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Neu in der Burg
Neigung zum Unspektakulären: Das Kunstmuseum ist das einzige Museum in Ravensburg, das nicht von einem mittelalterlichen Gebäude beherbergt wird. Der Neubau erfolgte in Passivhaus-Bauweise – wofür es den Deutschen Architekturpreis 2013 gab.
27. Juli 2013 - Iris Meder
Die Lage am Kreuzungspunkt zweier Handelsstraßen war ideal. Im 15. Jahrhundert erlebte die im Hinterland des Bodensees gelegene oberschwäbische Stadt Ravensburg ihre größte Blüte. Die Epoche des Spätmittelalters mit mächtigen Fachwerkhäusern, Stadttürmen und Klosterkirchen prägt noch heute ihr Erscheinungsbild. Ende des 19. Jahrhunderts gönnte sich die kunstsinnige Bürgerschaft ein Konzerthaus nach Entwürfen der Wiener Theaterarchitekten Fellner & Helmer. Das neueste architektonische Highlight in der historischen Reichsstadt ist das jüngst eröffnete Kunstmuseum, das das „Museumsviertel“ im historischen Zentrum komplettiert. In den vier Museen bildet sich, auf hohem gestalterischem und konzeptionellem Niveau, nicht zuletzt der legendäre Erfinder- und Unternehmensgeist der Alemannen ab: Während das „Humpis-Quartier“ in sieben historischen Gebäuden das Leben in der Stadt seit dem Mittelalter thematisiert, setzt sich das Wirtschaftsmuseum unter anderem mit der Geschichte der lokalen Leinen- und Papierindustrie auseinander. Das „Museum Ravensburger“ widmet sich dem traditionsreichen Spiele- und Jugendbuchverlag, der den Namen der Stadt in zahllose Kinderzimmer gebracht hat.
Als einziges Ravensburger Museum ist das Kunstmuseum nicht in einem mittelalterlichen Gebäude, sondern in einem Neubau untergebracht, direkt neben dem Museum Ravensburger und auf dem Gelände einer ehemaligen Produktionsstätte des Verlages. Basis ist die Sammlung des in der Tschechoslowakei geborenen Ravensburger Werbeberaters Peter Selinka und seiner Frau Gudrun. Nun ist es so, dass auch das Sammeln hochkarätiger moderner und zeitgenössischer Kunst in Baden-Württemberg durchaus gute Tradition ist – öffentlich zugängliche Sammlungen wie die des Schraubenfabrikanten Würth in Künzelsau und Schwäbisch Hall, des Neurologen Ottomar Domnick in Nürtingen, der Schokoladeproduzenten Ritter in Waldenbuch und der Zeitschalttechnik-Hersteller Grässlin in St. Georgen im Schwarzwald zeugen vom Niveau baden-württembergischer privater Kunstsammlungen ebenso wie die Sammlung des von Richard Meier geplanten Museums Frieder Burda in Baden-Baden.
Die in eine Stiftung eingebrachte und der Stadt Ravensburg als Dauerleihgabe überlassene Sammlung der Selinkas umfasst in erster Linie Arbeiten des deutschen Expressionismus von Künstlern und Künstlerinnen der Brücke und des Blauen Reiters sowie der Nachkriegsgruppierungen CoBrA und Spur. Bei der Planung des Museumsneubaus musste sich das renommierte Stuttgarter Architekturbüros Lederer + Ragnarsdóttir + Oei (Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir, Marc Oei) auf einem kleinen Grundstück einrichten, dessen Eingangsseite in einer schmalen Gasse am Rand des Stadtzentrums liegt. Zunächst einmal gibt sich der Bau burgartig geschlossen. Die von schießschartenartigen Luken durchbrochene Straßenfront mit halbrundem Zinnenkranz und Wasserspeiern an der Dachtraufe prägt eine Sichtziegelverkleidung. Gemäß dem kontextorientierten Credo des Büros „Erst kommt die Stadt, dann das Haus“ wurden gebrauchte Ziegel von einem abgerissenen belgischen Kloster verwendet. Die Fassade erhält so eine lebendige Anmutung des gewachsen Wirkenden.
Den Eingang ins Museum legten die Planer in einen intimen Vorhof, der mit dem Gartencafé des benachbarten Ravensburger-Museums über eine (leider verschlossene) Gittertür zumindest optisch verbunden ist. Gegen die vorbeiführende enge Straße grenzt den Hof eine Wand aus schmalen Glaslamellen ab, die, als Antithese zur massiven Ziegelmauer und dem oxidierten Kupfer des Eingangsbereichs, zarte Lichtreflexionen auf dem gepflasterten Boden und der umlaufenden betonierten Sitzbank schafft. Im Inneren sieht die Konzeption jeweils einen schlichten lang gestreckten rechteckigen Ausstellungsraum in Erdgeschoß sowie erstem und zweitem Obergeschoß vor, erschlossen durch ein straßenseitiges Treppenhaus, das über Oberlichtkuppeln und die schmalen Fassadenfenster natürliches Licht erhält.
Staunen macht vor allem der Wechselausstellungsraum im obersten Geschoß. Hier versteht man die runden Zinnen der Fassade, die motivisch an die Stufengiebel oberschwäbischer Stadttore und Kirchtürme erinnern. Sie bilden am Außenbau die schräg versetzten Ziegel-Tonnengewölbe des Ausstellungsraumes ab, die mit einer effektvollen Beleuchtung adäquat inszeniert werden. Eine ähnliche Decke, allerdings nicht im Grundriss, sondern im Aufriss schräg verschwenkt, realisierte Friedrich Kurrent vor einigen Jahren in seinem Maria-Biljan-Bilger-Museum in Sommerein am Leithagebirge nach dem Vorbild von Antoni Gaudís Bauhütte der Kirche Sagrada Familia in Barcelona. Hier wie dort steht dahinter eine Haltung des „Nicht mehr als nötig“, eine Neigung zum Unspektakulären, Unaufgeregten, das Respektieren historischer und topografischer Kontexte, umgesetzt in die warme, haptische Materialität der Kombination von Beton, Ziegeln, Glas und Metall.
Ganz nebenbei ist das Ravensburger Museum auch das weltweit erste in Passivhaus-Bauweise zertifizierte Museumsgebäude. Bereits kurz nach seiner Eröffnung wurde der Bau, der von einer Errichtergesellschaft erstellt und von der Stadt Ravensburg rückgemietet wurde, mit dem Deutschen Architekturpreis 2013 ausgezeichnet. Herzliche Glückwünsche nach Stuttgart und Ravensburg.
Als einziges Ravensburger Museum ist das Kunstmuseum nicht in einem mittelalterlichen Gebäude, sondern in einem Neubau untergebracht, direkt neben dem Museum Ravensburger und auf dem Gelände einer ehemaligen Produktionsstätte des Verlages. Basis ist die Sammlung des in der Tschechoslowakei geborenen Ravensburger Werbeberaters Peter Selinka und seiner Frau Gudrun. Nun ist es so, dass auch das Sammeln hochkarätiger moderner und zeitgenössischer Kunst in Baden-Württemberg durchaus gute Tradition ist – öffentlich zugängliche Sammlungen wie die des Schraubenfabrikanten Würth in Künzelsau und Schwäbisch Hall, des Neurologen Ottomar Domnick in Nürtingen, der Schokoladeproduzenten Ritter in Waldenbuch und der Zeitschalttechnik-Hersteller Grässlin in St. Georgen im Schwarzwald zeugen vom Niveau baden-württembergischer privater Kunstsammlungen ebenso wie die Sammlung des von Richard Meier geplanten Museums Frieder Burda in Baden-Baden.
Die in eine Stiftung eingebrachte und der Stadt Ravensburg als Dauerleihgabe überlassene Sammlung der Selinkas umfasst in erster Linie Arbeiten des deutschen Expressionismus von Künstlern und Künstlerinnen der Brücke und des Blauen Reiters sowie der Nachkriegsgruppierungen CoBrA und Spur. Bei der Planung des Museumsneubaus musste sich das renommierte Stuttgarter Architekturbüros Lederer + Ragnarsdóttir + Oei (Arno Lederer, Jórunn Ragnarsdóttir, Marc Oei) auf einem kleinen Grundstück einrichten, dessen Eingangsseite in einer schmalen Gasse am Rand des Stadtzentrums liegt. Zunächst einmal gibt sich der Bau burgartig geschlossen. Die von schießschartenartigen Luken durchbrochene Straßenfront mit halbrundem Zinnenkranz und Wasserspeiern an der Dachtraufe prägt eine Sichtziegelverkleidung. Gemäß dem kontextorientierten Credo des Büros „Erst kommt die Stadt, dann das Haus“ wurden gebrauchte Ziegel von einem abgerissenen belgischen Kloster verwendet. Die Fassade erhält so eine lebendige Anmutung des gewachsen Wirkenden.
Den Eingang ins Museum legten die Planer in einen intimen Vorhof, der mit dem Gartencafé des benachbarten Ravensburger-Museums über eine (leider verschlossene) Gittertür zumindest optisch verbunden ist. Gegen die vorbeiführende enge Straße grenzt den Hof eine Wand aus schmalen Glaslamellen ab, die, als Antithese zur massiven Ziegelmauer und dem oxidierten Kupfer des Eingangsbereichs, zarte Lichtreflexionen auf dem gepflasterten Boden und der umlaufenden betonierten Sitzbank schafft. Im Inneren sieht die Konzeption jeweils einen schlichten lang gestreckten rechteckigen Ausstellungsraum in Erdgeschoß sowie erstem und zweitem Obergeschoß vor, erschlossen durch ein straßenseitiges Treppenhaus, das über Oberlichtkuppeln und die schmalen Fassadenfenster natürliches Licht erhält.
Staunen macht vor allem der Wechselausstellungsraum im obersten Geschoß. Hier versteht man die runden Zinnen der Fassade, die motivisch an die Stufengiebel oberschwäbischer Stadttore und Kirchtürme erinnern. Sie bilden am Außenbau die schräg versetzten Ziegel-Tonnengewölbe des Ausstellungsraumes ab, die mit einer effektvollen Beleuchtung adäquat inszeniert werden. Eine ähnliche Decke, allerdings nicht im Grundriss, sondern im Aufriss schräg verschwenkt, realisierte Friedrich Kurrent vor einigen Jahren in seinem Maria-Biljan-Bilger-Museum in Sommerein am Leithagebirge nach dem Vorbild von Antoni Gaudís Bauhütte der Kirche Sagrada Familia in Barcelona. Hier wie dort steht dahinter eine Haltung des „Nicht mehr als nötig“, eine Neigung zum Unspektakulären, Unaufgeregten, das Respektieren historischer und topografischer Kontexte, umgesetzt in die warme, haptische Materialität der Kombination von Beton, Ziegeln, Glas und Metall.
Ganz nebenbei ist das Ravensburger Museum auch das weltweit erste in Passivhaus-Bauweise zertifizierte Museumsgebäude. Bereits kurz nach seiner Eröffnung wurde der Bau, der von einer Errichtergesellschaft erstellt und von der Stadt Ravensburg rückgemietet wurde, mit dem Deutschen Architekturpreis 2013 ausgezeichnet. Herzliche Glückwünsche nach Stuttgart und Ravensburg.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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