Artikel
Die Kunst, Stadt zu sein
Valencia verstrickt sich in seine zweite Biennale
2. Juli 2003 - Markus Jakob
Kaum hat Bilbao mit Gehrys Guggenheim Museum erfolgreich um sein Quentchen internationale Aufmerksamkeit gebuhlt, versucht sich nun Valencia vehement als Spaniens drittes kulturelles Zentrum neben Madrid und Barcelona zu positionieren. Der valencianische Himmel ist die Vitrine, in der Santiago Calatravas «Stadt der Künste und der Wissenschaften» ausliegt wie die Exponate eines naturkundlichen Museums: Sepie, Menschenauge, Walgerippe, ins Gigantische gesteigert. Auch das IVAM, das nach einem bemerkenswerten Start etwas erlahmte Institut Valencià d'Art Modern, plant nun seine Erweiterung. Formal steht sie, wiewohl auch in makellosem Weiss, Calatravas Triade aus Oper, Imax und Museum konträr entgegen. Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa umhüllen das bestehende, 1989 eröffnete Gebäude mit einer perforierten Stahlhaut, die sich als enormer transparenter Quader am Rande der Altstadt erheben soll. Auf die Verwirklichung dieses den Purismus ins Irreale steigernden Schattenhauses, einer urbanen Fata Morgana, kann man gespannt sein.
Attraktives Leuchten
Weder das IVAM noch die Calatrava-Triade gehören indessen zu den Schauplätzen der zweiten Bienal de Valencia, die sich - wie schon die erste Ausgabe - dem Crossover der Kunstgattungen verschrieben hat, diesmal unter dem Titel «La Ciudad Ideal». Die Idealstadt? Jede Architektur ist ja zunächst Idee - und endet als Abrissobjekt, um der nächsten Platz zu machen. Auf äusserst plastische Weise zeigen das unweit des IVAM die unzähligen Baulücken im Barrio del Carmen. Diese Grundstücke, gewöhnlich begrenzt von Brandmauern, welche die Spuren des einstigen Lebens tragen, werden für die Biennale von annähernd vierzig Künstlern bespielt. Nun können einige das Mauerwerk zierende Fotos von Wim Wenders gewiss nicht als Auseinandersetzung mit der Dramatik des Ruinenumfelds gelten; auch nicht das «Gum City» betitelte Kondomkränzchen von Gilbert & George, selbst wenn es sich bei näherer Betrachtung als eine Art Kraterstadtplan herausstellt und nachts attraktiv leuchtet. Die meisten der vom ungarischen Kurator Lóránd Hegyi eingeladenen Künstler aber haben die Herausforderung angenommen. Ilya Kabakovs «Woman-Fountain» kann zwar nicht als ortsspezifisch bezeichnet werden, scheint aber auf bestrickende Weise nichts weniger als eine neue Werkphase zu eröffnen, und Ilona Némeths Kapselhotel ist - allerdings nur für die Siesta - benützbar. Dass sich nachts keiner hier einkapselt, darüber wacht ironischerweise, wiewohl mit einigem visuellem Getöse, gleich daneben Eugenio Canos «Vigilancia iluminada» im Kreis von zehn sich einander zuneigenden Peitschenlampen.
Da die Künstler in der Wahl ihres Grundstücks frei waren, gebührt den unaufdringlicheren Interventionen von Sooja Kim und Richard Nonas besondere Erwähnung. Nonas umspielt die phantasmagorischen Überreste eines hinter einer Einfriedung verborgenen Torbogens mit einem regelmässigen Balkenraster: zu Boden gestürzte Reminiszenz der einstigen Deckenkonstruktion. Der koreanischen Künstlerin genügt es, das einsam aufragende Gemäuer eines schmalen, seiner Nachbarn beraubten Wohnhauses - nacktes Sinnbild des Widerstands gegen die Bodenspekulation - nachts in wechselnden Farben anzustrahlen, um ein höchst poetisches Memorial zu schaffen. Überhaupt entfalten viele Interventionen - etwa Kabakovs Laserpointillismus auf Stahldraht und Polly Apfelbaums nach eigenem Bekunden «ziemlich hässlich, aber optimistisch» leuchtender Blumenteppich - ihre beste Wirkung erst nach Einbruch der Dunkelheit. Anders Clay Ketter, der seine Brandmauern so behutsam angekratzt und (mit Reflexen der gegenüberliegenden Fassade) neu bemalt hat, dass die Intervention bei Tag kaum als solche erkennbar ist. Genau diese Ambiguität im Umgang mit der an sich zweischneidigen Schönheit der Ruinen hätte man sich öfter gewünscht.
