP-Sitznischen den Prämissen heutiger Eventkultur Tribut zollen. Eine Erhöhung der schwarzen Sitzbereiche verhindert, dass der Blick der Sitzenden bereits an den Hinteransichten der davor stehenden Gäste hängen bleibt. In der Anordnung der Polsterbänke und der niedrigen achteckigen Tische, an denen man sich dank der Eckabschrägungen nicht die Knie anschlägt, orientierte man sich an der klassischen Lösung der Loos-Bar. Nicht nur in dieser Hinsicht steht die Location innerhalb der qualitätvollen Tradition gut gestalteter Wiener Bars.
Schön und sorgfältig gestaltet sind zudem die WCs – allen Klischees über paarweise verschwindende Frauen Rechnung tragend –, besonders die Damentoiletten. Hier wurden vor einer Spiegelwand halbrunde beige Sitzpolster zu einer Art Wohnlandschaft verdichtet, die auch zu längeren Gesprächen und/oder Restaurierungen von Outfit und Make-up einlädt.
Insgesamt wurde die ganze Anlage räumlich geklärt und dadurch besser wahrnehmbar. Ein Jammer nur, dass man das tagsüber, wenn das Lokal geschlossen ist, viel besser wahrnehmen kann als im nächtlichen Trubel. Wer altersmäßig oder musikalisch nicht zur Abendzielgruppe gehört, dem entgeht die ganz spezielle Stimmung des Volksgarten-Cafés. Und wie schön säße es sich auch in der Nachmittagssonne oder im Nieselregen in diesem Juwel der Wiener Innenstadt.
60 Jahre ist es her, da plante Oswald Haerdtl die „Milchbar“. Der Holzpavillon mit weit auskragendem Pultdach hat sich als Volksgarten-Pavillon weitgehend original bis in die Gegenwart erhalten. Dafür ist maßgeblich die Tatsache verantwortlich, dass die beiden Lokale Volksgarten und Volksgarten-Pavillon heute von zwei Söhnen des damaligen Auftraggebers in zweiter Generation betrieben werden. Die Lokalitäten und ihre Einrichtung sind daher wohl auch Teil einer lebendigen Familiengeschichte. Mit Haerdtl, einem von wenigen nicht durch den Nationalsozialismus korrumpierten und dennoch nicht emigrierten Wiener modernen Architekten, hatte man zweifellos einen Glücksgriff getan. Durch seine italienische Frau Carmela mit der schicken Espresso-Kultur südlich der Alpen vertraut, brachte Haerdtl dem deprimierten, wunden Nachkriegswien Glanzlichter kurzweiligen oder längeren Abhängens in luftiger, heller Umgebung wie das unverzeihlicherweise vor einigen Jahren zerstörte „Arabia“ am Kohlmarkt und das noch bestehende Café Prückel.
Auch im Volksgarten ließ der Erfolg nicht auf sich warten. Bereits 1958 wurde der Komplex vergrößert. Haerdtl erweiterte das kriegsbeschädigte halbrunde „Cortische Kaffeehaus“ mit seiner klassizistischen Säulenhalle rückseitig um zwei Glasquader mit öffenbaren Glasdecken, zwischen denen ein mit Bruchsteinen belegter Gang einen großzügigen neuen Zugang vom Ring ermöglichte. Die originalen rot-grün bezogenen Sessel und Sitzbänke flankieren noch heute asymmetrisch auskragende Tischchen neben den Fensterwänden des „Wintergartens“, dessen Glasdach sich über einer Pflanzeninsel mit tropischen Gewächsen zur Seite fahren lässt.
Öffnen lässt sich auch das Dach des Discoraumes im hinteren Gebäudeteil, dessen Einrichtung mehrmals gewechselt hat und nicht mehr original war. Hier setzte die Tätigkeit der beiden Wiener Büros Artec und BEHF an, die gemeinsam mit einer Adaption des Gebäudes beauftragt wurden. Im Gegensatz zum eleganten „Wintergarten“ war hier eine „Blackbox“ gegeben, die komplett neu gestaltet werden konnte.
