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Olympische Impulse
Barcelona 1992 und Athen 2004 - zwei Ansichten
Die raumplanerischen Interventionen der Olympiastädte wurden immer wieder zum Prüfstein ihrer Entwicklung. Barcelona nahm die Spiele zum Anlass für einen nachhaltigen Urbanismus, welcher der Stadt Auftrieb verlieh. Athen hingegen wird sich im nächsten Jahr in städtebaulicher Hinsicht wohl kaum mit Barcelona messen können.
5. September 2003 - Margarita Sanoudo
Nach der Wiedereinführung der Olympischen Spiele im Jahre 1896 in Athen entwickelten sich in den Olympiastädten allmählich grosse Sportkomplexe. Die ursprünglich bescheidenen Barackensiedlungen - wie 1908 in London oder 1924 in Paris - verwandelten sich allmählich in olympische Dörfer mit ausgebildeter Infrastruktur. Heute stellen Raumplanung und Nachhaltigkeit zentrale Aufgaben dar. Namentlich die Spiele von Seoul 1988 und Barcelona 1992 dienten als Katalysatoren für gross angelegte Transformationen. Und während in Los Angeles, das bereits über die nötige Infrastruktur verfügte, die Spiele 1984 dazu dienten, das Prestige der Stadt zu mehren, stellte Sydney im Jahr 2000 «umweltbezogene Richtlinien» auf, hinterliess eine nach ökologischen Überlegungen gestaltete Landschaft und band das Hauptgelände in Homebush-Bay bildhaft und eloquent ins Stadtganze ein.
Barcelonas urbane Offenheit
Barcelona - in den siebziger Jahren die wohl dichtestbesiedelte Stadt Europas - versuchte sich neben Genua, Nizza, Marseille und Valencia als wichtige Messestadt und als Drehscheibe zwischen Europa und Afrika zu etablieren. Dabei vermochte Barcelona nicht nur seine traditionsreiche Stadtbaukunst, die vom Mittelalter über den Modernisme genannten Jugendstil und den Rationalismus bis in die Nachkriegsmoderne reichte, zu bewahren, sondern darüber hinaus Entwicklungen zu stimulieren, indem es bei der Expansionsstrategie des 1859 von Ildefons Cerdà vorgelegten Stadterweiterungsprojekts ansetzte. Die traditionelle Morphologie der regionalen Entwicklungspläne von 1953 und der bis heute gültige «Plan General Metropolitano» von 1976 wurden den neuen Bedürfnissen der Öffentlichkeit angepasst. Schliesslich vermochte die Stadt, ausgehend von der Katalysatorwirkung der Olympia-Nominierung, mit bodenökonomischen Ansätzen und gezielten Interventionen eine vorbildliche urbanistische Rolle zu spielen.
Durch gesamtplanerische Sichtweise sowie ein offensives und bezüglich der Quartierplanungen detailliertes Vorgehen entwickelte Barcelona in den achtziger Jahren unter Oriol Bohigas, dem damaligen Delegierten für Städtebau, eine strategische Verflechtung von Event und nachhaltiger Stadtstruktur. Diese basierte auf der Planproyecto genannten Methode, welche die Architektur und den Städtebau direkt «über den Planungsprozess», d. h. im frühsten Entstehungsstadium, definierte. Sie manifestierte sich in der Requalifizierung der Peripherie durch raumwirksame Tätigkeiten: Durch Freiraumplanung entstanden Erholungsräume entlang der Meeresküste und der Flussläufe sowie ein Netz von über 150 miteinander verbundenen Plätzen. Wichtig war ausserdem die zusammenhängende verkehrstechnische Infrastruktur, bei welcher man Wert legte auf eine Modifizierung der bestehenden Eisenbahntrassees und des Strassensystems sowie auf den Bau von Parkplätzen, die teilweise unter neu geschaffenen Ramblas angelegt wurden. Schliesslich nahm man sich auch der Kanalisation an. Alle diese Eingriffe wurden unter der Prämisse der Aufhebung von physischen und visuellen Schranken vorgenommen.
Barcelona hat aber auch noch andere Schranken überwunden: Es verwandelte die Topographie der leicht abfallenden Ebene mit ihren vereinzelten Erhebungen zwischen dem Mittelmeer und dem parallel dazu verlaufenden Vorgebirge in eine symbolische Stadtlandschaft. Diese ist präzis auf eine territoriale Entwicklung ausgelegt, die stets danach strebt, ihre natürlichen Grenzen mit neuen Techniken zu überwinden. Das Besondere dabei liegt nicht nur in der Thematik der gesamtplanerischen Raumbetrachtung. Die strategische Aufwertung unterprivilegierter Randgebiete - es handelte sich hierbei um das wichtige Anliegen, peripheren Gebieten Zentrumscharakter zu geben - sowie die architektonischen und landschaftsplanerischen Interventionen sind ganz auf vielfältige Urbanität ausgerichtet.
Die vier olympischen Gelände sind Bestandteile von zwölf neu geschaffenen «Areas de Nova Centralitat» im tertiären Sektor, welche Schlüsselpositionen innerhalb der Stadtentwicklung einnehmen. Die am Meer errichtete Vila Olímpica vermochte von ihrer Lage zu profitieren, indem sie weite Ausblicke eröffnet. Als Übergang zwischen dem neuen Strandquartier von Barceloneta und dem Poble Nou mit seinen obsolet gewordenen Industrieanlagen konnte die Vila Olímpica den durch den Parc de la Ciutadella blockierten Anschluss an die Stadt und die Verbindung zum Meer herstellen. Hinzu kommt der positive Einfluss auf das lange benachteiligte Poble Nou. Ausgehend von einer kohärenten Fortschreibung von Cerdàs Stadterweiterung bilden hier zeitgemässe objekthafte Signaturbauten unterschiedlicher Architekten einen zeitgenössischen städtebaulichen Kontext. Der hier entstandene lichte Eindruck resultiert aber nicht nur aus der Überformung der Stadt und der eigenwilligen, ästhetischen Gestalt des Geländes, sondern zweifellos auch aus der Entfaltung der physischen Eigenheiten des Raumes. Die Suche nach Neuem und der Mut zu Ungewohntem und auch Unbequemem sind an diesem Ort Teil der Raumpolitik. Diese wird hier durch zweckmässige Ordnung und das entsprechende Raumgefüge mit der durch die Lage am Meer bedingten Offenheit verbunden; und mit Aussicht auf das «Weltforum der Kulturen 2004» engagiert sich Barcelona urbanistisch noch weiter.
Integrierende Raumordnung in Athen
Die nächsten Olympischen Sommerspiele werden in genau elf Monaten in Athen stattfinden. Im Hinblick auf diesen grossen Augenblick wird nun die griechische Metropole in ihrem Erscheinungsbild aktualisiert. Die Interventionen vermögen aber kaum wirksam zu greifen und die Stadt ressourcenschonend und positiv zu verändern. Sie wird zwar baulich verdichtet, aber funktionell nicht vernetzt. Neue Bilder, die bestechen könnten, werden nicht augenfällig. Punktuelle Resultate illustrieren am deutlichsten die weiterhin unkoordinierte Raumnutzung und die uneffiziente Verkehrsplanung. Statt die drei Metrolinien, die seit 1958 im Gespräch sind, zu einem zentralen System auszuweiten, baut man nun Tramtrassees. Die Verbindung der vier olympischen Entwicklungsgebiete mit dem olympischen Jachthafen an der attraktiven Küstenzone durch das Tram hat eine Neuverlegung von Schienen entlang der stark befahrenen Uferstrasse zur Folge, was dazu führt, dass das wichtige Erholungsgebiet am Meer noch schwerer zu erreichen und noch schlechter ins Stadtgefüge integriert sein wird. Vereinzelte Verkehrsknotenpunkte, eingestreute Grünanlagen und Neubauten schaffen keine Urbanität und fördern das öffentliche und kulturelle Leben dieser Gegend kaum. Anstelle von zukunftsweisenden Lösungen, die dem weiteren Gedeihen der Stadt nützten, bekommen die Athener urbanistische Improvisationen, die sich dauerhaft negativ auf den städtischen Raum auswirken.