«Solares (o del optimismo)» nennt Lóránd Hegyi sein Projekt: Im spanischen Wort für Grundstücke scheint auch die Sonne, scheint das in die Stadtbrachen einbrechende Licht schon enthalten. Unter den acht die «Ciudad Ideal» konfigurierenden Ausstellungen löst sie am überzeugendsten den Anspruch der Biennale-Macher ein, keinen im Galeriencircuit zweitverwertbaren Aufwasch gerade angesagter Strömungen zu bieten, sondern Kunst mit der Stadt selbst zu verflechten. «Transversal» ist eines der Lieblingswörter des Leiters dieses Events, Luigi Settembrini, der selber aus der Werbe- und Modeszene kommt. Der nicht eben textlastige Katalog zeigt freilich auch, dass Theorie nicht Sache dieser Biennale ist. Dafür hat das Thema «La Ciudad Ideal» einige spanische Zeitschriften bewogen, sich seiner anzunehmen, und die betreffenden Nummern wurden wiederum Teil der Biennale, indem sie buchstäblich in die «Arquitecturas efímeras» integriert wurden: sechs am Flughafen, an Bahnhöfen und Metrostationen errichtete Kioske junger valencianischer Architekten.
Hätte es aber, grantelte ein Kolumnist in der Zeitung «Las Provincias», das Motto der Idealstadt nicht nahegelegt, auch einige der so mächtigen lokalen Bauunternehmer einzuladen? Zumindest als Sponsoren? Man hat's versucht, vergeblich. Ernstlich gefordert werden sie sein, falls das Projekt «Sociópolis» - und die valencianische Regierung scheint dazu entschlossen - verwirklicht wird: ein «solidarisches Wohnviertel», zu dem ein Dutzend renommierte in- und ausländische Avantgardisten (darunter MVRDV, Toyo Ito, FOA und Vicente Guallart, von dem die Initiative stammt) Entwürfe beigesteuert haben, die nun im Kloster San Miguel de los Reyes ausgestellt sind.
Trivial oder vorhersehbar
Will Alsop und Bruce McLean, die englischen Künstler-Architekten, haben ihrerseits im Convento del Carmen einen Pavillon geschaffen, den sie «Department of Proper Behaviour» nennen: eine eher kühl lassende Shopping-Travestie. Pathetischer gebärdet sich der Filmregisseur Mike Figgis, der ein halb zerfallenes (und gleichfalls schön kühles) Stadtpalais mit den multimedialen Versatzstücken dessen gefüllt hat, was er einen dekonstruierten Film nennt. Als junger Mensch hatte er vermutlich mal die Arbeiten von Edward Kienholz gesehen. Figgis, der es wissen muss: «Die Kunstwelt ist noch korrupter als Hollywood, das seine Geldgier wenigstens nicht noch zu verhehlen trachtet.»
Mit derlei Inszenierungen wird sich Valencia, mag es sich die Biennale auch fünf Millionen Euro kosten lassen, nun schwerlich in die erste Liga der Kunstmetropolen katapultieren. Zu trivial oder zu vorhersehbar wie die eigentliche Hauptausstellung in den Werfthallen. «Micro- Utopías» betitelt, wartet sie mit dem zum Thema «Kunst und Architektur» zu erwartenden Mix auf, von den «Klassikern» Gordon Matta-Clark, Acconci, Buren, Kawamata und Dan Graham bis zu einigen jüngern Künstlern und Architekten, darunter die Schweizer Fabrice Gygi und Décosterd & Rahm. Nach dem Publikumserfolg schielt die Ausstellung Sebastião Salgados, der die Valencianos porträtiert hat, und Irene Papas liefert als Programmgestalterin die szenischen Beigaben. Die valencianische Kulturbeauftragte Consuelo Ciscar fasst es treuherzig so zusammen: «Niedriges Risiko, hohe Ausbeute.» In einer Plakataktion der Anti-Bienal-Bewegung, die natürlich auch nicht fehlt, wird die Politikerin des nicht eben immigrantenfreundlich gesinnten Partido Popular mit folgendem Satz zitiert: «Eine Menge Leute suchen um eine Aufenthaltsgenehmigung in Valencia nach, um all die Kunst zu geniessen.»
