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Vom Glück, das wir nicht wollen
Mit dem „Masterplan Glacis“ liegt ein Konzept für die Entwicklungspotenziale der Ringstraßenzone vor. Wessen Interessen dient es?
17. Januar 2015 - Andreas Vass
„Pressante“ – eilig, drängend zu spielen, sagt das Musiklexikon. Unter dieser Satzbezeichnung versammelt der am 11.11.2014 von der Stadtentwicklungskommission „zur Kenntnis genommene“ Masterplan für den Ringstraßenbereich ein anscheinend dringendes Bedürfnis: rund um die Wiener Innenstadt reiht sich ein Dutzend „prädestinierter“ Hochhausstandorte. Freilich: es ist ja „nur ein Szenario.“ Zwei Wochen später berichtet darüber die Fernsehsendung „Wien heute“. Nicht der Bürgermeister oder die Planungsstadträtin, sondern Michael Tojner, der Investor, der das Hotel InterContinental aufstocken und daneben einen Luxuswohnturm errichten möchte, gibt zur Sache ein Interview. Die Vorteile seines Projekts hätten sich nun „herauskristallisiert, die Stimmung sei sehr positiv, in der Politik und bei der Stadt Wien“. Der Masterplan sei „praktisch beschlossen worden auch als Antwort auf die UNESCO-Kommission“. Der Investor ist hochzufrieden. Manche in der Stadtverwaltung vielleicht weniger.
Denn tatsächlich entstand die Idee zum Masterplan im Herbst 2012, in einer frühen Planungsphase zu genau diesem Projekt am Heumarkt. Erich Raith, in der Folge, gemeinsam mit einem Dutzend ExpertInnen unter anderem von der TU Wien, mit der Erstellung der „fachlichen Grundlagen“ des Masterplans beauftragt, ist da unter den teilnehmenden Planern im „kooperativen ExpertInnenverfahren“, das die städtebaulichen Rahmenbedingungen für das InterCont-Projekt festlegen soll. Das Problem wird von einigen der beteiligten Fachleute richtig erkannt: die vom Investor gewünschte Höhenentwicklung, das Dreifache der Ringstraßenblocks, weit außerhalb des widmungsgemäß gültigen Rahmens, ist stadträumlich nicht argumentierbar. Das Scheitern dieses Verfahrens ist bekannt, die Kritik daran, die sich in breitester Front in der Fachwelt formierte, bleibt auch nach Abschluss des nachfolgenden Wettbewerbs im März des Vorjahres vollinhaltlich aufrecht. In die Achse des Belvederegartens gerückt und gut sichtbar in der Flucht des Kärntner Rings stellt das Luxuswohnhochhaus einen Präzendenzfall mit unabsehbaren Folgen dar. Obwohl nun der Masterplan klarstellt, dass in laufende Verfahren nicht eingegriffen werden soll, ist das Projekt in der „Skizze“ zum erwähnten Szenario B „pressante“, wie auch unter der „Synthese“ C, „vivace“, bereits als Hochhausentwicklung mit seinem aktuellen Baumassenplan eingetragen. Zumindest für dieses Projekt erfüllt der Masterplan also nicht die Funktion einer „rahmensetzenden Orientierung“, die ihm von Auftraggeberseite zugeschrieben wird. Er kommt einer willkommenen, rechtlich allerdings immer noch belanglosen Schützenhilfe gleich.
Die „Hardware“ des Masterplans besteht aus seit langem diskutierten Projektideen öffentlicher oder privater Exponenten. Ewige Themen, wie die Umstrukturierung der Rossauerkaserne oder der Stiftskaserne und ähnliche Phantasien für das Landesgericht oder das Bundesrechenzentrum, entziehen sich, allein schon aufgrund der unabsehbaren Fristen jeder Planbarkeit. Sie ergeben auch keinen stadträumlichen Zusammenhang, bloß weil sie in eine Karte eingetragen werden. Auch Adolf Loos’ Vorschlag von 1917 für zwei Türme auf den Gartenbaugründen muss als Kronzeuge für die neuen Hochhausideen herhalten. Loos` Türme waren freilich zur steigernden Rahmung eines dort geplanten Kaiserdenkmals gedacht, das unter dem Palais Coburg sonst nicht ausreichend zur Geltung gekommen wäre. Da nicht anzunehmen ist, dass sich Autoren und Auftraggeber eines 2015 vorliegenden Masterplans von analogen Motiven leiten lassen, erhebt sich die Frage, was hier gemeint ist.
Das herauszufinden wird einem nicht leicht gemacht: Zunächst weil der Plan gleich doppelt vorliegt, einmal als „Entwurf“ tout court, und dann, schmäler, als Entwurf zum „Beschlussdokument“. Das ist aber nicht bloß eine Zusammenfassung sondern eindeutig eine Übersetzung: von der Sprache der Gutachten in die der Politik. Beiden kann man die Neigung nicht absprechen, unter einer Flut wohlklingender, wenig präziser Begriffe konflikthaltige Stoffe gut zu verpacken. Anzudeuten, ohne sich zu sehr festzulegen liegt wohl in der „Natur“ derartiger Dokumente. Da werden Freiräume „aufgewertet“, oder Nebenfahrbahnen „neuinterpretiert“, Straßenabschnitte „individualisiert“, Bodenbeläge „differenziert“; Die „Durchlässigkeit“ wird radial verstärkt und „tangential verbessert“, eine angeblich bestehende „Wachstumsdynamik“ „gezielt instrumentiert“ – und überhaupt werden die „kreativen Szenen“, wo es nur geht, „gefördert“, vor allem natürlich in der „Kernstadt“.
