Artikel
Neue Lebensräume an der Drau für Vogel & Co.
30. März 1997 - Wolfgang Reichelt
Mit Überschußmassen an Erde und Gestein vom Autobahnbau wurden in den Jahren 1990 bis 1992 bei Neudenstein im Völkermarkter Stausee sowie bei Föderlach im Stausee Rosegg zwei künstliche Feuchtbiotope hergestellt, die gemeinsam eine Fläche von über 27 Hektar aufweisen.
Die zwischenzeitlich erfolgte Besiedelung der neu geschaffenen Biotope an der Drau durch spezifische und überaus reichhaltige pflanzliche und tierische Lebensgemeinschaften zeigt in erfreulicher Weise, daß sich das zugrundegelegte fachliche Konzept als richtig erwiesen hat. So konnte bereits im Jahr 1996 der größere der beiden neuen Lebensräume, das „Flachwasserbiotop Neudenstein“, als eines der sechs bedeutendsten Vogelschutzgebiete Kärntens gemäß Artikel 4 der EU-Richtlinien über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten an die EU-Kommission in Brüssel gemeldet werden. Zwei Jahre zuvor war dieser Lebensraum zum Naturschutzgebiet erklärt worden.
Begonnen hatte alles im Zuge des Baus der A11-Karawankenautobahn von Villach bis zur slowenischen Grenze. Durch dieses Vorhaben wurden insgesamt elf Hektar an verschiedenen Feuchtbiotopen vernichtet, wobei seitens des Naturschutzes großer Druck dahingehend ausgeübt wurde, für diese Flächen Ersatzlebensräume zu schaffen.
Allergrößte Schwierigkeiten bestanden jedoch in der unmöglich scheinenden Bereitstellung der dazu erforderlichen Flächen. In dieser Verhandlungsphase eröffneten die Österreichischen Draukraftwerke (ÖDK) die Möglichkeit, die gesetzlich vorgesehenen Ersatzlebensräume durch Gestaltungsmaßnahmen im Stausee Rosegg zu realisieren. Dies erfolgte dann durch die Schaffung von Flachwasserzonen und Sumpfflächen, wobei für deren Herstellung rund 450.000 Kubikmeter Erde und Gesteinsmassen in das betroffenene Areal des Stausees geschüttet wurden.
Aufgrund entsprechender Bestimmungen im Naturschutzgesetz wurde die Tauernautobahn AG als planende und bauausführende Gesellschaft mit Bescheid zur Kostentragung verpflichtet.
Parallel zu diesem Bauvorhaben wurde in Unterkärnten die Autobahnumfahrung der Stadt Völkermarkt in Angriff genommen. Da diese Strecke im wesentlichen landwirtschaftlich intensiv genutztes Gebiet betraf, gab es keine unmittelbare Notwendigkeit sowie keine rechtliche Handhabe für die Durchführung irgendwelcher ökologischer Ersatzmaßnahmen. Im Zuge der Behördenverfahren zeigte sich allerdings, daß beim Bau der Autobahn voraussichtlich mit Überschußmassen an Erde und Gestein im Ausmaß von mindestens 500.000 Kubikmetern zu rechnen wäre.
Angeregt durch die Erfahrungen beim Stausee Rosegg entstand auch hier die Idee, mit diesen Erdmengen im nahegelegenen Völkermarkter Stausee ein ähnliches Flachwasserbiotop zu gestalten. Die ÖDK waren rasch bereit, die Realisierung eines derartigen Projektes zuzulassen, zumal diese Aktivitäten dem langfristigen Stauraumbewirtschaftungskonzept entsprachen.
Schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen mit den Straßenbauern. Zum einen gab es – wie erwähnt – weder einen rechtlichen Ansatz, mit dem eine Verpflichtung zur Durchführung derartiger Maßnahmen ausgesprochen werden konnte, noch einen Ansatz, um die erforderlichen Mehrkosten für die Herstellung eines derartigen Flachwasserbiotops finanziell abdecken zu können. Es gelang jedoch, die Verantwortlichen im Straßenbau davon zu überzeugen, daß in der Vergangenheit durch Straßen- und Autobahnprojekte eine Vielzahl ökologisch wertvollster Lebensräume ohne jegliche Kompensationsmaßnahmen vernichtet und zerschnitten worden waren; nunmehr bestünde die einzigartige Chance, mit vergleichsweise geringem Aufwand eine kleine „Wiedergutmachung“ durchzuführen. Dieses Argument wurde akzeptiert und nach Mitteln und Möglichkeiten gesucht, um die Finanzierung des Vorhabens sicherzustellen. Wie sich später herausstellte, betrugen die Mehrkosten gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Deponierung des Überschußmaterials immerhin über sechs Millionen Schilling.
