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Neue Architektur in Sursee
Neue Zürcher Zeitung

Bauten von Luigi Snozzi und von Scheitlin & Syfrig

6. Juni 2003 - Fabrizio Brentini
Mit der luzernischen Kleinstadt Sursee verbindet man in erster Linie die malerischen, mittelalterlichen Häuserzeilen, das spätgotische Rathaus, das zu Recht von nationaler Bedeutung ist, und die leicht erhöhte, frühbarocke Kirche. Was jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg darum herum gebaut wurde, zeugt von einer Planlosigkeit, wie sie für viele Gebiete des Mittellands typisch ist. Mit einem Ortsplanungswettbewerb versuchten die Behörden schon 1943/44 die drohende Zersiedelung am Nordende des Sempachersees in den Griff zu bekommen, doch die Entwicklung mit Autobahn, Industriegebieten und Einkaufszentren verursachte schliesslich eine kunterbunte Ansammlung von Grossgebilden, die mit ehemals isoliert stehenden Wohnhäusern ein höchst befremdliches Potpourri ergaben.

Auf diesem chaotischen Feld spielte Luigi Snozzi, der Meister des Hinterfragens urbanistischer Strukturen, mit dem Entwurf für einen monumentalen Verwaltungsbau schon vor über einem Jahrzehnt den Ball den Behörden zu, die aber so lange zögerten, bis zuletzt private Investoren in die Bresche sprangen, um die Chance einer städteplanerischen Neuorientierung zu wahren. Nun steht der neue Stadthof, auf dessen Etikettierung als «Snozzi-Tempel» der Architekt stolz ist, wuchtig und dominant vor den Toren der Altstadt. Das Positive vorweg: Das Monument erzeugt mit dem grossen freien Platz ein würdiges Pendant zur schmucken Hauptgasse der Altstadt, und zusammen mit dem gegenüber gelegenen Schulhaus Alt St. Georg vermag es das kleingliedrige Weichbild der bisherigen Bebauung mit der Bildung eines zweiten Zentrums zu ordnen. Meisterhaft ist zudem die zentrale Halle, deren weiss verputzte Decke so in den vier Eckpfeilern verankert wurde, dass zwischen den Kanten und den Wänden ein genügend grosser Abstand gewonnen werden konnte, um das Tageslicht über das verborgene Oberlichtband ins Innere fluten zu lassen.

Uneinheitlich fällt hingegen die Beurteilung der äusseren Gestaltung dieses über einem quadratischen Grundriss errichteten Bauwerkes mit Wohnungen, Geschäften und der Post aus. Das quadratische Raster der Fassaden wirft ebenso Fragen auf wie die Pfeilerreihe, die das vorkragende Abschlussgeschoss trägt. Dieses ist im Vergleich zum Gesamtvolumen zu niedrig, und die dünnen Pfeiler lassen die Ambivalenz von Offen und Geschlossen vermissen. An den Ecken, die bei einer solch modularen Struktur von alters her als Lackmusprobe der Architekten gelten, stellt man Ungereimtheiten fest.

Unabhängig von der Planung am Stadthof ist auf einem ebenfalls an denselben Platz angrenzenden Grundstück an der Sure ein zweiter bemerkenswerter Bau entstanden, ein Firmenhauptsitz mit Wohnungen, entworfen von den Luzerner Architekten Scheitlin & Syfrig. Obwohl er weniger spektakulär als der Snozzi-Bau ist, schliesst er städtebaulich eine wichtige Lücke. Die dem Platz zugewandten, dreigeschossigen Fassaden sind farblich und gestalterisch zurückhaltend instrumentiert: mit vertikalen Holzlatten, unterbrochen von quadratischen Fenstern, die mit leicht vorstehenden Aluminiumrahmen akzentuiert sind. Im rückwärtigen Bereich verzahnten die Architekten die Anlage nicht nur mit dem Bach, sondern auch mit dem Wegnetz, welches die Altstadt mit den Sport- und Schulanlagen verbindet. Der ganze Block wird hier auf einer schon vorhanden gewesenen, nun aber mit Betonrahmungen eingefassten Insel abgestützt und zugleich durchlässig gemacht. Ein Weg, der auch eine Art Bachpromenade ist, durchdringt das Volumen, das auf drei Seiten mit grossen Öffnungen aufgebrochen wird. In der Mitte gewahrt man durch die Sicht auf den Innenhof und auf die Situation jenseits der Sure überraschende Ausschnitte aus der Zwiesprache zwischen Architektur und Natur. Indirekt zitieren Scheitlin & Syfrig die Situation des in die Häuserzeilen der Altstadt eingebetteten Surekanals.

In Sursee wird derzeit noch an anderen Orten gebaut; das nächste ambitionierte Monumentalgebäude, das neue Migros-Zentrum von Theo Hotz, wird im kommenden Herbst eröffnet und zweifellos die Achse zwischen der Altstadt und dem Bahnhof grosszügiger als bisher in Erscheinung treten lassen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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