Und dann noch der vielversprechende, indirekt neuerlich „tabula rasa“ andeutende Titel: „Masterplan Glacis“! 150 Jahre nach Eröffnung der Ringstraße! Zurück an den Start? Eine zweite Chance, für das Immobilienkapital von heute? „Glacis Neu“? Während Raith in einer Diskussion im Herbst 2013 von einer „subkutanen Schicht des Systems Ringstraße“ sprach, legten schon die wenigen Karten, die in einer frühen Phase an die Öffentlichkeit kamen, eine interessante Spur: Da waren alle Freiräumen im äußeren Teil des Ringstraßenareals als „Restflächen“ eingetragen, kleine, wie etwa die von Zäunen geteilten Park- und Parkplatzflächen beim Palais Trautson, und größere, wie der Ressel- oder der äußere Stadtpark. Hier wären also noch Spuren des Glacis zu finden? Abgesehen davon, dass diese sehr unterschiedlichen Räume auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen sind, es sei denn, dass sie irgendwo an den Übergang zu den ehemaligen Vorstädten grenzen, besteht kein Grund, sie zu „Resten“ abzuwerten, als könnte man ihnen nicht sehr wohl ausgeprägte Identitäten zuordnen, manchmal vernachlässigt, von missglückten Planungen vergangener Jahrzehnte bedrängt, aber doch mit eigenem Wert. Der Begriff wurde 2013 in öffentlicher Fachdiskussion scharf kritisiert, ist jetzt durch die freundlichere Bezeichnung „Open Field“ ersetzt und deckt sich großteils mit den „Zonen offensiver städtebaulicher Erneuerung (‚Stadtreparatur’)“ bzw. den „möglichen neuen Standorten; ergänzende Bauplätze im Rahmen der thematischen Ausrichtung“ im Beschlussdokument. In der Sache hat sich nichts geändert. Immer noch ist es der Hauptzweck dieser „Flächen“, „Zonen“ oder „Felder“ „Potenziale“ zu bieten. Wo es vordem „neue Gebäudetypen größeren Maßstabs“ gab, verzeichnen die Karten jetzt „architektonisch relevante Standortentwicklungen“, und die „Skizzen“ dazu nun entweder „Hochhaus-Entwicklungen“ oder „bauliche Nachverdichtungen“.
Hinter so viel begrifflicher Wirrnis, die handfeste ökonomische Begehrlichkeit mit schwammigem Fachjargon umschmeichelt, verbergen sich auch methodische Probleme. Aus den publizierten Zusammenfassungen der Analysen lassen sich Argumentationslinien für die gezogenen Schlüsse nur sehr bruchstückhaft und im Fall der „stadtmorphologischen Grundlagenanalyse“ überhaupt nicht nachvollziehen. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, wie aus stadtmorphologischer Sicht, also unabhängig von der Bewertung bestimmter Nutzungsfragen oder direkten Interessen lokaler Akteure, die erwähnten „Zonen“ identifiziert und abgegrenzt werden konnten, oder wie, die brennendste Frage, die Überschreitung der Bauhöhe der gründerzeitlichen Bebauung an bestimmten Stellen oder generell stadtmorphologisch begründbar wird. Hinweise gibt lediglich die knappe, einleitende Beschreibung der Analyseansätze. Sie lassen erkennen, dass von den Autoren der Begriff der Ganzheit, so wie er von der klassischen Architektur bis ins 19. Jahrhundert verwendet wird und eben auch auf die Ringstraßenplanung anzuwenden wäre, unverstanden bleibt. Teil und Ganzes sind hier nicht durch behauptete „Regelbrüche“ oder „Phänomene des ‚Fragmentarischen’“ vermittelt, sie bilden vielmehr im Harmoniebegriff eine unauflösliche Einheit, die keine „Diskontinuitäten“ kennt, sondern mit Systemen von Gliederungen, Zuordnungen oder Einbettungen operiert. Die identifizierten „Brüche“, die den Autoren Anlass für die Suche nach dem „versteckten Erbe“ des „Systems Glacis“ bieten, sind, soweit es die Anlage der Ringstraße selbst betrifft, eher eine Nachwirkung postmoderner Denkschemas als in der Struktur der Anlage auffindbare Phänomene.