Während Barcelona die olympischen Aktivitäten räumlich konzentrierte und die Stadtentwicklung subtil vernetzte, setzt Athen gleichsam auf das Gegenteil und verteilt die Austragungsorte auf die letzten Freiflächen in der attischen Grossregion. Auf Grund einer unbedarften Haltung dem Stadtkörper gegenüber - Entwicklung setzt man in Griechenland fast ausschliesslich mit der Bereitstellung von einzelnen baulichen Angeboten gleich - wird dessen Kopf abgetrennt und der Torso in mehrere Teile zertrümmert, die einzig dank dem Sport einen Zusammenhalt finden. Die Distanzen zwischen den nur schlecht vernetzten Arealen variieren erheblich, und in der figurativen Eintönigkeit der zeitgenössischen Stadt werden prägende Eigenheiten nicht thematisiert.
Wohl werden die Olympischen Spiele den Besuchern auch in Athen die Stadtlandschaft vor Augen führen; doch können die olympischen Anlagen weder experimentierend noch korrigierend auf das Weichbild der Stadt einwirken. Was die Gestaltung der Austragungsorte in Athen von jenen in Barcelona unterscheidet, resultiert nicht nur aus der Unterlassung bewusster Planung, sondern auch aus den architektonischen und landschaftlichen Eingriffen. Diese lassen nur wenig virtuose Einzelleistungen erkennen, weil den Investoren keine verbindlichen Vorgaben auferlegt wurden. Die drei Werke von Santiago Calatrava - die Umgestaltung des OAKA-Sportzentrums, die Bahnstation Neratziotissa und eine Fussgängerbrücke - bilden eine Ausnahme, handelt es sich dabei doch um Direktaufträge, hinter denen die Organisatoren, die Eisenbahn und die Metro standen.
Wenn die olympischen Interventionen in Athen städtebaulich weit weniger überzeugen als jene in Barcelona, mag das auch daran liegen, dass in Athen klare Ziele fehlten und kein wirklich klares städtebauliches Bild imaginiert wurde. Das Organisationsdefizit und die Aufsplitterung der Zuständigkeiten auf verschiedene städtische Ämter führten zu einer undurchsichtigen Verkettung von Aktivitäten, die vielerorts eine Qualitätsreduktion der Entwicklungsareale zeitigt. Ausserdem hatten Partikularinteressen und Spekulation zur Folge, dass die Einzelaspekte des komplexen Planungsvorhabens unzusammenhängend konzipiert und umgesetzt werden. So entwickelt sich Athen nach wie vor ohne gewinnbringende Auseinandersetzung zwischen der alten und der neuen Stadt. Doch ist es verantwortbar, diesen Kräften freien Lauf zu lassen?
Erst aus direkter Motivation für eine bewusste Architektur und Planungspolitik mit ganzheitlicher Sichtweise entsteht Urbanität. Daher sollte man revitalisieren. Athen braucht eine zentrale, steuernde Planungsbehörde, weil die Beschaffenheit des Umfeldes ausschlaggebend ist für die Lebensqualität. Und Athen kann als Metropole international nur mithalten, wenn ingenieurökologische Infrastrukturplanung wie etwa der Ausbau der Metro als vordringliche Massnahmen gefördert werden. Ein Minimalkonsens der Stadtentwicklung, der einer baukünstlerischen Differenzierung bedarf, sollte freilich nicht ausser acht gelassen werden. Am Betrachter vorüberziehende Bilder wie die Stadt «entlang des Meeres», «entlang der Täler», «entlang der Ufer», «entlang der Metrolinien» könnten - wie städtebauliche Bausteine konzipiert - die urbanen Bezüge aufnehmen, verarbeiten und reflektieren, kurz: ein menschenfreundlicheres Leben ermöglichen. So vermochte man aus Anlass der ersten Olympischen Spiele im Jahre 1896 mit dem Panathenäischen Stadion noch einen ausdrucksstarken Impuls für ein vielfältiges städtisches Leben zu geben. Man knüpfte damals an den ersten neuzeitlichen, im Jahre 1832 von Kleanthes und Schaubert vorgelegten Stadtplan von Athen an, der auf Anregung Schinkels eine «Vermählung der Antike mit der Natur und dem heutigen Leben» anstrebte.
Heute könnte das olympische Stadtmodell Barcelonas für Athen ein Vorbild sein. Dabei könnten sich scheinbare Defizite mit Weitsicht und direkt geforderter Masterplanung zum Vorteil der Umgebung und ihres dauerhaften Charakters auswirken. Für die Zukunft ist es sicherlich fruchtbarer - statt sich von der Ganzheit der Stadt immer weiter zu lösen -, das urbanistische Konzept aufzugreifen und damit also den Kopf wieder auf den Torso zu setzen, um die Struktur des Stadtkörpers zu beeinflussen. Darin liegt vielleicht der Sinn, Räume und ihre Beziehungen zu stärken und Kontinuität nicht im Sinne des Wachstums, sondern als qualitative Verbesserung voranzutreiben. Auch wenn es nicht gelingt, unmittelbar an die kollektive Leistung früherer Generationen anzuknüpfen, weil die historische gesellschaftliche Permanenz, die eine Stadt konstituiert, durch geschichtliche Ereignisse gerissen ist, könnten die Leitbilder der europäischen Stadt doch auch nach 2004 weiter greifen.
Barcelonas urbane Offenheit
Barcelona - in den siebziger Jahren die wohl dichtestbesiedelte Stadt Europas - versuchte sich neben Genua, Nizza, Marseille und Valencia als wichtige Messestadt und als Drehscheibe zwischen Europa und Afrika zu etablieren. Dabei vermochte Barcelona nicht nur seine traditionsreiche Stadtbaukunst, die vom Mittelalter über den Modernisme genannten Jugendstil und den Rationalismus bis in die Nachkriegsmoderne reichte, zu bewahren, sondern darüber hinaus Entwicklungen zu stimulieren, indem es bei der Expansionsstrategie des 1859 von Ildefons Cerdà vorgelegten Stadterweiterungsprojekts ansetzte. Die traditionelle Morphologie der regionalen Entwicklungspläne von 1953 und der bis heute gültige «Plan General Metropolitano» von 1976 wurden den neuen Bedürfnissen der Öffentlichkeit angepasst. Schliesslich vermochte die Stadt, ausgehend von der Katalysatorwirkung der Olympia-Nominierung, mit bodenökonomischen Ansätzen und gezielten Interventionen eine vorbildliche urbanistische Rolle zu spielen.
Durch gesamtplanerische Sichtweise sowie ein offensives und bezüglich der Quartierplanungen detailliertes Vorgehen entwickelte Barcelona in den achtziger Jahren unter Oriol Bohigas, dem damaligen Delegierten für Städtebau, eine strategische Verflechtung von Event und nachhaltiger Stadtstruktur. Diese basierte auf der Planproyecto genannten Methode, welche die Architektur und den Städtebau direkt «über den Planungsprozess», d. h. im frühsten Entstehungsstadium, definierte. Sie manifestierte sich in der Requalifizierung der Peripherie durch raumwirksame Tätigkeiten: Durch Freiraumplanung entstanden Erholungsräume entlang der Meeresküste und der Flussläufe sowie ein Netz von über 150 miteinander verbundenen Plätzen. Wichtig war ausserdem die zusammenhängende verkehrstechnische Infrastruktur, bei welcher man Wert legte auf eine Modifizierung der bestehenden Eisenbahntrassees und des Strassensystems sowie auf den Bau von Parkplätzen, die teilweise unter neu geschaffenen Ramblas angelegt wurden. Schliesslich nahm man sich auch der Kanalisation an. Alle diese Eingriffe wurden unter der Prämisse der Aufhebung von physischen und visuellen Schranken vorgenommen.
Barcelona hat aber auch noch andere Schranken überwunden: Es verwandelte die Topographie der leicht abfallenden Ebene mit ihren vereinzelten Erhebungen zwischen dem Mittelmeer und dem parallel dazu verlaufenden Vorgebirge in eine symbolische Stadtlandschaft. Diese ist präzis auf eine territoriale Entwicklung ausgelegt, die stets danach strebt, ihre natürlichen Grenzen mit neuen Techniken zu überwinden. Das Besondere dabei liegt nicht nur in der Thematik der gesamtplanerischen Raumbetrachtung. Die strategische Aufwertung unterprivilegierter Randgebiete - es handelte sich hierbei um das wichtige Anliegen, peripheren Gebieten Zentrumscharakter zu geben - sowie die architektonischen und landschaftsplanerischen Interventionen sind ganz auf vielfältige Urbanität ausgerichtet.
Die vier olympischen Gelände sind Bestandteile von zwölf neu geschaffenen «Areas de Nova Centralitat» im tertiären Sektor, welche Schlüsselpositionen innerhalb der Stadtentwicklung einnehmen. Die am Meer errichtete Vila Olímpica vermochte von ihrer Lage zu profitieren, indem sie weite Ausblicke eröffnet. Als Übergang zwischen dem neuen Strandquartier von Barceloneta und dem Poble Nou mit seinen obsolet gewordenen Industrieanlagen konnte die Vila Olímpica den durch den Parc de la Ciutadella blockierten Anschluss an die Stadt und die Verbindung zum Meer herstellen. Hinzu kommt der positive Einfluss auf das lange benachteiligte Poble Nou. Ausgehend von einer kohärenten Fortschreibung von Cerdàs Stadterweiterung bilden hier zeitgemässe objekthafte Signaturbauten unterschiedlicher Architekten einen zeitgenössischen städtebaulichen Kontext. Der hier entstandene lichte Eindruck resultiert aber nicht nur aus der Überformung der Stadt und der eigenwilligen, ästhetischen Gestalt des Geländes, sondern zweifellos auch aus der Entfaltung der physischen Eigenheiten des Raumes. Die Suche nach Neuem und der Mut zu Ungewohntem und auch Unbequemem sind an diesem Ort Teil der Raumpolitik. Diese wird hier durch zweckmässige Ordnung und das entsprechende Raumgefüge mit der durch die Lage am Meer bedingten Offenheit verbunden; und mit Aussicht auf das «Weltforum der Kulturen 2004» engagiert sich Barcelona urbanistisch noch weiter.
Integrierende Raumordnung in Athen
Die nächsten Olympischen Sommerspiele werden in genau elf Monaten in Athen stattfinden. Im Hinblick auf diesen grossen Augenblick wird nun die griechische Metropole in ihrem Erscheinungsbild aktualisiert. Die Interventionen vermögen aber kaum wirksam zu greifen und die Stadt ressourcenschonend und positiv zu verändern. Sie wird zwar baulich verdichtet, aber funktionell nicht vernetzt. Neue Bilder, die bestechen könnten, werden nicht augenfällig. Punktuelle Resultate illustrieren am deutlichsten die weiterhin unkoordinierte Raumnutzung und die uneffiziente Verkehrsplanung. Statt die drei Metrolinien, die seit 1958 im Gespräch sind, zu einem zentralen System auszuweiten, baut man nun Tramtrassees. Die Verbindung der vier olympischen Entwicklungsgebiete mit dem olympischen Jachthafen an der attraktiven Küstenzone durch das Tram hat eine Neuverlegung von Schienen entlang der stark befahrenen Uferstrasse zur Folge, was dazu führt, dass das wichtige Erholungsgebiet am Meer noch schwerer zu erreichen und noch schlechter ins Stadtgefüge integriert sein wird. Vereinzelte Verkehrsknotenpunkte, eingestreute Grünanlagen und Neubauten schaffen keine Urbanität und fördern das öffentliche und kulturelle Leben dieser Gegend kaum. Anstelle von zukunftsweisenden Lösungen, die dem weiteren Gedeihen der Stadt nützten, bekommen die Athener urbanistische Improvisationen, die sich dauerhaft negativ auf den städtischen Raum auswirken.
Während Barcelona die olympischen Aktivitäten räumlich konzentrierte und die Stadtentwicklung subtil vernetzte, setzt Athen gleichsam auf das Gegenteil und verteilt die Austragungsorte auf die letzten Freiflächen in der attischen Grossregion. Auf Grund einer unbedarften Haltung dem Stadtkörper gegenüber - Entwicklung setzt man in Griechenland fast ausschliesslich mit der Bereitstellung von einzelnen baulichen Angeboten gleich - wird dessen Kopf abgetrennt und der Torso in mehrere Teile zertrümmert, die einzig dank dem Sport einen Zusammenhalt finden. Die Distanzen zwischen den nur schlecht vernetzten Arealen variieren erheblich, und in der figurativen Eintönigkeit der zeitgenössischen Stadt werden prägende Eigenheiten nicht thematisiert.
Wohl werden die Olympischen Spiele den Besuchern auch in Athen die Stadtlandschaft vor Augen führen; doch können die olympischen Anlagen weder experimentierend noch korrigierend auf das Weichbild der Stadt einwirken. Was die Gestaltung der Austragungsorte in Athen von jenen in Barcelona unterscheidet, resultiert nicht nur aus der Unterlassung bewusster Planung, sondern auch aus den architektonischen und landschaftlichen Eingriffen. Diese lassen nur wenig virtuose Einzelleistungen erkennen, weil den Investoren keine verbindlichen Vorgaben auferlegt wurden. Die drei Werke von Santiago Calatrava - die Umgestaltung des OAKA-Sportzentrums, die Bahnstation Neratziotissa und eine Fussgängerbrücke - bilden eine Ausnahme, handelt es sich dabei doch um Direktaufträge, hinter denen die Organisatoren, die Eisenbahn und die Metro standen.
Wenn die olympischen Interventionen in Athen städtebaulich weit weniger überzeugen als jene in Barcelona, mag das auch daran liegen, dass in Athen klare Ziele fehlten und kein wirklich klares städtebauliches Bild imaginiert wurde. Das Organisationsdefizit und die Aufsplitterung der Zuständigkeiten auf verschiedene städtische Ämter führten zu einer undurchsichtigen Verkettung von Aktivitäten, die vielerorts eine Qualitätsreduktion der Entwicklungsareale zeitigt. Ausserdem hatten Partikularinteressen und Spekulation zur Folge, dass die Einzelaspekte des komplexen Planungsvorhabens unzusammenhängend konzipiert und umgesetzt werden. So entwickelt sich Athen nach wie vor ohne gewinnbringende Auseinandersetzung zwischen der alten und der neuen Stadt. Doch ist es verantwortbar, diesen Kräften freien Lauf zu lassen?
Erst aus direkter Motivation für eine bewusste Architektur und Planungspolitik mit ganzheitlicher Sichtweise entsteht Urbanität. Daher sollte man revitalisieren. Athen braucht eine zentrale, steuernde Planungsbehörde, weil die Beschaffenheit des Umfeldes ausschlaggebend ist für die Lebensqualität. Und Athen kann als Metropole international nur mithalten, wenn ingenieurökologische Infrastrukturplanung wie etwa der Ausbau der Metro als vordringliche Massnahmen gefördert werden. Ein Minimalkonsens der Stadtentwicklung, der einer baukünstlerischen Differenzierung bedarf, sollte freilich nicht ausser acht gelassen werden. Am Betrachter vorüberziehende Bilder wie die Stadt «entlang des Meeres», «entlang der Täler», «entlang der Ufer», «entlang der Metrolinien» könnten - wie städtebauliche Bausteine konzipiert - die urbanen Bezüge aufnehmen, verarbeiten und reflektieren, kurz: ein menschenfreundlicheres Leben ermöglichen. So vermochte man aus Anlass der ersten Olympischen Spiele im Jahre 1896 mit dem Panathenäischen Stadion noch einen ausdrucksstarken Impuls für ein vielfältiges städtisches Leben zu geben. Man knüpfte damals an den ersten neuzeitlichen, im Jahre 1832 von Kleanthes und Schaubert vorgelegten Stadtplan von Athen an, der auf Anregung Schinkels eine «Vermählung der Antike mit der Natur und dem heutigen Leben» anstrebte.
Heute könnte das olympische Stadtmodell Barcelonas für Athen ein Vorbild sein. Dabei könnten sich scheinbare Defizite mit Weitsicht und direkt geforderter Masterplanung zum Vorteil der Umgebung und ihres dauerhaften Charakters auswirken. Für die Zukunft ist es sicherlich fruchtbarer - statt sich von der Ganzheit der Stadt immer weiter zu lösen -, das urbanistische Konzept aufzugreifen und damit also den Kopf wieder auf den Torso zu setzen, um die Struktur des Stadtkörpers zu beeinflussen. Darin liegt vielleicht der Sinn, Räume und ihre Beziehungen zu stärken und Kontinuität nicht im Sinne des Wachstums, sondern als qualitative Verbesserung voranzutreiben. Auch wenn es nicht gelingt, unmittelbar an die kollektive Leistung früherer Generationen anzuknüpfen, weil die historische gesellschaftliche Permanenz, die eine Stadt konstituiert, durch geschichtliche Ereignisse gerissen ist, könnten die Leitbilder der europäischen Stadt doch auch nach 2004 weiter greifen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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