Artikel
Die Erotik des Raums
Architekturfotografie im Fotomuseum Winterthur
Seit der Entdeckung der Fotografie hat sich das Medium vielfach neu erfunden. Kaum verändert haben sich aber die Motive: Neben dem Menschen zählt im Kern die Architektur dazu. Anlässlich seines 20-jährigen Bestehens hält das Fotomuseum Winterthur Rückschau auf das Genre der Architekturfotografie.
5. März 2013 - Urs Steiner
Die sanfte Kurve eines Rückens, die Ahnung einer puderfeinen Brust, der Schwung einer Hüfte: Lässt sich erotisches Knistern mit Fotografie einfangen? Das Problem der Authentizität und der Repräsentanz im Lichtbild beschäftigt die Welt der Kunst, seit es Fotografie gibt: Wann bleibt ein Bild selbstreferenziell, dem Dargestellten fremd? Und wie kann es sich einer Person oder einem Gegenstand annähern, ohne pornografisch zu werden? Wo verläuft die Grenze zum Kunstgewerbe, das prahlt und sich aufplustert auf Kosten des abgebildeten Gegenübers? Im diesem Spannungsfeld zwischen L'Art pour l'art und Wegwerfkunst arbeiten Fotografen. Fotografieren hat mit Respekt gegenüber dem Abgebildeten zu tun. Das schliesst Nähe genauso wenig aus wie persönliche Involviertheit.
Bilder-Tsunami
Mit den Bildern vom Raum verhält es sich ähnlich wie mit den Bildern vom Körper: Wie reduziert man einen räumlichen Eindruck, eine architektonische Stimmung auf zwei Dimensionen? Wie wird Raumwirkung wiedergegeben? Das Fotomuseum Winterthur, das sich nunmehr seit zwei Jahrzehnten mit Fragen der künstlerischen Fotografie beschäftigt, hat die Architekturfotografie zum Gegenstand seiner Jubiläumsausstellung auserkoren. Dies mit gutem Grund: Die Architektur sei seit Louis Daguerre und Eugène Atget bevorzugter Gegenstand der Fotografie gewesen, hält Lorenzo Rocha in seinem Katalogessay zum Verhältnis von Architektur und Fotografie fest. Selbst wenn man nur eine Art Best-of des Genres aus 170 Jahren zeigen will, ist die Auswahl uferlos.
Entsprechend gewaltig ist der Bilder-Tsunami, mit dem der Kurator Thomas Seelig die Betrachter überspült. Sämtliche Ausstellungsräume des Fotomuseums, inklusive der Sammlungslokalitäten, sind der Schau unter dem Titel «Concrete – Fotografie und Architektur» gewidmet. Der englische Ausstellungstitel bietet sich an, weil in dieser Sprache das Wort ausser für «konkret» auch für «Beton» steht – ein sinnstiftendes Bedeutungsfeld für eine Ausstellung mit Architekturbildern. Auch wenn längst nicht alle gezeigten Gebäude in Beton gegossen (ja einige nicht einmal real gebaut) sind, konkret sind sie geworden durch die Fotografie.
Manche Exponate erscheinen so abstrakt, dass man sie als «konkret» im kunsthistorischen Sinn von «ungegenständlich» bezeichnen könnte. Etwa die Bilderlawine von Rem Koolhaas, der eine XL-Diaschau mit dreieinhalb Millionen Architekturfotos innert Minuten im rasenden Stakkato an uns vorüberziehen lässt. Oder das Bild von Lucien Hervé, das zwar einen Ausschnitt von Le Corbusiers Haute Cour in Chandigarh zeigt, gleichzeitig aber eine konkrete Komposition darstellt. Das Spiel von grellem Licht und harten Schatten ist nicht nur ein Spitzenwerk der fotografischen Gestaltung, sondern erklärt gleichzeitig das kompositorische Genie des Baumeisters: Concrete konkret.
Pyramiden und Bally-Reklame
Die ordnende Hand des Kurators hat mehr oder weniger willkürliche Kapitel zusammengestellt, um das ausufernde Thema einigermassen in eine konsumierbare Ordnung zu bringen. Vor allem der Dokumentation verpflichtet ist die Fotografie im Kapitel «Aufbau, Verfall, Zerstörung», wo wir sowohl auf die Pyramiden von Dahschur stossen, die Francis Frith 1858 fotografierte, als auch auf die Ruinen des Tuilerien-Palastes 1871 oder den Einsturz der New Yorker Twin Towers 2001.
