Artikel

Worüber man doch schreiben muss
Spectrum

Beurteilen verlangt, selbst Stellung zu beziehen, und das kann schmerzhaft sein – besonders in der überschaubaren Szene eines kleinen Landes wie Österreich. Über Architekturkritik zwischen Beschönigung und Applaus von der falschen Seite.

11. Juli 2015 - Karin Tschavgova
Friedrich Achleitner, der große Chronist und Archivar der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts, hat in einem der zahlreichen Gespräche anlässlich seines 85. Geburtstags die Architekturkritik als unlustiges Geschäft bezeichnet. Unter anderem hat er auch damit begründet, warum er nach mehr als zehn Jahren der Architekturkritik in der „Presse“, von 1962 bis 1972, die Erkundung und Aufzeichnung österreichischer Bauqualitäten vorzog. Kritik werde verletzend wahrgenommen, und Applaus bekomme man immer von der falschen Seite, etwa von den „Feinden“ desjenigen, dessen Arbeit man kritisch beurteile.

Dass Sachkritik oft auf eine persönliche Ebene herabgestuft wird, mag daran liegen, dass Diskurs und Diskursfähigkeit hierzulande nicht auf hohem Niveau ausgebildet werden. Wir sind nicht geübt darin, Kritik erst einmal als konstruktiven Akt der Auseinandersetzung mit Fakten zu betrachten, und vergessen, dass sein Wortstamm, das altgriechische „krinein“, (unter-)scheiden, trennen, entscheiden heißt und „kritiké téchnē“ die Kunst des Auseinanderhaltens von Fakten, der Infragestellung und der Beurteilung ist.

Beurteilen verlangt, selbst Stellung zu beziehen, und das kann fallweise unangenehm sein – schmerzhaft für jene, deren Bauwerke kritisch im Sinne von nicht positiv gesehen werden, aber auch für diejenigen, die diese Einschätzung (publik) machen. Das gilt besonders in der überschaubaren Szene eines kleinen Landes wie Österreich, in der man einander kennt und als Architekturkritiker und Architekturkritikerin auch über Gebäude von Freunden oder Kollegen schreiben muss, wenn sie von öffentlichem Interesse sind.

Nun könnte man sich als Architekturkritiker mit dem Argument behelfen, dass man es in der Tageszeitung mit einer Leserschaft zu tun hat, deren Interesse für das zeitgenössische Bauen erst geweckt werden sollte oder deren Begeisterung dafür vertieft werden kann, wenn sie regelmäßig mit interessanten Bauten oder Begebenheiten bekannt gemacht wird. Den Aspekt des Vermittelns in den Vordergrund stellen? Ja, doch. Und kritische Anmerkungen dann weglassen? Die weit verbreitete Distanz und Ablehnung gegenüber dem, was Fachleute als schöne und interessante Bauwerke ansehen, unter Umständen noch verstärken durch eine Betrachtung, die auch das thematisiert, was das fachlich geschulte Auge als misslungen empfindet?

Damit sind wir bei einer weiteren Schwierigkeit. Wir müssen uns eingestehen, dass unser Urteil über Qualität trotz der Gesetzmäßigkeiten und Regelwerke, denen das Bauen unterworfen ist, immer auch subjektive Empfindung bleiben wird, weil wir heute, gottlob, keinen allgemein gültigen Bewertungskanon zur Ästhetik haben.

Kritisch berichtet wird über Kostenüberschreitungen, Baumängel, Kniefälle vor Investoren und andere unsaubere Machenschaften. Seltener jedoch thematisieren wir das Misslingen eines architektonischen Konzepts, eine ungekonnte Ausführung oder ästhetische Zumutung. Was in der Theater-, Film- oder Literaturkritik gang und gäbe ist, wird in den Berichten über Architektur oft vermieden. Verrisse, die einen Diskurs anheizen könnten, finden sich kaum einmal in Fachmagazinen. Offene kritische Auseinandersetzung in der Tagespresse wird schnell als Nestbeschmutzung abgetan und gilt vielen als kontraproduktiv.

Sicher: Was kein Architekturkritiker wollte (Konjunktiv!), ist, dass seine kritische Haltung dazu verwendet wird, einen ganzen Berufsstand zu verunglimpfen. Andererseits halte ich auch nichts vom Schönschreiben durch Auslassungen oder Umschreibungen mit bedeutungsschweren Metaphern. Menschen mit Interesse am zeitgenössischen Baugeschehen lernen durch Teilhabe selbst, Stärken und Schwächen von Bauten zu erkennen. Ihnen sei ein kurzes Schlaglicht auf die Arbeitswoche einer Architekturkritikerin gewidmet, in der alles anders kommt als geplant.

Ein Beitrag für das „Spectrum“ ist zu schreiben. Lange schon als Thema reserviert ist die Erweiterung des Museums Liaunig im Kärntner Neuhaus durch Querkraft Architekten. Sie haben auch das erste Gebäude mit einer markanten, durch den Hügel gelegten Röhre geplant. Mein erster Eindruck des neuen Raums für Sonderausstellungen: eine bis ins Detail sorgfältig gestaltete Erweiterung mit stark eigenständigem Charakter, als dreieckiger Raum eine in sich geschlossene Form und dennoch, funktionell gut gelöst, gleich vom Foyer aus zu betreten. Die Raumfiguration mit dem leicht schräg gestellten Zutritt ungewöhnlich und überraschend, großzügig und unverstellt, was die Wirksamkeit der Objekte verstärkt.

Licht scheint gleichmäßig verteilt von oben einzufallen, auch wenn man die Lichtöffnungen auf den ersten Blick nicht sehen kann, weil ein den Raum beherrschender Trägerrost aus schlanken Stahlbetonrippen ihn dominiert. Er ist der Blickfang, der zum genauen Hinsehen zwingt. Worin liegt seine Systematik? Ist er den konstruktiven Anforderungen geschuldet, oder treiben die Architekten ein Spiel mit der Geometrie des Dreiecks, aus der sie die Verteilung der Oberlichten ableiten? Querkraft hat hier einen spannenden, schönen Raum gestaltet.

Warum dieser Architekturbeitrag dann doch nicht ausschließlich das sehenswerte erweiterte Museum thematisiert? Etwas kam der Architekturkritikerin, die sich auch als Chronistin dem aktuellen Baugeschehen ihrer Heimatstadt Graz verpflichtet fühlt, dazwischen, ein öffentliches Gebäude, das kurz vor seiner Fertigstellung besichtigt werden konnte – das zentrale Werkstätten- und Laborgebäude der Landesberufsschule Graz-St. Peter von Architekt Michael Wallraff.

Wie hier eine durchaus nachvollziehbare Idee der stadträumlichen Aufwertung einer heterogenen Ansammlung an Bestandsbauten durch einen markanten Solitärbau umgesetzt wurde, hat mich nachhaltig geschockt. Das Konzept, noch ablesbar: ein Laborgebäude, hoch und schmal, wird durch eine Dachlandschaft mit einem liegenden, flachen Baukörper verbunden, der Großwerkstätten enthält. Die Verbindung soll sichtbarer und damit sinnfälliger werden durch den Übergang der artifiziellen Landschaft in die Vertikale der Fassade. So weit, so gut.

Aber mit welchem Aufwand – grob im Materialeinsatz und ungekonnt in der Detailausbildung – hier Aufenthaltsqualität und ästhetische Wirkung erzielt werden sollte! Angesichts einer äußerst komplizierten Tragkonstruktion der Fassade, die zwar das Treppenhaus als zentralen Innenraum dominiert, jedoch keinerlei zusätzliche Innenraumqualität schafft, stellt sich mir sofort die Frage nach der Angemessenheit der Mittel, um eine Idee umzusetzen. Ich stelle mir Fragen, die allesamt den Prozess der Entstehung von Architektur betreffen. Und ich stelle mir die Frage, ob man darüber schreiben darf, schreiben muss.

Es ist das Dilemma der Architekturkritik, die hierzulande so unterentwickelt ist, dass jedes kritische Urteil eine Verurteilung zu sein scheint, die ich mir nie anmaßte.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: