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Das andere Lignano
Spectrum

Hausmeisterstrand? Von wegen! Eigentlich müsste die Gartenstadt an der Lagune schon lange ein bevorzugtes Urlaubsziel architekturaffiner Reisender sein, denn: Lignano kann viel mehr.

22. Juni 2013 - Iris Meder
Die touristische Geschichte Lignanos begann vor 110 Jahren mit der im April 1903 eröffneten ersten Meerbadeanstalt im damals nur per Dampfschiff erreichbaren Ortsteil Lignano Sabbiadoro. Anders als Grado nicht Teil Österreich-Ungarns, war Lignano vor allem ein Bad der Italiener. Die infrastrukturelle Zukunft wurde in der Zeit des Faschismus mit der Trockenlegung der Sümpfe vor der Lagune von Marano gesichert.
Vor 60 Jahren, im Jahr 1953, beauftragte man schließlich den 1921 geborenen Udineser Architekten und Urbanisten Marcello d'Olivo mit der Planung einer neuen Gartenstadt für Touristen und Sommerfrischler westlich von Sabbiadoro. D'Olivo liebte nicht nur seine Architekturgötter Frank Lloyd Wright und Le Corbusier, sondern auch Kreisbögen und Sinuskurven. Er hatte eine Leidenschaft für Mathematik, Quantenphysik und Relativitätstheorie – und für die achteckige Renaissance-Planstadt Palmanova bei Udine. Als nun unweit von Palmanova eine neue Sommersiedlung aus dem Sandboden einer pinienbewaldeten Landzunge gestampft werden sollte, setzte d'Olivo den Horizontalen des Meeres und des goldockerfarbenen Sandstrandes und den Vertikalen der Schwarzkiefernstämme einen urbanistischen Plan entgegen, der auf einer regelmäßigen Spirale basierte – mit der Piazza Rosa dei Venti, dem „Platz der Windrose“, als Zentrum.

Die Straßen heißen hier nicht Via und Strada, sondern Arco – Bogen (die konzentrischen) – und Raggio – Strahl (die leicht gebogenen radialen). Es gibt auch die eine oder andere gerade Straße in Lignano Pineta, etwa so, wie es in Manhattan auch die eine oder andere krumme gibt. Zum Beispiel den Viale dei Fiori, mit einem von Hortensien gesäumten Fußweg in der Mitte zwischen den Fahrspuren. Und es gibt eine elegant geschwungene Schneise, die vom Platz der Windrose zum Meer führt. Hier sah d'Olivo eine Konzentration von Einzelhandel und Gastronomie im Erdgeschoß und Apartments im Obergeschoß vor, rechts und links breite Gehsteige mit Schanigärten, seitlich Fahrbahnen für Autos. Das nur „Il treno“, der Zug, genannte Geschäftszentrum wurde seit seiner Errichtung kaum verändert und funktioniert nach wie vor als Corso und Flaniermeile, inklusive der von d'Olivo entworfenen gebogenen Beton-Straßenlampen.
Außerhalb von Zug und Windrose prägen Lignano Pineta Bungalows und Apartmenthäuser, dazwischen ein paar Hochhäuser. Die namensgebenden Pinien überragen die Waldsiedlung. Klugerweise trennte d'Olivo die bebaute Zone durch einen Waldstreifen von der Strandpromenade. In jenen Teilen, die als Park angelegt sind, kam seine Zuneigung zu Sinuskurven in der geschwungenen Wegeführung zum Tragen.

An vorderster Front Richtung Meer entstanden ab 1954 die ersten und gleichzeitig die prestigeträchtigsten Ferienhäuser der Siedlung, davon mehrere nach d'Olivos Entwurf. Die beiden spektakulärsten stehen nebeneinander: Die seinerzeit in zahlreichen Architekturzeitschriften publizierte Casa Spezzotti ist eine im Grundriss schwer durchschaubare Komposition aus konkaven und konvexen Kreisbögen. Der Eingang liegt in einem trichterartigen Einzug im Sockelgeschoß, eine geschwungene Rampe führt außen am Haus entlang zum Wohngeschoß. Als Donut gibt sich die Casa Mainardis – der Zugang erfolgt hier über eine schneckenförmige Treppe im offenen Zentrum des ringförmigen Hauses und weiter auf die Dachterrasse.

Es war die große mondäne Zeit Lignanos. Ein Foto zeigt d'Olivo zusammen mit Ernest Hemingway, dem er vor Ort seinen Entwurf erläutert. Abends traf man sich in der (noch existierenden) „Hollywood Bar“ im „Treno“ oder ein Stück die Straße hinauf im Dancing „Il Fungo“ (Der Pilz), das, ebenfalls von Marcello d'Olivo entworfen, eine – richtig geraten: runde Dachterrasse hatte. Man saß auf pilzförmigen Hockern, wenn man nicht zur Musik der Livebands tanzte. Abendgarderobe war Pflicht. Vom „Fungo“ ist heute nur noch der Schriftzug in der Mauerbrüstung an der Straßenecke geblieben, an seiner Stelle steht ein neues Apartmenthaus.

Marcello d'Olivo plante in der Folge viel für Afrika und den Nahen Osten, für Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Kongo, Zaire, Sierra Leone, Algerien, Jordanien und Libyen und legte sich dafür auch mit den Diktatoren seiner Zeit ins Bett. Dabei wurde nicht gekleckert: Nach d'Olivos Entwurf entstand im Auftrag von Saddam Hussein ab 1978 das Denkmal des unbekannten Soldaten in Bagdad, auf einem – eh klar – kreisrunden Sockel von 13 Meter Höhe, mit einem Durchmesser von 260 Meter, in der Mitte eine gigantische freitragende Kuppelschale.
Daneben widmete sich d'Olivo verstärkt einer weiteren Leidenschaft, der Malerei. Er war befreundet mit Giorgio de Chirico, Orson Welles, Pier Paolo Pasolini, Luchino Visconti, Giulio Carlo Argan und dem Publizisten, Dichter und Ingenieur Leonardo Sinisgalli, dessen Sommerhaus eine von d'Olivos ersten Bauten in Lignano Pineta war. Schließlich besann er sich wieder auf sein ursprüngliches Konzept: 1986 publizierte er den Plan einer „Ecotown“ bei Padua, in der Mensch, Architektur und Natur in Harmonie existieren sollten. Die gebaute Grundlage des nicht realisierten Entwurfs ist nach wie vor in Lignano Pineta zu sehen. Der Platz, an dem „der Zug“ das Meer erreicht, ist seit einigen Jahren nach seinem Schöpfer benannt: Piazza Marcello d'Olivo.

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