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Am Ende die Einsamkeit
Der Standard

Die Architektin Julia Schulz-Dornburg hat Ruinen der geplatzten iberischen Immobilienblase fotografiert - Ihre Dokumente werden zurzeit in Berlin und Madrid ausgestellt

16. April 2013 - Jan Marot
Ein „unvergleichbarer Meerblick“ sollte 12.000 Neoeigenheimbesitzer ins Golden Sun Beach and Golf Resort bei Pulpi unweit des südspanischen Almeria locken. Der Puerta de Horche Residencial Complex (Guadalajara) hätte Wohnraum für 3500 Menschen vor den Toren der gleichnamigen 2400-Seelen-Gemeinde bieten sollen. Doch die Träume zerschellten an der Wirklichkeit. Die Bauten stehen, ebenso wie 326 Einfamilienhäuser im Calatrava Tourist and Leisure Complex in La Mancha leer - dort, wo Don Quichotte die Windmühlen zu besiegen suchte. Selbst Luxus-Chalets an der Costa del Sol, die für 640 Sonnenhungrige gedacht waren, wurden halbfertig ihrem Verfall preisgegeben.

Für ihre Ausstellung Moderne Ruinen - Eine Topografie der Bereicherung fotografierte die in Barcelona lebende deutsche Architektin Julia Schulz-Dornburg Spaniens Bauruinen der Immobilienkrise. Die 51-jährige gebürtige Münchnerin präsentiert die Dokumente derzeit im Museum der Fundación ICO Madrid und im Berliner Architekturforum Aedes.

Die Idee dazu kam ihr, als sie auf das Projekt Gran Escala stieß. Unweit von Saragossa war eine Art Las Vegas mit 32 Kasinos, das zwei Millionen Besucher jährlich anziehen sollte, geplant. „Ich dachte, das kann nicht wahr sein. Dass irgendjemand wirklich daran glaubt, ein solches Projekt könne überhaupt funktionieren“, sagt Schulz-Dornburg.

Drei Jahre arbeitete sie an ihrer Chronik des Niedergangs. Fast 10.000 Kilometer legte sie auf Recherchereisen zurück, nahm hundert Projekte in Lokalaugenschein, dokumentierte zahllose dekadente Auswüchse eines an Fanatismus grenzenden Wachstumswahns - und legte mit ihren Fotografien eine mitunter verstörend romantische Schönheit frei, wenn die Natur symbiotisch zur Reconquista der Ruinen schreitet.

Werbevideos und -broschüren der Immobilienfirmen, deren Slogans, Pläne und topografische Analysen „veranschaulichen eine Zukunft, die das Unbeschreibliche beschreibt“, sagt Schulz-Dornburg: „Ich konnte nicht glauben, dass ein auf purer Fiktion basierendes Fantasieprogramm genügt, um alle - Politiker, Anleger, Architekten, Stadtplaner, Rechtsanwälte, die Leute im Dorf - zu erfassen.“
Iberisches Immobilienwunder

Längst waren nicht nur küstennahe Landstriche betroffen. Auch das Hinterland fiel dem Hype um das „iberische Immobilienwunder“ zum Opfer. Zwischen 2000 und 2005 wurden drei Hektar pro Stunde verbaut: Das sind zirka fünf Fußballfelder. Heute haben Locationscouts, die nach Schauplätzen für Endzeitdramen suchen, die Qual der Wahl: Häuser, die nie bewohnt wurden, Flughäfen, auf denen niemals ein Flugzeug landen wird, unbefahrene Autobahnen, menschenleere Hochgeschwindigkeitszüge, verwilderte Golfplätze.

Die Ästhetikkomponenten der Krisen sind vielfältig; und nicht erst seit dem Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher ist bekannt, dass Ruinen der Moderne verzaubern.
Pränatale Ruinen

„Verfall hat immer etwas Verführerisches“, sagt Schulz-Dornburg. Etwas, das noch nicht fertig oder kaputt ist, könne man in seiner Fantasie ergänzen. "In meinem Fall sind diese Ruinen - anders als bei den Industrieruinen der Bechers - niemals eingeweiht worden. Es sind „ pränatale Ruinen“. Bevor etwas stattgefunden hat, ist schon alles kaputt."

Symbole für zwei eng aneinandergekoppelte und wohl seit Urzeiten angeborene menschliche Schwächen: die des Glaubens an die Unbesiegbarkeit des Menschen im Wettstreit mit der Natur; und die Gabe der Selbsttäuschung - bis zum Untergang. „Das Wachstum als Grundlage zur Erhaltung unsere Wohlstands oder als eine Art Philosophie hat sich ad absurdum geführt“, sagt Schulz-Dornburg. „So geht es nicht weiter.“

Bis 9. 5. im Architekturforum Aedes/Berlin; bis 9. 6. in der Fundación ICO/Madrid

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