Es geht dabei auch um ein Grundproblem der morphologischen Analyse: Sie verkommt zu einem unbrauchbaren Formalismus, wo sie nicht von den historischen Bedingtheiten ausgeht, zu denen auch die geistesgeschichtlichen Paradigmen gehören. Weder der Stilpluralismus noch der Einfluss des Landschaftlichen, ändern etwas an dem klassischen Paradigma der Ganzheit. Gerade die „landschaftlich“ gedachten Freiräume, konkret vermittelt über den offenen, „romantischen Städtebau“ Schinkels, machen die Ringstraßenanlage zu dem einzigartigen Ensemble, das Stadtbaugeschichte geschrieben hat. „Nachverdichtungen“, tendenziell also ein „Auffüllen“ dieser Freiräume mit Baukörpern, können, auch unabhängig von ihren Nutzungen, das empfindliche Gleichgewicht hier sehr rasch zum Kippen bringen. Die „Gegend“ Karlsplatz zeigt, dass dafür selbst eine falsche Profilierung des Geländes ausreicht. Wenn ein „Eingriff“ zur „Reparatur“ dieser Fehler vorgenommen werden soll, dann wäre jedenfalls von dieser spezifischen „offenen“ Ganzheit auszugehen und nicht von einer Haltung des „Hineinsetzens“ oder „Draufsetzens“, die in den letzten Jahren zu einem fatalen Stereotyp des Wiener Stadtumbaus geworden ist.
In Bezug auf ihre Morphologie ist die Ringstraße eine pluralistisch-romantische Interpretation klassischer Kompositionsprinzipen. Die Romantik prägte die besondere Konstellation, die „Offenheit“ des Freiraums, der Pluralismus zeigte sich dagegen so gut wie ausschließlich in der Charakterisierung der öffentlichen Gebäude. Bei den privaten Baublöcken, deren konstante Höhe und volumetrische Strenge bis ins Detail die wahrscheinlich prägendste Qualität der Ringstraßenmorphologie ausmacht, war bis 1890 die Renaissance die dominante Referenz. Die Freiheiten, die sich die Spätgründerzeit nahm, so eng korsettiert sie aus heutiger Sicht auch erscheinen mögen, veranlassten Loos zur Polemik: „Wenn ich von der Oper nach dem Schwarzenbergplatz blicke, so habe ich das volle Gefühl: Ringstraße! Das Gefühl: Wien! Aber am Stubenring habe ich das Gefühl: Fünfstöckiges Mährisch-Ostrau.“ In jedem Fall aber war die Realisierung der Ringstraße und insbesondere der Baublöcke die Leistung und das Spiegelbild des aufgeklärten, liberalen Bürgertums. Solange uns die Aufklärung eine Leitfigur bleibt, hat auch die Unversehrtheit der Anlage der Ringstraße ihre Berechtigung. Es ist kein Zufall, dass gerade die, glücklicherweise Papier und Gips gebliebenen NS-Planungen im Ringstraßenbereich, mit ihrer szenografischen Gestik und Dramatik, den Geist der Ringstraße am gründlichsten verfehlten.
Ein ebenso gravierendes methodisches Problem des Masterplans besteht in der Handhabung der drei Szenarien. Während einerseits betont wird, dass in zahlreichen Aspekten, wie z.B. in der „Aufwertung“ des Freiraums oder der „Intensivierung“ eines „kreativen Clusters“, aber auch in der Entwicklung bestimmter „Standorte“ oder „Potenziale“ „überzeugende konzeptionelle Alternativen“ fehlten, werden die Szenarien andererseits zu einer scheinbaren Alternative zugespitzt. Das vorgebliche Dilemma von „Bewahrung – Stillstand – Erstarrung“ vs. „Maßstabssprung – Dynamik – Vitalität“, das aus dieser Polarisierung folgt, schafft den falsche Eindruck, Alternativen könnten nur auf dieser einen Achse zwischen den Polen gefunden werden. Die logische Folge ist dann, dass die „Synthese“ „C“, die genauso gut „Kompromiss“ oder auch „Übergangslösung“ genannt werden kann, von „B“ nur graduell unterscheidbar ist. Die Alternativenfindung löst sich folglich in eine reine Skalierungsfrage auf.
Dass es gänzlich andere (tatsächliche) Alternativen geben könnte, wird durch die Methode selbst ausgeblendet. In diesem Fall wären das z.B. qualitative Entwicklungen im Gebiet der Ringstraße selbst, eine radikal immaterielle Erneuerung etwa, die auch in der konsequenten Aktualisierung des Wissens über den Bestand Platz finden könnte, oder auch Entwicklungen, die das gesamte Stadtgebiet betreffen, wie z.B. die Schaffung bzw. Stärkung neuer Subzentren in und außerhalb der gründerzeitlichen Bebauung. Also das bewusste (und tatsächlich „mutige“) Verlassen der extremen Zentrumsfixiertheit von Wien zugunsten einer tendenziell polyzentrischen Struktur.
Dazu kommt, dass die scheinbare „Wertfreiheit“ dieses Instruments der Szenarien, in Wirklichkeit einer klaren Wertung unterliegt. Angesichts der falschen Polarisierung zwischen den „unverzichtbaren Ansprüchen einer qualifizierten Bewahrung des kulturellen Erbes einerseits und einer – ebenso unverzichtbaren – qualifizierten Weiterentwicklung und Aktualisierung des urbanen Lebensraums der Wiener Kernstadt“ andererseits, muss sich schließlich alles auf die Frage der Bauhöhe verengen. Das Szenario A „adagio“, ohne Überschreitung der Bestandshöhen, wird dabei durchgängig und auf nicht nachvollziehbare Weise gegenüber dem Szenario B „pressante“ (und C „vivace“), mit forcierter Hochhausentwicklung, abgewertet. So wird z.B. suggeriert, die „Zielvorstellungen“ im öffentlichen Raum, wären ohne weitere Überhöhungen der Bebauung weniger umfassend und langsamer umsetzbar, als in den beiden anderen Perspektiven. Auch die Umnutzung und Umstrukturierung der „monofunktionalen Komplexe“ der Kasernen und des Landesgerichts wird für dieses Szenario willkürlich ausgeschlossen, absurder Weise unter Berufung auf die Umnutzung des Alten AKH oder des Museumsquartiers, die wohl keinerlei Problem mit Höhenbeschränkungen hatten und haben.
Das legt schließlich das Hauptproblem des Masterplans offen: Die Addition von Baumasse nach oben wird von vorneherein und in unreflektierter Weise als conditio sine qua non jeder Entwicklung, ja geradezu als Überlebensfrage der Stadt stilisiert. Abgesehen von der Naivität, die Ungleichzeitigkeiten nur als „Problem“ wahrnehmen kann, drückt sich darin letztlich die Grundhaltung der Autoren der Studie aus. Wollte man dieser Haltung nicht Unintelligenz im Sinn der Gleichung „je höher, desto fortschrittlicher“ unterstellen, so bliebe nur eine rationale Erklärung: Die Verbesserung des Guten, die man der wählerisch gewordenen Bevölkerung anbieten will, wird angesichts fehlender öffentlicher Mittel den erpresserischen Begehrlichkeiten der „private partner“ abverlangt, die freilich von Qualitäten profitieren wollen, deren Entstehungs- und Existenzgrundlagen sie als hinderlich ablehnen.
Doch gerade an diesem für Kapitalisierung wie Gestaltqualität elementaren Punkt der Höhenentwicklung greift das „Doppelbild“ von „Entwurf“ und „Entwurf zum Beschlussdokument“ in voller Widersprüchlichkeit: Adressieren die „Hochhaus-Entwicklungen“ hier offensichtlich das Privatkapital, sind diese „neuen Standorte“ dort „ausschließlich für öffentliche Einrichtungen vorbehalten“. Da diese bekanntlich heute immer öfter in public-private-partnerships errichtet werden, entpuppt sich das als Scheinwiderspruch. Das Schlussdokument bringt noch einen weiteren „Spielraum“ aufs Tapet, der im „Entwurf“ explizit gar nicht angesprochen war: „signifikante Änderungen des Bebauungsplans auf bestehenden Bauplätzen“, die gegen „öffentlichen Mehrwert“ gewährt werden sollen. Wie dehnbar dieser Begriff ist, wissen wir aus der Debatte um das InterCont-Projekt... Mit einem einzigen Satz ist hier der viel beschworene „Maßstabssprung“ über alle Baublöcke der Ringzone freigegeben. Die Schleusentore eines neuen „Glacis“ sind geöffnet.
150 Jahre ist es her, seit das Glacis durch die Anlage der Ringstraße abgelöst wurde: 1865, bei der Eröffnung, wirkte das Areal zwischen der Innenstadt und den Vorstädten zwar noch weitgehend leer. Von Glacis, der militärischen Pufferzone vor den Befestigungen der Haupt- und Residenzstadt der Habsburger, konnte aber schon zu dem Zeitpunkt nicht mehr die Rede sein. Was eröffnet wurde, war der öffentliche Raum, gleichsam ein 1:1-Modell des Grundplans von 1859. Denn das Netzwerk aus Alleen und Parks, Straßen und Plätzen legte fest, was folgen sollte: die Baublöcke der Ringstraßenpalais und die öffentlichen Monumentalbauten. Der Einfluss und Raumanspruch des Militärs, am Beginn der Planungen, 1857, noch dominant, wurde sukzessive zurückgedrängt, Exerzierplätze und Kasernen mussten den Institutionen einer bürgerlichen Gesellschaft weichen, die seit der Abkehr von der neoabsolutistischen Staatsform, nur vier Jahre später, im Aufbruch war. Der aus dem Großbürgertum hervorgegangene „neue Adel“ erhielt eine „Bühne“, zur Gänze, Freiräume und Monumente inklusive, von ihm selbst finanziert, aber von der staatlich verordneten und kontrollierten Planung so eingerichtet, dass eine dominante Rolle ausgeschlossen war – zugunsten des öffentlichen Raums, der öffentlichen Institutionen, wovon auch die zweite Republik bis heute profitiert. Die Zahl der Bewohner und Besucher dieser Stadt, die das Jahr über diesen Raum und die in ihn eingelagerten Institutionen frequentieren, geht in die Millionen.
Das Glacis kann nicht ein zweites Mal verkauft werden. Von den kleinen „sogenannten „Restflächen“ würden wir nur auf Kosten des Ganzen „reich“. Und auch diesen Zufall gibt es nicht zweimal: Von einem autoritären System haben wir die liberalste Anlage geschenkt bekommen, aus einer Epoche ungezügelter Spekulation die bestproportionierte Stadtstruktur. Wir haben Glück gehabt, ganz unwahrscheinliches Glück! Die Welt bewundert, beneidet uns darum. Wir hingegen wollen unser Glück vernichten.
Denn tatsächlich entstand die Idee zum Masterplan im Herbst 2012, in einer frühen Planungsphase zu genau diesem Projekt am Heumarkt. Erich Raith, in der Folge, gemeinsam mit einem Dutzend ExpertInnen unter anderem von der TU Wien, mit der Erstellung der „fachlichen Grundlagen“ des Masterplans beauftragt, ist da unter den teilnehmenden Planern im „kooperativen ExpertInnenverfahren“, das die städtebaulichen Rahmenbedingungen für das InterCont-Projekt festlegen soll. Das Problem wird von einigen der beteiligten Fachleute richtig erkannt: die vom Investor gewünschte Höhenentwicklung, das Dreifache der Ringstraßenblocks, weit außerhalb des widmungsgemäß gültigen Rahmens, ist stadträumlich nicht argumentierbar. Das Scheitern dieses Verfahrens ist bekannt, die Kritik daran, die sich in breitester Front in der Fachwelt formierte, bleibt auch nach Abschluss des nachfolgenden Wettbewerbs im März des Vorjahres vollinhaltlich aufrecht. In die Achse des Belvederegartens gerückt und gut sichtbar in der Flucht des Kärntner Rings stellt das Luxuswohnhochhaus einen Präzendenzfall mit unabsehbaren Folgen dar. Obwohl nun der Masterplan klarstellt, dass in laufende Verfahren nicht eingegriffen werden soll, ist das Projekt in der „Skizze“ zum erwähnten Szenario B „pressante“, wie auch unter der „Synthese“ C, „vivace“, bereits als Hochhausentwicklung mit seinem aktuellen Baumassenplan eingetragen. Zumindest für dieses Projekt erfüllt der Masterplan also nicht die Funktion einer „rahmensetzenden Orientierung“, die ihm von Auftraggeberseite zugeschrieben wird. Er kommt einer willkommenen, rechtlich allerdings immer noch belanglosen Schützenhilfe gleich.
Die „Hardware“ des Masterplans besteht aus seit langem diskutierten Projektideen öffentlicher oder privater Exponenten. Ewige Themen, wie die Umstrukturierung der Rossauerkaserne oder der Stiftskaserne und ähnliche Phantasien für das Landesgericht oder das Bundesrechenzentrum, entziehen sich, allein schon aufgrund der unabsehbaren Fristen jeder Planbarkeit. Sie ergeben auch keinen stadträumlichen Zusammenhang, bloß weil sie in eine Karte eingetragen werden. Auch Adolf Loos’ Vorschlag von 1917 für zwei Türme auf den Gartenbaugründen muss als Kronzeuge für die neuen Hochhausideen herhalten. Loos` Türme waren freilich zur steigernden Rahmung eines dort geplanten Kaiserdenkmals gedacht, das unter dem Palais Coburg sonst nicht ausreichend zur Geltung gekommen wäre. Da nicht anzunehmen ist, dass sich Autoren und Auftraggeber eines 2015 vorliegenden Masterplans von analogen Motiven leiten lassen, erhebt sich die Frage, was hier gemeint ist.
Das herauszufinden wird einem nicht leicht gemacht: Zunächst weil der Plan gleich doppelt vorliegt, einmal als „Entwurf“ tout court, und dann, schmäler, als Entwurf zum „Beschlussdokument“. Das ist aber nicht bloß eine Zusammenfassung sondern eindeutig eine Übersetzung: von der Sprache der Gutachten in die der Politik. Beiden kann man die Neigung nicht absprechen, unter einer Flut wohlklingender, wenig präziser Begriffe konflikthaltige Stoffe gut zu verpacken. Anzudeuten, ohne sich zu sehr festzulegen liegt wohl in der „Natur“ derartiger Dokumente. Da werden Freiräume „aufgewertet“, oder Nebenfahrbahnen „neuinterpretiert“, Straßenabschnitte „individualisiert“, Bodenbeläge „differenziert“; Die „Durchlässigkeit“ wird radial verstärkt und „tangential verbessert“, eine angeblich bestehende „Wachstumsdynamik“ „gezielt instrumentiert“ – und überhaupt werden die „kreativen Szenen“, wo es nur geht, „gefördert“, vor allem natürlich in der „Kernstadt“.
Und dann noch der vielversprechende, indirekt neuerlich „tabula rasa“ andeutende Titel: „Masterplan Glacis“! 150 Jahre nach Eröffnung der Ringstraße! Zurück an den Start? Eine zweite Chance, für das Immobilienkapital von heute? „Glacis Neu“? Während Raith in einer Diskussion im Herbst 2013 von einer „subkutanen Schicht des Systems Ringstraße“ sprach, legten schon die wenigen Karten, die in einer frühen Phase an die Öffentlichkeit kamen, eine interessante Spur: Da waren alle Freiräumen im äußeren Teil des Ringstraßenareals als „Restflächen“ eingetragen, kleine, wie etwa die von Zäunen geteilten Park- und Parkplatzflächen beim Palais Trautson, und größere, wie der Ressel- oder der äußere Stadtpark. Hier wären also noch Spuren des Glacis zu finden? Abgesehen davon, dass diese sehr unterschiedlichen Räume auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen sind, es sei denn, dass sie irgendwo an den Übergang zu den ehemaligen Vorstädten grenzen, besteht kein Grund, sie zu „Resten“ abzuwerten, als könnte man ihnen nicht sehr wohl ausgeprägte Identitäten zuordnen, manchmal vernachlässigt, von missglückten Planungen vergangener Jahrzehnte bedrängt, aber doch mit eigenem Wert. Der Begriff wurde 2013 in öffentlicher Fachdiskussion scharf kritisiert, ist jetzt durch die freundlichere Bezeichnung „Open Field“ ersetzt und deckt sich großteils mit den „Zonen offensiver städtebaulicher Erneuerung (‚Stadtreparatur’)“ bzw. den „möglichen neuen Standorten; ergänzende Bauplätze im Rahmen der thematischen Ausrichtung“ im Beschlussdokument. In der Sache hat sich nichts geändert. Immer noch ist es der Hauptzweck dieser „Flächen“, „Zonen“ oder „Felder“ „Potenziale“ zu bieten. Wo es vordem „neue Gebäudetypen größeren Maßstabs“ gab, verzeichnen die Karten jetzt „architektonisch relevante Standortentwicklungen“, und die „Skizzen“ dazu nun entweder „Hochhaus-Entwicklungen“ oder „bauliche Nachverdichtungen“.
Hinter so viel begrifflicher Wirrnis, die handfeste ökonomische Begehrlichkeit mit schwammigem Fachjargon umschmeichelt, verbergen sich auch methodische Probleme. Aus den publizierten Zusammenfassungen der Analysen lassen sich Argumentationslinien für die gezogenen Schlüsse nur sehr bruchstückhaft und im Fall der „stadtmorphologischen Grundlagenanalyse“ überhaupt nicht nachvollziehen. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, wie aus stadtmorphologischer Sicht, also unabhängig von der Bewertung bestimmter Nutzungsfragen oder direkten Interessen lokaler Akteure, die erwähnten „Zonen“ identifiziert und abgegrenzt werden konnten, oder wie, die brennendste Frage, die Überschreitung der Bauhöhe der gründerzeitlichen Bebauung an bestimmten Stellen oder generell stadtmorphologisch begründbar wird. Hinweise gibt lediglich die knappe, einleitende Beschreibung der Analyseansätze. Sie lassen erkennen, dass von den Autoren der Begriff der Ganzheit, so wie er von der klassischen Architektur bis ins 19. Jahrhundert verwendet wird und eben auch auf die Ringstraßenplanung anzuwenden wäre, unverstanden bleibt. Teil und Ganzes sind hier nicht durch behauptete „Regelbrüche“ oder „Phänomene des ‚Fragmentarischen’“ vermittelt, sie bilden vielmehr im Harmoniebegriff eine unauflösliche Einheit, die keine „Diskontinuitäten“ kennt, sondern mit Systemen von Gliederungen, Zuordnungen oder Einbettungen operiert. Die identifizierten „Brüche“, die den Autoren Anlass für die Suche nach dem „versteckten Erbe“ des „Systems Glacis“ bieten, sind, soweit es die Anlage der Ringstraße selbst betrifft, eher eine Nachwirkung postmoderner Denkschemas als in der Struktur der Anlage auffindbare Phänomene.
Es geht dabei auch um ein Grundproblem der morphologischen Analyse: Sie verkommt zu einem unbrauchbaren Formalismus, wo sie nicht von den historischen Bedingtheiten ausgeht, zu denen auch die geistesgeschichtlichen Paradigmen gehören. Weder der Stilpluralismus noch der Einfluss des Landschaftlichen, ändern etwas an dem klassischen Paradigma der Ganzheit. Gerade die „landschaftlich“ gedachten Freiräume, konkret vermittelt über den offenen, „romantischen Städtebau“ Schinkels, machen die Ringstraßenanlage zu dem einzigartigen Ensemble, das Stadtbaugeschichte geschrieben hat. „Nachverdichtungen“, tendenziell also ein „Auffüllen“ dieser Freiräume mit Baukörpern, können, auch unabhängig von ihren Nutzungen, das empfindliche Gleichgewicht hier sehr rasch zum Kippen bringen. Die „Gegend“ Karlsplatz zeigt, dass dafür selbst eine falsche Profilierung des Geländes ausreicht. Wenn ein „Eingriff“ zur „Reparatur“ dieser Fehler vorgenommen werden soll, dann wäre jedenfalls von dieser spezifischen „offenen“ Ganzheit auszugehen und nicht von einer Haltung des „Hineinsetzens“ oder „Draufsetzens“, die in den letzten Jahren zu einem fatalen Stereotyp des Wiener Stadtumbaus geworden ist.
In Bezug auf ihre Morphologie ist die Ringstraße eine pluralistisch-romantische Interpretation klassischer Kompositionsprinzipen. Die Romantik prägte die besondere Konstellation, die „Offenheit“ des Freiraums, der Pluralismus zeigte sich dagegen so gut wie ausschließlich in der Charakterisierung der öffentlichen Gebäude. Bei den privaten Baublöcken, deren konstante Höhe und volumetrische Strenge bis ins Detail die wahrscheinlich prägendste Qualität der Ringstraßenmorphologie ausmacht, war bis 1890 die Renaissance die dominante Referenz. Die Freiheiten, die sich die Spätgründerzeit nahm, so eng korsettiert sie aus heutiger Sicht auch erscheinen mögen, veranlassten Loos zur Polemik: „Wenn ich von der Oper nach dem Schwarzenbergplatz blicke, so habe ich das volle Gefühl: Ringstraße! Das Gefühl: Wien! Aber am Stubenring habe ich das Gefühl: Fünfstöckiges Mährisch-Ostrau.“ In jedem Fall aber war die Realisierung der Ringstraße und insbesondere der Baublöcke die Leistung und das Spiegelbild des aufgeklärten, liberalen Bürgertums. Solange uns die Aufklärung eine Leitfigur bleibt, hat auch die Unversehrtheit der Anlage der Ringstraße ihre Berechtigung. Es ist kein Zufall, dass gerade die, glücklicherweise Papier und Gips gebliebenen NS-Planungen im Ringstraßenbereich, mit ihrer szenografischen Gestik und Dramatik, den Geist der Ringstraße am gründlichsten verfehlten.
Ein ebenso gravierendes methodisches Problem des Masterplans besteht in der Handhabung der drei Szenarien. Während einerseits betont wird, dass in zahlreichen Aspekten, wie z.B. in der „Aufwertung“ des Freiraums oder der „Intensivierung“ eines „kreativen Clusters“, aber auch in der Entwicklung bestimmter „Standorte“ oder „Potenziale“ „überzeugende konzeptionelle Alternativen“ fehlten, werden die Szenarien andererseits zu einer scheinbaren Alternative zugespitzt. Das vorgebliche Dilemma von „Bewahrung – Stillstand – Erstarrung“ vs. „Maßstabssprung – Dynamik – Vitalität“, das aus dieser Polarisierung folgt, schafft den falsche Eindruck, Alternativen könnten nur auf dieser einen Achse zwischen den Polen gefunden werden. Die logische Folge ist dann, dass die „Synthese“ „C“, die genauso gut „Kompromiss“ oder auch „Übergangslösung“ genannt werden kann, von „B“ nur graduell unterscheidbar ist. Die Alternativenfindung löst sich folglich in eine reine Skalierungsfrage auf.
Dass es gänzlich andere (tatsächliche) Alternativen geben könnte, wird durch die Methode selbst ausgeblendet. In diesem Fall wären das z.B. qualitative Entwicklungen im Gebiet der Ringstraße selbst, eine radikal immaterielle Erneuerung etwa, die auch in der konsequenten Aktualisierung des Wissens über den Bestand Platz finden könnte, oder auch Entwicklungen, die das gesamte Stadtgebiet betreffen, wie z.B. die Schaffung bzw. Stärkung neuer Subzentren in und außerhalb der gründerzeitlichen Bebauung. Also das bewusste (und tatsächlich „mutige“) Verlassen der extremen Zentrumsfixiertheit von Wien zugunsten einer tendenziell polyzentrischen Struktur.
Dazu kommt, dass die scheinbare „Wertfreiheit“ dieses Instruments der Szenarien, in Wirklichkeit einer klaren Wertung unterliegt. Angesichts der falschen Polarisierung zwischen den „unverzichtbaren Ansprüchen einer qualifizierten Bewahrung des kulturellen Erbes einerseits und einer – ebenso unverzichtbaren – qualifizierten Weiterentwicklung und Aktualisierung des urbanen Lebensraums der Wiener Kernstadt“ andererseits, muss sich schließlich alles auf die Frage der Bauhöhe verengen. Das Szenario A „adagio“, ohne Überschreitung der Bestandshöhen, wird dabei durchgängig und auf nicht nachvollziehbare Weise gegenüber dem Szenario B „pressante“ (und C „vivace“), mit forcierter Hochhausentwicklung, abgewertet. So wird z.B. suggeriert, die „Zielvorstellungen“ im öffentlichen Raum, wären ohne weitere Überhöhungen der Bebauung weniger umfassend und langsamer umsetzbar, als in den beiden anderen Perspektiven. Auch die Umnutzung und Umstrukturierung der „monofunktionalen Komplexe“ der Kasernen und des Landesgerichts wird für dieses Szenario willkürlich ausgeschlossen, absurder Weise unter Berufung auf die Umnutzung des Alten AKH oder des Museumsquartiers, die wohl keinerlei Problem mit Höhenbeschränkungen hatten und haben.
Das legt schließlich das Hauptproblem des Masterplans offen: Die Addition von Baumasse nach oben wird von vorneherein und in unreflektierter Weise als conditio sine qua non jeder Entwicklung, ja geradezu als Überlebensfrage der Stadt stilisiert. Abgesehen von der Naivität, die Ungleichzeitigkeiten nur als „Problem“ wahrnehmen kann, drückt sich darin letztlich die Grundhaltung der Autoren der Studie aus. Wollte man dieser Haltung nicht Unintelligenz im Sinn der Gleichung „je höher, desto fortschrittlicher“ unterstellen, so bliebe nur eine rationale Erklärung: Die Verbesserung des Guten, die man der wählerisch gewordenen Bevölkerung anbieten will, wird angesichts fehlender öffentlicher Mittel den erpresserischen Begehrlichkeiten der „private partner“ abverlangt, die freilich von Qualitäten profitieren wollen, deren Entstehungs- und Existenzgrundlagen sie als hinderlich ablehnen.
Doch gerade an diesem für Kapitalisierung wie Gestaltqualität elementaren Punkt der Höhenentwicklung greift das „Doppelbild“ von „Entwurf“ und „Entwurf zum Beschlussdokument“ in voller Widersprüchlichkeit: Adressieren die „Hochhaus-Entwicklungen“ hier offensichtlich das Privatkapital, sind diese „neuen Standorte“ dort „ausschließlich für öffentliche Einrichtungen vorbehalten“. Da diese bekanntlich heute immer öfter in public-private-partnerships errichtet werden, entpuppt sich das als Scheinwiderspruch. Das Schlussdokument bringt noch einen weiteren „Spielraum“ aufs Tapet, der im „Entwurf“ explizit gar nicht angesprochen war: „signifikante Änderungen des Bebauungsplans auf bestehenden Bauplätzen“, die gegen „öffentlichen Mehrwert“ gewährt werden sollen. Wie dehnbar dieser Begriff ist, wissen wir aus der Debatte um das InterCont-Projekt... Mit einem einzigen Satz ist hier der viel beschworene „Maßstabssprung“ über alle Baublöcke der Ringzone freigegeben. Die Schleusentore eines neuen „Glacis“ sind geöffnet.
150 Jahre ist es her, seit das Glacis durch die Anlage der Ringstraße abgelöst wurde: 1865, bei der Eröffnung, wirkte das Areal zwischen der Innenstadt und den Vorstädten zwar noch weitgehend leer. Von Glacis, der militärischen Pufferzone vor den Befestigungen der Haupt- und Residenzstadt der Habsburger, konnte aber schon zu dem Zeitpunkt nicht mehr die Rede sein. Was eröffnet wurde, war der öffentliche Raum, gleichsam ein 1:1-Modell des Grundplans von 1859. Denn das Netzwerk aus Alleen und Parks, Straßen und Plätzen legte fest, was folgen sollte: die Baublöcke der Ringstraßenpalais und die öffentlichen Monumentalbauten. Der Einfluss und Raumanspruch des Militärs, am Beginn der Planungen, 1857, noch dominant, wurde sukzessive zurückgedrängt, Exerzierplätze und Kasernen mussten den Institutionen einer bürgerlichen Gesellschaft weichen, die seit der Abkehr von der neoabsolutistischen Staatsform, nur vier Jahre später, im Aufbruch war. Der aus dem Großbürgertum hervorgegangene „neue Adel“ erhielt eine „Bühne“, zur Gänze, Freiräume und Monumente inklusive, von ihm selbst finanziert, aber von der staatlich verordneten und kontrollierten Planung so eingerichtet, dass eine dominante Rolle ausgeschlossen war – zugunsten des öffentlichen Raums, der öffentlichen Institutionen, wovon auch die zweite Republik bis heute profitiert. Die Zahl der Bewohner und Besucher dieser Stadt, die das Jahr über diesen Raum und die in ihn eingelagerten Institutionen frequentieren, geht in die Millionen.
Das Glacis kann nicht ein zweites Mal verkauft werden. Von den kleinen „sogenannten „Restflächen“ würden wir nur auf Kosten des Ganzen „reich“. Und auch diesen Zufall gibt es nicht zweimal: Von einem autoritären System haben wir die liberalste Anlage geschenkt bekommen, aus einer Epoche ungezügelter Spekulation die bestproportionierte Stadtstruktur. Wir haben Glück gehabt, ganz unwahrscheinliches Glück! Die Welt bewundert, beneidet uns darum. Wir hingegen wollen unser Glück vernichten.
[ Andras Vass Jahrgang 1961, geboren in Wien. Studium der Architektur an der Akademie der bildenden Künste. Seit 1988 Zusammenarbeit mit Erich Hubmann in einem gemeinsamen Büro (Hubmann Vass Architekten). Gründungsmitglied der IG Architektur, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur. ]
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