Artikel
Reden wider die Wand?
Für die einen ist sie Schutz und Verbesserung der Lebensqualität, für andere ein Ärgernis, das die freie Sicht einschränkt. Kaum ein anderes Bauwerk wird so unterschiedlich aufgenommen wie die Lärmschutzwand.
15. August 2015 - Karin Tschavgova
Die Lärmschutzwand – für die einen ist sie Schutz und eineVerbesserung ihrer Lebensqualität, für die auf der anderen Seite eine ärgerliche Einschränkung der Wahrnehmbarkeit von Landschaft und der Teilhabe am Geschehen jenseits der Wand. Kein anderes Bauwerk wird so divergierend aufgenommen, abhängig davon, auf welcher Seite man steht (oder fährt). So ist sie – im wahrsten Sinne des Wortes – einerseits ein Segen, andererseits ein Ärgernis, das die individuelle Freiheit des Schauens reduziert und das uneingeschränkte Umherschweifen-lassen des Blicks unmöglich macht.
Mauern werden immer gebaut, um das Unerwünschte dauerhaft auszublenden und fernzuhalten. Damit ist die Errichtung von Lärmschutzwänden legitimiert. Die Einschränkung der im Auto oder im Zug an ihr entlang Fahrenden (und Gehenden), die zugegebenermaßen von kurzer Dauer ist, wird als das kleinere Übel gesehen, das hingenommen werden muss.
Nicht ein Hügelzug als natürlicher Horizont von Siedlungsraum und freier Landschaft oder ein Waldsaum bilden die Grenze unseres Blicks, sondern alles verdeckende Aluminiumelemente mit dem überdimensionierten Schriftzug „Laaer Wald“, „Böhmischer Prater“ oder „Alte Donau“ – das der Geschwindigkeit der Autofahrer geschuldete Angebot der Hersteller an ortsgebundener, „individueller“ Gestaltung. Die Bezeichnung steht für das Eigentliche, das nur erleben kann, wer die nächste Ausfahrt nimmt.
Interessante Frage, was für uns Dauermotorisierte heute das Exterritoriale, Fremde ist. Sind es die Autobahnen und Schnellstraßen, die über weite Strecken zum Zwecke von Lärmschutz eingehaust sind und das Land als eine Art Endloswanne oder Halbtunnel durchziehen – oder das, was hinter den Wänden liegt? Als abgesonderte, geradezu auf das Auto süchtig machende Welt hat der österreichische Maler Max Peintner die Autobahn bereits in einem 1984 verfassten Text beschrieben.
Er, der in seinen Zeichnungen früher als jeder andere die Veränderung unserer Wahrnehmung in einer übertechnisierten, mehr und mehr verbauten Umwelt aufmerksam gemacht hat, schreibt: „Bei den neuen Fernverbindungen quer durch die Alpen ist in engen Tälern die Straße völlig vom Gelände abgesetzt auf Betongalerien den Hang entlanggeführt, vier- bis sechsspurig und komplett mit Pannenstreifen. Man ist auf der dem Boden näheren Seite noch immer in Höhe der Baumwipfel und fährt also durch eine Landschaft, die in einem neuen Sinn unberührt ist. Im Autobahntal ist in blanker Bedeutungslosigkeit versunken, was unterhalb des Fahrbahnniveaus liegt. Es gehört zu den Aufgaben der großen Straße, einem jede Anteilnahme an Leben und Tätigkeit der Menschen zu ersparen, durch deren Land man fährt. Ein Gefühl von beschwingter Verantwortungslosigkeit, von Überlegenheit kommt auf, wie im Schnellzug, wenn er ganze Siedlungen wegzaubert, indem er in ihren Bahnhöfen dieselbe Geschwindigkeit hält wie im freien Feld.“
Wie würde Max Peintner – gut 30 Jahre und eine verbaute Länge von 1300 Kilometern an Lärmschutzmaßnahmen später – dieses nun noch umfassender von seiner Umgebung isolierte Terrain sehen? Als Möglichkeitsraum für das hemmungslose Ausleben von Überlegenheit und Verantwortungslosigkeit? Beobachtet man, wie Geschwindigkeitsbeschränkungen von Dauerrasern gnadenlos ignoriert werden, so ist man geneigt, im Tunnelblick einen Mechanismus zur Distanzierung von allem zu sehen. Was schert mich hier die Welt „draußen“?
