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Das Manufakt im Umbruch
Hohe Arbeitskosten, überbewertete Traditionen, industrielle Konkurrenz: das europäische Kunsthandwerk steht unter Druck. Mit einer qualifizierten Reform versucht die renommierte Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin einen Ausweg aus der Krise.
17. Oktober 1998 - Walter Chramosta
Porzellan, das als luxuriöser Hausrat geschätzte Weiße Gold, ist seit dem frühen 18. Jahrhundert in Europa hergestellter Ausdruck verfeinerter Lebenskultur. Etliche Manufakturen, wie etwa jene in Meißen, erreichen in der Gefäßkeramik und der freien Bildnerei bald künstlerischen Rang. Die reife technische wie formale Qualität dieser Produkte läßt ein hohes Berufsethos auf Seite der Produzenten und eine dauerhafte Wertschätzung auf Seite der Kundschaft wachsen.
Lebensstile wollen bei gedecktem Tisch begründet oder befestigt werden. Zu zeitgenössischer Repräsentation eignen sich aber viele heute unter traditionellen Marken produzierte Porzellane nicht mehr, da sie entweder formal unbefriedigend oder schlicht unerschwinglich sind. Die Manufakturen befinden sich daher generell in einer defensiven Situation. Ihr letzter Gedankenaustausch mit der Avantgarde geht oft auf die Moderne der zwanziger Jahre oder gar auf den Jugendstil zurück.
Die Wiener Manufaktur Augarten versucht noch jetzt, die Angebotslücke zur Gegenwart mit Josef Hoffmann und Vertretern der Wiener Werkstätte zu überspielen. Mit dem Verzicht auf neue Produkte bricht aber der Kontakt zu den nächsten Käufergenerationen ab, junge kulturelle Eliten bauen keine Affinität mehr zu den alten Eliteprodukten auf. Auch die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM), gegründet 1763 und dafür berühmt, immer wieder am Puls der Zeit gewesen zu sein, zehrt seit mehr als einem halben Jahrhundert von ihrer künstlerischen Substanz.
Einen ökonomischen Kollaps verhindert der Eigentümer der KPM, das Land Berlin, ebenso wie einen Verkauf. Statt dessen wird 1989 ein interdisziplinärer Beirat berufen, der eine Neuorientierung der Produktpalette einleiten soll.
Durch Beschränkung auf Spitzenleistungen der Vergangenheit, etwa den klassizistischen und neusachlichen Modellschatz, soll Kraft frei werden für die Weiterentwicklung des Unternehmens. 1993 wird der renommierte Generalist für alle gestalterischen Wechselfälle, der 1932 geborene, in Mailand lebende und neuerdings in Wien lehrende Enzo Mari, beauftragt, das jahrzehntelang ruhende Potential der KPM zu beleben.
Mari dokumentiert seit den frühen fünfziger Jahren mit seinen Arbeiten, die dem Design, der Architektur, der bildenden Kunst, aber auch der wissenschaftlichen Forschung zuzurechnen sind, daß er ein pragmatischer Weltverbesserer ist, ein Humanist mit ästhetischem Feingefühl und Blick für das Ganze eines Problemfeldes.
Dementsprechend kann er sich bei KPM nicht auf das Zeichnen eines neuen Geschirrs beschränken, sondern analysiert, was die Chancen einer großen Porzellanmanufaktur in Europa sein können. Ihm erscheint bald evident, daß solch ein altmeisterlich arbeitender Betrieb nur weiterexistieren kann, wenn die öffentliche Hand, wie bei einem erstklassigen Opernhaus, den Bestand sichert.
Damit ist das Unternehmen zwar von der ausschließlichen „Logik des Kapitals“ befreit, aber gleichzeitig angehalten, die „Logik der Unternehmenskultur und der sozialen Verantwortung“ zu verinnerlichen. Eine solche Manufaktur neuen Typs kann sich also nicht als geschützte Werkstätte verstehen, die ohne Marktkontakt ihrer Geschichte nachhängt, sondern hat ihre Kompetenzen neu zu ordnen.
Als Arbeitsfelder zeichnen sich für Mari ab: eine Abteilung für die vollständige Tradierung der alten Techniken, um Klassisches weiter zu produzieren und Neues in Kleinserien anzubieten; eine Abteilung, die einfachere Produkte in der ersten Welt industriell oder in der dritten handwerklich herstellt; eine Bildungseinrichtung, die alle Grundlagen der Qualitätsproduktion für Fachleute und Laien präsent hält; und nicht zuletzt ein Labor, das technologische und semiologische Forschung betreibt und die Ergebnisse kommerziell anbietet.