Stolpersteine
Obwohl der Anlaßfall dieser künstlich geschaffenen Lebensräume durch den Bau der Karawankenautobahn gegeben war, wurde mit der Realisierung des Projektes am Völkermarkter Stausee begonnen. Gleich in der Anfangsphase ergab sich das schwerwiegende Problem, daß die einzige Zufahrt zum Stausee als Gemeindestraße durch die Ortschaft Neudenstein führt und die Stadtgemeinde Völkermarkt aus Gründen des Anrainerschutzes die Benützung dieser Straße untersagte. Dies war insoferne begreiflich, als zum damaligen Zeitpunkt mit rund 100.000 LKW-Fahrten durch diese Siedlung gerechnet werden mußte. Da die Umfahrung der Ortschaft von den Geländeverhältnissen her unmöglich war, wurde trotz der Festlegung durch die Stadt Völkermarkt das Projekt den betroffenen Anrainern in einer Bürgerversammlung vorgestellt und um Duldung dieser zeitlich begrenzten Belastung gebeten. Das unmöglich Scheinende geschah, und die BewohnerInnen von Neudenstein erteilten die Zustimmung für die Materialtransporte durch ihre Siedlung.
Als konfliktträchtiger Umstand erwies sich des weiteren der gegebene Zeitdruck, da durch die Anlage des Flachwasserbiotops der Baufortschritt an der Autobahn unter keinen Umständen verzögert werden durfte. Dies beeinträchtigte nicht nur die laufenden Verhandlungen, sondern auch die Vorbereitungen zur Konzeption des Projektes. So mußte schon sehr früh der Versuch aufgegeben werden, eine Arbeitsgruppe bestehend aus Spezialisten der unterschiedlichen Fachrichtungen einzurichten, um gemeinsam ein Konzept für diesen Lebensraum auszuarbeiten. Bereits die ersten fachlichen Kontaktaufnahmen zeigten, daß wegen der jeweils sektoralen Sichtweisen und Interessenslagen die zur Verfügung stehende knappe Zeit niemals ausreichen würde, um ein von allen gleichermaßen akzeptiertes Projekt entwickeln zu können. Das Projekt mußte daher notgedrungen im „stillen Kämmerlein“ erarbeitet werden.
Ein großes Anliegen, an dem das Projekt beinahe scheiterte, war der Versuch, den zu erwartenden Konflikt zwischen den Interessen der Fischereiwirtschaft und des Naturschutzes in frühester Phase zu entschärfen. Die Zufahrtsstraße, die südlich der Ortschaft Neudenstein für dieses Vorhaben extra gebaut werden mußte, führte akkurat über die Gründe des Fischereiberechtigten; und dieser wollte für seine Zustimmung zum Bau die Zusage, die Fischerei in Zukunft auch inmitten des neuen Lebensraumes ungehindert ausüben zu können. Diese fischereiwirtschaftlich verständliche Forderung widersprach jedoch in massiver Weise den ökologischen Zielvorstellungen und war daher aus naturschutzfachlicher Sicht inakzeptabel. Schließlich gelang es, durch diverse Gestaltungsmaßnahmen am bestehenden Ufer und die räumliche Ausweitung der Befischungsrechte auf einen Leitdamm der ÖDK, die Zustimmung zur Aufgabe der Fischereirechte im Bereich des gesamten neuen Lebensraumes zu erwirken. Dies war die Voraussetzung dafür, um für das geplante Naturschutzgebiet ein generelles Verbot des Betretens, Befahrens und Befischens aussprechen zu können.
Nicht immer konfliktfrei waren auch die Kontakte mit den bauausführenden Firmen, vor allem zu Beginn der Bauarbeiten. So bestand vorerst die Hauptaufgabe darin, die auf größtmögliche Exaktheit der Bauausführung geschulten Arbeiter davon zu überzeugen, daß naturnahe Strukturen weder gerade, gleichmäßig noch „sauber“ sein dürfen. Ein Teil der enormen Strukturvielfalt (vgl. REICHELT, 1993, 1995) entstand erst in der gemeinsamen Auseinandersetzung vor Ort, da viele Rahmenbedingungen und Probleme nicht voraussehbar waren, und sich verschiedene Problemlösungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erst in der unmittelbaren Bauphase ergaben.
Trotz regelmäßiger ökologischer Bauaufsicht geschah es mehrfach, daß die Baufirmen – um Zeit oder Transportwege zu sparen – heimlich größere Erdmassen abweichend vom Konzept ins Wasser abkippten bzw. das Material im Zuge der Gestaltungsarbeiten nicht immer auf die vorgesehene Tiefe rückbaggerten. In der Regel wurde nun „künstlerisch freischaffend“ versucht umzudisponieren, und diese konsenslosen Maßnahmen nachträglich in das Konzept zu integrieren sowie entsprechend ausgestalten zu lassen – meist gelang dies.
Einmal mußte jedoch eine Baufirma eine konsenslose Schüttung im Ausmaß von über 10.000 Kubikmeter wieder ausbaggern, und das überschüssige Material an anderer Stelle einbringen, da diese planwidrigen Schüttungen zu unerwünschten ökologischen Konsequenzen geführt hätten.
Planung und Wirklichkeit
Ursprünglich stellten die nicht exakt vorhandenen Angaben über die zur Verfügung stehenden Erd- und Gesteinsmengen ein großes Problem dar. Es konnte kein Projekt im Detail ausgearbeitet werden, sondern nur ein Rahmenkonzept, in dem die Maßnahmen in den wesentlichen Grundzügen planlich festgelegt und die beabsichtigten ökologischen Zielsetzungen definiert wurden. Die vorgesehenen Strukturelemente wurden jeweils nur räumlich zugeordnet, aber nicht planlich und lagegenau ausgearbeitet. Was ursprünglich wie eine Hypothek aussah, erwies sich in der Realität als einzig gangbarer Weg. So ergab sich im Bereich Neudenstein während der Schüttungen der Umstand, daß für den Autobahnbau wesentlich mehr Erdmassen als ursprünglich vorgesehen ausgewechselt werden mußten. Anstatt der ursprünglich kalkulierten Menge von etwa 450.000 Kubikmeter standen plötzlich knapp 800.000 Kubikmeter Erde und Gestein zur Verfügung. Da es jedoch wenig räumliche Einschränkungen gab, waren dem gestalterischen Freiraum kaum Grenzen gesetzt.
Ähnliches, aber unter anderen Vorzeichen, geschah in Föderlach. So mußte ursprünglich heftig darum gerungen werden, eine Menge von 350.000 Kubikmeter Material für die Gestaltung dieses Ersatzlebensraumes sicherzustellen; das abgebaute Überschußmaterial war hochwertiger Schotter, weshalb die Bauträger wenig Begeisterung dafür aufbringen konnten, dieses für Ersatzmaßnahmen zur
Verfügung zu stellen, anstatt es gewinnbringend zu verkaufen. Die Schüttungen erfolgten aufgrund des Zeitdruckes bei der Bauausführung der Karawankenautobahn innerhalb kürzester Zeit, wobei die Ausgestaltung des Ersatzlebensraumes erst ein Jahr später erfolgte.
Die Überraschung war groß, als sich dann herausstellte, daß anstelle der mühsam abgerungenen 350.000 Kubikmeter, auf die die Grundsatzplanung aufgebaut hatte, plötzlich 450.000 Kubikmeter Erde und Schotter in dem räumlich begrenzten Bereich eingebracht worden waren. Im Zuge der Trassierungsarbeiten hatte man nämlich festgestellt, daß der betroffene Moränenschotter nicht überall die erhoffte Qualität aufwies, sodaß in der Folge das mindere Material ohne Rücksprache in den Bereich des künftigen Ersatzlebensraumes abgekippt wurde.
Bilanz
Für das zuerst fertiggestellte Flachwasserbiotop Neudenstein wurde bereits im Jahr 1991 mit der Durchführung wissenschaftlicher Begleituntersuchungen der pflanzlichen und tierischen Besiedelung und Bestandsentwicklung begonnen. Die Ergebnisse dieser ersten Untersuchungsreihe, die 1995 publiziert wurden, (vgl. KRAINER et al., 1996) können nun auch als Argumentationsbasis für Renaturierungsmaßnahmen an analogen Stauseen herangezogen werden.
Am verblüffendsten ist wohl der Umstand, wie rasch und intensiv dieser Lebensraum von der Vogelwelt als Brut- und Nahrungsraum und vor allem als Rastplatz für Durchzügler angenommen wurde. So konnten in dieser kurzen Zeit bereits 129 Arten beobachtet werden. Darunter befinden sich ausgesprochen selten vorkommende Arten, wie beispielsweise Trauerseeschwalbe, Flußseeschwalbe, Großer Brachvogel, Kampfläufer, Stelzenläufer, Tüpfelsumpfhuhn, Schwarzhalstaucher, Zwergdommel, Nachtreiher, Kormoran, Fisch- und Seeadler. Für den Knutt gab es für Kärnten einen Erstnachweis. Die Zahl der Brutvögel und Nahrungsgäste ist aufgrund der derzeit stürmischen Vegetationsentwicklung ebenfalls stark im Zunehmen begriffen und wies im Jahr 1995 bereits 12 Brutarten und 57 Nahrungsgäste auf. Insgesamt konnten fünf Jahre nach Abschluß der Maßnahmen in Neudenstein bereits 51 Arten der „Roten Liste“ der vom Aussterben bedrohten Arten nachgewiesen werden.
Analoges gilt für die Vegetationsentwicklung. In dieser kurzen Zeit hatten bereits 298 Pflanzenarten den neuen Lebensraum besiedelt, wobei einige außergewöhnlich seltene und akut vom Aussterben bedrohte Arten gefunden werden konnten. So stammt zum Beispiel der letzte Fundnachweis der Schwanenblume (Butomus umbellatus) in Kärnten aus dem vorigen Jahrhundert; auch die Sumpf-Engelwurz (Angelica palustris) galt für Österreich bereits als ausgestorben. Vom Spreizenden Greiskraut (Senecio cf. erraticus) gab es für Kärnten bis zum Jahre 1945 nur fünf und danach lediglich einen Fundnachweis. Insgesamt konnten 40 Pflanzenarten der „Roten Liste“ nachgewiesen werden. Da die Bestandsentwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist, darf noch mit einigen Überraschungen gerechnet werden.
Ähnlich spektakuläre Ergebnisse zeitigten auch die fischereilichen Untersuchungen. Anhand von Elektro- und Netzbefischungen konnte etwa bestätigt werden, daß durch den Strukturreichtum des Lebensraumes eine überdurchschnittlich hohe Reproduktionsrate und durch die breite Nahrungsbasis bereits im dritten Jahr der Untersuchungen eine außergewöhnlich hohe Individuen- und Populationsdichte gegeben ist.
Die Untersuchungen betreffend Reptilien, Amphibien, Mollusken, Spinnentiere und verschiedenste Insektenfamilien zeigten ebenfalls reichhaltige und überaus vielfältige Artengarnituren auf, wobei vor allem bei einigen Insektengruppen wegen der noch stürmisch verlaufenden pflanzlichen Bestandsentwicklung mit Ausweitungen und Verschiebungen in den Artenzusammensetzungen zu rechnen ist.
Die Untersuchungen im Flachwasserbiotop bei Föderlach sind zwar noch nicht abgeschlossen; sie lassen aber grundsätzlichen vom Ergebnis her ähnliche Aussagen erwarten.Vogel, Fisch & Co wird’s hoffentlich freuen. l
Auf Wunsch des Autors wurde in diesem Beitrag auf die geschlechtsneutrale Schreibweise verzichtet.
Literatur und Quellen:
EISNER, J. et al. (1995): Föderlach, Zwischenbericht 1995. Otto König-Institut. Haidershofen.
KRAINER, K. et al. (1996): Flachwasserbiotop Neudenstein. Ergebnisse der floristischen und faunistischen Untersuchungen der Jahre 1991 bis 1995. Forschung im Verbund. Schriftenreihe Band 24. Verbund/Amt der Kärntner Landesregierung/Draukraft. Klagenfurt.
REICHELT, W. (1993): Das Flachwasserbiotop „Neudensteiner Bucht“. Carinthia II. Jahrgang 183/103, S. 183-198. Klagenfurt.
REICHELT, W. (1995): Ersatzlebensraum Föderlach – Stausee Rossegg. Carinthia II. Jahrgang 185/105, S. 47-57. Klagenfurt.
WIESER, Ch. et al. (1993): Flachwasserbiotop „Neudensteiner Bucht“. Begleituntersuchungen der Sukzession 1991/92. Carinthia II. Jahrgang 183/103, S. 795-783. Klagenfurt.
Die zwischenzeitlich erfolgte Besiedelung der neu geschaffenen Biotope an der Drau durch spezifische und überaus reichhaltige pflanzliche und tierische Lebensgemeinschaften zeigt in erfreulicher Weise, daß sich das zugrundegelegte fachliche Konzept als richtig erwiesen hat. So konnte bereits im Jahr 1996 der größere der beiden neuen Lebensräume, das „Flachwasserbiotop Neudenstein“, als eines der sechs bedeutendsten Vogelschutzgebiete Kärntens gemäß Artikel 4 der EU-Richtlinien über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten an die EU-Kommission in Brüssel gemeldet werden. Zwei Jahre zuvor war dieser Lebensraum zum Naturschutzgebiet erklärt worden.
Begonnen hatte alles im Zuge des Baus der A11-Karawankenautobahn von Villach bis zur slowenischen Grenze. Durch dieses Vorhaben wurden insgesamt elf Hektar an verschiedenen Feuchtbiotopen vernichtet, wobei seitens des Naturschutzes großer Druck dahingehend ausgeübt wurde, für diese Flächen Ersatzlebensräume zu schaffen.
Allergrößte Schwierigkeiten bestanden jedoch in der unmöglich scheinenden Bereitstellung der dazu erforderlichen Flächen. In dieser Verhandlungsphase eröffneten die Österreichischen Draukraftwerke (ÖDK) die Möglichkeit, die gesetzlich vorgesehenen Ersatzlebensräume durch Gestaltungsmaßnahmen im Stausee Rosegg zu realisieren. Dies erfolgte dann durch die Schaffung von Flachwasserzonen und Sumpfflächen, wobei für deren Herstellung rund 450.000 Kubikmeter Erde und Gesteinsmassen in das betroffenene Areal des Stausees geschüttet wurden.
Aufgrund entsprechender Bestimmungen im Naturschutzgesetz wurde die Tauernautobahn AG als planende und bauausführende Gesellschaft mit Bescheid zur Kostentragung verpflichtet.
Parallel zu diesem Bauvorhaben wurde in Unterkärnten die Autobahnumfahrung der Stadt Völkermarkt in Angriff genommen. Da diese Strecke im wesentlichen landwirtschaftlich intensiv genutztes Gebiet betraf, gab es keine unmittelbare Notwendigkeit sowie keine rechtliche Handhabe für die Durchführung irgendwelcher ökologischer Ersatzmaßnahmen. Im Zuge der Behördenverfahren zeigte sich allerdings, daß beim Bau der Autobahn voraussichtlich mit Überschußmassen an Erde und Gestein im Ausmaß von mindestens 500.000 Kubikmetern zu rechnen wäre.
Angeregt durch die Erfahrungen beim Stausee Rosegg entstand auch hier die Idee, mit diesen Erdmengen im nahegelegenen Völkermarkter Stausee ein ähnliches Flachwasserbiotop zu gestalten. Die ÖDK waren rasch bereit, die Realisierung eines derartigen Projektes zuzulassen, zumal diese Aktivitäten dem langfristigen Stauraumbewirtschaftungskonzept entsprachen.
Schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen mit den Straßenbauern. Zum einen gab es – wie erwähnt – weder einen rechtlichen Ansatz, mit dem eine Verpflichtung zur Durchführung derartiger Maßnahmen ausgesprochen werden konnte, noch einen Ansatz, um die erforderlichen Mehrkosten für die Herstellung eines derartigen Flachwasserbiotops finanziell abdecken zu können. Es gelang jedoch, die Verantwortlichen im Straßenbau davon zu überzeugen, daß in der Vergangenheit durch Straßen- und Autobahnprojekte eine Vielzahl ökologisch wertvollster Lebensräume ohne jegliche Kompensationsmaßnahmen vernichtet und zerschnitten worden waren; nunmehr bestünde die einzigartige Chance, mit vergleichsweise geringem Aufwand eine kleine „Wiedergutmachung“ durchzuführen. Dieses Argument wurde akzeptiert und nach Mitteln und Möglichkeiten gesucht, um die Finanzierung des Vorhabens sicherzustellen. Wie sich später herausstellte, betrugen die Mehrkosten gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Deponierung des Überschußmaterials immerhin über sechs Millionen Schilling.
Stolpersteine
Obwohl der Anlaßfall dieser künstlich geschaffenen Lebensräume durch den Bau der Karawankenautobahn gegeben war, wurde mit der Realisierung des Projektes am Völkermarkter Stausee begonnen. Gleich in der Anfangsphase ergab sich das schwerwiegende Problem, daß die einzige Zufahrt zum Stausee als Gemeindestraße durch die Ortschaft Neudenstein führt und die Stadtgemeinde Völkermarkt aus Gründen des Anrainerschutzes die Benützung dieser Straße untersagte. Dies war insoferne begreiflich, als zum damaligen Zeitpunkt mit rund 100.000 LKW-Fahrten durch diese Siedlung gerechnet werden mußte. Da die Umfahrung der Ortschaft von den Geländeverhältnissen her unmöglich war, wurde trotz der Festlegung durch die Stadt Völkermarkt das Projekt den betroffenen Anrainern in einer Bürgerversammlung vorgestellt und um Duldung dieser zeitlich begrenzten Belastung gebeten. Das unmöglich Scheinende geschah, und die BewohnerInnen von Neudenstein erteilten die Zustimmung für die Materialtransporte durch ihre Siedlung.
Als konfliktträchtiger Umstand erwies sich des weiteren der gegebene Zeitdruck, da durch die Anlage des Flachwasserbiotops der Baufortschritt an der Autobahn unter keinen Umständen verzögert werden durfte. Dies beeinträchtigte nicht nur die laufenden Verhandlungen, sondern auch die Vorbereitungen zur Konzeption des Projektes. So mußte schon sehr früh der Versuch aufgegeben werden, eine Arbeitsgruppe bestehend aus Spezialisten der unterschiedlichen Fachrichtungen einzurichten, um gemeinsam ein Konzept für diesen Lebensraum auszuarbeiten. Bereits die ersten fachlichen Kontaktaufnahmen zeigten, daß wegen der jeweils sektoralen Sichtweisen und Interessenslagen die zur Verfügung stehende knappe Zeit niemals ausreichen würde, um ein von allen gleichermaßen akzeptiertes Projekt entwickeln zu können. Das Projekt mußte daher notgedrungen im „stillen Kämmerlein“ erarbeitet werden.
Ein großes Anliegen, an dem das Projekt beinahe scheiterte, war der Versuch, den zu erwartenden Konflikt zwischen den Interessen der Fischereiwirtschaft und des Naturschutzes in frühester Phase zu entschärfen. Die Zufahrtsstraße, die südlich der Ortschaft Neudenstein für dieses Vorhaben extra gebaut werden mußte, führte akkurat über die Gründe des Fischereiberechtigten; und dieser wollte für seine Zustimmung zum Bau die Zusage, die Fischerei in Zukunft auch inmitten des neuen Lebensraumes ungehindert ausüben zu können. Diese fischereiwirtschaftlich verständliche Forderung widersprach jedoch in massiver Weise den ökologischen Zielvorstellungen und war daher aus naturschutzfachlicher Sicht inakzeptabel. Schließlich gelang es, durch diverse Gestaltungsmaßnahmen am bestehenden Ufer und die räumliche Ausweitung der Befischungsrechte auf einen Leitdamm der ÖDK, die Zustimmung zur Aufgabe der Fischereirechte im Bereich des gesamten neuen Lebensraumes zu erwirken. Dies war die Voraussetzung dafür, um für das geplante Naturschutzgebiet ein generelles Verbot des Betretens, Befahrens und Befischens aussprechen zu können.
Nicht immer konfliktfrei waren auch die Kontakte mit den bauausführenden Firmen, vor allem zu Beginn der Bauarbeiten. So bestand vorerst die Hauptaufgabe darin, die auf größtmögliche Exaktheit der Bauausführung geschulten Arbeiter davon zu überzeugen, daß naturnahe Strukturen weder gerade, gleichmäßig noch „sauber“ sein dürfen. Ein Teil der enormen Strukturvielfalt (vgl. REICHELT, 1993, 1995) entstand erst in der gemeinsamen Auseinandersetzung vor Ort, da viele Rahmenbedingungen und Probleme nicht voraussehbar waren, und sich verschiedene Problemlösungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erst in der unmittelbaren Bauphase ergaben.
Trotz regelmäßiger ökologischer Bauaufsicht geschah es mehrfach, daß die Baufirmen – um Zeit oder Transportwege zu sparen – heimlich größere Erdmassen abweichend vom Konzept ins Wasser abkippten bzw. das Material im Zuge der Gestaltungsarbeiten nicht immer auf die vorgesehene Tiefe rückbaggerten. In der Regel wurde nun „künstlerisch freischaffend“ versucht umzudisponieren, und diese konsenslosen Maßnahmen nachträglich in das Konzept zu integrieren sowie entsprechend ausgestalten zu lassen – meist gelang dies.
Einmal mußte jedoch eine Baufirma eine konsenslose Schüttung im Ausmaß von über 10.000 Kubikmeter wieder ausbaggern, und das überschüssige Material an anderer Stelle einbringen, da diese planwidrigen Schüttungen zu unerwünschten ökologischen Konsequenzen geführt hätten.
Planung und Wirklichkeit
Ursprünglich stellten die nicht exakt vorhandenen Angaben über die zur Verfügung stehenden Erd- und Gesteinsmengen ein großes Problem dar. Es konnte kein Projekt im Detail ausgearbeitet werden, sondern nur ein Rahmenkonzept, in dem die Maßnahmen in den wesentlichen Grundzügen planlich festgelegt und die beabsichtigten ökologischen Zielsetzungen definiert wurden. Die vorgesehenen Strukturelemente wurden jeweils nur räumlich zugeordnet, aber nicht planlich und lagegenau ausgearbeitet. Was ursprünglich wie eine Hypothek aussah, erwies sich in der Realität als einzig gangbarer Weg. So ergab sich im Bereich Neudenstein während der Schüttungen der Umstand, daß für den Autobahnbau wesentlich mehr Erdmassen als ursprünglich vorgesehen ausgewechselt werden mußten. Anstatt der ursprünglich kalkulierten Menge von etwa 450.000 Kubikmeter standen plötzlich knapp 800.000 Kubikmeter Erde und Gestein zur Verfügung. Da es jedoch wenig räumliche Einschränkungen gab, waren dem gestalterischen Freiraum kaum Grenzen gesetzt.
Ähnliches, aber unter anderen Vorzeichen, geschah in Föderlach. So mußte ursprünglich heftig darum gerungen werden, eine Menge von 350.000 Kubikmeter Material für die Gestaltung dieses Ersatzlebensraumes sicherzustellen; das abgebaute Überschußmaterial war hochwertiger Schotter, weshalb die Bauträger wenig Begeisterung dafür aufbringen konnten, dieses für Ersatzmaßnahmen zur
Verfügung zu stellen, anstatt es gewinnbringend zu verkaufen. Die Schüttungen erfolgten aufgrund des Zeitdruckes bei der Bauausführung der Karawankenautobahn innerhalb kürzester Zeit, wobei die Ausgestaltung des Ersatzlebensraumes erst ein Jahr später erfolgte.
Die Überraschung war groß, als sich dann herausstellte, daß anstelle der mühsam abgerungenen 350.000 Kubikmeter, auf die die Grundsatzplanung aufgebaut hatte, plötzlich 450.000 Kubikmeter Erde und Schotter in dem räumlich begrenzten Bereich eingebracht worden waren. Im Zuge der Trassierungsarbeiten hatte man nämlich festgestellt, daß der betroffene Moränenschotter nicht überall die erhoffte Qualität aufwies, sodaß in der Folge das mindere Material ohne Rücksprache in den Bereich des künftigen Ersatzlebensraumes abgekippt wurde.
Bilanz
Für das zuerst fertiggestellte Flachwasserbiotop Neudenstein wurde bereits im Jahr 1991 mit der Durchführung wissenschaftlicher Begleituntersuchungen der pflanzlichen und tierischen Besiedelung und Bestandsentwicklung begonnen. Die Ergebnisse dieser ersten Untersuchungsreihe, die 1995 publiziert wurden, (vgl. KRAINER et al., 1996) können nun auch als Argumentationsbasis für Renaturierungsmaßnahmen an analogen Stauseen herangezogen werden.
Am verblüffendsten ist wohl der Umstand, wie rasch und intensiv dieser Lebensraum von der Vogelwelt als Brut- und Nahrungsraum und vor allem als Rastplatz für Durchzügler angenommen wurde. So konnten in dieser kurzen Zeit bereits 129 Arten beobachtet werden. Darunter befinden sich ausgesprochen selten vorkommende Arten, wie beispielsweise Trauerseeschwalbe, Flußseeschwalbe, Großer Brachvogel, Kampfläufer, Stelzenläufer, Tüpfelsumpfhuhn, Schwarzhalstaucher, Zwergdommel, Nachtreiher, Kormoran, Fisch- und Seeadler. Für den Knutt gab es für Kärnten einen Erstnachweis. Die Zahl der Brutvögel und Nahrungsgäste ist aufgrund der derzeit stürmischen Vegetationsentwicklung ebenfalls stark im Zunehmen begriffen und wies im Jahr 1995 bereits 12 Brutarten und 57 Nahrungsgäste auf. Insgesamt konnten fünf Jahre nach Abschluß der Maßnahmen in Neudenstein bereits 51 Arten der „Roten Liste“ der vom Aussterben bedrohten Arten nachgewiesen werden.
Analoges gilt für die Vegetationsentwicklung. In dieser kurzen Zeit hatten bereits 298 Pflanzenarten den neuen Lebensraum besiedelt, wobei einige außergewöhnlich seltene und akut vom Aussterben bedrohte Arten gefunden werden konnten. So stammt zum Beispiel der letzte Fundnachweis der Schwanenblume (Butomus umbellatus) in Kärnten aus dem vorigen Jahrhundert; auch die Sumpf-Engelwurz (Angelica palustris) galt für Österreich bereits als ausgestorben. Vom Spreizenden Greiskraut (Senecio cf. erraticus) gab es für Kärnten bis zum Jahre 1945 nur fünf und danach lediglich einen Fundnachweis. Insgesamt konnten 40 Pflanzenarten der „Roten Liste“ nachgewiesen werden. Da die Bestandsentwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist, darf noch mit einigen Überraschungen gerechnet werden.
Ähnlich spektakuläre Ergebnisse zeitigten auch die fischereilichen Untersuchungen. Anhand von Elektro- und Netzbefischungen konnte etwa bestätigt werden, daß durch den Strukturreichtum des Lebensraumes eine überdurchschnittlich hohe Reproduktionsrate und durch die breite Nahrungsbasis bereits im dritten Jahr der Untersuchungen eine außergewöhnlich hohe Individuen- und Populationsdichte gegeben ist.
Die Untersuchungen betreffend Reptilien, Amphibien, Mollusken, Spinnentiere und verschiedenste Insektenfamilien zeigten ebenfalls reichhaltige und überaus vielfältige Artengarnituren auf, wobei vor allem bei einigen Insektengruppen wegen der noch stürmisch verlaufenden pflanzlichen Bestandsentwicklung mit Ausweitungen und Verschiebungen in den Artenzusammensetzungen zu rechnen ist.
Die Untersuchungen im Flachwasserbiotop bei Föderlach sind zwar noch nicht abgeschlossen; sie lassen aber grundsätzlichen vom Ergebnis her ähnliche Aussagen erwarten.Vogel, Fisch & Co wird’s hoffentlich freuen. l
Auf Wunsch des Autors wurde in diesem Beitrag auf die geschlechtsneutrale Schreibweise verzichtet.
Literatur und Quellen:
EISNER, J. et al. (1995): Föderlach, Zwischenbericht 1995. Otto König-Institut. Haidershofen.
KRAINER, K. et al. (1996): Flachwasserbiotop Neudenstein. Ergebnisse der floristischen und faunistischen Untersuchungen der Jahre 1991 bis 1995. Forschung im Verbund. Schriftenreihe Band 24. Verbund/Amt der Kärntner Landesregierung/Draukraft. Klagenfurt.
REICHELT, W. (1993): Das Flachwasserbiotop „Neudensteiner Bucht“. Carinthia II. Jahrgang 183/103, S. 183-198. Klagenfurt.
REICHELT, W. (1995): Ersatzlebensraum Föderlach – Stausee Rossegg. Carinthia II. Jahrgang 185/105, S. 47-57. Klagenfurt.
WIESER, Ch. et al. (1993): Flachwasserbiotop „Neudensteiner Bucht“. Begleituntersuchungen der Sukzession 1991/92. Carinthia II. Jahrgang 183/103, S. 795-783. Klagenfurt.
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