Mag sein, dass es diesen psychologischen Effekt gibt; häufiger fühlen sich Menschen beim Fahren zwischen Wänden wohl eingeschränkt in ihrem Freiheitsbedürfnis oder stören sich an ihrem Anblick. „Schreiben Sie doch über die Verschandelung von ganzen Landschaften durch Lärmschutzwände“, regte ein Leser an und belegte diese mit Bildern von Lärmschutzvorkehrungen anlässlich der Verlegung der Bahn in Spital am Pyhrn. „Die Trassenführung auf einem teils mit groben Flussbausteinen aufgeschichteten Damm. Darüber, zwischen hohe Steher eingeschoben, Metallelemente in Rot, Grau und Grüntönen – grelle Farben, bunt und zufällig zusammengesetzt. Dahinter am Hang sattes Wiesengrün und Wohnhäuser in traditioneller Bauweise, Holzgiebel, eingewachsen und halb verdeckt von altem Baumbestand. Dieses entsetzliche Bauwerk verschandelt die Gegend für immer“, schreibt Peter K., dabei hätte es sicher schönere Lösungen gegeben – Einfarbigkeit, landschaftsgerechte Materialien oder Verzicht.
Der Verzicht auf einen gebauten Lärmschutz müsste ein gemeinschaftlich entschiedener Akt der Ablehnung sein, um eine besonders schöne Landschaft unversehrt zu erhalten. Sie wird dort kaum zustande kommen, wo die Lärmbelästigung von Anwohnern am Tag mehr als 65 Dezibel beträgt, denn jeder, der in der Nähe einer Lärmquelle wie der Autobahn oder Schnellstraße wohnt, kann einen Lärmschutz beantragen. Der österreichische Autobahnbetreiber fördert diesen und greift auf im Handel erhältliche, geprüfte Systeme zurück, auch wenn ein Gestaltungswettbewerb für ganze Streckenabschnitte durchgeführt wird.
Zweifellos sind Lärmschutzbauten auch eine ästhetische Herausforderung. Die vielen neuen Massivwände aus Holzbeton auf den österreichischen Strecken vermitteln nicht den Eindruck, dass diese befriedigend bewältigt ist, auch wenn die Asfinag sich das Ziel gesetzt hat, „das Erscheinungsbild der heimischen Autobahnen und Schnellstraßen in Bezug auf architektonische Qualität und Einbindung in die Landschaft zu verbessern“ und seit 2010 einen Gestaltungsbeirat hat. Auf der Autofahrt von Köln zur Museumsinsel Hombroich fiel mir einmal ein außergewöhnlich dezenter Lärmschutz mit Glaswänden auf Erdwällen und bewusst davor gestreuten Baumgruppen und Büschen auf. Glas, das auch den Blick weitet – ein zweifacher Gewinn! Vom österreichischen Autobahnbetreiber erfahre ich, dass Glas aufgrund der zwei- bis dreimal so hohen Kosten und der reflektierenden Eigenschaft nur in geringem Ausmaß eingesetzt wird.
Und hier haben wir es wieder, das alles schlagende Argument: Wirkung und Kosten müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen; dazu wird die Asfinag vom Staat verpflichtet. Als Maß für die Zweckmäßigkeit des gebauten Lärmschutzes werden immer noch vorrangig Lärmverminderung und Kosten gelten, und kaum landschaftsverträgliche Lösungen, wenn sie mehr Aufwand und Mehrkosten bedeuten. Genau das sollte sie uns aber wert sein:
Denn wer mit Tunnelblick zwischen Lärmschutzwänden fährt, der kann die Schönheit von Landschaften gar nicht erkennen und wird keinesfalls animiert, das Schild Ausfahrt als Einladung zu sehen, tiefer ins Land vorzudringen und zu verweilen. Das gilt für Fremde wie für Heimische gleichermaßen und sollte selbst Touristiker auf den Plan rufen, die Gestaltung von Lärmschutz, der wirklich im Einklang mit der Landschaft ist, zu fordern und zu fördern.
Mauern werden immer gebaut, um das Unerwünschte dauerhaft auszublenden und fernzuhalten. Damit ist die Errichtung von Lärmschutzwänden legitimiert. Die Einschränkung der im Auto oder im Zug an ihr entlang Fahrenden (und Gehenden), die zugegebenermaßen von kurzer Dauer ist, wird als das kleinere Übel gesehen, das hingenommen werden muss.
Nicht ein Hügelzug als natürlicher Horizont von Siedlungsraum und freier Landschaft oder ein Waldsaum bilden die Grenze unseres Blicks, sondern alles verdeckende Aluminiumelemente mit dem überdimensionierten Schriftzug „Laaer Wald“, „Böhmischer Prater“ oder „Alte Donau“ – das der Geschwindigkeit der Autofahrer geschuldete Angebot der Hersteller an ortsgebundener, „individueller“ Gestaltung. Die Bezeichnung steht für das Eigentliche, das nur erleben kann, wer die nächste Ausfahrt nimmt.
Interessante Frage, was für uns Dauermotorisierte heute das Exterritoriale, Fremde ist. Sind es die Autobahnen und Schnellstraßen, die über weite Strecken zum Zwecke von Lärmschutz eingehaust sind und das Land als eine Art Endloswanne oder Halbtunnel durchziehen – oder das, was hinter den Wänden liegt? Als abgesonderte, geradezu auf das Auto süchtig machende Welt hat der österreichische Maler Max Peintner die Autobahn bereits in einem 1984 verfassten Text beschrieben.
Er, der in seinen Zeichnungen früher als jeder andere die Veränderung unserer Wahrnehmung in einer übertechnisierten, mehr und mehr verbauten Umwelt aufmerksam gemacht hat, schreibt: „Bei den neuen Fernverbindungen quer durch die Alpen ist in engen Tälern die Straße völlig vom Gelände abgesetzt auf Betongalerien den Hang entlanggeführt, vier- bis sechsspurig und komplett mit Pannenstreifen. Man ist auf der dem Boden näheren Seite noch immer in Höhe der Baumwipfel und fährt also durch eine Landschaft, die in einem neuen Sinn unberührt ist. Im Autobahntal ist in blanker Bedeutungslosigkeit versunken, was unterhalb des Fahrbahnniveaus liegt. Es gehört zu den Aufgaben der großen Straße, einem jede Anteilnahme an Leben und Tätigkeit der Menschen zu ersparen, durch deren Land man fährt. Ein Gefühl von beschwingter Verantwortungslosigkeit, von Überlegenheit kommt auf, wie im Schnellzug, wenn er ganze Siedlungen wegzaubert, indem er in ihren Bahnhöfen dieselbe Geschwindigkeit hält wie im freien Feld.“
Wie würde Max Peintner – gut 30 Jahre und eine verbaute Länge von 1300 Kilometern an Lärmschutzmaßnahmen später – dieses nun noch umfassender von seiner Umgebung isolierte Terrain sehen? Als Möglichkeitsraum für das hemmungslose Ausleben von Überlegenheit und Verantwortungslosigkeit? Beobachtet man, wie Geschwindigkeitsbeschränkungen von Dauerrasern gnadenlos ignoriert werden, so ist man geneigt, im Tunnelblick einen Mechanismus zur Distanzierung von allem zu sehen. Was schert mich hier die Welt „draußen“?
Mag sein, dass es diesen psychologischen Effekt gibt; häufiger fühlen sich Menschen beim Fahren zwischen Wänden wohl eingeschränkt in ihrem Freiheitsbedürfnis oder stören sich an ihrem Anblick. „Schreiben Sie doch über die Verschandelung von ganzen Landschaften durch Lärmschutzwände“, regte ein Leser an und belegte diese mit Bildern von Lärmschutzvorkehrungen anlässlich der Verlegung der Bahn in Spital am Pyhrn. „Die Trassenführung auf einem teils mit groben Flussbausteinen aufgeschichteten Damm. Darüber, zwischen hohe Steher eingeschoben, Metallelemente in Rot, Grau und Grüntönen – grelle Farben, bunt und zufällig zusammengesetzt. Dahinter am Hang sattes Wiesengrün und Wohnhäuser in traditioneller Bauweise, Holzgiebel, eingewachsen und halb verdeckt von altem Baumbestand. Dieses entsetzliche Bauwerk verschandelt die Gegend für immer“, schreibt Peter K., dabei hätte es sicher schönere Lösungen gegeben – Einfarbigkeit, landschaftsgerechte Materialien oder Verzicht.
Der Verzicht auf einen gebauten Lärmschutz müsste ein gemeinschaftlich entschiedener Akt der Ablehnung sein, um eine besonders schöne Landschaft unversehrt zu erhalten. Sie wird dort kaum zustande kommen, wo die Lärmbelästigung von Anwohnern am Tag mehr als 65 Dezibel beträgt, denn jeder, der in der Nähe einer Lärmquelle wie der Autobahn oder Schnellstraße wohnt, kann einen Lärmschutz beantragen. Der österreichische Autobahnbetreiber fördert diesen und greift auf im Handel erhältliche, geprüfte Systeme zurück, auch wenn ein Gestaltungswettbewerb für ganze Streckenabschnitte durchgeführt wird.
Zweifellos sind Lärmschutzbauten auch eine ästhetische Herausforderung. Die vielen neuen Massivwände aus Holzbeton auf den österreichischen Strecken vermitteln nicht den Eindruck, dass diese befriedigend bewältigt ist, auch wenn die Asfinag sich das Ziel gesetzt hat, „das Erscheinungsbild der heimischen Autobahnen und Schnellstraßen in Bezug auf architektonische Qualität und Einbindung in die Landschaft zu verbessern“ und seit 2010 einen Gestaltungsbeirat hat. Auf der Autofahrt von Köln zur Museumsinsel Hombroich fiel mir einmal ein außergewöhnlich dezenter Lärmschutz mit Glaswänden auf Erdwällen und bewusst davor gestreuten Baumgruppen und Büschen auf. Glas, das auch den Blick weitet – ein zweifacher Gewinn! Vom österreichischen Autobahnbetreiber erfahre ich, dass Glas aufgrund der zwei- bis dreimal so hohen Kosten und der reflektierenden Eigenschaft nur in geringem Ausmaß eingesetzt wird.
Und hier haben wir es wieder, das alles schlagende Argument: Wirkung und Kosten müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen; dazu wird die Asfinag vom Staat verpflichtet. Als Maß für die Zweckmäßigkeit des gebauten Lärmschutzes werden immer noch vorrangig Lärmverminderung und Kosten gelten, und kaum landschaftsverträgliche Lösungen, wenn sie mehr Aufwand und Mehrkosten bedeuten. Genau das sollte sie uns aber wert sein:
Denn wer mit Tunnelblick zwischen Lärmschutzwänden fährt, der kann die Schönheit von Landschaften gar nicht erkennen und wird keinesfalls animiert, das Schild Ausfahrt als Einladung zu sehen, tiefer ins Land vorzudringen und zu verweilen. Das gilt für Fremde wie für Heimische gleichermaßen und sollte selbst Touristiker auf den Plan rufen, die Gestaltung von Lärmschutz, der wirklich im Einklang mit der Landschaft ist, zu fordern und zu fördern.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom