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Welterbe und Winkeladvokaten
Welterbe und Winkeladvokaten, Foto: Heinz-Peter Bader
Spectrum

Denkmalschutz und Stadtentwicklung stehen sich in der Familie der öffentlichen Interessen näher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Zur Versachlicung der Sofiensaal-Debatte - Ein Plädoyer

6. Oktober 2001 - Walter Chramosta
Wien kann und darf sich den Verlust dieses einzigartigen musikalisch-akustischen Juwels nicht leisten, und auch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung will es sich nicht leisten. Mit wertvollem Kulturgut darf nicht verantwortungslos umgegangen werden, das müssen Baufirmen und deren Auftraggeber zur Kenntnis nehmen. Der kulturelle und architektonische Wert der Sofiensäle steht außer Frage. Wie bereits versucht wurde, dieses noch immer von so vielen Menschen geliebte Gebäude abzuwerten und herunterzuwirtschaften, ist skandalös. So der alarmistisch anmutende Versuch bewegter Bürger, eines spektakulären Verlusterlebnisses Herr zu werden.

Unzulässig verquickt sind in diesem Bekenntnis der Zorn über die seit langem andauernde, spekulative Abwertung des Sofiensaals durch die Eigentümer, die ungeklärte Brandursache, die Ungewißheit über den noch nicht abgeschlossenen Befund des Denkmalamts –und eine tief verwurzelte Angst vor dem Neuen. Bei städtebaulichen Abwägungen, Baukunsturteilen oder bei der nun unumgänglichen Abschätzung der Denkmalwerte die „überwiegende Mehrheit der Bevölkerung “einzubringen ist einem zivilisierten Gemeinwesen mit entwickelter Planungskultur unzumutbar. Solche Hilfsbehauptungen zeugen von mangelnder Legitimation der Handelnden durch die Bürgerschaft, vom Repräsentationsdilemma aller ohne Wahlmechanismen solitär agierenden Bürgerinitiativen, inhaltlich von dem populistisch bestens verwertbaren Kurzschluß, dem Alten werde immer nur das alt Aussehende gerecht. Da Stadt grundsätzlich gleichzusetzen ist mit Veränderung, kann es sich eine Stadtgesellschaft nicht leisten, ohne erhärtete Argumente für einen Rückbau historische Phänomene über zukunftsweisende zu stellen. Stadtentwicklung schließt die permanente Erhaltung und Überformung der Baudenkmale ein.

Brandruine mobilisiert und polarisiert viele Bürger, aber leider hat bisher nur eine Gruppe die Initiative ergriffen – fast erwartungsgemäß mit dem Ansprüche anmeldenden Namen „Rettet die Sofiensäle“. Wie hilfreich wäre zur Vielfalt der öffentlichen Meinungsbildung die Agitation von fiktiven Gruppen wie „Architektur für Wien “oder „Lebenszentrum Landstraße “. „Rettet die Sofiensäle “formuliert nicht nur obige Generalforderungen, sondern auch konkrete Ziele: „Wiedererrichtung des großen Saales unter Einbeziehung der erhaltenen und erhaltbaren Bausubstanz, die großartige Architektur und die besondere Akustik müssen erhalten bleiben. Keine Aufhebung der Schutzwürdigkeit: Wir sind überzeugt, daß genügend Originalsubstanz erhalten werden kann, womit die Schutzwürdigkeit und jeglicher Bauspekulation wirksam entgegengetreten werden kann. Kulturgut braucht unseren Schutz.“

Diese Ziele sind baukulturell, architekturhistorisch und denkmalpflegerisch fragwürdig, weil sie die vielleicht nicht immer richtig angewendeten, aber inhaltlich eindeutigen Regelungen des Denkmalschutzgesetzes und die dahinterstehende, zu gutem Teil in Österreich geschöpfte Ideengeschichte des Denkmalschutzes ignorieren, um in Wien allzu manifesten Geschichtssehnsüchten nachzuhängen.

Die vermeintlich rettenden Bürgerargumente sind naturgemäß verstärkte Echos des Volksmundes. Der Blick auf die für die Stadt besten Lösungen wird so eher ver- als geklärt. Die Ziele von „Rettet die Sofiensäle“ können fachmännische Urteile überzeichnen und in Frage stellen, Forderungen an die Politik abgeben; aber sie dürfen den Entscheidungsprozeß nicht auf die in Fragen der Architektur und des Städtebaus notorische Tiefebene der „Krone“ absenken. Die Verfasser sagen letztlich mehr über sich als über den aktuellen Stand der Sache; sie beweisen, wie gering ihr Vertrauen in die Behörden ist, daß im Planungs- und Baugeschehen überhaupt Gesetzesaufträge verwirklicht werden.

Das fundamentale Mißtrauen der Verwaltung gegenüber schürt gleichzeitig die Hoffnung auf die Politik. Politisch gesteuerte Stadt- und Landesplanung ist ohne partizipative Begleitung nicht mehr zeitgemäß. Der Schwierigkeitsgrad von Planungsmaterien bedingt gegenläufige Übersetzungsvorgänge, die eine Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien, somit eine schlüssige Planung überhaupt erst zulassen. Jede planende Behörde ist gut beraten, ihre Tätigkeit für die Betroffenen aus eigenem Entschluß durch geschulte Kräfte moderieren zu lassen, nicht erst, wenn es eine partikulär besorgte Bürgerschar erzwingt. Das Konfliktfeld zwischen Fach- und Laienwelt könnte entschärft werden, wenn die Politik Grundsatzpositionen klarer außer Streit stellen könnte. Neugewonnenes in Architektur und Städtebau, Verlorenes in der Denkmalpflege wird aber von den meisten Spitzenpolitikern mit peinlicher Distanz gestraft. Bizarre rekonstruktionsschwangere Politikersätze zum Sofiensaal-Brand standen im Sommerloch.

