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Zwischen Räumen leben
Der Standard

Der Wohnbau in Japan schafft Wohnqualität auf wenigen Quadratmetern. Ein Wohnzimmer kann in flexiblen Raumkonzepten auch zur öffentlich zugänglichen Zone für jedermann werden.

7. Februar 2015 - Ulf Meyer
Wozu besitzen, wenn man auch teilen kann? Ein Haus in Yokohama, Japans drittgrößter Stadt, macht das zwischenmenschliche, urbane Mitein- ander exemplarisch vor. Architekt Osamu Nishida hat mit seinem Kanagawa Apartment House ein Konglomerat aus privaten Hausteilen geschaffen, die sich rund um eine öffentliche Hausmitte gruppieren. In diesem frei zugänglichen Atrium wird gekocht, gegessen und gewohnt. Quasi mitten auf der Straße.

Um den zentralen Zwischenraum, „chanoma“ genannt, auch bei kühlem Wetter nutzbar zu halten, hat der Architekt Osamu Nishida dicke, durchsichtige Plastiklamellen, wie man sie aus Kühlhäusern kennt, einfach in die Öffnungen gehängt. Schlanke, weiße Stahltreppen führen frei durch den Raum und erschließen die privaten Schlaf- und Rückzugsräume im Obergeschoß. Auf diese Weise ist es gelungen, auf einem nur 140 Quadratmeter großen Grundstück ein ebenso großes Haus hinzustellen, ohne jedoch dabei die winzige Parzelle voll zu bebauen. In jedem Raum des schlohweißen Gebäudes gibt es Tageslicht.

Das Kanagawa Apartment House ist typisch für die zeitgenössische japanische Wohnbauszene, die aus Nöten Tugenden macht. Bauland ist kostbar in Japan, die Grundstücke sind klein und stets teurer als die Häuser, die darauf stehen. „Die matchboxgroßen Mikrohäuser stehen bisweilen auf Parzellen, die nicht größer sind als ein Parkplatz, und haben Schlafzimmer, die so groß sind wie ein Kleiderschrank, und Kleiderschränke, die so groß sind wie ein Koffer, und Miniküchen wie man sie aus U-Booten kennt“, sagt der in Tokio tätige Architekt Kengo Kuma. „Auf kleinstem Raum dennoch angenehme Orte entwerfen zu können, das haben wir Japaner in unserer DNA.“

Das Teehaus als Vorbild

Das Talent für das Kleine, so Kuma, entspringe aus der Tradition der „cha-shitsu“, der kleinen japanischen Teehäuser, die im Garten oft als Ausblickspunkt und Ort der inneren Einkehr gebaut werden. Die bonsaihafte Miniaturisierung und der Rückgriff auf das bauliche Erbe bringen auch wieder Wärme und Wohnlichkeit zurück in die zeitgenössische Architektur. Hinzu kommen Handwerkskunst und die Verwendung von angenehmen Materialien wie etwa Bambus, Holz oder Papier.

Trotz der extremen Bevölkerungsdichte hat sich in Japan bis heute die Tradition des Einfamilienhauses gehalten, denn die japanische Gesellschaft wird von einer breiten Mittelschicht geprägt, der sich fast alle Japaner zugehörig fühlen - und die legt großen Wert auf privaten Grund- und Immobilienbesitz. Und sei er noch so klein.

In Tokio können Häuser mitunter zwei Meter schmal sein. So viel beträgt in der Hauptstadt die zulässige Mindestbreite für Wohnhäuser. Der Raumqualität tut dies keinen Abbruch. Wenn es um Stauraum und platzsparende Einbaumöbel geht, dann werden japanische Entwerfer zu genialen Erfindern und schlagen aus widrigen Umständen gestalterische Funken.

Mobiles Mobiliar

Um Platz zu sparen, werden die Funktionen in den einzelnen Räumen einfach überlappt. Weiche, fließende Raumfolgen werden oft nur von beweglichen Paravents unterteilt. Kissen und zusammenfaltbare Möbel sind leicht zu verstauen und helfen, Platz zu sparen. Oft schläft die ganze Familie bis zum Schulalter der Kinder auf demselben Futon. Die öffentlichen Bäder, die sogenannten „sento“, machen eine große Badewanne daheim unnötig. Und wohnen tut man ohnedies auch auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Restaurant, im Zug.

Einige Tricks helfen, die Räume größer erscheinen zu lassen, als sie sind: In schmalen, hohen Häusern wird die Treppe zum vertikalen Flur, der oft nur einen einzigen Raum pro Etage erschließt. Privatsphäre ist ein knappes Gut in Japan und bedarf oft nicht mehr als eines Sichtschutzes. Die dünnen Wände sparen zwar Platz, tragen aber auch zum Mangel an akustischer Privatsphäre bei. Fluide Räume und opake Materialien sind beliebt, weil sie Licht, aber keine neugierigen Blicke hineinlassen. Oft sind die Minihäuser nach innen orientiert, um einen kleinen Innenhof herum und schaffen so ihren eigenen Mikrokosmos.

Der Tokioter Architekt Takaharu Tezuka bringt den Trend zur Smallness auf den Punkt: „Westliche Architekten sprechen gerne von der wichtigen Rolle des Zwischenraums zwischen innen und außen. Unser Ansatz ist anders: Bei uns ist alles Zwischenraum“, sagt er. Ein Minihaus zu bauen sei durchaus erschwinglich geworden - und vor allem sinnfällig: Nur noch eine Minderheit der Haushalte in Japan sind Familien. Unverheiratete, Alleinerziehende und Senioren machen mittlerweile einen größeren Teil aus als je zuvor. Die geringe Geburtenrate und die hohe Lebenserwartung führen zu immer kleineren Haushalten.

Trend zm Kleinsthaus

Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch im dichtbesiedelten Mitteleuropa die einzigartigen räumlichen Lösungen aus Japan hoch im Kurs sind. Die Welt wird immer urbaner und somit auch der japanischen Ausgangslage für Baukunst immer vergleichbarer. Architekten im Land der aufgehenden Sonne entwickeln Ideen, die die Zukunft anderer Länder schon vorwegnehmen. Die historisch niedrigen Zinsen befeuern die Nachfrage nach kleinen Wohnhäusern derzeit. Die Lust am Bau eines Kleinsthauses mit innovativen Raumideen und minimalistischer Ästhetik ist eine internationale.

Das beste Beispiel für den neuen japanischen Umgang mit der eigenen Tradition ist das Haus „MoyaMoya“ in Higashi-Kurume. Architekt Fumihiko Sano hat das ganze Haus mit einem Schleier umgeben, der den weißen Kubus dahinter nur erahnen lässt. Das haushohe Netz aus Edelstahl verhüllt den Bau und schafft eine leichte, durchscheinende Grenze zur Umgebung.

Drinnen geht es traditioneller zu: Die Bauherrin nutzt das Haus nicht nur zum Wohnen, sondern auch als Nähwerkstatt für Kimonos. Deren strahlende Farben und Muster kommen vor den Beige-Töne der Innenräume und dem hellen Holz von Boden, Treppe und Mobiliar besonders gut zur Geltung. Das alles ist möglich, auch auf wenigen Quadratmetern.

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