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Stadt der Wunder - Barcelona
zolltexte

Eine halbjährige Besichtigungstour.

30. September 1996 - Hanna Posch
Barcelona ist in den letzten Jahren zu einem Mekka für ArchitektInnen und LandschaftsplanerInnen geworden. In keiner anderen Stadt Europas gibt es eine annähernd so große Zahl an neu geschaffenen und neu gestalteten öffentlichen Räumen.
Was steckt dahinter?

Ich stehe in einer Schlange von hunderten Menschen und warte auf den Einlaß ins neue Museum der modernen Kunst. Der große, strahlend weiße Kubus, erbaut vom amerikanischen Stararchitekten Richard Meier, steht seit kurzem mitten im Raval, einem Teil der Altstadt Barcelonas. Die Menschen, mit denen ich hier warte, und die tausenden anderen, die an jenen drei Tagen im Mai dieses Museum besuchen, erwartet drinnen nicht etwa eine Ausstellung berühmter moderner KünstlerInnen, einzig und allein das – noch leere – Gebäude erweckt das Interesse so vieler Menschen. Die Begeisterung, mit der die BewohnerInnen Barcelonas (und natürlich auch TouristInnen) zu neuen öffentlichen Gebäuden oder Freiräumen pilgern, ist – an Wiener Verhältnissen gemessen – erstaunlich.2

Dieses Interesse wird auch beim Lesen der Zeitungen spürbar – fast in allen Tageszeitungen finden sich regelmäßig Architekturkritiken zu neuen Gebäuden und Freiräumen. Daran entzünden sich zum Teil auch heftige Diskussionen. So teilte in den achtziger Jahren die Debatte um die „plazas duras“ (harte Plätze), also befestigte Plätze ohne Rasenflächen, die an der Renovierung des Plaza Real entbrannte und noch heftiger am Plaza de los Paises Catalans ausgetragen wurde, die Stadt in zwei Lager. In jenes, das die Entfernung der Rasenflächen als Anschlag auf die ohnehin spärlichen Grünflächen der Stadt sahen, und in jenes, das sich die gepflasterten Plätze in italienischen Städten zum Vorbild nehmen wollte.

Tief eingeprägt ist den BewohnerInnen Barcelonas das Gefühl, ewig Zweite zu sein – hinter den „Madrileños“, denen aus Madrid. Die große Bedeutung der katalanischen Sprache im „normalen“ und im politischen Alltag zeugt davon ebenso wie die Vorliebe für Großveranstaltungen, die internationales Aufsehen erregen. Diese Großveranstaltungen waren und sind wesentliche Motoren für die Stadtentwicklung Barcelonas.

Die ewige Zweite

Die Geschichte der Stadt ist geprägt von einer schubhaften Entwicklung. Im 13. und 14. Jahrhundert war Barcelona Residenzstadt und eine der wichtigsten Hafenstädte im Mittelmeerraum. Im 15. Jahrhundert führte dann die Vereinigung der Königreiche Aragón und Kastilien zur Vormachtstellung Spaniens im atlantischen Raum, Katalonien rückte an den Rand des mächtigen Reiches. Dies leitete den vorläufigen Niedergang der Stadt und ganz Kataloniens ein. Deshalb fehlt auch – im Gegensatz zu Wien oder Madrid – ein barocker Um- oder Ausbau der Stadt. Die Altstadt blieb ein „Barrio Gotico“, extrem dicht verbaut und umgeben von Stadtmauern, deren Schleifung die Zentralregierung in Madrid verbot. Untersagt war damit auch die Bebauung der außerhalb der Stadtmauern liegenden großen freien Flächen. „Während im Innern die Bevölkerungsdichte ständig zunahm und das Leben unerträglich machte, breiteten sich außerhalb Gemüsegärten und Brachland aus. Wenn der Abend hereinbrach oder an Festtagen stiegen die Bewohner der umliegenden Dörfer auf die Hügel (heute Putxet, Gracia, San José de la Montaña usw.) und schauten, manchmal mit Ferngläsern aus Messing, den Barcelonesen zu. Hektisch diszipliniert und dünnhäutig gingen diese hin und her, grüßten sich, verloren sich im Gäßchengewirr, begegneten sich erneut und grüßten sich abermals, interessierten sich gegenseitig für ihre Gesundheit und die Geschäfte und verabschiedeten sich bis zum nächsten Mal.“ (MENDOZA, 1986)

Mit der industriellen Revolution begann im 19. Jahrhundert erneut der wirtschaftliche Aufschwung Kataloniens. Durch die Schleifung der Stadtmauern Mitte des letzten Jahrhunderts konnte sich die Stadt endlich über die großen Flächen zwischen der Altstadt und den ehemaligen Vororten ausbreiten, das „Ensanche“ entstand. Das Gebiet wurde gemäß den inzwischen berühmt gewordenen Plänen Ildefonso Cerdás, der den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen hatte, in einem regelmäßigen Raster bebaut. In wenigen Städten Europas wurde eine gründerzeitliche Bebauung so durchgängig angelegt. Allerdings entsprach die tatsächliche Ausführung nicht mehr dem ursprünglichen Plan Cerdás, der eine zweigeschossige Bebauung der einzelnen Blöcke („manzanas“) auf zwei bis drei Seiten und dazwischenliegende Freiräume vorsah. Dieser Plan fiel ungehemmten Spekulationen bei der Bebauung des Ensanche zum Opfer, denn letztlich wurden die Blöcke durchgängig an vier Seiten meist fünf- bis sechsgeschossig und sogar die Innenhöfe zum Großteil eingeschossig mit Lagerhallen und ähnlichem bebaut. Auffällig sind im Stadtbild die sogenannten „chaflanes“, abgeschrägte Häuserecken an allen Straßenkreuzungen, die diese zu achteckigen Räumen machen (vgl. BITTER, 1992). Die Straßen wurden durchgängig mit Platanenalleen versehen. Im gesamten „Ensanche“ wurden so gut wie keine öffentlichen Parks angelegt.

Auch in den letzten hundert Jahren vollzog sich die bauliche Entwicklung Barcelonas in großen Schüben. Kurz vor der Jahrhundertwende bot die erste Weltausstellung (1888) den geeigneten Anlaß für städtebauliche Veränderungen. Der große „Parque de la Ciutadela“ wurde angelegt, der Hafen umgebaut, und die Bautätigkeiten in Cerdás Rasterviertel stiegen enorm an. Im Rahmen der zweiten Ausstellung (1929) wurde dann mit der Verbauung des „Hausberges“ Mont Juic begonnen und eine Ausdehnung der Stadt nach Süden und Südwesten eingeleitet.

Die Demokratie und das Oberhaupt der Familie

Die erste demokratische (sozialistische) Stadtregierung nach Ende der Diktatur Francos fand eine Stadt vor, die an ihren Rändern seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in großen Teilen durch unkontrolliertes Wachstum und Immobilienspekulationen viel zu dicht, mit Wohnungen und Freiräumen schlechter Qualität – Zeilenbauten im typischen Stil der sechziger und siebziger Jahre – bebaut worden war. Die Wohnungen in den Altstadtvierteln waren in einem erbärmlichen Zustand, Freiräume auch hier Mangelware. Das Ensanche bot, nachdem die Blöcke fast zur Gänze verbaut waren, als einzige Freiräume die Straßen, die großzügig angelegt, mit breiten Gehsteigen und Alleen prinzipiell wichtige Freiräume darstellten, im Lauf der letzten Jahrzehnte aber durch den enormen Anstieg des Individualverkehrs nahezu unbrauchbar wurden. Das Gemeindegebiet Barcelonas war bis auf wenige Lücken bereits verbaut, direkt an die Stadtgrenze schlossen weitere Siedlungen und Städte an.3 Von verschiedenen BürgerInneninitiativen wurden nun in der Begeisterung über die neuen Möglichkeiten zur Mitbestimmung in Zusammenarbeit mit ArchitektInnen der Universität Pläne für die Entwicklung der einzelnen Stadtteile („Barrios“) erstellt. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Schaffung von öffentlichen Freiräumen. Der damalige Bürgermeister Narcís Serra machte den bekannten Architekten Oriol Bohigas zum Leiter des Stadtplanungsamtes. Dieser sollte für die folgenden Jahre die Entwicklung Barcelonas maßgeblich bestimmen.