„Ein Wiederaufbau dieses seit 175 Jahren beliebten Ball-, Konzert- und Veranstaltungszentrums sollte ernsthaft ins Auge gefaßt werden. Die Wiederherstellung der Redoutensäle in der Wiener Hofburg kann dabei als herauszuhebendes Beispiel genannt werden“ wußten die Wiener Freiheitlichen bereits neben den rauchenden Trümmern. Auch die Jungen in der Volkspartei waren bald überzeugt, daß „vor allem die Wiener Jugend ein Recht darauf habe “,daß ihr Veranstaltungszentrum wieder aufgebaut werde. Ist die Wiener Jugend eventuell konservativer als die Denkmalpflege? Die Wiener Grünen orteten wenigstens einen „absurden“ Wiener Reflex, wonach alles „wiedererrichtet“ werden müsse.

Von keinem der Politiker ist bezeichnenderweise überliefert, ob zu den Entwicklungschancen des Quartiers, zu den Zielen des Bezirks Stellung genommen wurde. Der private Eigentümer der Liegenschaft hat pragmatisch-klärende Mitteilungen zur Projektlage verlauten lassen; eine auf Themenführerschaft zielende Kommunikationsoffensive ist von ihm nicht ausgegangen. Eine solche Kampagne hätte vorerst die Belastungen des nachlässigen Umgangs mit dem Bestand und der als unangemessen grob geschnitzt erinnerbaren Hotelplanungen neben dem Sofiensaal auszuräumen.

Als starken Trumpf rechnet sich die Bürgerinitiative die schon im August eingetroffene Unterstützung “im Namen von ICOMOS an, dem respektablen Unesco-Fachbeirat für das Weltkulturerbe, vertreten durch den bayrischen Denkmalpfleger Michael Petzet. Dieser spricht sich in einem von Tageszeitungen und ORF gern zitierten Schreiben an den Präsidenten des Bundesdenkmalamts wegen der „überragenden Tradition Wiens als Musikstadt und der Sofiensäle“ und „im Hinblick auf die baldige Erklärung der Wiener Innenstadt zum Weltkulturerbe“ für eine „Rekonstruktion der zerstörten Teile nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten aus“!

Der durch den verfrühten Zeitpunkt und das Fehlen von Entscheidungsgrundlagen immanente Widerspruch in dieser Aussage des prominenten Fachmanns befremdet. Dieser Akt politischer Einmischung in die Untersuchung des Bundesdenkmalamts ist gerade deswegen unschicklich zu nennen, weil er ins fachlich noch Leere zielt – unzeitgemäße Meinungsmache auf Boulevardniveau. Dieser Wink mit dem hölzernen Instrument „Weltkulturerbe“, das wegen seiner zusätzlichen Bremswirkung im schon langsam fahrenden Zug der Zeit nicht unumstritten ist, läßt die Bürgerinitiative wie ihren Protagonisten als Winkeladvokaten des baukulturellen Erbes dastehen.

Georg Mörsch, Denkmalpfleger an der ETH Zürich, sieht die Dinge ausgewogener. Er hat Mitte der achtziger Jahre Denkmalpflege im Gegensatz zur Stadtentwicklung auch für heutige Begriffe treffend aus der Sicht der Öffentlichkeit charakterisiert: Erstere ist „statisch, bewahrend, kulturell begründet, luxuriös, das heißt eventuell verzichtbar, angewandte Kunstgeschichte, weltfremd, unrentabel, gemütvoll“; letztere ist „dynamisch, verändernd, ökonomisch bestimmt, gesellschaftlich notwendig, methodisch vielschichtig, politisch definiert, wirtschaftlich vernünftig und sachlich“.

Anhand der Sofiensaal-Debatte ist man im Gegensatz zu Mörsch versucht, die Denkmalpflege hier als „politisch definiert und methodisch vielschichtig“ und dafür die Stadtentwicklung als „gemütvoll, aber unrentabel und weltfremd“ zu klassifizieren.

Die Rollenbilder haben sich mangels symmetrischer Kommunikation zwischen fortschrittstreibenden und bildbeharrenden Kräften auf paradoxe Weise vertauscht. Trotzdem ist kaum jemand, auch nicht der Wiener Magistrat, bereit, in die argumentative Bresche zu springen: für das Neue, für das fachlich Richtige, für das künstlerisch und kulturell Relevante. Das Feld darf nicht wie bei den Hofstallungen oder den Gasometern den Kompromißverfechtern überlassen werden.

Die „Retter der Tradition“ müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie bei schweren Raumkonflikten im historisch geprägten Wiener Stadtgefüge, etwa bei der Scheinschwebebibliothek über dem Gürtel oder der Erlebnisrenaturierung des Wienflußbettes, nicht einmal ihre warnende Stimme erhoben haben. Bürgeradvokatur erfordert mehr als Sonntagsredetechnik.

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