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Aus meiner Pannonisiertrommel
Aus meiner Pannonisiertrommel, Foto: Rupert Steiner
Aus meiner Pannonisiertrommel, Foto: Rupert Steiner
Spectrum

Die Naturlandschaft stellt hohe Ansprüche ans Bauen. Gerecht kann man ihr mit zwei gegenläufigen Strategien werden: Tarnung oder Figuration. Viele Bauherren können sich nicht entscheiden und werden zu kulturellen Rückfalltätern. Ein Tatortbericht.

20. Februar 1999 - Walter Chramosta
Die schlichte Sentenz des Tessiner Architekten Luigi Snozzi ist bei Fragen nach der architektonischen Beherrschbarkeit von Territorium noch immer hilfreich: „Jeder Eingriff bedingt eine Zerstörung: Zerstöre mit Verstand.“ Snozzi meint, daß man zu sinnvollem Bauen in Stadt und Land nur über das Abwägen von räumlichem Verlust und Gewinn gelangt. Niemals beginnt ein Bauvorhaben an einem voraussetzungslosen Nullpunkt, und keines führt naturgemäß nur auf einen Gewinn. Jeder Ort hat bereits respektable Eigenschaften: eine eigentümliche Geometrie, seine eingeprägte Geschichte, immanente Geologien et cetera.

Jeder Architekt ist gut beraten, die Lebenslinien eines Ortes weiterzuführen, die unvermeidlichen Verluste durch zugewonnene Nutz- und Gestaltwerte mehr als auszugleichen. Ein guter Bauherr wird offensiv nach diesem Gewinn streben und dabei den Architekten fordern, ein durchschnittlicher Bauherr wird den immateriellen Gewinn nicht suchen, ein schlechter Bauherr vernichtet den architektonischen Mehrwert mit kurzschlüssiger Eigenmächtigkeit. Letzteres ist hier zu beklagen.

Nach heimischen Bauordnungen ist eine Baubewilligung dann zu versagen, wenn das Vorhaben eine erhebliche Störung des Orts- und Landschaftsbildes abgeben könnte. In einer Ortschaft sind mit dem Baubestand und Bebauungsplänen einigermaßen tragfähige Referenzen zu einer solchen Beurteilung gegeben. Trotzdem gibt es gebaute Fehlurteile sonder Zahl.

In Landschaftsteilen, die nicht in einem Blickfeld mit Siedlungen wahrnehmbar sind, ist die Beurteilung auf ästhetische Umweltverträglichkeit noch prekärer. Da greifen die schon für einen Stadtkörper schwammigen Begriffe Einfügung, Anpassung oder Harmonie nicht mehr. Ein Solitärkörper mit einer Sondernutzung in freier Natur sollte zumindest so sehr der Zeit wie dem engeren Umraum entspringen. Die Anbiederung an rasch alternde Architekturmoden hilft da sowenig wie jene an rurale Formpopulismen. Eine abstrahierende Figuration der Zwecke wäre gefragt.

Statt dessen erfaßt der vorauseilende Gestaltgehorsam vor Trivialtouristen- und Volksmusikliebhabermassen nun auch große Infrastrukturinvestitionen. Aus freien Stücken hat sich der kommunale Abwasserverband Großraum Bruck an der Leitha/NeusiedlamSee dazu entschlossen, seine 1998 fertiggestellte Kläranlage, die gut sichtbar an der Ostautobahn und an der Leitha steht, regionalpolitisch korrekt hinter einem Banalbild von vorgestern zu verstecken.

Da man sich hier automobilistisch am „Tor zu Pannonien“ – nicht etwa am Weg nach Europa – wähnt, waren Schwungvergiebelung und Rotdachbeziegelung als Wegweiser in den Osten unumgänglich. Bei einem Pirschgang auf Rustikalmotive haben die hier planenden Zivilingenieure Lengyel & Binder, Lang und Bichler & Kolbe offenbar ihre Pannonisiertrommel beim Zitatepflücken rund um den Neusiedlersee prall gefüllt. So konnte dem Wunsch der Bauherrschaft nach fernwirksamer Beheimatung im Pannonisch Plattenseeligen rasch und tatsächlich ohne Kostenerhöhung gefolgt werden.

Warum eine Anlage, deren Standort und Konzeption sorgfältig optimiert wurden, deren Funktionalität außer Streit steht, deren Investitionskosten von etwa 370 Millionen Schilling (26,89 Millionen Euro) das präliminierte Ausmaß deutlich unterschreiten, eine derartige regionalistische Behübschung braucht, ist rätselhaft.

Die groteske Abrüstung des ganzen Ensembles zum pannonischen Bauernhof taugt weder kultur- noch naturräumlich als Tarnung. Bei einer öffentlichen Bauaufgabe wäre eine aus der Nutzung abgeleitete signalhafte architektonische Figur zu erwarten gewesen. Dazu hätte man sich mangels Bewußtseinslage der Bürger und der Medien oder gar selbstgestellter kultureller Verantwortung nie verstiegen.

So behängt der Bauherr den positiv besetzten Bau freiwillig mit der Bleiweste der Provinzialität, um auch noch ihn im Banalmeer der Ortsbildschönungen untergehen zu lassen. Unter dem Sparsamkeitsdruck öffentlicher Haushalte gilt ein Abwasserverband heute dem Wahlvolk als hinreichend verantwortungsvoll, wenn er möglichst wenig Geld verbraucht. Sparsamkeit wird fälschlich mit Billigkeit gleichgesetzt, die Zweckmäßigkeit der zeitgemäßen Form daher überhaupt nicht erwogen.

Statt auf Angemessenheit setzt der Bauherr in Bruck auf Untertreibung. Bis in ferner Zeit einmal von Politikern die Gesamtverantwortung für die Umwelt, also auch für die ästhetische, verbindlich eingefordert werden kann, sollte gerade das Bundesministerium für Umwelt, Jugend, Familie die gemäß dem Umweltförderungsgesetz ausgeschütteten Gelder an die bauliche Erfüllung architektonischer Kriterien knüpfen. Ohne Zwang sind sichtlich nicht einmal der Stand der Technik und die Befassung befugter Personen –beides in den Förderrichtlinien explizit verankert und Architektur durchaus implizierend –gewährleistet. – Die bei Kläranlagen fachlich berufenen Ingenieure beziehungsweise Controller haben im Zeitalter der ihren Berufsstand zersetzenden Planungshonorarkämpfe nicht mehr die Kraft, im Sinne eines ganzheitlichen Lösungsansatzes auch den Gestaltungsaspekt zu vertreten. Der Anlagenplaner hat hier lieber das Hochbauthema dilettierend an sich gezogen, als auf eigene Kosten einen ambitiösen Architekten beizuziehen. Daß das zielführend ist, zeigt das von Kurt Ackermann überformte Klärwerk Gut Marienhof bei München vorbildhaft.

Sensiblere Passanten scheitern bereits beim Flughafen Schwechat, robustere werden nun in Bruck, die härtesten letztlich angesichts des Factory-Outlet-Centers in Parndorf von der Autobahn abkommen. Aber alle hätten wissen können: Der Balkan beginnt mitten in Simmering. Hier läuft die Zerstörung noch wie gehabt.

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