Aufbauend auf einem Generalplan aus dem Jahr 1976 (Plan General Metropolitano, PGM), der beispielsweise die Bebauungsdichten regelte, und den Plänen zu den einzelnen „Barrios“, begann die Stadtplanung mit der Verwirklichung konkreter Freiraumprojekte. „Die Stadt ist aus Architektur aufgebaut, nicht aus Generalplänen. Es war gut, daß der Generalplan aus 1976 die Bebauungsdichten geregelt und begrenzt hatte. Aber diese Tatsache sollte nicht verhindern, daß wir andere Aspekte des Planes abänderten. Von jetzt an lag es an uns. Was wir wollten, war Barcelona mit Hilfe von kleinen konkreten Projekten zu verändern. Wir wollten uns nicht wie andere Städte durch die ewige Revision von Generalplänen entmutigen lassen“ (BOHIGAS, in LLÀTZER MOIX, 1944). Da Bohigas nicht auf die ArchitektInnen innerhalb des Amtes zurückgreifen wollte, aber auch nicht das Geld hatte, Aufträge an bekannte ArchitektInnen von außen zu vergeben, betraute er eine StudentInnengruppe aus den Abschlußkursen an der Universität („Lápices“-Bleistifte) mit der Planung verschiedener konkreter Projekte, die dann binnen kurzer Zeit realisiert wurden. Fast alle Mitglieder dieser Gruppe sind heute bekannte ArchitektInnen und gehören zur „Familie Bohigas“, wie die Gruppe jener ArchitektInnen genannt wird, die von der Stadtverwaltung regelmäßig mit öffentlichen Aufträgen bedacht wurde.

Konkrete Projekte statt Funktionszonen

Die Stadtplanung Barcelonas versucht also prinzipiell über die Verwirklichung von konkreten Projekten, seien es Stadtteilplätze, Straßenneugestaltungen oder Parks, die Wohnviertel „aufzuwerten“. Investiert wird von der öffentlichen Hand nicht in den sozialen Wohnbau, sondern in die Gestaltung der Freiräume, die dann private InvestorInnen für die Bebauung rund um den neugeschaffenen Freiraum anlocken.

Ab Mitte der achtziger Jahre wurde vom Prinzip der „neuen Zentralität“ gesprochen. Diese soll „neue Brennpunkte des Wachstums schaffen und Alternativen zum traditionellen Zentrum bieten“ (LLÀTZER MOIX, 19444). Die Strategie der vielen konkreten Projekte hat das eingangs erwähnte Interesse der Öffentlichkeit an der Stadtplanung stark gefördert. Die Projekte werden von der Stadtverwaltung natürlich auch bei vielen Gelegenheiten an den Mann / die Frau gebracht, beispielsweise im Rahmen einer Ausstellung aus Anlaß der damals bevorstehenden Bürgermeisterwahlen, die ich im Frühjahr 1995 besuchte. Mit viel technischem Aufwand wurde den BürgerInnen vorgeführt, was in den letzten Jahren geleistet worden war. In einem Video, das die baulichen Veränderungen der Stadt im Zeitraffer darstellte, wuchsen Gebäude blitzschnell aus dem Boden, schöne Plätze folgten auf unansehliche Müllhalden. Wo gerade noch ein Bauer über seinen Acker ging, um die Ernte zu begutachten, fuhren im nächsten Moment riesige Bagger und Sekunden später fand sich an der gleichen Stelle ein Autobahnkleeblatt. Des Rathauses Stolz auf solche Veränderungen war unverkennbar…

Eine der wichtigsten Strategien zur Schaffung von neuen Freiräumen ist eine Bestimmung aus dem Generalplan aus dem Jahr 1976, die vorsieht, daß aufgelassene Industrieanlagen der Öffentlichkeit als Freiräume zur Verfügung gestellt werden sollen. So wurden durch die Schließung von alten Schlachthöfen oder Steinbrüchen oder durch die Stillegung von Eisenbahngleisen Räume frei, die zu Parks umgewandelt werden konnten. Es entstanden relative große öffentliche Freiräume, die durchgängig eine nahezu leere befestigte Fläche und einen eher parkartigen Teil enthalten. Oft wurden Teile der alten Industrieanlagen in die Gestaltung miteinbezogen, die jetzt öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken beherbergen.

Eines der auffälligsten immer wiederkehrenden Ausstattungselemente der neuen öffentlichen Freiräume Barcelonas sind Skulpturen. Diese sind Teil eines ehrgeizigen Programmes der Stadtverwaltung, deren Ziel es ist, die Kunst aus dem Museum unter die Menschen zu bringen. Ein Vertreter des Stadtplanungsamtes bezeichnete die Kunstwerke im Freiraum als eine Art Datumsstempel, an dem abzulesen sei, wann die Plätze oder Parks gebaut worden seien. Die Bandbreite der Skulpturen reicht von der monumentalen „Frau mit Vogel“ von Joan Miró im Parque de la Escorxador bis zu einer unauffälligen Skulptur, die den Architekten Antoni Rovira i Trias darstellt, wie er auf einer Bank am gleichnamigen Platz sitzt und seinen – von Cerdás Ideen abweichenden – Plan für das „Ensanche“ betrachtet.

Typisch für die meisten neuen Freiräume ist eine Gestaltung und Ausstattung, die größtmögliche Durchlässigkeit nach allen Seiten erlaubt. Die Möblierung beschränkt sich meist auf Bäume, Sitzgelegenheiten und Lampen. Als Bodenbeläge finden sich wassergebundene Decken, Asphalt, Stein- oder Betonplatten. Auf vielen Plätzen wurden vor einigen Jahrzehnten angelegte Rasenflächen entfernt und durch befestigte Bodenbeläge ersetzt. Ganz abgekommen ist man von den Rasenflächen, die hier im Mittelmeerraum den ganzen Sommer über künstliche Bewässerung brauchen, dennoch nicht; an einigen Orten tauchen sie bei der Neugestaltung von Straßen wieder auf.

Auf die zuvor angesprochene Möblierung der Freiräume wird hier großer Wert gelegt. Viele sind stolz auf den Ruf Barcelonas, die Design-Hauptstadt Europas zu sein, und so ist man auch in den öffentlichen Freiräumen beflissen, diesem Titel gerecht zu werden. Bei einigen Formen von Bänken und Lampen gelingt dabei der Balanceakt aus hohen ästhetischen Ansprüchen und Benutzbarkeit, bei so manchen anderen Dingen wie Kinderspielgeräten muten die coolen, designten Gestänge aus chromfarbenen Rohren eher wie unbenutzbare Kunstwerke an, dementsprechend wenig Kinder sind auf diesen Spielplätzen zu sehen.

Die Bäume, meist einziges lebendes Ausstattungselement der öffentlichen Räume, sind durchgängig in sehr schlechtem Zustand. Hier werden die Auswirkungen einer übertriebenen „Eröffnungs-Planung“, also einer Planung, deren Objekte bei der Eröffnung perfekt sein müssen, deutlich. Vor allem im Zuge des Umbaus der Stadt für die olympischen Spiele wurden tausende Großbäume gepflanzt, die inzwischen zu einem Großteil wieder ausgetauscht werden mußten.

Auch im „Raval“, einem Altstadtviertel südlich der Ramblas, später bebaut als das eigentliche Barrio Gotico, wird Stadterneuerung über die Schaffung von neuen Freiräumen betrieben. Hier wurden im letzten Jahr an vielen Stellen innerhalb weniger Tage ganze Häuserblocks, bestehend aus etwa zehn oder fünfzehn Häusern, niedergerissen. Diese Abbrüche erfolgen gemäß eines Sanierungsplanes, der das Viertel von Grund auf verändern wird. An die Stelle der abgerissenen Häuser treten Plätze oder neue Straßen, die das Viertel laut Stadtplanung „öffnen“ sollen. Das bereits erwähnte Museum der modernen Kunst von Richard Meier soll die intellektuellen Schichten in diesen marginalisierten Stadtteil bringen. Die Verdrängung der ärmeren Bevölkerungsschichten ist hier offensichtlich.

Die wichtigsten öffentlichen Freiräume der Stadt sind aber wohl nach wie vor die Straßen. Die bekannteste ist die durch die Altstadt zum Hafen führende „Rambla“. Zu nahezu jeder Tages- und Nachzeit herrscht hier reges Treiben. Auf dem breiten Mittelstreifen, der gesäumt ist von einer alten Platanenallee und Verkaufsständen mit Zeitungen, Blumen und Vögeln, tummeln sich TouristInnen ebenso wie Einheimische. Auf beiden Seiten dieses Mittelstreifens gibt es Richtungsfahrbahnen. Diese Struktur der Ramblas wurde bei vielen Neugestaltungen zum Vorbild genommen (Rambla del Poblenou). Sie ist, wenn sie sparsam möbliert ist, nach allen Seiten durchlässig, der Mittelstreifen bietet Platz zum Durchgehen und zum Verweilen.

Der zumindest heimliche Motor für die vielen kleinen und größeren Projekte waren bereits ab Anfang der achtziger Jahre die Olympischen Sommerspiele, die dann im Jahr 1993 stattfanden. Sie waren das bislang letzte Großereignis, das die Stadtentwickung beflügeln sollte. Die am stärksten spürbaren Veränderungen hat die Olympiade im Bereich der Küste und am Mont Juic mit sich gebracht.

Ans Meer und auf den Berg

Eines der großen Anliegen der Stadtverwaltung im Zuge der Vorbereitung der Olympiade war es, Barcelona „ans Meer zu bringen“. Der Umbau des Hafengebietes von Barcelona stellte technisch eine große Herausforderung dar, die Altstadt sollte an den Hafen herangerückt werden, nebenbei mußte das riesige Verkehrsaufkommen untergebracht werden. Das Ergebnis ist eine unterirdische Autobahn, eine Tiefgarage, Fahrbahnen über der Erde, ein Radweg und dazu eine Art Disneyland aus Aquarium, Imax Kino und Ausstellungshallen, in das die Barcelonesen an Wochenenden in Scharen strömen.

In der Barceloneta, einem im 18. Jahrhundert bebauten Stadtteil, mußten entsprechend dem Drang der PlanerInnen, Barcelona endlich wieder ans Meer zu rücken, dutzende kleiner Strand-Restaurants (Chiringuitos) weichen, mitsamt den dazugehörigen, ohnehin oft an der Armutsgrenze lebenden Menschen. An ihre Stelle traten teurere Restaurants und ein zugegeben schöner Strand.

Weiter im Norden wurde an Stelle der veralteten und zum Großteil stillgelegten Industrien des Poble Nou die Vila Olímpica gebaut. Während der Olympischen Spiele diente sie als Wohnsiedlung für die SportlerInnen, danach für den gehobenen Mittelstand. Dazu wurde ein durchgehender Strand von vier Kilometern Länge und der große Parque Litoral angelegt. Der Strand stellt heute einen wichtigen öffentlichen Freiraum dar; er ist abends und an Wochenenden bevölkert von Familien, Liebespaaren und Gruppen von Jugendlichen.

Im Gegensatz zu den Stränden sind die neuen Freiräume am Mont Juic zwischen den Sportstadien unbenützbare Schauflächen. Riesige, betonierte, abgestufte Ebenen werden nur unterbrochen von Wasserspielen und „Lichtbäumen“. Die Freiräume dienen hier nur der Umrahmung der modernen Sportanlagen. Zusätzlich zur abweisenden Ausstattung sind die Flächen durch Absperrungen für die Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkt zugänglich.

Gebäudebezogene Freiräume

So sehr sich die Stadtplanung in Barcelona mit den öffentlichen Freiräumen beschäftigt, so wenig sind halböffentliche Räume Thema der Diskussion. Weder in der Altstadt, noch in den alten Vororten, noch im Ensanche, und schon gar nicht in der dicht bebauten Barceloneta, gibt es gebäudebezogene Freiräume. Dort wo sie im Ensanche liegen könnten – also in den großen Innenhöfen – gibt es nur einzelne Terrassen, die zu den Wohnungen im noblen ersten Stock gehören, das Erdgeschoß wird meist zur Gänze von Gewerbebetrieben, Lagerhallen und ähnlichem eingenommen. Wo halböffentliche Freiräume geschaffen wurden, wie etwa in der Vila Olímpica, wird deutlich, daß keine klaren planerischen Vorstellungen zur Organisation dieser Räume bestehen.