Etwas komplexer wird es im Kapitel «Modell, Simulation, Architektur auf Zeit»: Hier finden wir etwa Bilder der legendären Bally-Kampagne aus den späten siebziger Jahren, in der Jost Wildbolz Schuhe in der futuristischen Architekturlandschaft von Brasilia inszeniert. Oder Jacques Tatis Figur des armen Oncle, der 1958 mit den Tücken der Architekturmoderne kämpft. Die Villa weist übrigens verblüffende Ähnlichkeit mit dem Haus des Zürchers Albert Frey aus dem Jahr 1953 in Palm Springs auf, das in der Ausstellung ebenfalls nicht fehlen darf. Wir stossen auf gebaute Simulationen wie die Bilder von der Pariser Weltausstellung von 1900. Ein im wörtlichen Sinne schwindelerregendes Spiel mit der eigenen Wahrnehmung wiederum treibt Nils Nova, wenn er auf einer Fototapete exakt jenen Raum spiegelt, in dem der Betrachter steht. Eine weitere Form von Simulation präsentiert Candida Höfer mit dem Bild eines Tiger-Geheges, das von einem aus heutiger Sicht absurd anmutenden ionischen Säulengang umlaufen wird.
Ameisen und Zwerge
Fotografie hat den Architekten auch immer wieder zu Forschungszwecken gedient. Prominenteste Beispiele sind die Case Study Houses, wo die Bilder des Fotografen Julius Shulman in der Architekturzeitschrift «Arts and Architecture» etwa mit experimentellen Bauten von Pierre Koenig eine eigenwillige Symbiose eingegangen sind. Das Forschungsprojekt «Learning from Las Vegas» von Robert Venturi und Denise Scott-Brown wäre ohne Fotokamera ebenfalls undenkbar gewesen: Die Bilder vom Strip, der Hauptstrasse der amerikanischen Wüstenstadt, haben den Architekturdiskurs in den siebziger Jahren grundlegend verändert. Der Forschung zurechnen könnte man auch die Typologien von Bernd und Hilla Becher, die durch ihre hypersachliche Darstellung von Bauten wie Arbeiterhäuschen, Wassertürmen, Gasspeichern oder Kohlezechen eine eigene Schule begründet haben.
Auf Schritt und Tritt begegnet man in der Winterthurer Ausstellung Becher-Schülern in den unterschiedlichsten Kontexten. So etwa Andreas Gursky mit der Bildikone «Hong Kong Shanghai Bank»: In der Abteilung «Macht, Abgrenzung Sicherheit» zeigt er einen Wolkenkratzer, in dem die Banker wie Ameisen ihren undurchschaubaren Geschäften nachgehen. Das Pathetische dieser Aufnahme wird gespiegelt in einem Bild von der Kathedrale in Reims, womit auch gleich etwas über die Verschiebung der Machtverhältnisse seit dem 15. Jahrhundert gesagt wäre. In einem Bild von Felix H. Man wiederum erscheint Mussolini in seinem monumentalen Arbeitszimmer wie ein Zwerg: Im Cheminée hätte locker ein Fiat Topolino Platz gefunden. Kein Vergleich mit dem Landtag in Hannover, dessen Räume Heinrich Heidersberger wie eine James-Bond-Lounge der sechziger Jahre zeigt.
Wenn Architektur sich ballt, entsteht Stadt. Das kann auch irgendwo in der Pampa passieren: Das erste Bild in der Abteilung «Siedlungen, Transiträume, Metropolen» ist ein indonesisches Pfahlbauerdorf aus dem Jahr 1870. Diese Fotografie steht in reizvollem Kontrast zu den Flugbildern Balthasar Burkhards von Mexiko-Stadt und Los Angeles oder zu Gabriele Basilicos trostlosen Häuserschluchten von Buenos Aires.
Reverenz an Winterthur
Wie um zu zeigen, dass man eine Ausstellung zur Architekturfotografie auch komplett anders konzipieren könnte, beginnt das Kuratorenteam mitten in der Schau quasi von vorn: In einzelnen architektonischen Mikrokosmen wie Berlin, Chandigarh, Paris, New York, Venedig, Zürich oder Winterthur begegnen uns die bereits abgehandelten Themen von neuem – nur anders gegliedert.