[Bienal de Valencia. Bis 30. September. Katalog Euro 40.-.]
Attraktives Leuchten
Weder das IVAM noch die Calatrava-Triade gehören indessen zu den Schauplätzen der zweiten Bienal de Valencia, die sich - wie schon die erste Ausgabe - dem Crossover der Kunstgattungen verschrieben hat, diesmal unter dem Titel «La Ciudad Ideal». Die Idealstadt? Jede Architektur ist ja zunächst Idee - und endet als Abrissobjekt, um der nächsten Platz zu machen. Auf äusserst plastische Weise zeigen das unweit des IVAM die unzähligen Baulücken im Barrio del Carmen. Diese Grundstücke, gewöhnlich begrenzt von Brandmauern, welche die Spuren des einstigen Lebens tragen, werden für die Biennale von annähernd vierzig Künstlern bespielt. Nun können einige das Mauerwerk zierende Fotos von Wim Wenders gewiss nicht als Auseinandersetzung mit der Dramatik des Ruinenumfelds gelten; auch nicht das «Gum City» betitelte Kondomkränzchen von Gilbert & George, selbst wenn es sich bei näherer Betrachtung als eine Art Kraterstadtplan herausstellt und nachts attraktiv leuchtet. Die meisten der vom ungarischen Kurator Lóránd Hegyi eingeladenen Künstler aber haben die Herausforderung angenommen. Ilya Kabakovs «Woman-Fountain» kann zwar nicht als ortsspezifisch bezeichnet werden, scheint aber auf bestrickende Weise nichts weniger als eine neue Werkphase zu eröffnen, und Ilona Némeths Kapselhotel ist - allerdings nur für die Siesta - benützbar. Dass sich nachts keiner hier einkapselt, darüber wacht ironischerweise, wiewohl mit einigem visuellem Getöse, gleich daneben Eugenio Canos «Vigilancia iluminada» im Kreis von zehn sich einander zuneigenden Peitschenlampen.
Da die Künstler in der Wahl ihres Grundstücks frei waren, gebührt den unaufdringlicheren Interventionen von Sooja Kim und Richard Nonas besondere Erwähnung. Nonas umspielt die phantasmagorischen Überreste eines hinter einer Einfriedung verborgenen Torbogens mit einem regelmässigen Balkenraster: zu Boden gestürzte Reminiszenz der einstigen Deckenkonstruktion. Der koreanischen Künstlerin genügt es, das einsam aufragende Gemäuer eines schmalen, seiner Nachbarn beraubten Wohnhauses - nacktes Sinnbild des Widerstands gegen die Bodenspekulation - nachts in wechselnden Farben anzustrahlen, um ein höchst poetisches Memorial zu schaffen. Überhaupt entfalten viele Interventionen - etwa Kabakovs Laserpointillismus auf Stahldraht und Polly Apfelbaums nach eigenem Bekunden «ziemlich hässlich, aber optimistisch» leuchtender Blumenteppich - ihre beste Wirkung erst nach Einbruch der Dunkelheit. Anders Clay Ketter, der seine Brandmauern so behutsam angekratzt und (mit Reflexen der gegenüberliegenden Fassade) neu bemalt hat, dass die Intervention bei Tag kaum als solche erkennbar ist. Genau diese Ambiguität im Umgang mit der an sich zweischneidigen Schönheit der Ruinen hätte man sich öfter gewünscht.
«Solares (o del optimismo)» nennt Lóránd Hegyi sein Projekt: Im spanischen Wort für Grundstücke scheint auch die Sonne, scheint das in die Stadtbrachen einbrechende Licht schon enthalten. Unter den acht die «Ciudad Ideal» konfigurierenden Ausstellungen löst sie am überzeugendsten den Anspruch der Biennale-Macher ein, keinen im Galeriencircuit zweitverwertbaren Aufwasch gerade angesagter Strömungen zu bieten, sondern Kunst mit der Stadt selbst zu verflechten. «Transversal» ist eines der Lieblingswörter des Leiters dieses Events, Luigi Settembrini, der selber aus der Werbe- und Modeszene kommt. Der nicht eben textlastige Katalog zeigt freilich auch, dass Theorie nicht Sache dieser Biennale ist. Dafür hat das Thema «La Ciudad Ideal» einige spanische Zeitschriften bewogen, sich seiner anzunehmen, und die betreffenden Nummern wurden wiederum Teil der Biennale, indem sie buchstäblich in die «Arquitecturas efímeras» integriert wurden: sechs am Flughafen, an Bahnhöfen und Metrostationen errichtete Kioske junger valencianischer Architekten.
Hätte es aber, grantelte ein Kolumnist in der Zeitung «Las Provincias», das Motto der Idealstadt nicht nahegelegt, auch einige der so mächtigen lokalen Bauunternehmer einzuladen? Zumindest als Sponsoren? Man hat's versucht, vergeblich. Ernstlich gefordert werden sie sein, falls das Projekt «Sociópolis» - und die valencianische Regierung scheint dazu entschlossen - verwirklicht wird: ein «solidarisches Wohnviertel», zu dem ein Dutzend renommierte in- und ausländische Avantgardisten (darunter MVRDV, Toyo Ito, FOA und Vicente Guallart, von dem die Initiative stammt) Entwürfe beigesteuert haben, die nun im Kloster San Miguel de los Reyes ausgestellt sind.
Trivial oder vorhersehbar
Will Alsop und Bruce McLean, die englischen Künstler-Architekten, haben ihrerseits im Convento del Carmen einen Pavillon geschaffen, den sie «Department of Proper Behaviour» nennen: eine eher kühl lassende Shopping-Travestie. Pathetischer gebärdet sich der Filmregisseur Mike Figgis, der ein halb zerfallenes (und gleichfalls schön kühles) Stadtpalais mit den multimedialen Versatzstücken dessen gefüllt hat, was er einen dekonstruierten Film nennt. Als junger Mensch hatte er vermutlich mal die Arbeiten von Edward Kienholz gesehen. Figgis, der es wissen muss: «Die Kunstwelt ist noch korrupter als Hollywood, das seine Geldgier wenigstens nicht noch zu verhehlen trachtet.»
Mit derlei Inszenierungen wird sich Valencia, mag es sich die Biennale auch fünf Millionen Euro kosten lassen, nun schwerlich in die erste Liga der Kunstmetropolen katapultieren. Zu trivial oder zu vorhersehbar wie die eigentliche Hauptausstellung in den Werfthallen. «Micro- Utopías» betitelt, wartet sie mit dem zum Thema «Kunst und Architektur» zu erwartenden Mix auf, von den «Klassikern» Gordon Matta-Clark, Acconci, Buren, Kawamata und Dan Graham bis zu einigen jüngern Künstlern und Architekten, darunter die Schweizer Fabrice Gygi und Décosterd & Rahm. Nach dem Publikumserfolg schielt die Ausstellung Sebastião Salgados, der die Valencianos porträtiert hat, und Irene Papas liefert als Programmgestalterin die szenischen Beigaben. Die valencianische Kulturbeauftragte Consuelo Ciscar fasst es treuherzig so zusammen: «Niedriges Risiko, hohe Ausbeute.» In einer Plakataktion der Anti-Bienal-Bewegung, die natürlich auch nicht fehlt, wird die Politikerin des nicht eben immigrantenfreundlich gesinnten Partido Popular mit folgendem Satz zitiert: «Eine Menge Leute suchen um eine Aufenthaltsgenehmigung in Valencia nach, um all die Kunst zu geniessen.»
[Bienal de Valencia. Bis 30. September. Katalog Euro 40.-.]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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