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Moderne am Meer
Neue Zürcher Zeitung

Schauplatz Schweden

Der Wiener Architekt Josef Frank in Falsterbo

28. August 2003 - Corinne Elsesser
Schon vor hundert Jahren galt das an der südschwedischen Küste gelegene Falsterbo als ein exklusiver Badeort. Hier verbrachte die königliche Familie ihre jährlichen Sommerferien. Nachdem 1898 ein Strandhotel im Stil der «baltischen Gotik» und einige Sommerresidenzen entstanden waren, hielt in den zwanziger Jahren mit den Ferienhäusern des Wiener Architekten Josef Frank die Moderne Einzug.

Die wichtigsten architektonischen Zeugen aus der Frühzeit des Tourismus in Falsterbo sind ein Ende des 19. Jahrhunderts im englischen Landhausstil erbautes Ferienhaus für die schwedische Prinzessin Ingeborg und das Strandhotel «Falsterbohus» aus dem Jahr 1898, das eine Reminiszenz an die «baltische Gotik» darstellt, wie sie noch an der aus dem 13. Jahrhundert stammenden St.-Gertrud-Kirche zu sehen ist. Das Hotel ist heute zu einem exklusiven Appartementhaus umgebaut; und die im gleichen Jahr von Malmö bis hierher verlegte Eisenbahnlinie gibt es nicht mehr. Der ehemalige Bahnhof wurde zum Kunstmuseum umgestaltet, und das einstige Bahntrassee dient inzwischen als Radweg. Dieser führt der Küste entlang zum benachbarten Skanör.


Funktionalistische Sommerhäuser

In den zwanziger Jahren setzte eine neue Phase der Bebauung ein. Diese ist an den zweigeschossigen Sommerhäusern erkennbar, die sich deutlich von den einfachen, zum Teil noch aus dem 16. Jahrhundert stammenden Fachwerkbauten der Fischer unterscheiden. Architekten wie Mogens Mogensen, Sigurd Lewerentz, Sven Backström und Leif Reinius bauten hier. 1924 entwarf der Wiener Architekt Josef Frank ein Sommerhaus für den Diplomaten Axel Claëson und seine Frau Sighild, das erst 1927 fertiggestellt werden konnte. Die Presse lobte es damals als das erste funktionalistische Haus in Schweden. Im gleichen Jahr baute Frank bereits an einem weiteren Feriendomizil: Der Bankdirektor Allan Carlsten hatte sich ein kleines Haus gewünscht und bekam ein auf das absolute Minimum des Wohnens reduziertes Gebäude. Mit diesem stellte Frank nicht zuletzt seine Fähigkeiten hinsichtlich einer stringent durchdachten Raumkonzeption unter Beweis.

Insgesamt realisierte Frank fünf Sommerhäuser sowie einen Atelieranbau für den Schriftsteller Anders Österling in Falsterbo. Meist kamen die Aufträge von Verwandten und Bekannten seiner schwedischen Frau Anna Sebenius, mit der Frank seit 1912 verheiratet war. Im Jahr 1936 entstand hier sein letztes Ferienhaus für den Stockholmer Industriellen Walter Wehtje. Es ist zugleich sein letztes realisiertes Werk, denn nach seiner Emigration 1933 nach Schweden - vorher hatte er sich jeweils nur besuchsweise im Land aufgehalten - arbeitete Frank bis zu seinem Tod 1967 vorwiegend an Stoffmusterentwürfen für die Stockholmer Einrichtungsfirma Svenskt Tenn sowie an phantasievollen Hausentwürfen, die nicht umgesetzt wurden.

Schon das Haus Wehtje hatte etwas Spielerisches. Es wurde unregelmässig um drei Kiefern gruppiert, so dass ein idyllischer Innenhof entstand. Diese Anlage veranschaulicht eine neue Phase der Moderne, die vom rational-geometrischen Formvokabular absah, zugunsten eines stärkeren Bezugs auf die unmittelbare natürliche Umgebung. Das Haus Wehtje kann zudem als eine exemplarische Verwirklichung des von Frank entwickelten «Akzidentismus» gelten. Die einzelnen Wohnfunktionen wurden wie zufällig innerhalb eines offenen Grundrisses angesiedelt, und der Benutzer erschliesst sie sich auf seinem «Weg durch das Haus». Zunächst kommt er in einen kleinen, in gedämpftes Licht getauchten Vorraum, der mit seinem Bodenbelag aus schwarzen und weissen Marmorfliesen sehr elegant wirkt. Dann erst gelangt er in eine von raumhohen Fenstern erhellte zweigeschossige Wohnhalle, in die eine Galerie eindrucksvoll auskragt. So entstehen innerhalb des grosszügigen Wohnbereichs verschiedene Zonen mit unterschiedlichen Deckenhöhen und Lichtverhältnissen.

Raumerlebnisse wie diese konnte Frank auch auf kleinstem Raum erzielen. In dem ganz aus Holz erbauten Haus Carlsten, welches wie das Haus Wehtje flach gedeckt ist, erreicht man ebenfalls durch einen kleinen Vorraum den hellen Wohnraum, der durch zwei mit umlaufenden Fenstern ausgestattete Erker erweitert wird. Der Raum wirkt dadurch grösser, und der umgebende Garten wird in den Blick einbezogen. Im oberen Stockwerk gehen die Schlafzimmer auf zwei über den Erkern angeordnete Balkone hinaus, deren schmale, weiss gehaltene Relings dem Haus einen maritimen Charakter verleihen.

Das hier anklingende, für die Bauten vieler moderner Architekten charakteristische Leitbild des Schiffs tritt in dem kurz zuvor entworfenen Haus Claëson noch deutlicher zutage. Eine grosse Terrasse verläuft im ersten Geschoss über die gesamte Front des aus rotvioletten Ziegeln erbauten Hauses, das sich hier um fast die Hälfte seines Grundrisses zurückstuft. Eine durchgehende weisse Reling betont die horizontale Lagerung, und die grossen, asymmetrisch gesetzten Balkontüren führen eigentlich auf ein Deck hinaus. Auf dem begehbaren flachen Dach darüber ist ein kleiner, an drei Seiten verglaster Aufbau aus Holz wie eine Kajüte aufgesetzt. Im Inneren markiert die ebenfalls weiss gefasste Stiege die vertikale Erschliessung. Wie eine Schiffsschraube durchläuft sie die einzelnen Stockwerke und korrespondiert mit dem Kamin, der das Dach gleich einem Schiffskamin an seiner Westseite überragt.


Gestrandetes Schiff im Garten

Schon kurze Zeit nach seiner Fertigstellung wurde das Haus Claëson nur noch sporadisch und schliesslich gar nicht mehr bewohnt. Wie ein gestrandetes Schiff lag es in seinem überwucherten Garten. Nun haben aber die Enkel des Bauherrn in diesem Sommer begonnen, es instand zu setzen. Von der Regionalregierung in Vellinge wird es, wie auch die anderen Bauten Franks, als erhaltenswert eingestuft. Im Zuge einer Verschärfung der Denkmalschutzverordnung im Jahr 1989 dürfen im Aussenbau keine Veränderungen vorgenommen werden, und alle sonstigen Eingriffe müssen von der Behörde einzeln genehmigt werden. Dies macht eine Grundsanierung ebenso unmöglich wie eine winterfeste Isolierung, denn die Häuser sind nur für den Sommeraufenthalt ausgelegt.

Ganz anders steht es um das Haus Carlsten. Der neue Besitzer hat es vor einigen Jahren im Aussenbau originalgetreu wieder herstellen lassen. Der helle pfirsichfarbene Anstrich geht ebenso auf Franks Entwurf zurück wie die Möbel im Inneren, die erhalten geblieben sind und wieder an ihrem ursprünglichen Ort stehen. «Man lebt sogar gerne damit», versichert er auf die Frage nach dem doch recht musealen Wohnambiente. Solche Begeisterung wurde dem Haus Wehtje nicht zuteil. Ende der siebziger Jahre ersetzte man dort den terrakottafarbenen Putz durch eine Verkleidung mit Holz imitierenden Aluminiumpaneelen, die hellgrau gefasst sind. Unter den heute wesentlich strengeren Denkmalschutzauflagen wäre auch die damals vorgenommene Isolierung nicht mehr möglich. Das Haus hat viel von seinem einst plastischen Charakter verloren. Nur der markante, in leichtem Schwung nach oben verjüngte Kamin aus roten Ziegeln und ein grosses kreisrundes Fenster, das den Vorraum belichtet und heute halb versteckt hinter einem Garagenanbau liegt, zeugen noch von der ursprünglichen Aussenerscheinung, in der schon die phantasievollen, spielerischen Entwürfe aus der Spätzeit Franks vorweggenommen waren.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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