Dazu zwei Beispiele: Der Patio de les Aigues, das Vorzeigeprojekt der Sanierung der Innenhöfe des Ensanche: Hier wurde nach der Entfernung der Gewerbenutzungen im Hof ein Freiraum geschaffen, der mit einem großen Wasserbecken – zum Baden für die Kinder – und einer großen befestigten, mit Bäumen bestandenen Fläche ausgestattet ist. Den einzigen Zugang zum „Patio“ (Eingang) bildet ein Durchgang in einem der Häuser, von den angrenzenden Gebäuden aus direkt in den Hof zu kommen, ist nicht möglich; vielmehr sind die Rückseiten durch mehrere Meter hohe Mauern vom Hof abgeschlossen. Das heißt also, der Zugang zum Hof ist für alle – AnrainerInnen oder Fremde – gleich. Der Hof wird so zum öffentlichen Platz, der allerdings an der falschen Stelle, also an der Hinterseite der Häuser liegt (vgl. BÖSE, 1981).

Die Vila Olímpica ist das zweite Beispiel: Die Idee der Stadtplanung ist die Vergrößerung der Baublöcke („manzanas“) aus dem Cerdá-Plan zu „supermanzanas“, das Ergebnis ist die Auflösung der eindeutigen Zuordnung von Flächen zu Gebäuden und die Zerstörung der (öffentlichen) Straße. Stattdessen entsteht eine unklare Mischung aus Wohnwegen und Durchgängen, die zum Teil für alle zugänglich, zum Teil versperrt sind, und aus Freiräumen, die beliebig an verschiedenen Seiten der Gebäude liegen, manchmal abgezäunt, manchmal offen, immer aber wie öffentliche Parks gestaltet sind.

Freiraum macht Politik

Am interessantesten an der beschriebenen Entwicklung Barcelonas erscheint mir die politische Bedeutung, die den öffentlichen Freiräumen zukommt. Einerseits werden sie von der Stadtverwaltung bei vielen Gelegenheiten zur Selbstdarstellung genutzt, andererseits greift die Stadtverwaltung in die Stadtentwicklung in erster Linie durch die Gestaltung von Freiräumen ein. Das fehlende Interesse an der Schaffung von gebäudezugehörigen Freiräumen paßt ebenfalls zu diesem Bild: Private Gärten oder gemeinschaftlich genutzte Innenhöfe eignen sich nicht zu pompösen, politisch verwertbaren Eröffnungsveranstaltungen.

Die Schaffung neuer Freiräume in der Stadt scheint jetzt abgeschlossen zu sein. Das Interesse liegt derzeit eher auf ökologischen Problemen an den Stadträndern. Projekte zu den beiden Flüssen im Norden und Süden der Stadt, Llobregat und Besós laufen, weitere Großprojekte sind der Ausbau des Hafens und des Flughafens und der Bau eines neuen Bahnhofes für den TGV. Und es wird auch schon über neue Motoren nachgedacht, die die Maschine Stadtplanung aufs neue in Schwung bringen sollen: vielleicht wird Barcelona im Jahr 2001 zur Kulturhauptstadt Europas. l

Anmerkungen:
1 Nach dem Roman von Eduardo Mendoza: La ciudad de los prodigios. Seix Barral. Biblioteca Breve. 1986. In diesem Roman beschreibt der berühmte katalanische Schriftsteller den Aufstieg Onofre Bouvilas, einem Verkäufer von Haarwuchsmitteln, zu einem der mächtigsten Männer von Barcelona in der Zeit der beiden Weltausstellungen 1888 und 1929.
2 Dieser Beitrag basiert auf Erfahrungen, die ich während eines etwa halbjährigen Aufenthaltes in Barcelona im Jahre 1995 und während einer Exkursion des Institutes für Landschaftsplanung und Gartenkunst an der Technischen Universität Wien im April 1996 sammeln konnte.
3 Barcelona ist trotz der vielen neuen Freiräume noch immer die am dichtesten besiedelte Stadt Europas.
4 Übersetzung von der Autorin.

Literatur:
BITTER, R. v. (Hrsg.) (1992): Barcelona. Express Reisehandbuch. Mundo Verlag. Leer.
BÖSE, H. (1981): Die Aneignung von städtischen Freiräumen. Beiträge zur Theorie und sozialen Praxis des Freiraumes. Arbeitsberichte des Fachbereiches Stadtplanung und Landschaftsplanung. Heft 22. Gesamthochschule Kassel.
LLÀTZER MOIX (1994): La ciudad de los arquitectos. Editorial Anagrama. Barcelona.
MENDOZA, E. (1986): La ciudad de los prodigios. Seix Barral. Biblioteca Breve. Barcelona.

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