Dass sich das Fotomuseum auch mit dem kleinen Winterthur beschäftigt, mag dem Wunsch nach einer Reverenz an die Heimatstadt des Museums entsprungen sein. Indes: Der einstige Industriestandort ist nicht der uninteressanteste Fall: Die monumentalen Sulzer-Werkhallen und das brutalistische Hallenbad Deutweg stehen im prekären Kontrast zu den Bildern aus jüngster Zeit. Die Triumphe der einst stolzen Maschinenstadt sind auf den Fotografien von Christian Schwager einer kleinkarierten Fussgängerzonen-Traurigkeit gewichen. Architekturfotografie kann nicht immer heroisch sein. Geschweige denn erotisch.
Bilder-Tsunami
Mit den Bildern vom Raum verhält es sich ähnlich wie mit den Bildern vom Körper: Wie reduziert man einen räumlichen Eindruck, eine architektonische Stimmung auf zwei Dimensionen? Wie wird Raumwirkung wiedergegeben? Das Fotomuseum Winterthur, das sich nunmehr seit zwei Jahrzehnten mit Fragen der künstlerischen Fotografie beschäftigt, hat die Architekturfotografie zum Gegenstand seiner Jubiläumsausstellung auserkoren. Dies mit gutem Grund: Die Architektur sei seit Louis Daguerre und Eugène Atget bevorzugter Gegenstand der Fotografie gewesen, hält Lorenzo Rocha in seinem Katalogessay zum Verhältnis von Architektur und Fotografie fest. Selbst wenn man nur eine Art Best-of des Genres aus 170 Jahren zeigen will, ist die Auswahl uferlos.
Entsprechend gewaltig ist der Bilder-Tsunami, mit dem der Kurator Thomas Seelig die Betrachter überspült. Sämtliche Ausstellungsräume des Fotomuseums, inklusive der Sammlungslokalitäten, sind der Schau unter dem Titel «Concrete – Fotografie und Architektur» gewidmet. Der englische Ausstellungstitel bietet sich an, weil in dieser Sprache das Wort ausser für «konkret» auch für «Beton» steht – ein sinnstiftendes Bedeutungsfeld für eine Ausstellung mit Architekturbildern. Auch wenn längst nicht alle gezeigten Gebäude in Beton gegossen (ja einige nicht einmal real gebaut) sind, konkret sind sie geworden durch die Fotografie.
Manche Exponate erscheinen so abstrakt, dass man sie als «konkret» im kunsthistorischen Sinn von «ungegenständlich» bezeichnen könnte. Etwa die Bilderlawine von Rem Koolhaas, der eine XL-Diaschau mit dreieinhalb Millionen Architekturfotos innert Minuten im rasenden Stakkato an uns vorüberziehen lässt. Oder das Bild von Lucien Hervé, das zwar einen Ausschnitt von Le Corbusiers Haute Cour in Chandigarh zeigt, gleichzeitig aber eine konkrete Komposition darstellt. Das Spiel von grellem Licht und harten Schatten ist nicht nur ein Spitzenwerk der fotografischen Gestaltung, sondern erklärt gleichzeitig das kompositorische Genie des Baumeisters: Concrete konkret.
Pyramiden und Bally-Reklame
Die ordnende Hand des Kurators hat mehr oder weniger willkürliche Kapitel zusammengestellt, um das ausufernde Thema einigermassen in eine konsumierbare Ordnung zu bringen. Vor allem der Dokumentation verpflichtet ist die Fotografie im Kapitel «Aufbau, Verfall, Zerstörung», wo wir sowohl auf die Pyramiden von Dahschur stossen, die Francis Frith 1858 fotografierte, als auch auf die Ruinen des Tuilerien-Palastes 1871 oder den Einsturz der New Yorker Twin Towers 2001.
Etwas komplexer wird es im Kapitel «Modell, Simulation, Architektur auf Zeit»: Hier finden wir etwa Bilder der legendären Bally-Kampagne aus den späten siebziger Jahren, in der Jost Wildbolz Schuhe in der futuristischen Architekturlandschaft von Brasilia inszeniert. Oder Jacques Tatis Figur des armen Oncle, der 1958 mit den Tücken der Architekturmoderne kämpft. Die Villa weist übrigens verblüffende Ähnlichkeit mit dem Haus des Zürchers Albert Frey aus dem Jahr 1953 in Palm Springs auf, das in der Ausstellung ebenfalls nicht fehlen darf. Wir stossen auf gebaute Simulationen wie die Bilder von der Pariser Weltausstellung von 1900. Ein im wörtlichen Sinne schwindelerregendes Spiel mit der eigenen Wahrnehmung wiederum treibt Nils Nova, wenn er auf einer Fototapete exakt jenen Raum spiegelt, in dem der Betrachter steht. Eine weitere Form von Simulation präsentiert Candida Höfer mit dem Bild eines Tiger-Geheges, das von einem aus heutiger Sicht absurd anmutenden ionischen Säulengang umlaufen wird.
