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Kunst kommt immer mehr in Mode
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Rem Koolhaas hat in Mailand für die Kulturstiftung des italienischen Modehauses Prada eine ehemalige Industrieanlage eindrucksvoll umgebaut.
30. Mai 2015 - Henning Klüver
Hellgraue Außenmauern einer typischen Industriearchitektur umziehen ein etwa zwei Hektar großes Areal im Süden Mailands. Hier und da werden sie von Fenstern durchbrochen. Elegant zurückhaltend leuchtet der Name des Hausherrn in dünner Neonschrift neben dem Einfahrtstor an der sonst eher gesichtslosen Straße: Fondazione Prada. Mehrere Baukörper ragen heraus, alte wie neue, darunter ein geheimnisvoll goldglänzendes Haus. Wenn man die Anlage der Kulturstiftung am Largo Isarco betritt, glaubt man sich in einer kleinen Stadt mit gepflasterten Wegen, Höfen und Plätzen. Im Hintergrund wächst ein weißer Turm 60 Meter in die Höhe, der einzige Teil des Komplexes, der noch im Bau ist.
Das niederländische Architekturstudio OMA hat unter der Leitung von Rem Koolhaas für Prada die ehemalige Fabrikationsanlage einer Großdestillerie umgebaut. „Wir haben nicht die Gegensätze betont“, erläutert der Architekt beim Rundgang. Er und seine Mitarbeiter haben eher versucht, Situationen zu schaffen, „in denen Alt wie Neu zusammenstehen.“ Das gilt für Baukörper ebenso wie für die Materialien von typisch lombardischen Backsteinen bis zu hochtechnologischen Wandstrukturen aus Aluminiumschaum, die silbergrau glitzern.
Alt und Neu ergänzen sich
Viel von der alten Struktur der Destillerie wurde so erhalten und für neue Zwecke umgestaltet. In einem Außenflügel etwa die ehemaligen Stallungen der Brennerei, die vor gut hundert Jahren ihre hochprozentigen Waren noch mit Pferdefuhrwerken vertrieb. Heute zieht sich hier eine Flucht von Ausstellungsräumen hin. Koolhaas hat für die Bedürfnisse der Auftraggeber auch Neues errichtet. Ein Kino etwa oder ein kleines Ausstellungshaus mit dem Namen „Podium“, das sich mit drei Glasfronten an der Neuen Nationalgalerie eines Mies van der Rohe in Berlin orientiert – und sich dennoch der Gesamtanlage zugehörig weiß. Alt und Neu ergänzen sich geschickt. Und manchmal weiß der Besucher nicht genau, ob er sich noch in einem alten oder schon in einem neuen Ambiente befindet. Diese „Art von Ähnlichkeiten“ zu schaffen, so Koolhaas, sei Ziel des Umbaus gewesen.
Alle Gebäude sind nach innen ausgerichtet – bis auf den neunstöckigen weißen Turm (Fertigstellung 2016), in dem neben Ausstellungsräumen auch ein Dachrestaurant Platz finden soll. Der Turm wird als Signal nach außen wahrgenommen werden, in einem Viertel, in dem sich die Erinnerung an Industriekultur mit neuen Lebensräumen für unterschiedliche Bevölkerungsschichten mischt.
Auf den Freiflächen der Anlage ist Platz für Veranstaltungen. Koolhaas nennt das Ganze „Campus“. Das Kino kann mit aufklappbaren Wänden leicht zu einem Open-Air-Theater werden. Eine Bar wurde von dem amerikanischen Regisseur und Produzenten Wes Anderson (Grand Budapest Hotel) im Stil eines alten Mailänder Cafés eingerichtet. Eine Bibliothek soll folgen. Die 19.000 Quadratmeter Grundfläche des Areals bieten Raum für viele Aktivitäten. Zur Eröffnung wird im Kino unter anderem ein von Roman Polanski konzipierter Dokumentarfilm gezeigt. Er analysiert Kinoarbeiten, die dem polnischen Filmemacher als Inspirationsquellen gedient haben. „Wir wollen kein Museum sein“, sagt die deutsche Projektmanagerin Astrid Welter, die die Programmabteilung der Fondazione leitet. Man versteht sich „als eine sehr flexible und offene Struktur“.
Die Fondazione Prada wurde 1993 von der Modedesignerin Miuccia Prada, die gerade ihren 66. Geburtstag feierte, und ihrem Ehemann Patrizio Bertelli (69) gegründet. Kunst kommt immer mehr in Mode: Auch Fendi, Trussardi, Gucci investieren in Sammlungen. Andere, wie Furla, schreiben Preise für Gegenwartskunst aus. Neue Ausstellungseinrichtungen entstehen. Vor wenigen Monaten konnte in Paris das Kunstzentrum der Vuitton-Stiftung, das nach Plänen von Frank O. Gehry errichtet wurde, seine Arbeit aufnehmen. Jetzt zieht Prada, das bereits seit 2011 in Venedig den historischen Palazzo Ca’ Corner della Regina bespielt, in großem Stil nach.
Wobei Modehaus und Kulturstiftung streng voneinander getrennt operieren. Das wäre sonst „eine Beleidigung für die Künstler“, sagte Bertelli bei der Eröffnungskonferenz Anfang Mai. „Und für die Modeschöpferin auch“, konterte Miuccia Prada und hatte die Lacher auf ihrer Seite. Über die Kosten schweigen sich beide aus. Eigentlich sei es „Wahnsinn“, kommentierte Bertelli das Engagement, aber schließlich hätten sich „Leidenschaft und Irrationalität“ durchgesetzt. Mit anderen Worten: Mag der Teufel Prada tragen, Prada trägt jetzt die Kultur.
14-karätiges Blattgold
Ausgangspunkt der Fondazione war eine große Sammlung von Werken der Gegenwartskunst mit Arbeiten von Dan Flavin bis Laurie Anderson, von Tobias Rehberger bis Steve McQueen. Exponate dieser Sammlung werden jetzt zusammen mit Leihgaben in zwei Flügeln der Anlage gezeigt. Die verschiedenen Baukörper ermöglichen unterschiedliche Ausstellungszusammenhänge. So hat etwa im Kellerbereich des Kinos Thomas Demand seine Arbeit Grotto über eine Tropfsteinhöhle als feste Installation eingerichtet.
In einem ganz mit 14-karätigem Blattgold überzogenen Haunted House, das wie ein Spukschloss aus der minimalistisch geprägten Anlage herausragt, haben Robert Gober und Louise Bourgeois viel Raum für ihre Skulpturen. Im Souterrain des ehemaligen Versorgungshauses sieht man die Installation Lost Love von Damien Hirst: In einem Aquarium schwimmen lebende Fische um einen Gynäkologenstuhl.
Mit rund 11.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche füllt Prada auch eine Lücke im Kulturangebot der Stadt, in dem bislang ein Museum für Gegenwartskunst fehlt, obgleich sich in Mailand die wichtigste Galerieszene Italiens etabliert hat. Astrid Welter muss zugeben, dass Kunst ein zentrales Element der Kulturstiftung ist. Aber man habe sich auch für kulturelle Phänomene von philosophischen Debatten bis zum Kino interessiert. „Wir möchten uns auch mit Literatur, Tanz oder Theater beschäftigen. Für all das haben wir jetzt die Möglichkeiten.“
Koolhaas sei Dank. Sein Architekturbüro hat mit hellgrauem Marmor aus dem Iran auch die elegante Einrichtung einer Ausstellung im „Podium“ entworfen, die in dem Prada-Ambiente überrascht, das sonst ganz der Gegenwart gewidmet ist. Der Kulturhistoriker Salvatore Settis beschäftigt sich anhand wundervoller Exponate von 450 vor Christus bis zu Kopien von heute mit dem Seriencharakter antiker Statuen (bis 24. 8.). „Einfach irre“, staunte eine Besucherin.
www.fondazioneprada.org
Das niederländische Architekturstudio OMA hat unter der Leitung von Rem Koolhaas für Prada die ehemalige Fabrikationsanlage einer Großdestillerie umgebaut. „Wir haben nicht die Gegensätze betont“, erläutert der Architekt beim Rundgang. Er und seine Mitarbeiter haben eher versucht, Situationen zu schaffen, „in denen Alt wie Neu zusammenstehen.“ Das gilt für Baukörper ebenso wie für die Materialien von typisch lombardischen Backsteinen bis zu hochtechnologischen Wandstrukturen aus Aluminiumschaum, die silbergrau glitzern.
Alt und Neu ergänzen sich
Viel von der alten Struktur der Destillerie wurde so erhalten und für neue Zwecke umgestaltet. In einem Außenflügel etwa die ehemaligen Stallungen der Brennerei, die vor gut hundert Jahren ihre hochprozentigen Waren noch mit Pferdefuhrwerken vertrieb. Heute zieht sich hier eine Flucht von Ausstellungsräumen hin. Koolhaas hat für die Bedürfnisse der Auftraggeber auch Neues errichtet. Ein Kino etwa oder ein kleines Ausstellungshaus mit dem Namen „Podium“, das sich mit drei Glasfronten an der Neuen Nationalgalerie eines Mies van der Rohe in Berlin orientiert – und sich dennoch der Gesamtanlage zugehörig weiß. Alt und Neu ergänzen sich geschickt. Und manchmal weiß der Besucher nicht genau, ob er sich noch in einem alten oder schon in einem neuen Ambiente befindet. Diese „Art von Ähnlichkeiten“ zu schaffen, so Koolhaas, sei Ziel des Umbaus gewesen.
Alle Gebäude sind nach innen ausgerichtet – bis auf den neunstöckigen weißen Turm (Fertigstellung 2016), in dem neben Ausstellungsräumen auch ein Dachrestaurant Platz finden soll. Der Turm wird als Signal nach außen wahrgenommen werden, in einem Viertel, in dem sich die Erinnerung an Industriekultur mit neuen Lebensräumen für unterschiedliche Bevölkerungsschichten mischt.
Auf den Freiflächen der Anlage ist Platz für Veranstaltungen. Koolhaas nennt das Ganze „Campus“. Das Kino kann mit aufklappbaren Wänden leicht zu einem Open-Air-Theater werden. Eine Bar wurde von dem amerikanischen Regisseur und Produzenten Wes Anderson (Grand Budapest Hotel) im Stil eines alten Mailänder Cafés eingerichtet. Eine Bibliothek soll folgen. Die 19.000 Quadratmeter Grundfläche des Areals bieten Raum für viele Aktivitäten. Zur Eröffnung wird im Kino unter anderem ein von Roman Polanski konzipierter Dokumentarfilm gezeigt. Er analysiert Kinoarbeiten, die dem polnischen Filmemacher als Inspirationsquellen gedient haben. „Wir wollen kein Museum sein“, sagt die deutsche Projektmanagerin Astrid Welter, die die Programmabteilung der Fondazione leitet. Man versteht sich „als eine sehr flexible und offene Struktur“.
Die Fondazione Prada wurde 1993 von der Modedesignerin Miuccia Prada, die gerade ihren 66. Geburtstag feierte, und ihrem Ehemann Patrizio Bertelli (69) gegründet. Kunst kommt immer mehr in Mode: Auch Fendi, Trussardi, Gucci investieren in Sammlungen. Andere, wie Furla, schreiben Preise für Gegenwartskunst aus. Neue Ausstellungseinrichtungen entstehen. Vor wenigen Monaten konnte in Paris das Kunstzentrum der Vuitton-Stiftung, das nach Plänen von Frank O. Gehry errichtet wurde, seine Arbeit aufnehmen. Jetzt zieht Prada, das bereits seit 2011 in Venedig den historischen Palazzo Ca’ Corner della Regina bespielt, in großem Stil nach.
Wobei Modehaus und Kulturstiftung streng voneinander getrennt operieren. Das wäre sonst „eine Beleidigung für die Künstler“, sagte Bertelli bei der Eröffnungskonferenz Anfang Mai. „Und für die Modeschöpferin auch“, konterte Miuccia Prada und hatte die Lacher auf ihrer Seite. Über die Kosten schweigen sich beide aus. Eigentlich sei es „Wahnsinn“, kommentierte Bertelli das Engagement, aber schließlich hätten sich „Leidenschaft und Irrationalität“ durchgesetzt. Mit anderen Worten: Mag der Teufel Prada tragen, Prada trägt jetzt die Kultur.
14-karätiges Blattgold
Ausgangspunkt der Fondazione war eine große Sammlung von Werken der Gegenwartskunst mit Arbeiten von Dan Flavin bis Laurie Anderson, von Tobias Rehberger bis Steve McQueen. Exponate dieser Sammlung werden jetzt zusammen mit Leihgaben in zwei Flügeln der Anlage gezeigt. Die verschiedenen Baukörper ermöglichen unterschiedliche Ausstellungszusammenhänge. So hat etwa im Kellerbereich des Kinos Thomas Demand seine Arbeit Grotto über eine Tropfsteinhöhle als feste Installation eingerichtet.
In einem ganz mit 14-karätigem Blattgold überzogenen Haunted House, das wie ein Spukschloss aus der minimalistisch geprägten Anlage herausragt, haben Robert Gober und Louise Bourgeois viel Raum für ihre Skulpturen. Im Souterrain des ehemaligen Versorgungshauses sieht man die Installation Lost Love von Damien Hirst: In einem Aquarium schwimmen lebende Fische um einen Gynäkologenstuhl.
Mit rund 11.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche füllt Prada auch eine Lücke im Kulturangebot der Stadt, in dem bislang ein Museum für Gegenwartskunst fehlt, obgleich sich in Mailand die wichtigste Galerieszene Italiens etabliert hat. Astrid Welter muss zugeben, dass Kunst ein zentrales Element der Kulturstiftung ist. Aber man habe sich auch für kulturelle Phänomene von philosophischen Debatten bis zum Kino interessiert. „Wir möchten uns auch mit Literatur, Tanz oder Theater beschäftigen. Für all das haben wir jetzt die Möglichkeiten.“
Koolhaas sei Dank. Sein Architekturbüro hat mit hellgrauem Marmor aus dem Iran auch die elegante Einrichtung einer Ausstellung im „Podium“ entworfen, die in dem Prada-Ambiente überrascht, das sonst ganz der Gegenwart gewidmet ist. Der Kulturhistoriker Salvatore Settis beschäftigt sich anhand wundervoller Exponate von 450 vor Christus bis zu Kopien von heute mit dem Seriencharakter antiker Statuen (bis 24. 8.). „Einfach irre“, staunte eine Besucherin.
www.fondazioneprada.org
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