Vielleicht inspiriert durch Haerdtls bunte Gartenlämpchen, die an den Tischen des Pavillongartens klemmen, wählte man als Leitmotiv von hinten beleuchtetes Lochblech für die Wände der Disco und des Erschließungsganges, aber auch für die Bars, die im Foyer und den beiden Räumen insgesamt fast 70 Meter lang sind. Robuste Gestaltung war angesichts der Nutzung ein Muss, wozu die metallischen Oberflächen im durchgängig in neutralem Schwarz gehaltenen und nur durch die wechselnden Lichtfarben akzentuierten Raum gut taugen. Sieht man vom Motiv der Lochstruktur ab, sucht die Neugestaltung keine dezente Anpassung an die Spätfünfziger-Formensprache von Haerdtl – anders als dies die letzte Umgestaltung vor zehn Jahren tat. Neue Einbauten sind sofort als solche zu erkennen. Heikel war hier vor allem der in seiner Gesamtheit des Haerdtl-Entwurfs erhaltene Wintergarten. Hier wurde die große Bar, die der ursprünglich hauptsächlich tagsüber genutzte Raum früher nicht brauchte, frei von allen Seiten zugänglich in eine Ecke gestellt. Die gemeinsame schwarze Lochblechfront bildet die formale Spange zu den beiden neuen Bars im Foyer und ihrer Fortsetzung im Tanzflächenraum.
Der wegen ihrer halbrunden Form schwierig zu bespielenden „Banane“, die immer wieder überarbeitet wurde und dadurch besonders heterogen war, gaben die Architekten durch eine den Geländesprung überwindende Rampe eine asymmetrische, nicht axiale Ausrichtung. Wie im Wintergarten wurden nachträglich eingebaute Deckenluster entfernt, sodass der Raum nun nur indirekt beleuchtet ist. Der quer verlaufende Erschließungsgang zwischen Banane und Disco ist nach der Neugestaltung ausschließlich über seine gelochten Wände indirekt belichtet. Die Öffnung des Ganges zum rückwärtigen Gartenteil verbindet diesen Teil des Komplexes nun noch stärker mit den räumlich eigenwilligen Außenbereichen. Hier ist für die Zukunft eine Überarbeitung durch das Landschaftsarchitekturbüro Auböck + Kárász vorgesehen.
In der eigentlichen Diskothek, die bei schönem Wetter zur Open-Air-Tanzfläche mit offenem Dach wird, musste man mit abtrennbaren VIP-Sitznischen den Prämissen heutiger Eventkultur Tribut zollen. Eine Erhöhung der schwarzen Sitzbereiche verhindert, dass der Blick der Sitzenden bereits an den Hinteransichten der davor stehenden Gäste hängen bleibt. In der Anordnung der Polsterbänke und der niedrigen achteckigen Tische, an denen man sich dank der Eckabschrägungen nicht die Knie anschlägt, orientierte man sich an der klassischen Lösung der Loos-Bar. Nicht nur in dieser Hinsicht steht die Location innerhalb der qualitätvollen Tradition gut gestalteter Wiener Bars.
Schön und sorgfältig gestaltet sind zudem die WCs – allen Klischees über paarweise verschwindende Frauen Rechnung tragend –, besonders die Damentoiletten. Hier wurden vor einer Spiegelwand halbrunde beige Sitzpolster zu einer Art Wohnlandschaft verdichtet, die auch zu längeren Gesprächen und/oder Restaurierungen von Outfit und Make-up einlädt.
Insgesamt wurde die ganze Anlage räumlich geklärt und dadurch besser wahrnehmbar. Ein Jammer nur, dass man das tagsüber, wenn das Lokal geschlossen ist, viel besser wahrnehmen kann als im nächtlichen Trubel. Wer altersmäßig oder musikalisch nicht zur Abendzielgruppe gehört, dem entgeht die ganz spezielle Stimmung des Volksgarten-Cafés. Und wie schön säße es sich auch in der Nachmittagssonne oder im Nieselregen in diesem Juwel der Wiener Innenstadt.
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