Mari hat diese Vision zumindest teilweise im Meisteratelier mit zwei Modelleuren und zwei Malern von KPM umgesetzt. Als Ergebnisse sind spindelförmige Vasen und das einprägsame Service „Berlin“ auf den Markt gekommen. Der von Mari initiierte Designprozeß hat eine umfangreiche Resonanz in den Fachmedien gefunden. Auch wenn heute industriell agierende Unternehmen wie Alessi den Markt für gehobenes Tischgerät beherrschen, für ein weißes Tafelservice von höchster Perfektion und moderater formaler Innovation wie das „Berlin“ gibt es eine strategisch anpeilbare Marktnische.
Zielgruppe sind Bauherrn, die sich um Architektur in ihrer Privatsphäre bemühen, Käufer von hochwertigem Mobiliar, die ihre Wohnsituation im Detail abrunden, und Nutzer von historischen Ambiancen, die auch in ererbten Qualitäten auf heutige nicht verzichten wollen.
Ihnen dient Mari klassische Kelchformen an, die hohen Wiedererkennungswert beanspruchen dürfen. An die großen Gefäße setzt Mari an ionische Kapitelle erinnernde, schlaufenförmige Henkel an, die Tassen haben ebenso handliche, stehende Henkel. Die schräg angesetzten Griffe der Deckel vervollständigen den spezifischen Ausdruck der sonst schlichten, aber sofort an Einzelteilen erkennbaren Objektfamilie. Skulptural betörend sind die kugelförmige Teekanne und der Stapel aus Suppen-, Speise- und Platzteller, wobei deren Fahnen konvex und konkav fein ausschwingen.
Enzo Mari setzt also auf eine einfache Grundform, die historische Assoziationen zuläßt, auf marktübliche Gefäßtypen, einwandfreie Ergonomie, auf eine wirtschaftliche Produktion, die handwerkliche Qualität einbezieht, aber auch ohne gemaltes Dekor zu einem ausgewogenen Produkt führt. Die Wiener Glasmanufaktur Lobmeyr ergänzt das Service seit kurzem mit passenden Glasschalen.
KPM hat damit einen ernsthaften, wenn auch nicht radikalen Schritt zu einer Wiederbelebung seiner Marke gesetzt. Die Akzeptanz dieser und anderer Manufakturen wird aber davon abhängen, ob eine Kontinuität der Erneuerung absehbar wird - sonst sind die Tage handwerklich geformten Porzellans als Kulturträger gezählt.
Lebensstile wollen bei gedecktem Tisch begründet oder befestigt werden. Zu zeitgenössischer Repräsentation eignen sich aber viele heute unter traditionellen Marken produzierte Porzellane nicht mehr, da sie entweder formal unbefriedigend oder schlicht unerschwinglich sind. Die Manufakturen befinden sich daher generell in einer defensiven Situation. Ihr letzter Gedankenaustausch mit der Avantgarde geht oft auf die Moderne der zwanziger Jahre oder gar auf den Jugendstil zurück.
Die Wiener Manufaktur Augarten versucht noch jetzt, die Angebotslücke zur Gegenwart mit Josef Hoffmann und Vertretern der Wiener Werkstätte zu überspielen. Mit dem Verzicht auf neue Produkte bricht aber der Kontakt zu den nächsten Käufergenerationen ab, junge kulturelle Eliten bauen keine Affinität mehr zu den alten Eliteprodukten auf. Auch die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM), gegründet 1763 und dafür berühmt, immer wieder am Puls der Zeit gewesen zu sein, zehrt seit mehr als einem halben Jahrhundert von ihrer künstlerischen Substanz.
Einen ökonomischen Kollaps verhindert der Eigentümer der KPM, das Land Berlin, ebenso wie einen Verkauf. Statt dessen wird 1989 ein interdisziplinärer Beirat berufen, der eine Neuorientierung der Produktpalette einleiten soll.
Durch Beschränkung auf Spitzenleistungen der Vergangenheit, etwa den klassizistischen und neusachlichen Modellschatz, soll Kraft frei werden für die Weiterentwicklung des Unternehmens. 1993 wird der renommierte Generalist für alle gestalterischen Wechselfälle, der 1932 geborene, in Mailand lebende und neuerdings in Wien lehrende Enzo Mari, beauftragt, das jahrzehntelang ruhende Potential der KPM zu beleben.
Mari dokumentiert seit den frühen fünfziger Jahren mit seinen Arbeiten, die dem Design, der Architektur, der bildenden Kunst, aber auch der wissenschaftlichen Forschung zuzurechnen sind, daß er ein pragmatischer Weltverbesserer ist, ein Humanist mit ästhetischem Feingefühl und Blick für das Ganze eines Problemfeldes.
Dementsprechend kann er sich bei KPM nicht auf das Zeichnen eines neuen Geschirrs beschränken, sondern analysiert, was die Chancen einer großen Porzellanmanufaktur in Europa sein können. Ihm erscheint bald evident, daß solch ein altmeisterlich arbeitender Betrieb nur weiterexistieren kann, wenn die öffentliche Hand, wie bei einem erstklassigen Opernhaus, den Bestand sichert.
Damit ist das Unternehmen zwar von der ausschließlichen „Logik des Kapitals“ befreit, aber gleichzeitig angehalten, die „Logik der Unternehmenskultur und der sozialen Verantwortung“ zu verinnerlichen. Eine solche Manufaktur neuen Typs kann sich also nicht als geschützte Werkstätte verstehen, die ohne Marktkontakt ihrer Geschichte nachhängt, sondern hat ihre Kompetenzen neu zu ordnen.
Als Arbeitsfelder zeichnen sich für Mari ab: eine Abteilung für die vollständige Tradierung der alten Techniken, um Klassisches weiter zu produzieren und Neues in Kleinserien anzubieten; eine Abteilung, die einfachere Produkte in der ersten Welt industriell oder in der dritten handwerklich herstellt; eine Bildungseinrichtung, die alle Grundlagen der Qualitätsproduktion für Fachleute und Laien präsent hält; und nicht zuletzt ein Labor, das technologische und semiologische Forschung betreibt und die Ergebnisse kommerziell anbietet.
Mari hat diese Vision zumindest teilweise im Meisteratelier mit zwei Modelleuren und zwei Malern von KPM umgesetzt. Als Ergebnisse sind spindelförmige Vasen und das einprägsame Service „Berlin“ auf den Markt gekommen. Der von Mari initiierte Designprozeß hat eine umfangreiche Resonanz in den Fachmedien gefunden. Auch wenn heute industriell agierende Unternehmen wie Alessi den Markt für gehobenes Tischgerät beherrschen, für ein weißes Tafelservice von höchster Perfektion und moderater formaler Innovation wie das „Berlin“ gibt es eine strategisch anpeilbare Marktnische.
Zielgruppe sind Bauherrn, die sich um Architektur in ihrer Privatsphäre bemühen, Käufer von hochwertigem Mobiliar, die ihre Wohnsituation im Detail abrunden, und Nutzer von historischen Ambiancen, die auch in ererbten Qualitäten auf heutige nicht verzichten wollen.
Ihnen dient Mari klassische Kelchformen an, die hohen Wiedererkennungswert beanspruchen dürfen. An die großen Gefäße setzt Mari an ionische Kapitelle erinnernde, schlaufenförmige Henkel an, die Tassen haben ebenso handliche, stehende Henkel. Die schräg angesetzten Griffe der Deckel vervollständigen den spezifischen Ausdruck der sonst schlichten, aber sofort an Einzelteilen erkennbaren Objektfamilie. Skulptural betörend sind die kugelförmige Teekanne und der Stapel aus Suppen-, Speise- und Platzteller, wobei deren Fahnen konvex und konkav fein ausschwingen.
Enzo Mari setzt also auf eine einfache Grundform, die historische Assoziationen zuläßt, auf marktübliche Gefäßtypen, einwandfreie Ergonomie, auf eine wirtschaftliche Produktion, die handwerkliche Qualität einbezieht, aber auch ohne gemaltes Dekor zu einem ausgewogenen Produkt führt. Die Wiener Glasmanufaktur Lobmeyr ergänzt das Service seit kurzem mit passenden Glasschalen.
KPM hat damit einen ernsthaften, wenn auch nicht radikalen Schritt zu einer Wiederbelebung seiner Marke gesetzt. Die Akzeptanz dieser und anderer Manufakturen wird aber davon abhängen, ob eine Kontinuität der Erneuerung absehbar wird - sonst sind die Tage handwerklich geformten Porzellans als Kulturträger gezählt.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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