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Planung einer ungeplanten Stadt
In São Paulo soll das Wachstum reguliert werden
Unter den Riesenstädten der Erde ist São Paulo eine der jüngsten. Während Tokio und Mexiko-Stadt bereits vor Jahrhunderten Metropolen waren, ist der brasilianische Ballungsraum wie aus dem Nichts emporgeschossen. Hier leben etwa dreimal so viele Menschen wie in der Schweiz. Die Baumasse ist so schnell gewachsen, dass die Stadtbehörde nur gerade die ständig neu anzulegenden Strassen planen konnte.
6. Juni 2003 - Carsten Krohn
Stadtplanung als Verkehrsplanung, zu diesem Schluss kam Le Corbusier, als er 1929 São Paulo besuchte. Der Architekt schlug Autobahnen auf den Dächern von zwei gigantisch langen Gebäuden vor, die sich im Stadtzentrum kreuzen sollten. Auch wenn seine Idee als utopisch betrachtet wurde, so ist die von ihm diagnostizierte «Stadtmittelpunktkrankheit» noch immer nicht behandelt. Angesichts der wenigen U-Bahn-Linien sowie fehlender Ringstrassen wurde der Helikopter zu einem unerlässlichen Verkehrsmittel in São Paulo. Denn der urbane Grossraum dehnt sich immer weiter aus. Wie überall im Land errichten die ärmsten Bevölkerungsschichten an der Peripherie in Eigenregie Favelas. Damit bestimmen sie das Wachstum der Stadt nachhaltig, denn in Brasilien fällt der Boden nach einer gewissen Zeit an diejenigen, die ihn bebauen, sofern niemand anderes rechtzeitig einen Besitzanspruch geltend macht. So entstehen Gebäude ohne Architekten und Stadtviertel ohne Planer. Im Stadtplan erscheinen die chaotisch gewachsenen Favelas schliesslich als weisse Flecken.
Strategischer Masterplan
In den letzten Jahrzehnten wurde die Kluft zwischen Arm und Reich immer grösser. Die Wohlhabenden verbarrikadierten sich in Einfamilienhaussiedlungen, die wie grüne Inseln in einem Meer aus Hochhäusern ruhen. Diese dramatischen Gegensätze prägen die Stadt. Obwohl sich São Paulo durch eine pulsierende Lebendigkeit auszeichnet, die von europäischen Stadtplanern als urban gepriesen wird, haben sich die Probleme derart verschärft, dass sie allgemein als unlösbar gelten. Nun hat die Bürgermeisterin Marta Spulcy von der Arbeiterpartei die Verabschiedung eines strategischen Masterplans bewirkt, der das städtische Wachstum regulieren soll. Über Jahre erarbeitete der Architekt und Stadtplaner Jorge Wilheim ein umfassendes Konzept, das Planung erstmalig vorausblickend statt reagierend begreift. Bei dem Projekt handelt es sich nicht um einen städtebaulichen Entwurf im gestalterischen Sinne, sondern um Richtlinien. Inwieweit diese in Gesetze übergeführt und dann auch umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
Den Kern dieses Plano Diretor bilden Massnahmen, dem urbanen Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Wer in einer teuren Gegend investiert, soll zukünftig extra dafür bezahlen, damit Investitionen in unterentwickelten Gebieten wie den Favelas subventioniert werden können. Zahlen sollen auch diejenigen, die hoch bauen. Mit den eingetriebenen Geldern will man Parks anlegen und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Von diesen Ausgleichszahlungen hängt der Erfolg der gesamten Planung ab. «Die Stadt wurde nicht geplant», sagt Wilheim, der heute das Stadtplanungsamt von São Paulo leitet. «Planung ist nicht verbreitet in Ländern mit mobilen Gesellschaften und Selfmademen, denen Behörden, Gesetze und eben auch Pläne vor allem als Hindernisse für ein persönliches Vorankommen gelten.» Indem bisherige Regierungen konsequent auf den Ausbau des Individualverkehrs setzten, führten sie paradoxerweise eine Situation herbei, die schliesslich ein staatliches Eingreifen unausweichlich gemacht hat. Um dem täglichen Verkehrskollaps zu begegnen, dürfen Autos - je nach Nummernschild - nur an bestimmten Tagen fahren, was jedoch dazu führt, dass, wer das Geld dazu hat, sich mehrere Autos anschafft.
Hoffnungen und Widerstände
Der Plano Diretor widmet sich intensiv ökologischen Belangen, indem er ein Hauptproblem der Stadt beheben will. Als die wohl weltweit grösste versiegelte Landfläche ist São Paulo mit häufigen Überschwemmungen konfrontiert. Regelmässig lassen tropische Regenfälle die Flüsse, die als Abwasserkanäle zwischen Autobahnen verlaufen, über die Ufer treten. Mit vorgeschriebenen Rückhaltebecken bei neuen Gebäuden soll diesem Problem begegnet werden. Viele der vorgeschlagenen Massnahmen sind seit langem bekannt und als Lösungen auch anerkannt; sie sind aber auf den Widerstand mächtiger Interessengruppen gestossen. Den herrschenden Gesetzen der Bodenspekulation werden nun Gesetze der Regulierung entgegengestellt. Mit dem landesweiten Wahlsieg der Arbeiterpartei werden deshalb auch Hoffnungen auf nachhaltige Veränderungen verbunden. Der Plano Diretor will mehr sein als eine unverbindliche Zukunftsvision. Gleichwohl behaupten viele Skeptiker, dass die verbreitete Korruption eine Umsetzung verhindern oder zumindest stark verzögern werde.
Strategischer Masterplan
In den letzten Jahrzehnten wurde die Kluft zwischen Arm und Reich immer grösser. Die Wohlhabenden verbarrikadierten sich in Einfamilienhaussiedlungen, die wie grüne Inseln in einem Meer aus Hochhäusern ruhen. Diese dramatischen Gegensätze prägen die Stadt. Obwohl sich São Paulo durch eine pulsierende Lebendigkeit auszeichnet, die von europäischen Stadtplanern als urban gepriesen wird, haben sich die Probleme derart verschärft, dass sie allgemein als unlösbar gelten. Nun hat die Bürgermeisterin Marta Spulcy von der Arbeiterpartei die Verabschiedung eines strategischen Masterplans bewirkt, der das städtische Wachstum regulieren soll. Über Jahre erarbeitete der Architekt und Stadtplaner Jorge Wilheim ein umfassendes Konzept, das Planung erstmalig vorausblickend statt reagierend begreift. Bei dem Projekt handelt es sich nicht um einen städtebaulichen Entwurf im gestalterischen Sinne, sondern um Richtlinien. Inwieweit diese in Gesetze übergeführt und dann auch umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
Den Kern dieses Plano Diretor bilden Massnahmen, dem urbanen Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Wer in einer teuren Gegend investiert, soll zukünftig extra dafür bezahlen, damit Investitionen in unterentwickelten Gebieten wie den Favelas subventioniert werden können. Zahlen sollen auch diejenigen, die hoch bauen. Mit den eingetriebenen Geldern will man Parks anlegen und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Von diesen Ausgleichszahlungen hängt der Erfolg der gesamten Planung ab. «Die Stadt wurde nicht geplant», sagt Wilheim, der heute das Stadtplanungsamt von São Paulo leitet. «Planung ist nicht verbreitet in Ländern mit mobilen Gesellschaften und Selfmademen, denen Behörden, Gesetze und eben auch Pläne vor allem als Hindernisse für ein persönliches Vorankommen gelten.» Indem bisherige Regierungen konsequent auf den Ausbau des Individualverkehrs setzten, führten sie paradoxerweise eine Situation herbei, die schliesslich ein staatliches Eingreifen unausweichlich gemacht hat. Um dem täglichen Verkehrskollaps zu begegnen, dürfen Autos - je nach Nummernschild - nur an bestimmten Tagen fahren, was jedoch dazu führt, dass, wer das Geld dazu hat, sich mehrere Autos anschafft.
Hoffnungen und Widerstände
Der Plano Diretor widmet sich intensiv ökologischen Belangen, indem er ein Hauptproblem der Stadt beheben will. Als die wohl weltweit grösste versiegelte Landfläche ist São Paulo mit häufigen Überschwemmungen konfrontiert. Regelmässig lassen tropische Regenfälle die Flüsse, die als Abwasserkanäle zwischen Autobahnen verlaufen, über die Ufer treten. Mit vorgeschriebenen Rückhaltebecken bei neuen Gebäuden soll diesem Problem begegnet werden. Viele der vorgeschlagenen Massnahmen sind seit langem bekannt und als Lösungen auch anerkannt; sie sind aber auf den Widerstand mächtiger Interessengruppen gestossen. Den herrschenden Gesetzen der Bodenspekulation werden nun Gesetze der Regulierung entgegengestellt. Mit dem landesweiten Wahlsieg der Arbeiterpartei werden deshalb auch Hoffnungen auf nachhaltige Veränderungen verbunden. Der Plano Diretor will mehr sein als eine unverbindliche Zukunftsvision. Gleichwohl behaupten viele Skeptiker, dass die verbreitete Korruption eine Umsetzung verhindern oder zumindest stark verzögern werde.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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