Artikel
Vergessen und erinnert
Technischer Planer, Architekturtheoretiker, Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, Designer für Thonet in den USA, Professor am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University: zur Erinnerung an den Wiener Architekten Walter Sobotka, der vor 40 Jahren in New York starb.
19. April 2014 - Iris Meder
Dass Österreich arm sei an Vergessenen, kann man nicht wirklich behaupten. Ab und zu wird jemand wiederentdeckt, manche dagegen harren ihrer Wiederentdeckungen allerdings Jahr und Tag. Walter Sobotkas Ästhetik war jener der großen Neuerer der Wiener Moderne, Josef Frank und Oskar Strnad, wohl einfach zu nahe verwandt, auf den ersten Blick bis zur Ununterscheidbarkeit. 1888 wie Strnad und Frank im Umfeld des aufgeklärten Wiener jüdischen Bürgertums geboren, studierte Sobotka wie sie an der Wiener Technischen Hochschule Architektur.
Neben seiner planerischen Tätigkeit reflektierte er die Prinzipien seiner Tätigkeit auch in theoretischen Aufsätzen. „Das Möbel als Gerät“ waren sie überschrieben, „Familienwohnhaus – Mietwohnung“, „Der gute Gegenstand und die Wege zu seiner Verbilligung“, „Zur Entwicklung des Gebrauchsgegenstandes“ und „Organisationdes Wohnbetriebs“ – Themen, wie man sie ähnlich auch beim drei Jahre älteren Frank findet. Sogar Sobotkas Wohnung befand sich in Franks Nachbarhaus auf der Wiedner Hauptstraße. An der Arbeitsgemeinschaft von Frank, Strnad und Oskar Wlach warSobotka aber nur kurz beteiligt, als er 1925 in den ersten paar Monaten Teilhaber des von Frank und Wlach neu gegründeten Einrichtungsunternehmens „Haus und Garten“ war.
Im selben Jahr nahm Sobotka an der legendären Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes in Paris teil. 1927 richtete er eine Wohnung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung ein, in Wien waren seine Interieurs Teil der Werkbund-Ausstellung von 1930. ZweiJahre später wurde er Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, dessen Verkaufslokal im Grand Hotel am Kärntnerring er ausstattete. In der Wiener Werkbundsiedlung baute er zwei Hauseinheiten. Gelegentlich arbeitete Sobotka mit anderen Vertretern der Wiener Moderne wie Walter Loos, Jacques Groag, Hofmann/Augenfeld und Hans Vetter zusammen – ein smarter, erfolgreicher Architekt mit den besten Zukunftsaussichten. Ein zeitgenössischer Artikel erwähnt beeindruckt „schon das Äußere seiner Persönlichkeit, das den Mann von wählerischem Geschmack erkennen lässt“.
In seinem Architekturbüro plante Sobotka Bürogebäude, Gemeindebauten und Einfamilienhäuser, so beispielsweise die luxuriöse Villa des Chemikers Dr. Emmerich Granichstaedten, der ein Vermögen durch die Entwicklung eines patentierten Verfahrens zum Härten von Speisefetten bei der Margarineherstellung gemacht hatte. Die Villa im Döblinger Cottageviertel, heute Sitz des kanadischen Botschafters, ist ein in seiner Unbekümmertheit faszinierendes Konglomerat aus englischem Landhaus, Klassizismus, Chinoiserie, Moderne und Art Déco bis zum Surreal-Manierierten. Hinter den großen Fenstern entfaltet sich das klassische großbürgerliche Wohnraumprogramm mit Speisezimmer, Musikzimmer und Wohnhalle mit geräumigem Kaminplatz; die Treppenhalle reicht bis in den offenen Dachstuhl. Emmerich Granichstaedten, aktiver Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, emigrierte im Jahr 1938 nach England und überschrieb das Haus seiner Frau, die nach der Scheidung der Ehe in Wien blieb. Er selbst kehrte nie nach Wien zurück.
Nicht besser erging es dem aus Sachsen stammenden Strickwarenfabrikanten Otto Adam und seiner Frau Ella, die Sobotkas Schwägerin war. Ihr elegantes, weiß verputztes Flachdachhaus im mährischen Iglau, das vom Architekten zur Gänze im unprätentiösen Stil von Franks „Haus und Garten“ eingerichtet wurde, brachte Sobotka internationale Anerkennung.
Nach dem Tod Otto Adams führten die zwei älteren Söhne die Strickwarenfabrik Adam & Seidner weiter. Während des Krieges wurden beide unter dem Vorwand unrechtmäßiger Bewirtschaftung von Produktionsmitteln hingerichtet, das Haus bezog die Gestapo. Ella Adam überlebte das Ghetto Theresienstadt, in dem Otto Adams Kompagnon Louis Seidner ermordet wurde. Nach dem Krieg residierte im Haus die Staatssicherheit, dann ein Kindergarten, dann,nach einer unsensiblen Sanierung, die sozialdemokratische Partei und heute eine Firma für agrarische Infrastruktur. Der von Sobotka gemeinsam mit dem Haus entworfene Garten wurde zerstört.
Wie ein großer Teil der Auftraggeber emigrierten nach dem „Anschluss“ 1938 ebenfalls Sobotka und seine Frau, die Schauspielerin Gisela Schönau. Mit ihrer Tochter Ruth flohen sie nach New York, wo Sobotka Designer der amerikanischen Niederlassung von Thonet wurde. Auch als Architekt erhielt er Aufträge, so etwa den Umbau mehrerer Kinos der RKO-Kette. Wenige Jahre später folgte eine Professur am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University.
Mit Wien sollte Sobotka ebenso noch einmal zu tun haben: Im Zeitraum von 1950 bis 1954 entstand gemeinsam mit dem Architekten Percy A. Faber ein Bürohaus für die Veitscher Magnesitwerke am Schubertring 10–12. Das Gebäude, in dem später statt des ursprünglichen Espressodie deutsche Tourismuszentrale und statt der Magnesitwerke die Staatspolizei untergebracht waren, gab zuletzt, aufgrund des jahrelangen Leerstands, einen dankbaren Kandidaten für innerstädtische Schandfleck-Rubriken ab. Obgleich kein wirklich bedeutender Bau seiner Zeit, ist es allerdings im Gegensatz zu anderen, unterdessen abgebrochenen Wiener Bauten Sobotkas denkmalgeschützt. Derzeit wird es zu einem Hotel umgebaut.
Sobotkas 1925 geborene Tochter Ruth war in der Nachkriegszeit eine bedeutende Tänzerin und Choreografin im Ensemble von George Balanchine. 1955 wurde sie die zweite Ehefrau des aufstrebenden Fotografen und Jungregisseurs Stanley Kubrick, der wie sie Nachkomme österreichisch-jüdischer Emigranten war. Schon zwei Jahre darauf trennte sich das Paar. Nach Ruth Sobotkas frühem Tod im Jahr 1967 gab Walter Sobotka ein Buch über die künstlerische Tätigkeit seiner Tochter heraus. Das fotografische Werk Stanley Kubricks wird ab 8. Mai in einer Ausstellung in Wien präsentiert („Eyes Wide Open“ im Bank Austria Kunstforum). Am selben Tag wird es genau 40 Jahre her sein, dass der Wiener Architekt Walter Sobotka in New York starb.
Neben seiner planerischen Tätigkeit reflektierte er die Prinzipien seiner Tätigkeit auch in theoretischen Aufsätzen. „Das Möbel als Gerät“ waren sie überschrieben, „Familienwohnhaus – Mietwohnung“, „Der gute Gegenstand und die Wege zu seiner Verbilligung“, „Zur Entwicklung des Gebrauchsgegenstandes“ und „Organisationdes Wohnbetriebs“ – Themen, wie man sie ähnlich auch beim drei Jahre älteren Frank findet. Sogar Sobotkas Wohnung befand sich in Franks Nachbarhaus auf der Wiedner Hauptstraße. An der Arbeitsgemeinschaft von Frank, Strnad und Oskar Wlach warSobotka aber nur kurz beteiligt, als er 1925 in den ersten paar Monaten Teilhaber des von Frank und Wlach neu gegründeten Einrichtungsunternehmens „Haus und Garten“ war.
Im selben Jahr nahm Sobotka an der legendären Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes in Paris teil. 1927 richtete er eine Wohnung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung ein, in Wien waren seine Interieurs Teil der Werkbund-Ausstellung von 1930. ZweiJahre später wurde er Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds, dessen Verkaufslokal im Grand Hotel am Kärntnerring er ausstattete. In der Wiener Werkbundsiedlung baute er zwei Hauseinheiten. Gelegentlich arbeitete Sobotka mit anderen Vertretern der Wiener Moderne wie Walter Loos, Jacques Groag, Hofmann/Augenfeld und Hans Vetter zusammen – ein smarter, erfolgreicher Architekt mit den besten Zukunftsaussichten. Ein zeitgenössischer Artikel erwähnt beeindruckt „schon das Äußere seiner Persönlichkeit, das den Mann von wählerischem Geschmack erkennen lässt“.
In seinem Architekturbüro plante Sobotka Bürogebäude, Gemeindebauten und Einfamilienhäuser, so beispielsweise die luxuriöse Villa des Chemikers Dr. Emmerich Granichstaedten, der ein Vermögen durch die Entwicklung eines patentierten Verfahrens zum Härten von Speisefetten bei der Margarineherstellung gemacht hatte. Die Villa im Döblinger Cottageviertel, heute Sitz des kanadischen Botschafters, ist ein in seiner Unbekümmertheit faszinierendes Konglomerat aus englischem Landhaus, Klassizismus, Chinoiserie, Moderne und Art Déco bis zum Surreal-Manierierten. Hinter den großen Fenstern entfaltet sich das klassische großbürgerliche Wohnraumprogramm mit Speisezimmer, Musikzimmer und Wohnhalle mit geräumigem Kaminplatz; die Treppenhalle reicht bis in den offenen Dachstuhl. Emmerich Granichstaedten, aktiver Sozialdemokrat jüdischer Herkunft, emigrierte im Jahr 1938 nach England und überschrieb das Haus seiner Frau, die nach der Scheidung der Ehe in Wien blieb. Er selbst kehrte nie nach Wien zurück.
Nicht besser erging es dem aus Sachsen stammenden Strickwarenfabrikanten Otto Adam und seiner Frau Ella, die Sobotkas Schwägerin war. Ihr elegantes, weiß verputztes Flachdachhaus im mährischen Iglau, das vom Architekten zur Gänze im unprätentiösen Stil von Franks „Haus und Garten“ eingerichtet wurde, brachte Sobotka internationale Anerkennung.
Nach dem Tod Otto Adams führten die zwei älteren Söhne die Strickwarenfabrik Adam & Seidner weiter. Während des Krieges wurden beide unter dem Vorwand unrechtmäßiger Bewirtschaftung von Produktionsmitteln hingerichtet, das Haus bezog die Gestapo. Ella Adam überlebte das Ghetto Theresienstadt, in dem Otto Adams Kompagnon Louis Seidner ermordet wurde. Nach dem Krieg residierte im Haus die Staatssicherheit, dann ein Kindergarten, dann,nach einer unsensiblen Sanierung, die sozialdemokratische Partei und heute eine Firma für agrarische Infrastruktur. Der von Sobotka gemeinsam mit dem Haus entworfene Garten wurde zerstört.
Wie ein großer Teil der Auftraggeber emigrierten nach dem „Anschluss“ 1938 ebenfalls Sobotka und seine Frau, die Schauspielerin Gisela Schönau. Mit ihrer Tochter Ruth flohen sie nach New York, wo Sobotka Designer der amerikanischen Niederlassung von Thonet wurde. Auch als Architekt erhielt er Aufträge, so etwa den Umbau mehrerer Kinos der RKO-Kette. Wenige Jahre später folgte eine Professur am Carnegie Institute of Technology der Pittsburgh University.
Mit Wien sollte Sobotka ebenso noch einmal zu tun haben: Im Zeitraum von 1950 bis 1954 entstand gemeinsam mit dem Architekten Percy A. Faber ein Bürohaus für die Veitscher Magnesitwerke am Schubertring 10–12. Das Gebäude, in dem später statt des ursprünglichen Espressodie deutsche Tourismuszentrale und statt der Magnesitwerke die Staatspolizei untergebracht waren, gab zuletzt, aufgrund des jahrelangen Leerstands, einen dankbaren Kandidaten für innerstädtische Schandfleck-Rubriken ab. Obgleich kein wirklich bedeutender Bau seiner Zeit, ist es allerdings im Gegensatz zu anderen, unterdessen abgebrochenen Wiener Bauten Sobotkas denkmalgeschützt. Derzeit wird es zu einem Hotel umgebaut.
Sobotkas 1925 geborene Tochter Ruth war in der Nachkriegszeit eine bedeutende Tänzerin und Choreografin im Ensemble von George Balanchine. 1955 wurde sie die zweite Ehefrau des aufstrebenden Fotografen und Jungregisseurs Stanley Kubrick, der wie sie Nachkomme österreichisch-jüdischer Emigranten war. Schon zwei Jahre darauf trennte sich das Paar. Nach Ruth Sobotkas frühem Tod im Jahr 1967 gab Walter Sobotka ein Buch über die künstlerische Tätigkeit seiner Tochter heraus. Das fotografische Werk Stanley Kubricks wird ab 8. Mai in einer Ausstellung in Wien präsentiert („Eyes Wide Open“ im Bank Austria Kunstforum). Am selben Tag wird es genau 40 Jahre her sein, dass der Wiener Architekt Walter Sobotka in New York starb.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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