Ameisen und Zwerge
Fotografie hat den Architekten auch immer wieder zu Forschungszwecken gedient. Prominenteste Beispiele sind die Case Study Houses, wo die Bilder des Fotografen Julius Shulman in der Architekturzeitschrift «Arts and Architecture» etwa mit experimentellen Bauten von Pierre Koenig eine eigenwillige Symbiose eingegangen sind. Das Forschungsprojekt «Learning from Las Vegas» von Robert Venturi und Denise Scott-Brown wäre ohne Fotokamera ebenfalls undenkbar gewesen: Die Bilder vom Strip, der Hauptstrasse der amerikanischen Wüstenstadt, haben den Architekturdiskurs in den siebziger Jahren grundlegend verändert. Der Forschung zurechnen könnte man auch die Typologien von Bernd und Hilla Becher, die durch ihre hypersachliche Darstellung von Bauten wie Arbeiterhäuschen, Wassertürmen, Gasspeichern oder Kohlezechen eine eigene Schule begründet haben.
Auf Schritt und Tritt begegnet man in der Winterthurer Ausstellung Becher-Schülern in den unterschiedlichsten Kontexten. So etwa Andreas Gursky mit der Bildikone «Hong Kong Shanghai Bank»: In der Abteilung «Macht, Abgrenzung Sicherheit» zeigt er einen Wolkenkratzer, in dem die Banker wie Ameisen ihren undurchschaubaren Geschäften nachgehen. Das Pathetische dieser Aufnahme wird gespiegelt in einem Bild von der Kathedrale in Reims, womit auch gleich etwas über die Verschiebung der Machtverhältnisse seit dem 15. Jahrhundert gesagt wäre. In einem Bild von Felix H. Man wiederum erscheint Mussolini in seinem monumentalen Arbeitszimmer wie ein Zwerg: Im Cheminée hätte locker ein Fiat Topolino Platz gefunden. Kein Vergleich mit dem Landtag in Hannover, dessen Räume Heinrich Heidersberger wie eine James-Bond-Lounge der sechziger Jahre zeigt.
Wenn Architektur sich ballt, entsteht Stadt. Das kann auch irgendwo in der Pampa passieren: Das erste Bild in der Abteilung «Siedlungen, Transiträume, Metropolen» ist ein indonesisches Pfahlbauerdorf aus dem Jahr 1870. Diese Fotografie steht in reizvollem Kontrast zu den Flugbildern Balthasar Burkhards von Mexiko-Stadt und Los Angeles oder zu Gabriele Basilicos trostlosen Häuserschluchten von Buenos Aires.
Reverenz an Winterthur
Wie um zu zeigen, dass man eine Ausstellung zur Architekturfotografie auch komplett anders konzipieren könnte, beginnt das Kuratorenteam mitten in der Schau quasi von vorn: In einzelnen architektonischen Mikrokosmen wie Berlin, Chandigarh, Paris, New York, Venedig, Zürich oder Winterthur begegnen uns die bereits abgehandelten Themen von neuem – nur anders gegliedert.
Dass sich das Fotomuseum auch mit dem kleinen Winterthur beschäftigt, mag dem Wunsch nach einer Reverenz an die Heimatstadt des Museums entsprungen sein. Indes: Der einstige Industriestandort ist nicht der uninteressanteste Fall: Die monumentalen Sulzer-Werkhallen und das brutalistische Hallenbad Deutweg stehen im prekären Kontrast zu den Bildern aus jüngster Zeit. Die Triumphe der einst stolzen Maschinenstadt sind auf den Fotografien von Christian Schwager einer kleinkarierten Fussgängerzonen-Traurigkeit gewichen. Architekturfotografie kann nicht immer heroisch sein. Geschweige denn erotisch.
[ Winterthur, Fotomuseum, bis 20. Mai. Publikation: Concrete – Fotografie und Architektur. Hg. von Daniela Janser, Thomas Seelig und Urs Stahel. Deutsch und Englisch, etwa 400 S., 200 Abb. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2013, Fr. 69.– (€ 58.–). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom