Artikel
Werkstatt der kreativen Ruhe

Vor vierzig Jahren begann der katalanische Architekt Ricardo Bofill damit, eine Zementfabrik nahe Barcelona in seine Architekturwerkstatt umzubauen. Mehr als tausend Bauwerke weltweit sind hier entworfen worden.
8. August 2015 - Alexandra Föderl-Schmid
Wer nach Barcelona mit dem Flugzeug anreist, sieht im Anflug gleich zwei Werke von Ricardo Bofill. An ein Segel erinnert das Hotel W, das am Ende des Strandes von Barceloneta schon von weitem sichtbar in den Himmel ragt und seit seiner Eröffnung 2009 zu den Wahrzeichen der katalanischen Hauptstadt gehört. Terminal 1 am Flughafen El Prat, seit 2006 in Betrieb, ist ebenfalls ein vom Katalanen Bofill gestalteter sehr lichter Bau.
Entworfen wurden die beiden Gebäude einige Kilometer weiter nördlich in einer ehemaligen Zementfabrik in Sant Just Desvern, einem Vorort von Barcelona. Dort, in der Fábrica, unterhält der 1939 geborene Architekt seine „Architekturwerkstatt“. Ein unscheinbares Schild verweist von der Straße aus auf den Eingang zu seiner „Taller de Arquitectura“, das Gelände ist von einem Zaun und einer Mauer umgeben. Sehr seltsame Gebäude in Rottönen – so haben es Einheimische beschrieben, als sie den Weg wiesen.
Von der Straße aus werden mehrere Türme sichtbar, von Efeu umrankt und anderen, wuchernden Pflanzen umgeben. „Das war ein Industriekomplex mit ganz viel Staub und kontaminierter Erde, als mein Vater hier anfing“, beschreibt Ricardo Bofill junior die Umgebung und zeigt Richtung Norden, wohin die Produktion übersiedelt worden ist. Er ist selbst im Unternehmen als Architekt tätig, sein Bruder Pablo CEO.
Öko-Transformation
Obwohl ein Telefonat wegen eines Projekts in Indien auf ihn wartet, nimmt er sich kurz Zeit, um mit Begeisterung die Anfänge zu schildern. Von den ursprünglich 30 Silos sind noch acht vorhanden, die 1973 begonnenen Umbauarbeiten dauerten zwei Jahre. Eine „Öko-Transformation“ nennt Bofill junior den Wandel der Fábrica und verweist darauf, dass es heuer 40 Jahre sind, seit die Architekturwerkstatt hier zu arbeiten begonnen hat.
Die Silos und andere Gebäude wurden damals entkernt, Fenster eingesetzt, Boden und Decken eingezogen. Der Vater von Ricardo Bofill, ein Bauunternehmer, habe auch geholfen, erzählt Margarida Dinis und zeigt auf den ersten Stock: Dort hat Bofill seine Arbeitsräume, die Fenster sind in einem Stil gestaltet, der bewusst an den barcelonischen Baumeister Antoni Gaudí erinnert. Von hier aus steuert Bofill seine internationalen Aktivitäten, weltweit gibt es rund tausend Gebäude, die die Handschrift Bofills tragen. Bofill spielt damit in einer Liga mit Architekten wie Norman Foster.
Sechzig Mitarbeiter aus rund zwanzig Ländern, viele von ihnen in den 20ern und 30ern, arbeiten in der Architekturwerkstatt. Im zweiten Stock liegen in den Großraumbüros Pläne auf den Tischen, an den Wänden hängen Fotos des neuesten Projekts, einer gerade fertiggestellten Universität in Marokko, die nach nur 18-monatiger Planungs- und Bauzeit demnächst eröffnet wird. Wie die Fábrica sind Universität und Residenzgebäude in Brauntönen gehalten – in den Farben der Wüste, die Bofill wegen des meditativen Charakters sehr schätzt, wie seine Mitarbeiterin Margarida Dinis erzählt.
Sein Partner Jean-Pierre Carnieaux hat in einem halbrunden Raum seinen Arbeitsplatz, der übersät ist von Skizzen, an der Wand hängt ein Plan eines Projekts für Valencia, für das Investoren gesucht werden. Carnieaux erkundigt sich gleich nach Gustav Peichl, mit dem sei er einmal auf einem Podium gesessen. Eine Referenz an Wien sind die Thonetstühle in den kleineren Konferenzräumen nebenan.
Im Untergeschoß sitzt ein Mitarbeiter, der seit zwanzig Jahren Modelle in liebevoller Detailarbeit baut. Denn für die Präsentationen sei es wichtig, konkrete Projekte anschaulich darstellen zu können, sagt Dinis. An den Wänden, die Gänge entlang, finden sich Aufnahmen von bereits verwirklichten Gebäuden wie dem Shiseido-Gebäude in Tokio oder einem Bürohaus in Prag. Wo sich jetzt die Materialkammer befindet, rollten früher kleine Transportzüge ein und aus. Die Bahn ist aber nicht mehr in Betrieb.
