Artikel

Das Haus an der Bahn
Spectrum

Bei der Konzipierung eines Pflege- oder Altenheims stehen die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner im Vordergrund. Doch was ist, wenn das Angebot nicht angenommen wird? Zu Hubert Hermanns Pflegewohnhaus in Wien-Meidling.

20. November 2011 - Liesbeth Waechter-Böhm
Das Nestroy-Zitat auf der Fassade des Pflegewohnhaus Meidling auf den Kabelwerk-Gründen trifft ins Herz der Thematik: Alt werden ist die einzige Möglichkeit länger zu leben. Und für diejenigen, die sich dazu entschlossen haben, wurde hier, direkt an der Vorortelinie und gleich neben dem Friedhof, ein ziemlich großes Haus gebaut. Friedhof? Der Architekt: Ich glaube, das Wiener Herz hat sich mit einem solchen Ausblick bestens arrangiert. Vorortelinie? Keines der Zimmer wurde zur Bahn orientiert, diese Lärmbelästigung ist eine vernachlässigbare Größe.

Hubert Hermann, vom Büro Hermann & Valentiny und Partner (Wien-Luxemburg), ein engagierter Verfechter des Städtebaus der Kabelwerk-Gründe der ersten Stunde, hat gewissermaßen den „krönenden“ Abschluss der Anlage gebaut. Für diese Größe auf einem sehr knappen Bauplatz, eben deswegen auch ziemlich kompakt und an der Seite zur Bahn mit einer 15-Meter-Auskragung, die dem Baukörper überraschende Plastizität und Dynamik verleiht. Ansonsten steht das Haus fest auf der Erde, ziemlich hoch, ziemlich massiv, obwohl es sich mit sanftem Schwung entlang der Grundstücksgrenze „wickelt“, gebremst nur an der Rückseite, wo es (fast) nahtlos ans Nachbargebäude anschließt. Die Bebauung hat hier eine gewaltige Dichte, die man mit dem Attribut „städtisch“ nicht mehr relativieren kann. Eine bescheidene Grünpflanzung an dieser Seite hilft auch nicht viel.

Das Haus entwickelt sich über einem zweigeschoßigen Sockel, in dem Verwaltung und Therapieräume untergebracht sind. Auf fünf Geschoßen sind die Stationen des Geriatriezentrums – fünf Doppelstationen, pro Station jeweils 24 Bewohner – organisiert, zumeist Einzelzimmer. Oben drauf, sogar mit eigenem Eingang und Dachgarten, wurde das „Betreute Wohnen“ auf drei Geschoßen platziert.

Hubert Hermann ist auf dem Gebiet der Alten- und Pflegeheime kein Neuling. Er hat schon in Wien-Atzgersdorf ein solches Haus errichtet und weiß daher genau, worauf es ankommt. Es geht bei einer solchen Aufgabe nicht darum, mit dem eigenen, individuellen Gestaltungswillen nach vorne zu drängen. Hier haben die Nutzer eindeutig den Vorrang. Und das bedeutet, dass man sich als Architekt genau überlegen muss, was man anbietet. Menschen mit einer Pflegestufe haben, man kann das durchaus sagen, eingeschränkte Bedürfnisse.

Das ist mir beim Rundgang durch das Haus besonders aufgefallen. Die Gänge sind natürlich breit, damit man auch mit Betten den nötigen Wenderadius hat, sie sind teilweise geschwungen, weil sie der Baukörper-Konfiguration folgen, und sie bieten immer wieder die Möglichkeit, nach draußen zu sehen. Der Architekt hat sich wirklich Mühe gegeben, die Gangerschließung in der großteils zweihüftigen Anlage aufzuweichen. Es gibt immer wieder sehr reizvolle räumliche Nischen, in denen man bequem sitzen und vor allem hinausschauen kann, und größer zugeschnittene, gemeinschaftlichen Aufenthaltsräume. Es war ein Sonntagnachmittag, an dem ich das Haus besichtigt habe. Man sollte meinen, da gibt es Besucher, da tut sich etwas. Aber nein, es herrschte bedrückende Stille. Und Hubert Hermann sagt, am ehesten werden noch die Räume genutzt, in denen ein Fernseher steht.

Dabei ist architektonisch, räumlich alles da, was man sich für ein solches Haus nur wünschen kann. Zu ebener Erde gibt es ein Kaffeehaus, auch ein Restaurant (Letzteres für Mitarbeiter), sehr angenehm in Bezug auf die Ausstattung, nur saß dort niemand. Da fragt man sich natürlich schon, warum Architekten so viele Gedanken investieren, wenn dann niemand von ihrem Angebot Gebrauch macht. Andererseits kann man dieses Angebot auch nicht einfach wegstreichen – es wird zwar offenbar nicht genutzt, aber wenn es nicht da wäre, dann blieben Kasernen übrig, in denen wir unsere alten Angehörigen einsperren. Und das kann und darf ganz bestimmt nicht sein. Das Haus hat eine Putzfassade – teilweise Kratzputz, teilweise normaler Putz –, und an der Schaufassade weist es eine horizontale Gliederung durch Fertigbetonelemente auf, die recht attraktiv sind, weil ihre Oberfläche mittels Strukturmatritze eine spezifische Qualität erhalten hat. Jedem Zimmer ist eine Loggia zugeordnet, immerhin mit 2,20 Meter Tiefe und über die Zimmerbreite, die sich mittels gelochten Blechfaltelementen auch schließen lässt. Die Bewohner haben also auch unmittelbaren Zugang ins Freie. Wenn es im Hochsommer heiß wird, ist es möglich sich abzuschotten und wie durch einen Schleier hinauszuschauen.

Der Innenhof ist als Therapiegarten für Demenz-Patienten gestaltet. Sie können hier ihre Kreise ziehen, in direkter Nähe zu den Therapieräumen. Die Vegetation wird sich allerdings noch entwickeln müssen. Gleiches gilt für den Dachgarten – der zwischen dem eigentlichen Geriatriezentrum und dem „Betreuten Wohnen“ liegt. Da laufen übrigens auch viele Installationen durch, und die hat der Architekt eingepackt, in einen Holzlattenrost, der eine sehr reizvolle – und überdachte – Liegewiese ergibt.

Das Entrée zu diesem Haus ist bescheiden. Aber man betritt schließlich kein Hotel. Drinnen hängt ein so gewaltiger, bunter Murano-Glasluster von der Decke, dass man zumindest für einen Moment verblüfft innehält. Hier kommt man auch gleich zu einem der beiden Erschließungskerne, das Fluchtstiegenhaus ist nach außen verlagert und setzt an der Kabelwerk-Seite einen ausgesprochen reizvollen Akzent. Wie gesagt, Freiflächen bieten der Hof und der Dachgarten über dem fünften Geriatriegeschoß. Die Zimmer haben einen durchaus passablen Zuschnitt, dagegen lässt sich nichts sagen. Der Architekt hat übrigens weiße, blumige Vorhänge dafür ausgesucht, irgendwie stickereimäßig, die bei den Bewohnern wohl durchaus heimelige Assoziationen auslösen. In diesem Fall durfte Hubert Hermann außerdem gewisse Einbaumöbel entwerfen, ausgeführt in Nussholz, was auch der Wohnlichkeit dient. Die Bemühungen sind also enorm. Aber weder das Personal noch die Bewohner spielen wirklich mit. Das ist keinesfalls als Vorwurf an irgendeine Seite zu verstehen, es entspricht lediglich den unwiderruflich tristen Tatsachen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: