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Apfelring und Daumenland
In Kalifornien beginnt demnächst der Bau zweier Megakomplexe: der Firmenzentralen von Apple und Facebook. Was die Architektur über die Firmenkultur sagt
9. November 2013 - Adrian Lobe
Sanft geböschte Wege, einstöckige Gebäude, begrünte Parkanlagen: Auf den ersten Blick wirkt das alles wie eine unscheinbare Kleinstadt. Doch was in Menlo Park City nach den Plänen von Stararchitekt Frank Gehry in den nächsten Jahren entstehen soll, ist keine Wohnsiedlung, sondern das neue Hauptquartier von Facebook. Die Fläche des Areals misst 420.000 Quadratmeter und ist wie eine Stadt in unterschiedliche Viertel aufgegliedert.
Die Büros sehen aus wie verwinkelte Schuhkartons, auf den Flachdächern sind Bäume gepflanzt, und die geschwungenen Treppenaufgänge führen wie bei einer Wasserrutsche von einer Etage auf die andere. Übergangslos gehen die Cluster ineinander über und verstärken auf diese Weise den Gemeinschaftssinn der Belegschaft, die bei Facebook natürlich mehr eine Art Community ist. Kein Wunder also, dass der Facebook-Bau einem großen, zusammenhängenden Netzwerk gleicht: ohne Trennwände, ohne Privatsphäre. Alles ist im Fluss auf diesem scheinbar sympathischen Campus.
Unfertiges als Ideal
Die Firmenzentrale von Zuckerbergs Reich soll das neue Zuhause für die Internet-Geeks werden - mit Sandstränden, Kindergärten und Halfpipes für die ewig jungen Skateboarder. Hier können sich die kreativen Köpfe austoben, Neues ausprobieren, sich spielerisch weiterentwickeln oder, wie es Frank Gehry ausdrückt: Das Unfertige werde zum Ideal erhoben. Er wolle Facebook ein „System in die Hand geben, das nicht vollkommen ist, aber das sie manipulieren können“, eine Art großer Werkzeugkasten also.
Und eigentlich handelt es sich beim neuen Headquarter weniger um ein Quartier als vielmehr um eine Landschaft. Von markanten Kurven ausgehend, erstreckt sich der Freiraum schnurgerade über den 22 Hektar großen West Campus und verbindet das gegenwärtige Zentrum mit einer Untergrundpassage unter der Bayfront. Unscheinbar fügen sich die Gebäude - die Wände sind nur leicht geböscht und nicht wild gekurvt wie sonst üblich bei diesem Architekten - in die Natur. Bei einer Höhe von zehn bis 20 Metern wirken die einzelnen Gebäude eher wie Hügel.
Natürlicher, künstlicher Raum
Experten bezeichnen die Architektursprache als Retro-Gehry. „Gehry wollte hier offenbar einen neuen Gebäudetypus erschaffen, den er noch nie zuvor realisiert hat“, schreibt etwa John King, Redakteur des San Francisco Chronicle. Imposante Wolkenkratzer wie etwa das Chrysler Building in New York City, die die Konzernmacht reflektieren, meint er, gehören der Vergangenheit an. Die Internetgiganten heutiger Tage verschmelzen Gebäude und Gelände zu einem neuen Topos, ganz so, also wolle man dem virtuellen, künstlichen Raum einen besonders natürlichen entgegensetzen.
Hewlett Packard und General Motors schufen schon in den 1960er-Jahren die sogenannte Corporate Landscape, die Unternehmenszentrale im Grünen. Die Landschaftsarchitektin Louise A. Mozingo, Professorin an der Universität Berkeley, hat dieses Phänomen in ihrem Buch „Pastoral Capitalism“ (Weidekapitalismus) beschrieben. Darin erklärt die Autorin, wie sich die urbane Struktur durch die unternehmerischen Parkanlagen veränderte. Vor allem an der Peripherie entwickeln die Metropolen demnach eine Art Corporate Campus. Ein Ersatz für längst verlorengegangene Öffentlichkeit?
Der von Mozingo begründete pastorale Kapitalismus resultiert idealerweise aus der Überschneidung dreier Kräfte: aus Unternehmensstruktur, Dezentralisierung amerikanischer Städte und Dominanz landschaftlicher Ästhetik. Roland Barthes sprach einmal vom „Übergang von der Geschichte zur Natur“: Bei Facebook wird das soziale Netzwerk als Teil des Ökosystems betrachtet. Und so löst sich der vermeintliche Widerspruch zwischen Gehry, dem Expressionisten, und Zuckerberg, dem Funktionalisten, langsam auf. Das Gebäude, kaum sichtbar, verschwindet in einer baumbestandenen Landschaft.
Headquarter mit Sneakers
„Facebooks Aversion gegen die Ausdruckskraft artikuliert das Hackerethos des Unternehmens, das die Funktionalität über die Form stellt“, schrieb unlängst das Magazin Wired. „Facebooks äußerst anonymes Gebäudedesign ist wie Zuckerbergs Kleidermarkenzeichen: grauer Pulli, Jeans und Sneakers. Ein anspruchsloser Mitläufer inmitten einer leistungsfähigen Firma.“ „Weak forms“, schwache Formen, nennt man das im Architekturjargon.
Apple, ein weiterer mächtiger Internetkonzern, wird sein neues Hauptquartier unweit der alten Firmenzentrale in Cupertino errichten. Eingebettet in ein weitläufiges Waldstück, soll nach Plänen des britischen Architekten Sir Norman Foster ein ringförmiger Campus, eine Art Donut für 13.000 Mitarbeiter entstehen. 6000 Bäume sollen den Blick auf die umliegenden Straßen verstellen. Der Komplex mutet wie ein gigantisches Raumschiff an. Die rigide Form des Kreises markiert die Unfehlbarkeit des Konzerns und macht deutlich: Apple herrscht absolut.
„Kein gerades Stück Glas“
Während der Planungsphase sagte Steve Jobs, der zu Lebzeiten akribisch bis in Details an den Entwürfen feilte, es gebe „kein gerades Stück Glas in dem ganzen Gebäude“. Alles ist rund, kurvig, geschwungen: Architektur aus einem Guss, glasgewordene Perfektion. Wie auch das iPhone, dessen glatte Oberfläche sich an den Nutzer anschmiegt, passt sich der Campus in seine Umgebung ein.
„Ich vermute, dass Steve Jobs die Idee einer unberührten, ursprünglichen Welt abseits der Firma liebte, eingehegt in eine halbnatürliche Umgebung“, schreibt Architekturkritiker John King. So gesehen sei das Hauptgebäude gar keine schwache Form, es sei eine ideale Form. „Denn was viele Beobachter verkennen: Die immense Parkgarage liegt entlang des Interstate-280-Freeways. Das ist eine ikonische Stromlinienform, die Apple der Welt durch eine horizontale Präsenz ankündigt.“
Macht geht in die Breite
Die vertikale Größe, die sich in den Wolkenkratzern manifestiert, weicht einer horizontalen Expansion: Facebook und Apple gehen in die Fläche, belagern das Territorium. Subtil, aber effektvoll. Darin steckt eine unverkennbare Symbolik. Big Data verdrängt die Subjektivität, usurpiert die Präferenzen - und kreiert einen digitalen Urzustand. IBM produzierte noch Dinge zum Anfassen. Microsoft stellte abstrakte Produkte her, die noch in Schachteln zu kaufen waren. Doch die Dienste von Facebook und iTunes kann man weder anfassen noch in Schachteln packen. Das ist, wenn man so will, die Entmaterialisierung von Angebot und Nachfrage.
Konsequent spiegelt sich dieser Trend in den neuen Hauptquartieren wider. Die Architektur 2.0 - eine Ästhetik des Verschwindens, ein Wegwischen der Identität - ist nicht mehr so richtig greifbar. Und das beeindruckt sichtlich auch die politischen Entscheidungsträger. Nachdem der Gehry-Entwurf für den Facebook-Sitz mit vier zu null Stimmen abgesegnet worden war, fragte Bürgermeister Peter Ohtaki: „Wo ist der Like-Button?“
Die Büros sehen aus wie verwinkelte Schuhkartons, auf den Flachdächern sind Bäume gepflanzt, und die geschwungenen Treppenaufgänge führen wie bei einer Wasserrutsche von einer Etage auf die andere. Übergangslos gehen die Cluster ineinander über und verstärken auf diese Weise den Gemeinschaftssinn der Belegschaft, die bei Facebook natürlich mehr eine Art Community ist. Kein Wunder also, dass der Facebook-Bau einem großen, zusammenhängenden Netzwerk gleicht: ohne Trennwände, ohne Privatsphäre. Alles ist im Fluss auf diesem scheinbar sympathischen Campus.
Unfertiges als Ideal
Die Firmenzentrale von Zuckerbergs Reich soll das neue Zuhause für die Internet-Geeks werden - mit Sandstränden, Kindergärten und Halfpipes für die ewig jungen Skateboarder. Hier können sich die kreativen Köpfe austoben, Neues ausprobieren, sich spielerisch weiterentwickeln oder, wie es Frank Gehry ausdrückt: Das Unfertige werde zum Ideal erhoben. Er wolle Facebook ein „System in die Hand geben, das nicht vollkommen ist, aber das sie manipulieren können“, eine Art großer Werkzeugkasten also.
Und eigentlich handelt es sich beim neuen Headquarter weniger um ein Quartier als vielmehr um eine Landschaft. Von markanten Kurven ausgehend, erstreckt sich der Freiraum schnurgerade über den 22 Hektar großen West Campus und verbindet das gegenwärtige Zentrum mit einer Untergrundpassage unter der Bayfront. Unscheinbar fügen sich die Gebäude - die Wände sind nur leicht geböscht und nicht wild gekurvt wie sonst üblich bei diesem Architekten - in die Natur. Bei einer Höhe von zehn bis 20 Metern wirken die einzelnen Gebäude eher wie Hügel.
Natürlicher, künstlicher Raum
Experten bezeichnen die Architektursprache als Retro-Gehry. „Gehry wollte hier offenbar einen neuen Gebäudetypus erschaffen, den er noch nie zuvor realisiert hat“, schreibt etwa John King, Redakteur des San Francisco Chronicle. Imposante Wolkenkratzer wie etwa das Chrysler Building in New York City, die die Konzernmacht reflektieren, meint er, gehören der Vergangenheit an. Die Internetgiganten heutiger Tage verschmelzen Gebäude und Gelände zu einem neuen Topos, ganz so, also wolle man dem virtuellen, künstlichen Raum einen besonders natürlichen entgegensetzen.
Hewlett Packard und General Motors schufen schon in den 1960er-Jahren die sogenannte Corporate Landscape, die Unternehmenszentrale im Grünen. Die Landschaftsarchitektin Louise A. Mozingo, Professorin an der Universität Berkeley, hat dieses Phänomen in ihrem Buch „Pastoral Capitalism“ (Weidekapitalismus) beschrieben. Darin erklärt die Autorin, wie sich die urbane Struktur durch die unternehmerischen Parkanlagen veränderte. Vor allem an der Peripherie entwickeln die Metropolen demnach eine Art Corporate Campus. Ein Ersatz für längst verlorengegangene Öffentlichkeit?
Der von Mozingo begründete pastorale Kapitalismus resultiert idealerweise aus der Überschneidung dreier Kräfte: aus Unternehmensstruktur, Dezentralisierung amerikanischer Städte und Dominanz landschaftlicher Ästhetik. Roland Barthes sprach einmal vom „Übergang von der Geschichte zur Natur“: Bei Facebook wird das soziale Netzwerk als Teil des Ökosystems betrachtet. Und so löst sich der vermeintliche Widerspruch zwischen Gehry, dem Expressionisten, und Zuckerberg, dem Funktionalisten, langsam auf. Das Gebäude, kaum sichtbar, verschwindet in einer baumbestandenen Landschaft.
Headquarter mit Sneakers
„Facebooks Aversion gegen die Ausdruckskraft artikuliert das Hackerethos des Unternehmens, das die Funktionalität über die Form stellt“, schrieb unlängst das Magazin Wired. „Facebooks äußerst anonymes Gebäudedesign ist wie Zuckerbergs Kleidermarkenzeichen: grauer Pulli, Jeans und Sneakers. Ein anspruchsloser Mitläufer inmitten einer leistungsfähigen Firma.“ „Weak forms“, schwache Formen, nennt man das im Architekturjargon.
Apple, ein weiterer mächtiger Internetkonzern, wird sein neues Hauptquartier unweit der alten Firmenzentrale in Cupertino errichten. Eingebettet in ein weitläufiges Waldstück, soll nach Plänen des britischen Architekten Sir Norman Foster ein ringförmiger Campus, eine Art Donut für 13.000 Mitarbeiter entstehen. 6000 Bäume sollen den Blick auf die umliegenden Straßen verstellen. Der Komplex mutet wie ein gigantisches Raumschiff an. Die rigide Form des Kreises markiert die Unfehlbarkeit des Konzerns und macht deutlich: Apple herrscht absolut.
„Kein gerades Stück Glas“
Während der Planungsphase sagte Steve Jobs, der zu Lebzeiten akribisch bis in Details an den Entwürfen feilte, es gebe „kein gerades Stück Glas in dem ganzen Gebäude“. Alles ist rund, kurvig, geschwungen: Architektur aus einem Guss, glasgewordene Perfektion. Wie auch das iPhone, dessen glatte Oberfläche sich an den Nutzer anschmiegt, passt sich der Campus in seine Umgebung ein.
„Ich vermute, dass Steve Jobs die Idee einer unberührten, ursprünglichen Welt abseits der Firma liebte, eingehegt in eine halbnatürliche Umgebung“, schreibt Architekturkritiker John King. So gesehen sei das Hauptgebäude gar keine schwache Form, es sei eine ideale Form. „Denn was viele Beobachter verkennen: Die immense Parkgarage liegt entlang des Interstate-280-Freeways. Das ist eine ikonische Stromlinienform, die Apple der Welt durch eine horizontale Präsenz ankündigt.“
Macht geht in die Breite
Die vertikale Größe, die sich in den Wolkenkratzern manifestiert, weicht einer horizontalen Expansion: Facebook und Apple gehen in die Fläche, belagern das Territorium. Subtil, aber effektvoll. Darin steckt eine unverkennbare Symbolik. Big Data verdrängt die Subjektivität, usurpiert die Präferenzen - und kreiert einen digitalen Urzustand. IBM produzierte noch Dinge zum Anfassen. Microsoft stellte abstrakte Produkte her, die noch in Schachteln zu kaufen waren. Doch die Dienste von Facebook und iTunes kann man weder anfassen noch in Schachteln packen. Das ist, wenn man so will, die Entmaterialisierung von Angebot und Nachfrage.
Konsequent spiegelt sich dieser Trend in den neuen Hauptquartieren wider. Die Architektur 2.0 - eine Ästhetik des Verschwindens, ein Wegwischen der Identität - ist nicht mehr so richtig greifbar. Und das beeindruckt sichtlich auch die politischen Entscheidungsträger. Nachdem der Gehry-Entwurf für den Facebook-Sitz mit vier zu null Stimmen abgesegnet worden war, fragte Bürgermeister Peter Ohtaki: „Wo ist der Like-Button?“
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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