Blick auf Walden 7
Vom Dach aus hat man einen grandiosen Blick über das Gelände und Walden 7, einen 14-stöckigen Gebäudekomplex, der gleichzeitig mit der Fábrica 1975 entstand. 446 Appartements gibt es hier, alle um fünf große Innenhöfe gruppiert. Jedes Appartement hat einen Balkon, auf den Dächern sind Swimmingpools und Gemeinschaftsräume. Hier verwirklichte Bofill nicht nur seine Vision von sozialem Wohnbau und Zusammenleben, sondern nutzte eine sehr effiziente Modularstruktur zum Bauen. Vor allem Intellektuelle zogen ein. Walden 7 gilt als Architekturikone, wenngleich Bofill heute einiges anders machen würde, wie Dinis verrät.
Bofill selbst lebt in der Fábrica. Wer in die sogenannte Kathedrale eingelassen wird, kann rechter Hand einen Blick in die Küche des Hausherrn erhaschen. Dann ist aber jeder Besucher gefangen von einem gigantischen Raum, der tatsächlich wie das Innere eines riesigen Kirchenbaus wirkt. „Hier hält man es stundenlang aus, auch während langer Besprechungen und selbst wenn man unter Klaustrophobie leidet“, beschreibt Dinis die Raumwirkung.
Hier gibt es noch riesige Abfüllanlagen, die direkt über dem großen Konferenztisch thronen. Zwei Silos ragen in den Raum, Zwischendecken wurden eingezogen, und Fenster im katalanisch-gotischen Stil ermöglichen einen Blick in den Garten: Dort stehen Palmen, ein Hain aus Bambus breitet sich aus. Die Fülle der wuchernden Pflanzen vermittelt das Gefühl, in einem Regenwald zu stehen. Umgeben von einem dichten Pflanzenwirrwarr steht ein Tisch, der von den Mitarbeitern vor allem mittags genutzt wird. Insbesondere der Garten strahlt Ruhe aus – eine Ruhe, aus der Kreativität entstehen kann.
Eine Stiege ins Nirgendwo
Ringsum befinden sich Reste der alten Zementfabrik, die zum Teil nur gesichert wurden, aber nicht mehr genutzt werden. Ins Auge sticht eine Stiege, die ins Nirgendwo führt. Hier vermittelt sich der Eindruck am stärksten, sich auf einem Fabriksgelände zu befinden, weil der morbide Charme da noch am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Hoch oben gibt es noch einen weiteren Garten, der nur von der Familie genutzt wird.
Es ist eine eigene Welt, die Bofill für sich zum Leben und zum Arbeiten geschaffen hat. In der Fábrica herrscht eine spürbar kreative Atmosphäre, die auch Raum zum Durchatmen lässt. Dieses Gefühl kann auch jeder haben, der von Terminal 1 des Flughafens Barcelona wieder abfliegt. Es gibt nur wenige Flughäfen weltweit, wo man vor dem Abflug noch einmal auf einer begrünten Terrasse Luft schnappen kann.
Entworfen wurden die beiden Gebäude einige Kilometer weiter nördlich in einer ehemaligen Zementfabrik in Sant Just Desvern, einem Vorort von Barcelona. Dort, in der Fábrica, unterhält der 1939 geborene Architekt seine „Architekturwerkstatt“. Ein unscheinbares Schild verweist von der Straße aus auf den Eingang zu seiner „Taller de Arquitectura“, das Gelände ist von einem Zaun und einer Mauer umgeben. Sehr seltsame Gebäude in Rottönen – so haben es Einheimische beschrieben, als sie den Weg wiesen.
Von der Straße aus werden mehrere Türme sichtbar, von Efeu umrankt und anderen, wuchernden Pflanzen umgeben. „Das war ein Industriekomplex mit ganz viel Staub und kontaminierter Erde, als mein Vater hier anfing“, beschreibt Ricardo Bofill junior die Umgebung und zeigt Richtung Norden, wohin die Produktion übersiedelt worden ist. Er ist selbst im Unternehmen als Architekt tätig, sein Bruder Pablo CEO.
Öko-Transformation
Obwohl ein Telefonat wegen eines Projekts in Indien auf ihn wartet, nimmt er sich kurz Zeit, um mit Begeisterung die Anfänge zu schildern. Von den ursprünglich 30 Silos sind noch acht vorhanden, die 1973 begonnenen Umbauarbeiten dauerten zwei Jahre. Eine „Öko-Transformation“ nennt Bofill junior den Wandel der Fábrica und verweist darauf, dass es heuer 40 Jahre sind, seit die Architekturwerkstatt hier zu arbeiten begonnen hat.
Die Silos und andere Gebäude wurden damals entkernt, Fenster eingesetzt, Boden und Decken eingezogen. Der Vater von Ricardo Bofill, ein Bauunternehmer, habe auch geholfen, erzählt Margarida Dinis und zeigt auf den ersten Stock: Dort hat Bofill seine Arbeitsräume, die Fenster sind in einem Stil gestaltet, der bewusst an den barcelonischen Baumeister Antoni Gaudí erinnert. Von hier aus steuert Bofill seine internationalen Aktivitäten, weltweit gibt es rund tausend Gebäude, die die Handschrift Bofills tragen. Bofill spielt damit in einer Liga mit Architekten wie Norman Foster.
Sechzig Mitarbeiter aus rund zwanzig Ländern, viele von ihnen in den 20ern und 30ern, arbeiten in der Architekturwerkstatt. Im zweiten Stock liegen in den Großraumbüros Pläne auf den Tischen, an den Wänden hängen Fotos des neuesten Projekts, einer gerade fertiggestellten Universität in Marokko, die nach nur 18-monatiger Planungs- und Bauzeit demnächst eröffnet wird. Wie die Fábrica sind Universität und Residenzgebäude in Brauntönen gehalten – in den Farben der Wüste, die Bofill wegen des meditativen Charakters sehr schätzt, wie seine Mitarbeiterin Margarida Dinis erzählt.
Sein Partner Jean-Pierre Carnieaux hat in einem halbrunden Raum seinen Arbeitsplatz, der übersät ist von Skizzen, an der Wand hängt ein Plan eines Projekts für Valencia, für das Investoren gesucht werden. Carnieaux erkundigt sich gleich nach Gustav Peichl, mit dem sei er einmal auf einem Podium gesessen. Eine Referenz an Wien sind die Thonetstühle in den kleineren Konferenzräumen nebenan.
Im Untergeschoß sitzt ein Mitarbeiter, der seit zwanzig Jahren Modelle in liebevoller Detailarbeit baut. Denn für die Präsentationen sei es wichtig, konkrete Projekte anschaulich darstellen zu können, sagt Dinis. An den Wänden, die Gänge entlang, finden sich Aufnahmen von bereits verwirklichten Gebäuden wie dem Shiseido-Gebäude in Tokio oder einem Bürohaus in Prag. Wo sich jetzt die Materialkammer befindet, rollten früher kleine Transportzüge ein und aus. Die Bahn ist aber nicht mehr in Betrieb.
Blick auf Walden 7
Vom Dach aus hat man einen grandiosen Blick über das Gelände und Walden 7, einen 14-stöckigen Gebäudekomplex, der gleichzeitig mit der Fábrica 1975 entstand. 446 Appartements gibt es hier, alle um fünf große Innenhöfe gruppiert. Jedes Appartement hat einen Balkon, auf den Dächern sind Swimmingpools und Gemeinschaftsräume. Hier verwirklichte Bofill nicht nur seine Vision von sozialem Wohnbau und Zusammenleben, sondern nutzte eine sehr effiziente Modularstruktur zum Bauen. Vor allem Intellektuelle zogen ein. Walden 7 gilt als Architekturikone, wenngleich Bofill heute einiges anders machen würde, wie Dinis verrät.
Bofill selbst lebt in der Fábrica. Wer in die sogenannte Kathedrale eingelassen wird, kann rechter Hand einen Blick in die Küche des Hausherrn erhaschen. Dann ist aber jeder Besucher gefangen von einem gigantischen Raum, der tatsächlich wie das Innere eines riesigen Kirchenbaus wirkt. „Hier hält man es stundenlang aus, auch während langer Besprechungen und selbst wenn man unter Klaustrophobie leidet“, beschreibt Dinis die Raumwirkung.
Hier gibt es noch riesige Abfüllanlagen, die direkt über dem großen Konferenztisch thronen. Zwei Silos ragen in den Raum, Zwischendecken wurden eingezogen, und Fenster im katalanisch-gotischen Stil ermöglichen einen Blick in den Garten: Dort stehen Palmen, ein Hain aus Bambus breitet sich aus. Die Fülle der wuchernden Pflanzen vermittelt das Gefühl, in einem Regenwald zu stehen. Umgeben von einem dichten Pflanzenwirrwarr steht ein Tisch, der von den Mitarbeitern vor allem mittags genutzt wird. Insbesondere der Garten strahlt Ruhe aus – eine Ruhe, aus der Kreativität entstehen kann.
Eine Stiege ins Nirgendwo
Ringsum befinden sich Reste der alten Zementfabrik, die zum Teil nur gesichert wurden, aber nicht mehr genutzt werden. Ins Auge sticht eine Stiege, die ins Nirgendwo führt. Hier vermittelt sich der Eindruck am stärksten, sich auf einem Fabriksgelände zu befinden, weil der morbide Charme da noch am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Hoch oben gibt es noch einen weiteren Garten, der nur von der Familie genutzt wird.
Es ist eine eigene Welt, die Bofill für sich zum Leben und zum Arbeiten geschaffen hat. In der Fábrica herrscht eine spürbar kreative Atmosphäre, die auch Raum zum Durchatmen lässt. Dieses Gefühl kann auch jeder haben, der von Terminal 1 des Flughafens Barcelona wieder abfliegt. Es gibt nur wenige Flughäfen weltweit, wo man vor dem Abflug noch einmal auf einer begrünten Terrasse Luft schnappen kann.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom