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Göttlicher Zufall
Sie ist nicht zu übersehen: die Martin-Luther-Kirche in Hainburg. Wolf D. Prix bietet mit Coop Himmelb(l)au nicht nur formal Neues, sondern nutzt aktuelle konstruktive und technische Möglichkeiten für seine Ideen. Ein Winterbesuch.
11. Februar 2012 - Liesbeth Waechter-Böhm
Es war sicher nicht der ideale Zeitpunkt für diesen Architektur-Sightseeing-Trip nach Hainburg. Weniger der eisigen Temperaturen wegen als vielmehr aufgrund des mangelnden Sonnenlichts. Hätte es das gegeben, das innenräumliche Erlebnis der Martin-Luther-Kirche von Coop Himmelb(l)au hätte sich noch gesteigert.
Die Anfahrt war nicht ganz problemfrei. Auf dem Parkplatz eines Discounters fand sich erst nach einiger Suche jemand, der mir in ausgezeichnetem Deutsch gesagt hat: Sie fahren immer gerade aus, die Kirche ist links. Nicht zu übersehen, es ist eine sehr schöne Kirche.
So war es auch. Sie war nicht zu übersehen, und schon auf den ersten Blick hat sie irgendwie gepasst. Maßstäblich auf jeden Fall. Wir sind immerhin mitten in der Altstadt Hainburgs, was sich in den Gassenbreiten und den Gebäudehöhen nach wie vor ausdrückt, weniger allerdings in der unmittelbaren Bebauung. Die ist zum Teil neueren Datums und eher uninteressant. Hier jedenfalls steht die Martin-Luther-Kirche, entworfen von Wolf D. Prix. Prix hat seine ersten 13 Lebensjahre in Hainburg verbracht und nun seinen Entwurf der evangelischen Gemeinde geschenkt.
Es ist ein kleiner Bauplatz – 420 Quadratmeter –, aber es ist auch eine kleine evangelische Gemeinde. In Hainburg umfasst sie etwa 280 Menschen, mitgerechnet das Einzugsgebiet 490. Da kommt man, wenn die Architektur etwas leistet, räumlich schon zurecht. Prix hat in Bezug auf den Grundriss überhaupt keine Salti geschlagen. Das Gebäude hat drei Teile, erschlossen durch einen Gang. Dieser Gang ist oben verglast, die Verglasung hat ein Schneeflocken-Muster, Letzteres dient der Beschattung.
Linker Hand sind die Nebenräume angeordnet – also Sakristei, Toiletten, Küche und das Büro des Pfarrers. Rechts hingegen geht es um die Hauptsache: vorne, zur Straße, der Kirchenraum, dahinter, zur kleinen Gartenfläche, der Versammlungsraum für die Gemeinde, dazwischen ein konisch verlaufender Bereich für die Kinder – Prix hatte ursprünglich dort das Taufbecken (Granit) aufgestellt. Aus womöglich liturgisch-zeremoniellen Gründen steht es jetzt aber neben dem Altar. Beide Bereiche, Gottesdienstraum und Gemeinderaum, sind über Falttüren miteinander zu verbinden. Dann gibt es für annähernd 140 Menschen Platz.
Zwischendurch ein kurzer Blick auf die Materialien. Auf dem Boden: ein gespachtelter Kunststoff, grau, dessen Haptik durchaus an Naturstein erinnert, ohne ihn nachzumachen. An den Wänden, ebenfalls grau, 3-D-gefrästes Eternit, ebenfalls von überaus angenehmer, geradezu warmer Haptik. Das hat seine Bedeutung, gerade bei einem derart einfach ausgestatteten Innenraum.
Halten wir fest: Sowohl der Kirchenraum als auch der Versammlungsraum umfassen jeweils nicht mehr als 64 Quadratmeter. Und die entsprechen der Grundfläche eines bauhistorischen Denkmals ganz in der Nähe, des Karners oder Beinhauses, auf den sich Prix bezieht. Dieser Karner hat nämlich – man könnte sagen: ein zeltartiges Dach. Seine Krümmung lieferte den Ausgangspunkt für die entwerferischen Überlegungen zur Formulierung jener drei Oberlichten über dem Kirchenraum, die nun – neben dem 20 Meter hohen Glockenturm – das entscheidende Charakteristikum dieser Kirche darstellen. Denn eines ist klar: Von der Coop Himmelb(l)au ist immer nur eine Architektur zu erwarten, die nicht nur formal Ungewohntes, womöglich Neues bietet, sondern die heutige konstruktive und technische Möglichkeiten sehr gut ausnutzt. Beim Kirchendach war das einmal mehr der Fall: Es wurde in einer Schiffswerft an der Ostsee gebaut, zusammengesetzt aus 210 Einzelteilen, und dann, zerschnitten in drei Teilen angeliefert (anders wäre man durch das Stadttor nicht gekommen), im katholischen Pfarrhof gegenüber zusammengeschweißt und in einer spektakulären Kranaktion auf den Kirchenbau aufgesetzt. Prix schwebte ein Tisch vor – tatsächlich tragen vier Stahlsäulen das 28 Tonnen schwere „Dachobjekt“.
Dass es noch einen zweiten Bezugspunkt für den Entwurf gegeben hat, mag Fachleuten auffallen: Corbusiers „La Tourette“ mit seinen aufgesetzten, plastischen Oberlichtelementen. Aber Prix zieht sie durch, bis hinunter in den Kirchenraum, dessen Decke dadurch fast organisch moduliert ist. Man kommt nicht umhin anzuerkennen, dass dieser Kirchenraum atmosphärisch sehr dicht, sehr eindrucksvoll wirkt. Das ist in einem evangelischen Andachtsraum besonders wichtig, weil er ohne katholisches Dekor der Marien- und Heiligenverehrung auskommen muss. Nur weiße Wände, Sitzreihen – gewählt wurde ein Sessel von geradezu klassischer Modernität –, der markant geformte Altar und die schon vielfach besprochene, gefaltete Glasfront zur Straße. Prix hätte sie gern unverstellt gelassen, dann hätte jeder Passant von außen Zeuge der Messe sein können. Aber das war eine zu weitgehende Forderung. Ein massiver, unregelmäßig gelochter Schirm aus Seekiefer, geteilt in vier Elemente, sodass sich dazwischen die Kreuzform ergibt, relativiert die Offenheit des Kirchenraums.
Der „Kanzelaltar“, organisch geformt, hat drei kleinere „Löcher“ oben und ein großes, flaches „Loch“ unten, er wurde aus Kunststoff gegossen und perfekt verkleidet mit Aluminiumblech. Natürlich war er in Aluguss gedacht, das konnte sich die evangelische Gemeinde aber nicht leisten. Sie ist mit den 1,4 Millionen Euro Baukosten ohnehin an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen.
Mich hat ein engagierter Vertreter vom Verein „Freunde der evangelischen Kirche in Hainburg/Donau“ geführt, Herr Adolf Reichel. Prix sagt: Ohne ihn gäbe es diese Kirche gar nicht. Reichel hat mir nicht nur die überaus schwierige Vorgeschichte dieses Kirchenbaues erzählt, sondern auch, wie die Gemeinde mit der Formensprache der Coop Himmelb(l)au umgeht. Sie fasst die drei Oberlichten im Andachtsraum als Zeichen der göttlichen Trinität auf, ebenso die drei Öffnungen im Altar, und die große, flache Öffnung unten als das leere Grab Christi. Alles Zufall, sagt Wolf D. Prix. Das mag/wird so sein. Aber ist es nicht eine wunderbare Art der Aneignung zeitgenössischer Architektur?
Die Anfahrt war nicht ganz problemfrei. Auf dem Parkplatz eines Discounters fand sich erst nach einiger Suche jemand, der mir in ausgezeichnetem Deutsch gesagt hat: Sie fahren immer gerade aus, die Kirche ist links. Nicht zu übersehen, es ist eine sehr schöne Kirche.
So war es auch. Sie war nicht zu übersehen, und schon auf den ersten Blick hat sie irgendwie gepasst. Maßstäblich auf jeden Fall. Wir sind immerhin mitten in der Altstadt Hainburgs, was sich in den Gassenbreiten und den Gebäudehöhen nach wie vor ausdrückt, weniger allerdings in der unmittelbaren Bebauung. Die ist zum Teil neueren Datums und eher uninteressant. Hier jedenfalls steht die Martin-Luther-Kirche, entworfen von Wolf D. Prix. Prix hat seine ersten 13 Lebensjahre in Hainburg verbracht und nun seinen Entwurf der evangelischen Gemeinde geschenkt.
Es ist ein kleiner Bauplatz – 420 Quadratmeter –, aber es ist auch eine kleine evangelische Gemeinde. In Hainburg umfasst sie etwa 280 Menschen, mitgerechnet das Einzugsgebiet 490. Da kommt man, wenn die Architektur etwas leistet, räumlich schon zurecht. Prix hat in Bezug auf den Grundriss überhaupt keine Salti geschlagen. Das Gebäude hat drei Teile, erschlossen durch einen Gang. Dieser Gang ist oben verglast, die Verglasung hat ein Schneeflocken-Muster, Letzteres dient der Beschattung.
Linker Hand sind die Nebenräume angeordnet – also Sakristei, Toiletten, Küche und das Büro des Pfarrers. Rechts hingegen geht es um die Hauptsache: vorne, zur Straße, der Kirchenraum, dahinter, zur kleinen Gartenfläche, der Versammlungsraum für die Gemeinde, dazwischen ein konisch verlaufender Bereich für die Kinder – Prix hatte ursprünglich dort das Taufbecken (Granit) aufgestellt. Aus womöglich liturgisch-zeremoniellen Gründen steht es jetzt aber neben dem Altar. Beide Bereiche, Gottesdienstraum und Gemeinderaum, sind über Falttüren miteinander zu verbinden. Dann gibt es für annähernd 140 Menschen Platz.
Zwischendurch ein kurzer Blick auf die Materialien. Auf dem Boden: ein gespachtelter Kunststoff, grau, dessen Haptik durchaus an Naturstein erinnert, ohne ihn nachzumachen. An den Wänden, ebenfalls grau, 3-D-gefrästes Eternit, ebenfalls von überaus angenehmer, geradezu warmer Haptik. Das hat seine Bedeutung, gerade bei einem derart einfach ausgestatteten Innenraum.
Halten wir fest: Sowohl der Kirchenraum als auch der Versammlungsraum umfassen jeweils nicht mehr als 64 Quadratmeter. Und die entsprechen der Grundfläche eines bauhistorischen Denkmals ganz in der Nähe, des Karners oder Beinhauses, auf den sich Prix bezieht. Dieser Karner hat nämlich – man könnte sagen: ein zeltartiges Dach. Seine Krümmung lieferte den Ausgangspunkt für die entwerferischen Überlegungen zur Formulierung jener drei Oberlichten über dem Kirchenraum, die nun – neben dem 20 Meter hohen Glockenturm – das entscheidende Charakteristikum dieser Kirche darstellen. Denn eines ist klar: Von der Coop Himmelb(l)au ist immer nur eine Architektur zu erwarten, die nicht nur formal Ungewohntes, womöglich Neues bietet, sondern die heutige konstruktive und technische Möglichkeiten sehr gut ausnutzt. Beim Kirchendach war das einmal mehr der Fall: Es wurde in einer Schiffswerft an der Ostsee gebaut, zusammengesetzt aus 210 Einzelteilen, und dann, zerschnitten in drei Teilen angeliefert (anders wäre man durch das Stadttor nicht gekommen), im katholischen Pfarrhof gegenüber zusammengeschweißt und in einer spektakulären Kranaktion auf den Kirchenbau aufgesetzt. Prix schwebte ein Tisch vor – tatsächlich tragen vier Stahlsäulen das 28 Tonnen schwere „Dachobjekt“.
Dass es noch einen zweiten Bezugspunkt für den Entwurf gegeben hat, mag Fachleuten auffallen: Corbusiers „La Tourette“ mit seinen aufgesetzten, plastischen Oberlichtelementen. Aber Prix zieht sie durch, bis hinunter in den Kirchenraum, dessen Decke dadurch fast organisch moduliert ist. Man kommt nicht umhin anzuerkennen, dass dieser Kirchenraum atmosphärisch sehr dicht, sehr eindrucksvoll wirkt. Das ist in einem evangelischen Andachtsraum besonders wichtig, weil er ohne katholisches Dekor der Marien- und Heiligenverehrung auskommen muss. Nur weiße Wände, Sitzreihen – gewählt wurde ein Sessel von geradezu klassischer Modernität –, der markant geformte Altar und die schon vielfach besprochene, gefaltete Glasfront zur Straße. Prix hätte sie gern unverstellt gelassen, dann hätte jeder Passant von außen Zeuge der Messe sein können. Aber das war eine zu weitgehende Forderung. Ein massiver, unregelmäßig gelochter Schirm aus Seekiefer, geteilt in vier Elemente, sodass sich dazwischen die Kreuzform ergibt, relativiert die Offenheit des Kirchenraums.
Der „Kanzelaltar“, organisch geformt, hat drei kleinere „Löcher“ oben und ein großes, flaches „Loch“ unten, er wurde aus Kunststoff gegossen und perfekt verkleidet mit Aluminiumblech. Natürlich war er in Aluguss gedacht, das konnte sich die evangelische Gemeinde aber nicht leisten. Sie ist mit den 1,4 Millionen Euro Baukosten ohnehin an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen.
Mich hat ein engagierter Vertreter vom Verein „Freunde der evangelischen Kirche in Hainburg/Donau“ geführt, Herr Adolf Reichel. Prix sagt: Ohne ihn gäbe es diese Kirche gar nicht. Reichel hat mir nicht nur die überaus schwierige Vorgeschichte dieses Kirchenbaues erzählt, sondern auch, wie die Gemeinde mit der Formensprache der Coop Himmelb(l)au umgeht. Sie fasst die drei Oberlichten im Andachtsraum als Zeichen der göttlichen Trinität auf, ebenso die drei Öffnungen im Altar, und die große, flache Öffnung unten als das leere Grab Christi. Alles Zufall, sagt Wolf D. Prix. Das mag/wird so sein. Aber ist es nicht eine wunderbare Art der Aneignung zeitgenössischer Architektur?
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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